Sie würden es auch gerne Arbeit nennen

Ich habe ein Buch geschrieben. Leider kann ich es den meisten hier wahrscheinlich nicht empfehlen, weil es sich an Jugendliche richtet, aber ein bisschen Werbung in eigener Sache mache ich trotzdem, schon allein deshalb, weil das Thema wirklich interessant ist. Es geht um die größte Bildungslücke, die wir haben.

„Werde das, was zu dir passt“ heißt das Buch, und soll helfen, eine Lücke zu schließen. Sehr viele, aus meiner Sicht erstaunlich viele, Jugendliche und junge Erwachsene haben keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben berufsmäßig anfangen sollen. Offensichtlich wird man in der Schule nicht auf das Thema vorbereitet. Allein das scheint schon merkwürdig. Aber viel schlimmer ist, dass es auf einem echten Systemfehler beruht – dem Mythos der Begabung.

„Die Kleine redet so viel, die geht bestimmt mal zum Radio“, sagt man schon zu Kindern. Und über 23-jährige Fußballnationalspieler: „Der ist ein Riesentalent!“ Und das ist er sicher auch, oder besser, er ist es sicher gewesen, damals, mit sechs oder acht Jahren, aber was einen Menschen im Beruf tatsächlich erfüllt und damit letztlich auch am ehesten erfolgreich werden lässt, ist nur zu einem geringen Teil seine Begabung. Es ist seine Motivation. Sein innerer Antrieb.

Bizarrerweise können junge Menschen in unserem Land problemlos den Markenkern von Nike analysieren, von Audi oder Apple, aber nicht ihren eigenen. Während jeder Headhunter und Personalchef, mit dem man spricht, betont, ihre Aufgabe bestände vor allem anderen darin, zu erkennen, „was für ein Typ“ jemand ist und „was ihn antreibt“, haben wir bis ins dreigliedrige Schulsystem hinein den Mythos Begabung zementiert (Intellektuell Begabte aufs Gymnasium, handwerklich-intellektuell Begabte auf die Real- und nur handwerklich Begabte auf die Hauptschule – so war das tatsächlich gedacht. Als dürften Tischler und Mechaniker doof sein). Und noch eine zerstörerische Metapher haben wir den jungen Leuten in den Weg gelegt (und ich mache das in dem Buchtitel mit, weil sie so fest sitzt): „Was willst du mal werden“ ist die Frage. Vernünftig wäre: „Was bist du?“

Also, falls jemand ein Geschenk für einen Jugendlichen ab ungefähr 13 Jahren sucht: „Werde das, was zu dir passt“. Ich finde, es ist ein eher gutes Buch geworden, aber ich muss das wohl sagen. Ist ja irgendwie mein Beruf.

We put the „Qual“ in Qualitätsjournalismus

Es mag verwundern, aber es gibt selbst nach Jahren, in denen nun schon das Aussterben des Qualitätsjournalismus beklagt wird, immer noch keine auch nur annähernd allgemeingültige Definition, was das eigentlich sein soll. Der schweizer Soziologe Kurt Imhof, der immerhin ein Buch über die abnehmende Qualität des Journalismus in unserem Nachbarland geschrieben hat, unternimmt wenigstens einen Versuch, wenn er im Interview mit Robin Meyer-Lucht von Carta die vier aus seiner Sicht maßgeblichen Qualitätskriterien „Universalität bzw. Vielfalt, Relevanz, Aktualität und Professionalität“ nennt, aber zielführend ist das in der Praxis nicht, weil die Kriterien exakt so auch gelten, wenn ich einen Turnschuh-Laden oder einen Imbiss eröffne. Es ist eine Binse, dass ich als großer, generalistischer Anbieter viele verschiedene, frische (oder auch moderne) Versionen von den Dingen anbieten sollte, die für meine Kundschaft relevant sind. Aber die echte Definition von Qualität wird hier nicht geliefert, sondern nur durch den Begriff Professionalität ersetzt. Das hat aus meiner Sicht einen einfachen Grund: Wir Journalisten wissen heute meist genauso wenig wie Soziologen, wofür das, was wir tun, eigentlich gut sein soll. Denn natürlich lässt sich in Sonntagsreden sehr schön über die Wichtigkeit des Journalismus für die Kontrolle der Mächtigen, zum Aufdecken von Missständen und für das Vertrauen der Bevölkerung in das Rechtssystem Dröhnen, aber mit der Realität im Alltag der meisten Journalisten hat das alles recht wenig zu tun. Wenn man die meisten Kollegen in der Branche über ihre Zeitungen, Magazine, Webseiten oder Sendungen reden hört, dann wirkt es, als müssten sie unglaublich erstaunt und in manchen Fällen sogar peinlich berührt sin, dass es für den Quatsch, den sie ihrer eigenen Einschätzung nach produzieren, überhaupt ein Publikum gibt. Und man bekommt den Eindruck, viele journalistische Produkte werden selbst von ihren Machern eher als Beigaben zu Abo-Geschenken und aufgeklebten DVDs gesehen. Das ist eine Katastrophe.
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Migrationsvordergrund

Als geradezu vorbildlich integrierter Deutscher mit Migrationshintergrund werde ich dieser Tage medial verwöhnt, indem immer wieder darauf hingewiesen wird, was für eine Erfolgsgeschichte es ist, dass Menschen wie ich weder Serienkriminelle sind, noch auf Arbeitslosengeld angewiesen. Ich nehme an, ich sollte das als Kompliment sehen. Davon abgesehen wird in der angeblich von Thilo Sarrazin losgetretenen Debatte sehr viel über und sehr wenig mit Migranten diskutiert, wahrscheinlich deshalb, weil wir, wenn wir Deutsch können, sehr langweilig und unexotisch sind (und nach Ansicht von Melanie Ahlemeier von der Süddeutschen bin ich ja ohnehin schon deshalb kein Grieche, weil ich in Deutschland geboren wurde — was ein Argument ist, das ich sie gerne mal mit dem Genossen Thilo diskutieren lassen würde, juchhe).

