Griechen und die Bild-Zeitung

Es sind ein paar hundert Meter Luftlinie vom Axel-Springer-Platz in Berlin bis zur griechischen Botschaft in der Jägerstraße. Wenn man also bei der Bild-Zeitung arbeiten würde und die Aufgabe hätte, die Finanzkrise in Griechenland zu beschreiben, dann könnte man – wenn man denn verschiedene Meinungen zu den Hintergründen einholen wollte – zu Fuß hingehen. Aber man müsste nicht einmal das tun, man könnte auch anrufen. Die Botschaft hat ein Pressebüro, und der Bild-Reporter könnte sich durchstellen lassen zu dem Leiter dieses Büros. Das dauert ein paar Sekunden. Und könnte schon ein paar Dinge ins Wanken bringen, die in der Bild-Zeitung in den letzten Tagen behauptet wurden.
Der Leiter des Pressebüros der griechischen Botschaft in Berlin ist 1945 geboren, wenn es also stimmen würde, was in der Bild-Zeitung steht, dass nämlich griechische Beamte spätestens mit Mitte fünfzig in Rente gehen, dann dürfte er da gar nicht sitzen. Er würde dann seit mehr als zehn Jahren seine Rente genießen, die ja nach den Recherchen der Bild-Zeitung fast 100 Prozent seines Gehaltes ausmacht – wobei in der Bild nicht steht, dass es sich dabei nur um das Grundgehalt handelt, während das, was sie tatsächlich überwiesen bekommen, in weiten Teilen Zuschläge sind. Die Diplomaten an der Botschaft werden in Wahrheit bestenfalls 15 oder 20 Prozent ihres Gehaltes als Rente bekommen, wenn überhaupt. So wie alle diese griechischen Beamten, von denen die Bild-Zeitung und andere gerade behaupten, sie wären es, die ein winzig kleines Land am Rande Europas nah an den Ruin getrieben haben, und nicht die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten.
Wenigstens einen Dienstwagen wird man beim Presserat der Botschaft dann aber doch wenigstens vermuten dürfen, wo doch Griechenlands Beamte und Politiker angeblich die unglaubliche Zahl von 50.000 Autos unterhalten, die in der Bild immer im Zusammenhang mit den 300 Parlamentariern genannt werden, so als würde jeder von ihnen hunderte unterhalten. Aber nicht einmal das könnte man bei seinem Rechercheanruf bestätigen, denn der Leiter des Büros – der erste Ansprechpartner, den man am Telefon hätte, wenn man der Gegenseite auch nur die Chance einräumen wollte, etwas zu sagen – fährt nur seinen eigenen Kleinwagen. Einen aus deutscher Produktion.
So geht es weiter mit jedem Fakt, der da in die Welt geblasen wird, als neu oder sensationell verkauft, als Grund für die Misere. Es wird das Bild gemalt von einer Nation, die in fauler Gier anstatt zu arbeiten lieber die EU ausgenommen hat und jetzt überversorgt und fett am Strand liegt, während in Deutschland hart gearbeitet wird, um ihnen das Geld hinterher zu werfen. Natürlich braucht man keinen Nobelpreis, um zu erkennen, dass es so nicht stimmt. Man braucht gerade mal ein Gehirn.
Ich bin der Sohn eines Griechen, der während der Militärdiktatur nach Deutschland emigriert ist, und nach dem Ende der Junta in den griechischen Staatsdienst gegangen ist, weil er gelernt hat, dass Demokratie etwas ist, das man sich jeden Tag erarbeiten muss. Und ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Menschen getroffen, der auch nur annähernd so viel arbeitet wie mein Vater. Heute liest er offene Briefe in der Bild-Zeitung, im Stern und wo nicht noch alles, in denen Journalisten Deutschland zur reichen Tante fantasieren, die jetzt aber streng mit ihrem frechen Neffen sein muss, weil der so unverantwortlich mit ihrem Geld herumwirft. Ich bin selbst Journalist und ich schäme mich, wenn ich daran denke, dass mein Vater das liest.
Aber den schlimmsten Moment hatte ich in den letzten Tagen, als ich in der Bild einen perfiden Artikel über die Frage gelesen habe: „Schuldet Deutschland Griechenland noch Reparationszahlungen aus dem Krieg?“ – und natürlich zu dem Schluss kam, das wäre vertraglich alles längst geregelt. Plötzlich waren da Fakten wichtig und Zahlen. Aber hier ist noch ein Fakt, eine Tatsache, eine von mir, also einem Europäer mit einem Griechen als Vater und einer Deutschen als Mutter, einem deutschen Großvater mit einer dreistelligen NSDAP-Mitgliedsnummer und einem griechischen, der von der Gestapo im besetzten Griechenland gefoltert wurde, weil seine ältesten Söhne im Widerstand waren. Sie haben beide Tagebuch geführt. Die von meinem deutschen Opa liegen hier neben mir, gemeinsam mit seinem Ritterkreuz: Eine weinerliche Reihe von Rechtfertigungen und eine sehr genaue Buchführung über seine Ausgaben zu der Zeit. Das Tagebuch meines anderen Großvaters kenne ich nur in Auszügen: In einem großen Vater-Sohn-Moment hat mir mein Vater einmal daraus vorgelesen. Von den Misshandlungen, die er – ganz Intellektueller, der er war – ungeheuer sachlich und distanziert beschreibt.
Natürlich hat mein griechischer Großvater nie Reparation verlangt für das, was man ihm angetan hat. Es ist nie jemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden, und er hegte offensichtlich trotzdem keinen Groll: Er schickte meinen Vater auf die Deutsche Schule in Athen. Weil es eine gute Schule war. Und weil die deutsche Kultur für ihn tiefer ging als das, was er selbst erleben musste.
Ich kann die Verachtung nicht in Worte fassen, die ich für die Kollegen mit ihren offenen Briefen empfinde, die sich ohne jede Recherche einen demütigenden Witz nach dem anderen aus den Fingern gesaugt haben, die sehenden Auges Vorurteile bis hin zum rassistischen Hass geschürt haben und die dabei nichts erreicht haben als den Zockern in den entsprechenden Investmentbanken noch ein bisschen in die Hände zu spielen.
Es ist kein Geheimnis: Mein Vater leitet das Pressebüro der griechischen Botschaft in Berlin. Ich nehme an, es ist sein letzter Posten bevor er mit 67 oder 68 endlich in Rente gehen kann.
Er hat nie und würde nie etwas Schlechtes über einen Journalisten sagen, nicht einmal mir, nicht einmal privat. Er sieht das nicht als seine Aufgabe. Stattdessen arbeitet er dafür, dass die Öffentlichkeit des Landes, in dem er gerade Dienst tut, auch die griechische Seite hört. Und ich war lange unendlich stolz darauf, dass in meiner Familie innerhalb einer Generation auf den Nazi-Opa mein Vater folgt, der das Bundesverdienstkreuz für besondere Verdienste um die deutsch-griechischen Beziehungen verliehen bekommen hat.

