So, jetzt reicht es aber wirklich: Auf der Webseite des Journalist, der Publikation des Deutschen Journalistenverbandes (Disclosure: dessen Mitglied ich bin), wurde, wie inzwischen wahrscheinlich alle wissen, über einen jungen Kollegen geschrieben, der offenbar in mehreren Texten Zitate zumindest eines, möglicherweise aber mehrerer nicht existenter Experten benutzt hat. Das ist selbstverständlich eine Geschichte, die man schreiben muss.
Nun haben die Journalisten des Journalist das so versemmelt, wie man es nicht versemmeln darf. Zur Anschauung habe ich den Artikel zumindest mal oberflächlich kommentiert (in eckigen Klammern). Here we go:
Erfundene Zitate [Schon die Dachzeile ist falsch. Noch weiß man nicht, ob die Zitate erfunden sind oder der Zitatgeber ein Betrüger war, aber die Zitate abgegeben hat. Hier hätte zumindest ein Fragezeichen hin gehört. Richtig wäre gewesen „Falsche Experten-Zitate“. Oder so.]
Welt-Gruppe und Südkurier trennen sich von freiem Autor
Der freie Autor Sebastian W–––––––– [Unkenntlichmachung von mir, hier steht im Original der volle Name des Kollegen, der hier nicht hätte genannt werden dürfen] hat offenbar [der Fairness halber hätte hier entweder ein „möglicherweise“ hin gehört, oder ein angeblich, falls es jemand behauptet] Zitate frei erfunden [Sebastian W. behauptet dagegen, er hätte nie Zitate erfunden, sondern wäre einem Hochstapler aufgesessen. Das hätte Der Journalist wissen können, wenn er die Einlassung des Betroffenen eingeholt hätte, was selbstverständlich hätte geschehen müssen. Offenbar hat der aber nach Ansicht der Journalist-Redaktion auf Anfragen nicht schnell genug reagiert (zwischen der Anfrage und dem Erscheinen des Artikels lagen 26 Stunden – angesichts der tatsache, dass die Geschichte Monate alt ist, ist das nicht unbedingt viel Zeit. Ich halte es für zu wenig Zeit)] – und die entsprechenden Texte an Spiegel Online, Welt Online und Südkurier verkauft. Springer erstattete Strafanzeige [allerdings erstattete Springer Strafanzeige gegen Unbekannt, nicht gegen Sebastian W. – Bis hier geht der Vorspann der Geschichte, deshalb wiederholt sich gleich ein Teil beim Beginn des Lauftextes].
Mindestens drei Redaktionen in Deutschland haben offenbar Artikel veröffentlicht, in denen Zitate frei erfunden waren [Natürlich ist der Satz, wie er hier steht, immer noch journalistisch falsch]. Nach Recherchen des Medienmagazins journalist und von MDR Sputnik hat der freie Autor Sebastian W–––––– [wieder die volle Namensnennung, wie im Folgenden noch mehrmals] unter anderem an Spiegel Online, den Südkurier und an Welt Online Texte verkauft, in denen sich ein Experte äußert, der womöglich gar nicht existiert. Die Redaktionen selbst haben von dem Verdacht unter anderem durch den Deutschen Presserat erfahren [übrigens im Dezember. Insofern war die Geschichte nicht so dringend, dass man auf die Antwort von Sebastian W. auf die Anfragen nicht noch ein bisschen hätte warten können].
