Ich flattr Richard Gutjahr

Es gibt Momente, in denen kumuliert einfach alles, und während ich in den freien Minuten versuche, alles über die Lage in Ägypten zu erfahren (meine Frau ist halbe Ägypterin, hat eine Menge Familie in Bürgerwehren in Kairo), fällt mir nicht nur schmerzhaft wie nie auf, dass wir so genannte Nachrichtensender haben, die ihr Programm mit Dokumentationen über Wühlmäuse füllen, während die Welt brennt – ich nehme auch in irgendwelchen Nebensynapsen eine ewig wiederkehrende, merkwürdige Diskussion wahr, deren nächste Zotte gerade darin besteht, dem Journalisten undBlogger Richard Gutjahr vorzuwerfen, er würde aus Gründen der Selbstinszenierung nach Kairo fliegen um von dort zu berichten. Das Thema der Diskussion ist „Selbstdarstellung von Journalisten“, und wir erleben es alle paar Wochen wieder, zuletzt beim Afghanistan-Einsatz von Johannes B. Kerner und der Maschmeyer-Doku von Christoph Lütgert.

Ich bin wahrscheinlich der Falscheste, um darüber zu schreiben, aber ich habe trotzdem eine Meinung dazu, und deshalb sage ich sie auch: Ich wünschte, es gäbe mehr Journalisten, die es wagen, sich selbst zu einer Marke zu machen und mit ihrem Gesicht für die Geschichte zu stehen, die sie erzählen. Denn ich glaube, Journalismus unter dem Mäntelchen vermeintlicher Objektivität ist tot.

Ich kenne Richard Gutjahr nicht persönlich, und bisher ist er mir – wie wahrscheinlich vielen – vor allem als Apple-Fanboy aufgefallen, aber ich weiß nicht, warum er deshalb kein guter Journalist sein sollte (ich bin wahrscheinlich nicht so extrem wie er, aber ein Apple-Fan bin ich zugegebenerweise auch). Ich finde, im Gegenteil, einen Journalisten, der seine persönlichen Sympathien und Meinungen offenlegt, im Zweifel glaubwürdiger als einen, der denkt, er wäre objektiv. Denn Objektivität im Journalismus gibt es nicht, sie ist auch gar nicht nötig. Ein Journalist soll misstrauisch, kristisch und fair sein – und sein Handwerk beherrschen. Ansonsten haben wir uns mit der Berufswahl sowieso schon auf eine Seite geschlagen, wir sind Partei: Als Journalisten sind wir für Information, für Meinungsfreiheit und damit prinzipiell auch für die Demokratie.

All das liegt in Ägyten noch am Boden. Ich bin für jeden Kollegen dankbar, der hinfährt, um das zu ändern.

Das heißt nicht, dass jede Art der Selbstinszenierung jedem sympathisch sein muss. Man muss Kerner in Afghanistan nicht mögen, aber man kann ihm auch nicht absprechen, dass er im gegensatz zu vielen anderen tatsächlich hingefahren ist, und das ist keine Selbstinszenierung, sondern seine Arbeit. Christoph Lütgert mag in den Augen vieler Zuschauer zu oft im eigenen Film aufgetaucht sein, und er muss, wie jeder von uns, Kritik an seinem Werk aushalten. Aber er hat einen eigenen, eigensinnigen und engagierten Film gemacht, und das ist sein Job. Ich rede hier nicht über Geschmacks- und Stilfragen, sondern darüber, dass Selbstinszenierung für jeden, der in der Öffentlichkeit arbeitet, zum Job gehört. Und Journalismus gehört in die Öffentlichkeit, anstatt hinter die Mauern der offiziösen Institutionen, die gerne noch heute so tun, als hätten sie irgendwie ein Monopol auf die Interpretation dessen, was in der Welt passiert.

Ich fordere hiermit also alle Werbekunden von n-tv und N24 auf, die Spots bei den Versendekanälen von Wühlmaus-Dokus und krisseligen Wochenschau-Rollen zu stornieren, und stattdessen auf gutjahr.biz Anzeigen zu schalten. Die alten Zeiten sind vorbei.