Aber ich bin auch Deutscher und Journalist. Und ich schäme mich. Weil ich weiß, wie einfach es gewesen wäre, ein einziges Mal anzurufen.

Das Riekelsche Gesetz

Es ist eine Weile her, dass ich zuletzt dazu gekommen bin, hier etwas Substanzielles von mir zu geben, und diese Zeit ist gekennzeichnet von Niederlagen. Zum einen habe ich den Ideen-Wettbewerb Scoop des Axel-Springer-Verlages nicht gewonnen (ich war unter den letzten Sechs und durfte vor der Jury präsentieren, was Spaß gemacht hat, aber wenn man unter 1200 Bewerbern schon einmal so weit ist, will man auch gewinnen. Verdammt).

Und dann hat Patricia Riekel von der Bunten beschlossen, ganz offen eine alte journalistische Übereinkunft aufzukündigen, die zwar zunehmend erodierte aber doch über Jahrzehnte bestand hatte: Das Privatleben von Politikern in Deutschland war für Journalisten tabu. Jetzt erklärt sie, führende Politiker seien Vorbilder und müssten es sich deshalb gefallen lassen, dass zum Beispiel auch ihre heimlichen Liebschaften dem Wähler bekannt sein müssen. Sie hätte die Information gehabt, in Franz Münteferings Leben sei eine „entscheidende Änderung“ eingetreten, der die Rechercheure nachgehen sollten. Ja, genau. Die Information lag vor: Franz Müntefering hatte sich nach dem Tod seiner Frau wieder verliebt. Und deshalb hat er kein Recht mehr auf eine Privatsphäre?
Um es kurz vorweg zu sagen: Ich finde das ekelhaft. „Das Riekelsche Gesetz“ weiterlesen