„Recherchen der Welt-Gruppe haben den Verdacht bestätigt und darüber hinaus Zweifel an der Existenz weiterer von Herrn W–––––– zitierten Experten aufkommen lassen“, so Christian Garrels vom Axel Springer Verlag. Über die Zahl der betroffenen Texte machte Garrels keine Angaben. Offenbar hat der Autor aber nur vereinzelt Zitate erfunden, so dass der Betrug lange unentdeckt blieb [Das ist ein ungeheuerlicher Satz. Wenn der zitierte Springer-Vertreter keine Angaben macht, woher stammt dann die Einschätzung „offenbar“? So, wie es da steht, muss es eine Einschätzung der Redaktion sein, was sich ja auch manifestiert in der Feststellung, der Kollege „hat“ erfunden statt „hat möglicherweise“ oder „habe erfunden“. Und ganz schlimm wird es bei der Feststellung „so dass der Betrug lange unentdeckt blieb“ – das ist eine Vorverurteilung für eine konkrete Straftat. Nach Ansicht der Journalist-Redaktion hat Sebastian W. betrogen, und das ist nun wirklich eine Feststellung, die in diesem Land nicht Reporter treffen sondern Richter in einem Urteil]. Die Artikel – so heißt es aus einer der betroffenen Redaktionen – wären auch ohne die beanstandeten Passagen ausgekommen. Es handle sich also nicht um einen weiteren Fall Tom Kummer [hier fehlt der Hinweis, was ein „Fall Tom Kummer“ ist. Nur nebenbei]. Trotzdem haben die drei Medienunternehmen Konsequenzen gezogen.
„Da aus unserer Sicht ein schweres Fehlverhalten gegen Vertragsverpflichtungen und journalistische Grundsätze, insbesondere den Pressekodex, vorliegt, haben wir die Zusammenarbeit mit dem Autor sofort beendet, die von ihm erstellten Artikel vorsorglich offline gestellt und Strafanzeige erstattet“, so Garrels [Strafanzeige gegen Unbekannt, wohlgemerkt]. Auch im Archiv von Spiegel Online findet man nur noch einen Bruchteil der Veröffentlichungen des Autors. Die stellvertretende Redaktionsleiterin wollte sich zu dem Fall aufgrund eines „schwebenden Verfahrens“ nicht äußern [warum klingelt es bei einem Autoren nicht, wenn er das schreibt, nur ein paar Zeilen unter der eigenen Vorverurteilung?]. Der Südkurier hat die Zusammenarbeit mit W––––––– ebenfalls eingestellt.Gegen alle drei Unternehmen hat der Presserat eine Rüge geprüft, aber verworfen. Nach Informationen des Medienmagazins journalist und von MDR Sputnik konnte das Gremium kein Fehlverhalten der Redaktionen selbst feststellen.
Der Autor Sebastian W–––––––– ist erst 25 Jahre alt und studiert an der Katholischen Universität Eichstätt Journalistik [was genau diese Identifizierung noch soll ist mir schleierhaft]. Trotzdem ist er kein Anfänger [da habe ich Einwände zur Definition von Anfänger, aber gut, was solls]. Auf seiner Internetseite listet er etwa 400 selbstverfasste [Ach so?] Artikel auf – unter anderem im Tagesspiegel, bei Stern Online, in der Zeit, in der Saarbrücker Zeitung und im Flensburger Tageblatt. Allein im Dezember 2007 brachte W–––––––– es laut seiner Webseite auf 25 Veröffentlichungen. Im vergangenen Oktober erhielt er den mit 1.500 Euro dotierten Kulturpreis des Rotary-Clubs Mittelholstein. Außerdem belegte er 2004 den dritten Platz beim Schülerzeitungswettbewerb des Spiegels in der Kategorie Reportage.
Sebastian W––––––––– war trotz mehrerer Anfragen per E-Mail und Telefon für eine Stellungnahme nicht zu erreichen [das finde ich ein bisschen perfide, denn die mehreren Anfragen kamen offenbar alle an einem einzigen Tag, und freie Journalisten sind auch manchmal einen Tag nicht zu erreichen. Sie sind auch keine Pressestelle, die erreichbar sein müsste. Aus meiner Sicht spielt dieser Satz eine Fairness vor, die es so nicht gegeben hat].
