Es ist viel geschrieben worden über die so genannte Griechenlandkrise, aber wenn ich gefragt werde, was ich denn als Lektüre empfehlen würde, am liebsten noch, ob ich nicht einen Link schicken könnte, dann habe ich ein Problem. Denn das einzige, das offenbar niemand aufgeschrieben hat, ist eine einfache, trocken Analyse der Entwicklung, die zu dem aktuellen Problem geführt hat. Und ich finde mich plötzlich in einer Situation, von der ich dachte, dass sie bei uns nicht vorkommt: Jener amerikanischen Situation, in der Blogger die Berichterstattung übernehmen, zu der den atemlosen „Mainstream-Medien“ offensichtlich der Antrieb fehlt – weil sie keine Quote verspricht, zu kompliziert ist oder weil sie politisch unerwünscht ist. Ich dachte, Deutschland wäre nicht so. Aber wenn ich zusammenzähle, wie oft alleine ich gefragt wurde, „was in Griechenland eigentlich los ist“, dann fürchte ich, es ist nun so weit.
Ich werde also versuchen, so einfach wie möglich ein paar Grundlagen zu beleuchten, und ich warne gleich, dass es kein Stoff ist, der sich für die Titelseite einer Boulevardzeitung eignet. Dafür ist es vielleicht zu komplex. Aber dafür hat es den Vorteil, der Realität zu entsprechen. Und so wahnsinnig kompliziert ist es nun auch wieder nicht.
Beginnen wir mit dem Euro, der nun plötzlich in Gefahr sein soll, weil Griechenland, das kaum drei Prozent der Eurozone ausmacht, in eine finanzielle Schieflage geraten ist.
Die gemeinsame kerneuropäische Währung birgt einige Risiken, das war allen klar, die an seiner Einführung beteiligt waren. Denn ohne Währungsschwankungen zwischen Ländern regulieren sich Ungleichheiten nicht mehr über den Wert des Geldes. Für die Länder der Eurozone, die eine weichere Währung mit stärkerer Inflation hatten (in der das Geld schneller an Wert verlor), war klar, dass mit einer neuen, härteren Währung mehrere Effekte gleichzeitig eintreten würden. Der erste ist, das die Preise steigen.
Es ist ein einfacher Prozess: Jeder Händler verkauft seine Ware in einem Währungsraum da, wo er den besten Preis erzielt. Und die neuen Hartwährungsländer vor allem in Südeuropa hatten ja gleichzeitig zu den Preissteigerungen das neue Phänomen, dass Geld plötzlich leichter zu leihen war als vorher, weil die Währung nun stabiler und wertvoller war als vorher. Insofern war auf der einen Seite mehr Geld da als vorher, auf der anderen Seite brauchten die Menschen aber auch mehr Geld als vorher. Und das Geld, das mehr da war, war ja auch nur geliehen. Das ist ein Kreislauf, der nur unter einer Bedingung funktioniert: Das geliehene Geld muss so investiert werden, dass es mehr Geld verdient, als es Zinsen kostet.
So funktioniert Marktwirtschaft: Ich leihe mir Geld, um ein Geschäft zu eröffnen. Das Geld kostet mich den Betrag X Zinsen in einer bestimmten Zeit, deshalb muss ich in derselben Zeit den Betrag X+Y verdienen, um meine Zinsen zu bedienen, möglicherweise den Kredit zu tilgen und noch Gewinn zu machen. Vor dieser Herausforderung steht jedes Unternehmen, und im Prinzip auch jeder Staat, auch in der Eurozone.
