Man weiß, dass man recht hat, wenn der IWF sauer ist

Zu den interessanten Dingen in den letzten zwei Jahren zählen die Reaktionen von Menschen, die glauben, an mir ihre Dummheit und ihren Frust abarbeiten zu müssen, weil ich manchmal öffentlich zu Griechenland spreche. Im Regelfall äußert sich das in dem Versuch, eine elektronische Kommunikation mit mir aufzubauen aufzubauen die eine Art Griechenland- bzw. Volkswirtschaftsgrundkurs zum Inhalt haben soll („erklären Sie mir doch mal …“), den ich ihnen zu geben ihrer Meinung nach irgendwie verpflichtet bin, während sie mir gleichzeitig klar machen, wie unrecht ich habe/dumm ich bin. Flankierend gibt es regelmäßig wieder geäußerte ethnische Stereotypen, falsche oder gar keine Zahlen und aus dem Zusammenhang gerissene und falsch gebrauchte Argumente klügerer Menschen, mit denen man tatsächlich gerne diskutieren würde. Sehr viele dieser Menschen schicken mir seit Tagen Links zu dem Guardian-Inerview der IWF-Chefin Christine Lagarde, in dem sie klar macht, dass griechische Kinder anders hungern als afrikanische, weil griechische Eltern etwas für deren Schicksal können während Afrikaner ihrer Meinung nach dazu offenbar schon theoretisch gar nicht in der Lage sind.

Bizarrerweise ist dieses Interview der beste Beweis dafür, dass die Griechen recht haben. Der IWF ist eine Organisation, die regelmäßig nichts anderes tut als Länder zugunsten von Banken ausbluten zu lassen. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stieglitz, der eine Weile mit IWF und Weltbank gearbeitet hat, bevor er ihr Kritiker wurde, beschreibt das so:

“When the IMF arrives in a country, they are interested in only one thing. How do we make sure the banks and financial institutions are paid?… It is the IMF that keeps the [financial] speculators in business. They’re not interested in development, or what helps a country to get out of poverty.”

Die Politik des IWF ist direkt verantwortlich für tausende, wenn nicht zigtausende afrikanische Hungertote. Das Land Malawi kam erst wieder auf die Beine, als die Regierung den IWF rausschmiss und Ungarn hat nach der Lehman-Krise das Schlimmste gerade so abwenden können, als die neue Regierung die IWF-Abgesandten ebenfalls des Landes verwies und das Gegenteil dessen tat, was sie an „Strukturreformen“ durchsetzen wollten. Griechenland hat sich bis jetzt „auch im internationalen Maßstab vorbildlich“ (O-Ton IWF) an die vorgeschriebenen Reformen gehalten, ist dabei immer weiter in die Krise abgerutscht und bekommt nun, wo die klugen griechischen Wähler dem Treiben dieser Verbrecher ein Ende bereiten, den Zorn von Frau Lagarde zu hören. Ein besseres Zeichen, dass man recht hat, gibt es gar nicht.

Wir machen uns die Welt

Es ist faszinierend, wie zwei Menschen dieselbe Sache ansehen und völlig unterschiedliche Dinge dabei sehen können. Es zeigt auch, dass es letztlich wirklich nur der Verständnisrahmen ist, das Metapherngerüst, mit dem wir die Welt deuten, das unsere Wahrnehmung bestimmt. Fakten werden nicht in der Realität gemacht, sondern in unserem Kopf.

Ich stelle das regelmäßig in Diskussionen über die griechische Schuldenkrise fest. Unter Konservativen hält sich die Wertung, Griechenland wäre in seiner Staatsschuldenkrise „einzigartig“ (Schäuble), und vor allem ganz anders als die dann zufällig zeitgleich auftretenden Krisen in Irland und Spanien, die ja ausgelöst wären durch „Immobilienblasen“ (Kramp-Karrenbauer). Die griechische Krise hingegen ist dieser Lesart nach verursacht durch übergroße Staatsverschuldung durch Korruption und schlechte Haushaltsführung. Ganz anders also.

Dem widerspricht nicht nur der zeitliche Zusammenhang, sondern selbst die quasi hauseigene Studie der Europäischen Zentralbank. Alle drei Krisen wurden natürlich ausgelöst durch die Bankenrettung nach Lehman (wobei die erwähnten Fehler der griechischen Politik natürlich dafür gesorgt haben, dass es das Land am härtesten trifft). Wirklich erstaunlich aber finde ich die Tatsache, dass man versucht, staatliche und private Schulden völlig unterschiedlich zu bewerten. Alle „Staatsschuldenkrisen“ wurden ausgelöst dadurch, dass Banken vom Steuerzahler vor ihren Verbindlichkeiten gerettet werden mussten. All das führte zu extrem erhöhter (und auch noch toxischer, wegen der Bankpapiere) Staatsschuld. Und der Grund ist immer derselbe: billiges Geld. Denn für Staatsschulden wie für private, die dann eine Immobilienblase entstehen lässt, braucht man jemanden, der sie finanziert.