Update 26.3.2010, 17.50 Uhr: Kurz nach Veröffentlichung hat sich Sebastian W–––––––– beim journalist mit folgendem Hinweis gemeldet: „Ich darf bereits jetzt klarstellen, dass gegen mich nicht strafrechtlich ermittelt wird.“ [Ich kann nicht sagen, warum man beim Journalist diesen Hinweis nicht zum Anlass genommen hat, sich zu berichtigen. Aber es wäre nötig gewesen]
Um das klarzustellen: Ich habe keine Ahnung, was sich Sebastian W. hat zuschulden kommen lassen. Aber es reicht auch, ihm sein Fehler um die Ohren zu hauen, wenn man weiß, welche es sind. Und dass ausgerechnet das Organ des Verbandes, der die Rechte von Journalisten schützen soll, die Rechte eines Kollegen verletzt, ist furchtbar.
Nun hatte der Verband ein paar Tage Zeit, darüber nachzudenken und sich durchzulesen, wie zum Beispiel bei Stefan Niggemeier zu dem Fall diskutiert wird (hier und hier). Und dann haben sie darauf reagiert, in einer Stellungnahme (weil ich schon wieder an meinem laubsägegearbeiteten Blog scheitere nur der Hinweis, dass sie von den Kommentaren bei Niggemeier aus als PDF herunterladbar ist). Die entscheidenden Sätze in der Stellungnahme des DJV-Vorstandes sind:
Der BJV-Vorstand hat sich als Herausgeber des journalist die Rechchercheunterlage [sic!] vorlegen lassen. Er hat nach Prüfung der Unterlagen und der daraus resultierenden Fakten keinen Grund, an dem Kern des Beitrages „Welt-Gruppe und Südkurier trennen sich von freiem Autor“ (www.journalist.de) zu zweifeln.
Und ein paar Absätze später:
Der DJV-Bundesvorstand bedauert, dass die Frist zwischen Bitte um Stellungnahme an Sebastian W–––––– [Unkenntlichmachung von mir] (25. März) und Veröffentlichung des Online-Beitrages (26. März) den Eindruck erweckt, als habe Sebastian W––––––– keine Stellungnahme mehr abgeben können. Dieser Eindruck schadet dem Beitrag und bietet Kritikern Gelegenheit, die Inhalte insgesamt zu relativieren.
Meinen ersten Gedanken, nachdem ich das gelesen habe, darf man wahrscheinlich nicht schreiben, aber es war ein Zitat von Rahm Emanuel. Hier ist der zweite Gedanke, zur Sache:
Lieber DJV-Bundesvorstand, ich hoffe, ich habe oben deutlich gemacht, dass es genug Gründe gegeben hat, an diesem Artikel zu zweifeln. Und ich verstehe den Hinweis, dass die Fakten keinen Grund geben, „am Kern des Artikels zu zweifeln“ doch richtig wenn ich meine, dass der Artikel durchaus Raum für einige Zweifel in den Randbereichen zulässt? Das wäre aus meiner Sicht richtig, denn was auch immer Sebastian W. getan hat, gelten doch für den Umgang mit ihm die Regeln unseres Gewerbes. Und, verdammt, ausgerechnet der DJV-Bundesvorstand ist dafür da, für die Einhaltung dieser Regeln in jedem einzelnen Fall zu kämpfen. Gerade dann, wenn Journalisten unter Druck geraten, ob selbstverschuldet oder nicht.
Der Satz, der mir von Ihnen fehlt ist: Wir haben Fehler gemacht und dafür möchten wir uns entschuldigen.
Das wäre auch der Satz, der mir ein wenig Vertrauen in meinen eigenen Verband zurückgeben würde. Leute, Ihr seid für uns da. Also dafür, dass wir ordentlich arbeiten können. Nicht dafür, dass Ihr uns als erste schlachtet, wenn wir Fehler machen.
Ich weiß nicht, ob Sebastian W. Mitglied im DJV ist, aber wenn, dann könnte er vielleicht mithilfe des Verbandes juristisch gegen die Berichterstattung über ihn vorgehen?