Nur ganz schnell

Es tut mir leid, ich bin gerade unglaublich viel unterwegs und habe, mit etwas Glück, dafür auch bald wieder sehr viel zu erzählen. Für den Moment aber nur das hier: Dieser Text von Stefan Niggemeier über die Diskussion um die Tagesschau-iPhone-App ist so scheißgut, dass ich irre sauer bin, dass ich ihn nicht geschrieben habe. Irre sauer.

Und dann gibt es noch das hier:

Zu Burdas Geburtstag: O-Töne

Ich glaube ja, dass es besonders den Inhaber-geführten Verlagen besser gehen würde, wenn die Machthaber noch Leute um sich herum hätten, die ihnen die Wahrheit sagen, die einen guten Ton finden, um dem Alleinherrscher Kritik zu überbringen.
Bei Burda machen sie es anders: Zum Geburtstag überbringen die Chefredakteurinnen des Hauses in bester Hupfdohlen-Manier ein Ständchen voller Nettigkeiten. Wenigstens treffen sie, vielleicht in subversiver Absicht, keinen Ton.

Oli Kahn und das … äh, Fußball

Irgendwas bleibt immer hängen, so traurig das ist, und meiner Meinung nach ist Oliver Bierhoff bei seinen Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung beim DFB recht tapsig in ein offenes Messer gerannt. Was allerdings nichts daran ändert, dass das Niveau der Vorwürfe gegen ihn lächerlich ist und der ganze Streit Kampagnencharakter hat. Aber, ganz ehrlich, es ist mir letztlich egal. Nicht egal ist etwas anderes: Die Bereitschaft von Medien, falsche Informationen zu verbreiten. So lästert zum Beispiel der ehemalige Torwart-Titan Oliver Kahn, den eine schöne, alte Feindschaft mit Bierhoff verbindet, mit der nur ihm möglichen Abschätzigkeit, Bierhoff solle doch erst einmal die Strukturen des DFB verstehen, bevor er zum Beispiel ein Mitspracherecht bei der Besetzung des Nationaltrainerpostens verlange, denn für dieses Recht müsse man schließlich Mitglied im DFB-Präsidium sein. Spiegel Online verbreitet das in einem Video (ab etwa 1:45 Min.), in dem es vor allem um den Imageschaden für Bierhoff geht. Dass Bierhoffs Ruf dabei durch das Video selbst weiter leidet ist klar. Insofern wäre es vielleicht schlau gewesen, vorher wenigstens einmal die Vorwürfe von Kahn zu prüfen, bevor man sie verbreitet: Im Präsidium des DFB ist Oliver Bierhoff schon seit mehr als zwei Jahren.

Oliver Bierhoff bei dfb.de

No Company For Old Men

Vorweg: Diesen Text kann man auch hören! Dank Bodalgo.com, dem Online-Marktplatz für Sprecher
[audio:No Company For Old Men 1.mp3]