Aber das ist nicht alles: Um zu verdienen, muss ich konkurrenzfähig sein. Meine Produktivität muss stimmen. Ich kann tolle Produkte herstellen, aber wenn jemand anders vergleichbare Produkte billiger herstellen und deshalb billiger verkaufen kann, dann werde ich keinen Erfolg haben. Das ist keine Hexerei. Produktivität kann man auf zwei Arten steigern: Entweder, ich bezahle niedrigere Löhne, oder ich investiere in die Infrastruktur meiner Firma und verbessere so die Produktivität. Und wieder geht das Spiel los: Ich kann mir Geld leihen und es in die Infrastruktur investieren, so lange die Produktivitätssteigerung höher ist als die Zinsen, die ich zahle – dann kann ich mein Produkt wieder billiger anbieten als die Konkurrenz und so erfolgreich sein.
So funktioniert es für Firmen. Zwischen Staaten gibt es noch einen zusätzlichen Effekt: Wenn meine Währung im Verhältnis zu einer anderen schwächer wird, werden die Preise für meine Produkte für den anderen niedriger. Gleichzeitig muss ich vielleicht mehr Geld in den Umlauf meiner eigenen Volkswirtschaft bringen – ich habe also eine Inflation –, aber so lange ich genug mit meinen Produkten verdiene, ist das kein Problem. Es ist ein recht komplexes Gleichgewicht, aber auch keine Hexerei. Es ist der Job der Zentralbanken, dieses Gleichgewicht zu wahren, und sie machen gerne eine Zaubershow daraus, aber im Großen und Ganzen funktioniert das einigermaßen.
Im Euro-Raum gibt es diese Möglichkeit des Ausgleichs nicht mehr. Die Währung, der Wechselkurs zwischen den Ländern, steht fest. Und das, obwohl die Produktivität in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich war und ist.
Es war jedem klar, dass das Potenzial für Probleme birgt. Denn wenn ein Land auf lange Sicht produktiver ist als ein anderes, dann bricht das ganze System auseinander. Auf der anderen Seite wäre es fatal, die Produktivitätssteigerung in den Ländern künstlich zu begrenzen, denn ohne Wettbewerb gibt es keinen Anreiz, sich zu verbessern. Vor dieser Herausforderung standen die europäischen Finanzminister, die die Bedingungen für die Währungsunion ausgehandelt haben: Was tun wir, um gleichzeitig einen Wettbewerb zu ermöglichen und die Gleichheit herzustellen, für die früher der Markt über Währungsschwankungen gesorgt hat?
Sie haben sich auf einen Richtwert geeinigt: angepeilt werden sollten von jedem Staat unter aber nahe zwei Prozent Inflation. Über die Preissteigerung lässt sich viel regeln, und es gibt verschiedene Werkzeuge, die man einsetzen kann. Eines davon ist die Lohnpolitik, die unter die Tarifautonomie fällt, aber ja nicht im politischen Vakuum verhandelt wird. Tarifabschlüsse entstehen unter politischem Druck, und in Deutschland waren sie in den Jahren seit der Währungsunion extrem niedrig. Die Reallöhne in Deutschland fallen seit Einführung des Euro beständig – und das ist einer der Gründe, warum Südeuropa es nicht schafft, konkurrenzfähig zu werden.
Sehen wir uns das am Beispiel Griechenlands an: Kein anderes Land in der Eurozone hat nach Auskunft des Chef-Volkswirtes der UN-Handelskonferenz in den letzten Jahren mehr in die Produktivität investiert als Griechenland. In endgültigen Zahlen ist die Produktivität aber kaum gestiegen, weil die Lohnstückkosten gestiegen sind – eine unausweichliche Folge der angesprochenen Preissteigerungen im Euro-Raum. Die Wahrheit ist: Die griechische Politik war in diesem Punkt nicht so schlecht, wie sie dargestellt wird. Es gab einfach keine realistische Chance, aufzuholen, unter anderem, weil Deutschland sich nicht an die Abmachung gehalten hat, knapp zwei Prozent Inflation zu erzeugen, also zum Beispiel über Lohnerhöhungen Geld in den Umlauf zu bringen und die Nachfrage anzukurbeln. Der deutsche Außenhandelsüberschuss ist unter anderem erkauft mit dem Lohnverzicht der Angestellten, und das auf Kosten der Länder, die Außenhandelsdefizite eingefahren haben – und Deutschland exportiert 63 Prozent seiner Waren in die EU, vornehmlich in den den Euro-Raum. Und aufgrund des niedrigen Lohnniveaus hier können die südlichen Länder inklusive Frankreich nicht wettbewerbsfähig sein. Es wird gerne und mit einigem recht argumentiert, Deutschland hätte einfach „seine Hausaufgaben gut gemacht“, aber verschwiegen, dass es dabei die Vereinbarungen zum Euro unterläuft. Mit fatalen Folgen für die kleineren Länder.