Tatsache ist, dass Sarrazin, dem angeblich Sprech- und Denkverbote auferlegt werden, seine Gedanken nicht nur in einem Buch hunderttausendfach verbreiten kann, sondern in Vorabdrucken, Interviews und Talkshows in allen großen Medien. Wer ausgerechnet das zum Anlass nimmt, über angeblich mangelnde Meinungsfreiheit zu klagen, der meint in Wahrheit das Gegenteil: Er will Kritik an Sarrazins Thesen unterbinden, und macht damit genau das, was er angeblich bekämpft. Um der „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“-Orgie noch einen hinzuzufügen: Man wird doch wohl noch sagen dürfen, dass Thilo Sarrazin mit seinem überflüssigen Buch keine Debatte losgetreten, sondern ganz einfach ziemlich dumpfen, rassistischen Strömungen ein Ventil verschafft hat. Er musste sie nicht einmal aufschreiben: Durch ein paar gezielte Stichworte sind die Dämme ganz einfach einzureißen gewesen. Und die einzigen, die nichts dazu sagen dürfen, sind in Wahrheit die Betroffenen, denn zum Ritus gehört es jetzt, dass jeder an Integration wirklich Interessierte zunächst einmal anmerken muss, dass es tatsächlich auch Probleme mit der Integration von Migranten gibt (was in jedem Land der Welt seit Jahrzehnten eine Binsenweisheit ist. Und dem gern gebrauchten Stammtisch-Argument, dass „wir“ uns schließlich auch anpassen würden, wenn wir ins Ausland zögen, möchte man doch mal die Ausländersiedlungen zum Beispiel in Saudi-Arabien entgegenhalten, in denen auch deutsche Gastarbeiter weit entfernt von jeder Anpassung an die arabischen Gepflogenheiten oder auch nur mit Respekt für die Gesetze leben — darauf ein Pils!).

In der Diskussion haben auch diejenigen keine Stimme, die tatsächlich die Integrationsarbeit in diesem Land leisten: Die untere Mittelschicht, die am Arbeitsplatz, in Sportvereinen, auf Schulhöfen und in der Nachbarschaft jeden Tag die Benutzeroberfläche Deutschlands für Einwanderer darstellen. Und dabei in der Masse überragende Arbeit leisten. Als engagierter Vater und Elternvertreter an einer Grundschule im Hamburger Problembezirk Sankt Pauli kann ich jedenfalls für mich festhalten, dass Sarrazins Buch die Arbeit nur schwieriger macht, weil sie die Gräben vertieft und es zum Beispiel für Mütter, die schlecht Deutsch sprechen und deshalb ohnehin ungern zu schulischen Veranstaltungen kommen, sicher nicht einfacher wird, wenn sie mitbekommen, mit welchen Thesen über sie, ihre Intelligenz und ihre wirtschaftliche Nützlichkeit diskutiert wird. Und das macht es letztlich wieder noch ein bisschen unwahrscheinlicher, dass ihre Kinder die Schule erfolgreich abschließen werden. Dem Genossen Thilo würde ich gern sagen: Wenn ihm etwas an diesem Land liegt, dann wäre einfach mal Fresse halten und anpacken produktiver gewesen. Aber darum ging es wohl nie.

Am schlimmsten aber ist, und damit bin ich endlich bei meinem Thema, diese merkwürdige Haltung von Medien wie dem Spiegel, die ohne Not eine rassistisch geführte Diskussion lostreten, ohne zu verstehen, dass sie dadurch und dabei Partei werden, und längst nicht mehr nur journalistische Beobachter sind. Denn selbst wenn es Sarrazin, den ich gar nicht für einen Rassisten halte sondern nur für unangenehm und auf einem hohen Niveau für unglaublich dämlich, dann war in der Redaktion des Nachrichtenmagazins natürlich jedem klar, was gerade die verkürzende Berichterstattung über die Thesen im Vorabdruck auslösen würde. Dabei geht es nicht darum, dass man bestimmte „Wahrheiten“ nicht aussprechen darf, sondern dass Kontext, Art und Weise etwas anderes auslösen — und dafür tragen die Profis an der Brandstwiete natürlich auch Verantwortung. Dann später auf dem Cover blauäugig zu fragen, wie es sein kann, dass so viele Deutsche dem Provokateur folgen, ist schamlos und bigott. Und ein Erfolgsmodell, denn eine sich selbst befeuernde Kontroverse verkauft wahrscheinlich ein paar Zeitschriften. Thilo Sarrazin ist der Blutdiamant unserer Branche geworden: ein gutes Geschäft auf Kosten eines Konfliktes, den er immer nur weiter befeuert, anstatt zu seiner Lösung beizutragen.