Es ist ein Elend, wenn alte Männer sich streiten, da machen Helmut Markwort und Hubert Burda keine Ausnahme. Ersterer räumt seinen Platz beim Focus nicht, sondern drückt seinem Nachfolger einen so genannten Relaunch ins Blatt, der wirkt, als wolle er seine Sandburg zerstört hinterlassen, damit niemand anders damit spielen kann. Auf Kritik daran in der Süddeutschen Zeitung reagiert er, indem er dem Online-Chef Hans-Jürgen Jakobs „journalistisches Stalking“ unterstellt. Er schadet damit dem Focus: Der Nachfolger Wolfram Weimer muss den neuen Posten so schon angeschossen antreten – und die dringend nötigen weiteren Änderungen werden nun auf die letzten verbliebenen Leser vor allem verwirrend wirken.
Der Verleger Hubert Burda hätte wahrscheinlich längst durchgreifen sollen, immerhin hätte ein sauberes Ende auch Markworts Vermächtnis ein wenig heller gestrahlt als so. Burda tat es nicht, warum auch immer. Stattdessen gab er ausgerechnet Markworts Stalker Jakobs für die Printausgabe der Süddeutschen ein langes, bizarres Interview, das am Samstag in der Wochenend-Beilage erschienen ist.
Schon die Bebilderung ist merkwürdig, ein getuschtes Selbstportrait Burdas (in der Sendung Beckmann am späten Montagabend stellten Burda und seine Frau richtig, dass dieses spezielle Bild von Frau Furtwängler gemalt worden war), der sich am Wochenende gerne selbst malt: „Das ist das Spannendste“. Ob er bei diesen Variationen über sich selbst die Wahrheit über sich ans Licht holt, sei dahin gestellt, jedenfalls beantwortet er die Frage, ob es zu seinen Verwundungen gehöre, die ersten 40 Jahre unterschätzt worden zu sein, unter anderem mit dem schönen Gedanken: „Unterschätzt? Das war eher die Hamburger Perspektive auf das ‚Schwarzwald-Springerle'“. Die Hamburger, das waren Augstein, Bucerius und Springer, die großen Verleger, die schon auf seinen Vater herabsahen. Aber was meint man, wenn man sagt: Das war eher die Hamburger Perspektive? Heißt das, er wurde in Wahrheit nicht unterschätzt – weil ja nur die Hamburger Verleger ihn unterschätzten? Und wer unterschätzte ihn denn in diesem Fall nicht? Offenburg? München? Er sich selbst? Kann man behaupten, man würde in Wahrheit nicht unterschätzt, weil man sich selbst nicht unterschätzt? Es ist eine unerhörte Gedankenwindung dazu nötig: Zu glauben, etwas wäre erst wahr, wenn man es selbst glaubt. Es sieht so aus, als könnten die merkwürdigen Zustände im Hause Burda ganz einfach auf zwei kollidierenden Fällen von Solipsismus beruhen.

An einer einzigen Stelle auf diesen hunderten Zeilen spricht Burda über Inhalte: Als er erklärt, dass sein Bekannter Andy Warhol „in seiner Kunst [verarbeitete], was mir wichtig war: New York, beautiful people, Studio 54. Er hat die Trivialität des Alltags auf eine ästhetische Ebene gehoben“. Nun passen diese beiden Sätze eher nicht zusammen, denn gemeint ist wohl eher nicht die Trivialität des Alltags im Studio 54, überhaupt eher nicht die Alltage der beautiful people, die, wenn alle Stricke und Unterhaltungen abreißen, immer noch sich selbst malen können (das Spannendste, was es gibt!). Gemeint ist wohl unser Alltag. Der Alltag derer, die Dosensuppe öfter essen als malen.
Kunst und Unterhaltung, stellt Burda klar, sind „die gleiche Münze“. Eine merkwürdige Metapher: In gleicher Münze wird normalerweise heimgezahlt. Es heißt: Nicht dasselbe, aber gleich viel wert und auf gleichem Niveau. Es heißt auch: Nicht nur ihn haben sie unterschätzt, die Hamburger, sondern auch den Wert dessen, was er gemacht hat mit seinem „Leute-Magazin“ Bunte (inspiriert von Warhol!) und dem Nachrichtenmagazin für die Info-Elite (die jetzt leider „im Netz“ ist, deshalb braucht der Focus wieder mehr Text, damit die Info-Dings, also die Info-Nicht-Elite, ihn lesen mag). Es ist herzzerreißend.
Ein Grund, warum Burda dieses Interview gerade jetzt geben sollte, wenn nicht um Markwort zu demütigen, ist eigentlich nicht erkennbar. Für den Focus-Relaunch tut er nichts, den neuen Chefredakteur erwähnt er nicht, nennt Markwort allerdings auch nicht mehr Chefredakteur oder Herausgeber sondern „Gründer“ – nachdem er ein paar Antworten vorher gesagt hat, die Chefredakteure wären der Reichtum des Verlages, und er hätte zu den Anfangszeiten des Focus Angst gehabt, Helmut Markwort könnte etwas zustoßen. Heute klingt das fast wie eine Corleone-mäßige Drohung, denn heute ängstigt ihn wahrscheinlich eher die Vorstellung, der Gründer könnte ewig leben. Chefredakteure, sagt Burda, müssen „Tore schießen“, sonst können sie „nicht in der Mannschaft bleiben“. Markige Worte von einem, der gleichzeitig Markwort nicht aus dem Team entfernt.
Sie sind beide längst im Rentenalter, aber beide kennen offenbar niemanden, der ihren Job so gut machen kann wie sie selbst. Diese Selbsteinschätzung kommt nicht aus dem Nichts – man kann argumentieren, dass es eine Zeit gab, da war es so. Aber je mehr Zeit vergeht, bis diese Situation geklärt ist, umso mehr wirken die Erfolge der Vergangenheit wie Zufälle. Denn egal wie schön das Selbstportrait sein mag, das ich am Wochenende von mir male, es ist nicht „gleiche Münze“ mit dem, was ich den Rest der Woche über tue. Es mag sein, dass eine große Info-Elite einmal zufrieden war mit der ästhetisierten Trivialität, wie sie im Focus stand. Aber es gehört zum traurigsten, was unsere Branche zu bieten hat, wenn ausgerechnet Journalisten und Verleger an dem scheitern, was die Grundlage all unserer Arbeit sein sollte: Realität.