Das ist das echte, strukturelle Problem des Euro. Es wird gerne beklagt, dass es keine zentrale Lenkungsstelle für europäische Finanzpolitik gibt, die im Zweifel Sanktionen verhängen kann. Aber in Wahrheit sind Sanktionen ein Mittel, das erst greift, wenn die Verabredungen und Verträge gebrochen wurden. Da ist Euroland wie jeder Sportverein: Wenn es so weit ist, dass man in die Satzung gucken muss, ist der Schaden schon passiert. Es gab und gibt den politischen Willen zur europäischen Einheit, aber offenbar keinerlei Disziplin dabei, sich an die Abmachungen zu halten. Die Griechen haben ihren Euro-Beitritt schon mit geradezu unglaublich geschönten Zahlen begonnen, was aus meiner Sicht den Tatbestand zumindest politisch den Tatbestand des Betruges erfüllt. Aber es hat sich niemand in Europa darüber auch nur ernsthaft beklagt, so lange in Griechenland viel Geld zu verdienen war. Beides ist skandalös.
Damit das erwähnt ist: Es gibt jede Menge berechtigte Kritik an Griechenland und einen riesigen Reformstau. Aber jetzt so zu tun, als wäre die Krise ausgelöst von der falschen Politik – die ja nur in Nuancen falscher ist als bei allen anderen – oder gar den griechischen „Luxusrentnern“, ist falsch, dumm und im schlechtesten Fall eine Kampagne, um die deutschen Lohnempfänger, die am letzten Aufschwung schon nicht teilgenommen haben, auf weitere Einschnitte vorzubereiten. Ohne jeden Zweifel haben Steuerhinterziehung und Korruption in Griechenland großen Schaden angerichtet. Aber vor allem auf Kosten der griechischen Bevölkerung, von denen 20 Prozent akut von Armut bedroht sind, mit steigender Tendenz. Seine ausländischen Schulden hingegen hat Griechenland seit dem 2. Weltkrieg ausnahmslos pünktlich bedient, und das wäre auch so weiter gegangen – nicht ewig, aber eine ganze Weile, denn das Staatsdefizit ist kein neues Problem – wenn nicht die globale Finanzkrise die Säulen Handelsschifffahrt, Tourismus und Baugewerbe weggerissen hätte. Aber dafür kann die griechische Politik wenig, und die griechische Bevölkerung gar nichts, auch wenn es manche Medien so aussehen lassen wollten. Kurz und knapp: Griechenland entspricht in seiner Wirtschaftsleistung dem Bundesland Hessen. Würde der Euro wackeln, selbst wenn alle hessischen Ärzte Steuern hinterziehen würden? Wenn diese Krise eine rein griechische gewesen wäre, dann wäre sie leicht einzudämmen gewesen.
Michael Spreng, der ehemalige Chefredakteur der Bild am Sonntag, schreibt in seinem Blog Sprengsatz über die Bild-Berichterstattung:
„In einer seit dem Kampf des Springer-Verlages gegen die Ostverträge beispiellosen Kampagne machte BILD Front gegen Bundesregierung und Parlament und versuchte, die Leser gegen die Griechen in einer Form aufzuwiegeln, die an Volksverhetzung grenzte.“
Und das ist aus meiner Sicht freundlich formuliert.