Der Grund ist überall derselbe: Aus den Leistungsbilanzüberschüssen Kerneuropas, insbesondere auch Deutschlands, wurden Kapitalexporte in die Peripherie. Irgendwo MUSS eine Bank das Geld anlegen, wenn sie es hat, das sehen wir gerade wieder daran, dass Banken Deutschland Geld für real negative Zinsen leihen. Sie machen das nicht, weil sie es für ein gutes Geschäft halten. Sie halten es für das IN DIESEM MOMENT sinnvollste Geschäft, weil sie das Geld haben und es nicht unter dem Kopfkissen liegen lassen können. Und billiges Geld heißt immer: zu billiges. Also Geld, das eigentlich teurer sein, mehr Zinsen kosten müsste. Wer es nicht nimmt, ist nach kapitalistischer Logik eigentlich doof. Wer es nimmt aber möglicherweise auch, wenn sich die Voraussetzungen zwischendurch plötzlich ändern – zum Beispiel durch eine Krise wie Lehman Brothers. So ist es, wenn Märkte versagen. Dass der griechische Staat zusätzlich versagt hat macht die Situation komplizierter, aber einzigartig ist das nicht. Die Beschreibung führt nur in die Irre (und sie wird meiner Überzeugung nach genau deshalb dafür herhalten, dass Kanzlerin Merkel am Ende kollektiven Schulden zustimmt, ob sie nun Euro-Bands heißen oder wie auch immer. Die Griechen werden – dann aber möglicherweise nicht mehr im Euro – die Schuld zugeschoben bekommen).

Das ist also die Logik: Nicht wer „billiges Geld“ anbietet ist schuld, sondern wer es annimmt. So liegt der Grund für die Krise in dieser Betrachtungsweise nicht im System, sondern im massenhaften individuellen Fehlverhalten von Politikern und Hauskäufern in der Peripherie. Und so kann es dann auch sein, dass das korrupte Gebaren von Politikern in einer winzigen Volkswirtschaft am äußersten Rand Europas plötzlich überschattet, was wirklich passiert ist: Das Marktversagen von Banken und Großinvestoren, die viel zu viel Geld viel zu billig in die völlig falschen Projekte gepumpt haben, weil sie irgendwo hinmussten mit der ganzen Kohle. Den Arbeitnehmern konnte man sie schließlich nicht geben, die mussten in Deutschland ja auf Lohn verzichten. Wettbewerbsfähigkeit und so.

So kann man das sehen. Aber mich nervt das schon einigermaßen an.

Das Keine-Wahl-Ergebnis

Ganz kurz: Die Griechen haben bei der Wahl am Sonntag – mit Ausnahme der faschistischen Randgruppen (den Stalinisten gegenüber bin ich deutlich milder, das sind aus meiner Erfahrung vor allem nostalgische Opas, aber die wollen nichts Böses) – eine vernünftige Wahl getroffen, angesichts der Tatsache, dass sie keine Wahl haben.

Der so genannte Sparkurs ist keiner. Griechenland setzt seit zwei Jahren mit beispiellosem Erfolg Strukturreformen um, aber die Ergebnisse können nicht eintreten, weil die Wirtschaft kollabiert. Davon hat niemand etwas. Diesen Kurs aber ohne Veränderungen fortzuführen ist dumm und wahnsinnig (in Deutschland nennt man es „Stabilität“, aber das ist, als würde man bei der sinkenden Titanic einen Anker werfen und behaupten, das Schiff liege jetzt stabiler).

Wenn sich jetzt in dem verfassungsmäßig dafür vorgesehenen Verfahren (oder, wie man es in der deutschen Presse nennt: „Chaos“) keine Regierung findet, dann deshalb, weil es von außen aufgezwungen aus deutscher Regierungssicht nur zwei Optionen gibt: „Weiter so“ (tödlich) oder „Raus aus dem Euro“ (tödlich).

Die Linie von Merkel wird außerhalb Deutschlands ohnehin nicht mehr vertreten, außerhalb ihrer Regierung eigentlich auch nicht. Der Versuch, die Griechen dafür verantwortlich zu machen, dass sie sich nicht für eine Todesart entscheiden möchten, weil sie lieber leben wollen, ist mit Dummheit allein nicht mehr zu erklären. Es ist Ideologie und die dazugehörige Propaganda.