Die größere Null

Diesen Text kann man auch als Podcast hören: Dank bodalgo.com, dem Online-Marktplatz für Sprecher. Leider ist diese Wahnsinns-Stimme nicht meine – aber dafür kann der Typ lesen.
[audio:Die groessere Null.mp3]

Mathias Döpfner ist Germanist, Theater- und Musikwissenschaftler und Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, und als solcher auch derjenige, der die Zusammenlegung der Redaktionen von Welt und Berliner Morgenpost durchsetzen ließ. Insofern mutet es vielleicht merkwürdig an, dass ausgerechnet er sich im Manager-Magazin (laut dessen Ankündigung) zum Verfechter des journalistischen Inhaltes macht, an dem nicht gespart werden sollte. Aber wir wissen ja, was eigentlich gemeint ist: Es ist eine der rhetorischen Volten, die man drehen muss, wenn über den Umweg der Geißelung kostenloser Inhalte als „abstruse Fantasien von spätideologisch verirrten Web-Kommunisten“ die Brücke geschlagen werden soll zu der Forderung, die im Moment hinter allem steht, das die Verlagshäuser tun: Der Forderung, per Gesetz an den Gewinnen von Google beteiligt zu werden, weil Google ohne die Web-Inhalte der Verlage weniger Zeug hätte, neben dem es Anzeigen schalten könnte. Springer-Außenminister Christoph Keese hat es neulich in einem Interview auf Carta noch schöner formuliert hat: Was auch immer der Wert der Verlangsinhalte für Google sei, „er ist größer als null“. „Die größere Null“ weiterlesen

Die Weltwoche. Jetzt mit eigener Welt.

Statt lesen: Auch als Podcast zum Hören – dank bodalgo.com, dem Online-Marktplatz für Sprecher

[audio:Weltwoche.mp3]

Ich nehme an, dass mir eine Menge unfassbar bizarrer Sätze entgehen, seitdem ich die Schweizer Weltwoche nicht mehr lese, aber heute habe ich durch Zufall das Editorial der Woche gelesen, in dem sich „die Redaktion“ (es ist wohl eine sichere Wette anzunehmen, dass sich dahinter wie immer Chefredaktor Roger Köppel subsummiert) über das Geschehen der Woche auslässt, also auch über die Reaktionen auf das Minarett-Verbot. Der erste Satz des Editorials geht so:

Das Völkerrecht, Abgott aller undemokratischen Verlierer, ist fehlerbehaftetes Menschenwerk, wird willkürlich gesetzt und inflationär angewendet

Denn für Köppel ist es unerträglich, dass „fremde Richter“ die „Volksrechte begrenzen“. Es ist offenbar ein bisschen wie die Weiterführung der Schweizer Neutralität mit anderen Mitteln: Kein anderes Land der Welt hat schließlich – nach meiner persönlichen Erfahrung – so sehr das Gefühl, mit dem Rest der Nationen und Geschehnisse nichts zu tun zu haben (deshalb macht die Schweiz, immerhin eines der reichsten Länder der Erde, keine Außenpolitik). Für einige Schweizer ist das ein eher schmerzhaftes Thema, verbunden mit einer Art Minderwertigkeitskomplex, der nur durch Lebensstandard gelindert werden kann. Bei Roger Köppel, der als eine Art journalistischer Silvesterknaller schon seit Jahren irrlichternd gegen eine gefühlte linke Medienübermacht anschreibt, hat der Komplex nun offenbar für die vollständige Loslösung von der Welt, wie wir sie kennen, gesorgt. Jetzt darf es also auch kein Völkerrecht mehr geben. Halleluja.
„Die Weltwoche. Jetzt mit eigener Welt.“ weiterlesen

Das wird man doch noch nichtsagen dürfen!

Ich bin mir nicht sicher, ob das nach meiner eigenen Vorstellung von diesem Blog hierher gehört, aber erstens ist das hier ja mein Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung und außerdem kann ich hier auch machen was ich will, deshalb habe ich mich nach einigem Ringen selbst überstimmt und beschlossen, dass ich mich schlechter fühle, wenn ich gar nichts sage.

Also: Ralph Giordano führt heute in der Bild-Zeitung zum Thema „Minarett-Streit in der Schweiz“ einen intellektuellen Trick vor, der einerseits so unwürdig ist und andererseits so kunstvoll aufgebaut, dass ich nicht anders kann, als ihm widersprechen.
Giordano, der aus meiner Sicht völlig zweifelsfrei ein Kämpfer für die Freiheit und gegen jede Art von Rassismus ist, schliddert argumentativ in einen Kampf der Kulturen und verteidigt aus seiner Sicht unseren fortschrittlichen Kulturkreis gegen den rückständigen muslimischen.

Durch eine total verfehlte Immigrationspolitik stoßen hier zwei Kulturkreise in jeweils sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien aufeinander:
• Der abendländisch-christliche Kreis, der in den letzten fünfhundert Jahren mit Renaissance, Aufklärung, bürgerlichen Revolutionen und ihrer Fortschreibung durch die Jahrhunderte einen gewaltigen Sprung nach vorn getan hat.
• Der islamische Kreis, eine Welt, die nach einem Kulturhoch am Ausgang des Mittelalters, von dem Europa nur beschämt werden konnte, auf eine verstörende Weise stagniert. Anpassungsversuche an die Moderne führen zu schweren Erschütterungen. Dabei zeigt gerade die Türkei auf mannigfache Weise, wie schwer es selbst eine teilsäkularisierte muslimische Gesellschaft mit Reformen hat.

Diese Position hat er nicht alleine, im Gegenteil, ich nehme an, dass aus dieser Position heraus das Schweizer Volksbegehren erfolgreich war und ein ähnliches auch bei uns Aussichten auf Erfolg hätte. Unabhängig davon, ob seine Position so stimmt (aus meiner Sicht verzerrt sie die Realität unzulässig, aber das ist noch gar nicht das Thema), verkennt Giordano die Rolle, die ihm in dieser Diskussion zugedacht ist entweder fahrlässig, oder er hat seine Position nicht bis zum Ende durchdacht. „Das wird man doch noch nichtsagen dürfen!“ weiterlesen

Was guckst du?

Es ist das große Rätsel, und es zu lösen ist eine der Kernfragen im Journalismus: Was will eigentlich „der Leser“? Viele Jahre lang haben Magazin- und Zeitungsmacher ihre eigenen Theorien zum Thema gefunden und gelehrt, und in einem überschaubaren Markt auch Erfolge damit gehabt. Jetzt, so scheint es zumindest, erodieren viele dieser Theorien, verlieren Zeitschriften Leser oder gleich die Geschäftsgrundlage und im Internet bewegen sich die Leser ganz anders, scheinen nicht das zu lesen, was sie doch in den Zeitschriften noch so gern hatten und überhaupt haben die Verantwortlichen vieler Medienmarken den Eindruck, die Konsumenten von ihren Printtitel und von deren Online-Ablegern sind zwei völlig unterschiedliche Gruppen, die sich kaum überschneiden. Leser sind rätselhafter denn je, scheint es. „Was guckst du?“ weiterlesen