Himmel & Hölle: Einen Fairness-Preis gewinnen wir damit nicht

Ich bin stolzes Mitglied des jungen Berufsverbandes Freischreiber e.V. für freie Journalisten. Und ich schreibe relativ regelmäßig für die Zeitschrift NEON (und werde ihnen ewig dankbar sein für den Mut und die Energie, das Experiment Live-Reportage zu wagen). Jetzt streiten sich beide, und ich bin sehr unglücklich darüber – auch deshalb, weil ich das Gefühl habe, mit einer an sich guten Sache auf der falschen Seite zu stehen.

Freischreiber hat in diesem Jahr zum ersten Mal den Preis Himmel & Hölle ausgelobt für diejenigen Redaktionen, die am fairsten und am fiesesten mit ihren freien Schreibern umgehen. Das ist schonmal eine kipplige Idee, weil kein freier Journalist öffentlich über einen „fiesen“ Auftraggeber reden will oder kann. Eventuelle Vorwürfe sind also gezwungenermaßen anonym und so weit unscharf, dass ihr Urheber nicht erkennbar ist. Das ist problematisch, aber es ist auch ein nicht ganz seltenes Vorgehen im journalistischen Arbeiten, wenn Quellen nur anonym auftreten wollen und geschützt werden müssen. Die Jury-Mitglieder haben deshalb im Fall von sich häufenden Vorwürfen bei anderen Mitgliedern nachgefragt, die für dieselben Auftraggeber arbeiten, und sind überzeugt, dass sie stimmen.

Schwerer wiegender ist aber: Alles, was der Verband Freischreiber bisher mit großer, bewundernswerter Energie getan hat – mit viel zu wenig echter Unterstützung zum Beispiel von mir, der ich nur passiver Beitragszahler bin – hatte immer nur das Ziel, mehr Fairness zwischen Freien und Redaktionen zu erkämpfen. Freischreiber baut Brücken, und das viel besser, als selbst die meisten Mitglieder es wahrscheinlich bei der Gründung gedacht hätten. Aber das Vorgehen beim „Hölle“-Teil des Preises ist offensichtlich weder fair noch besonders konstruktiv.

Nominiert für den „Hölle“-Preis sind NEON, Spiegel Online und die Für Sie. Die Chefredakteure der ersten beiden Titel haben sich öffentlich sehr, sehr verärgert gezeigt darüber, dass sie plötzlich mit anonym geäußerten Vorwürfen konfrontiert sind. Im Fall von Spiegel Online betrifft das Vertragsbedingungen, die objektiv überprüfbar sind – allerdings ist Spiegel Online nach Aussage des Chefredakteurs Matthias Müller von Blumencron bereits dabei, diese Passagen zu überarbeiten, ironischerweise wohl sogar angestoßen durch einen Brief, den Freischreiber im Sommer an die Chefredaktion geschickt hatte. Für diese Art der konstruktiven Zusammenarbeit ist der konfrontative Preis sicher keine Hilfe, und er passt auch nicht zum bisherigen Stil meines Verbandes.

Im Fall von NEON sind die Vorwürfe aber noch ein Stück problematischer: Angeblich würde die Redaktion Ideen und Themenvorschläge, die von Freien eingebracht werden, an andere – wohl meist interne – Schreiber vergeben, kurz: Themen klauen. Jetzt wird es doppelt kompliziert, denn das ist erstens tatsächlich kaum zu überprüfen, zweitens auch ein gern geäußerter Vorwurf von Leuten, die sehr unkonkrete Ideen vorschlagen (ich habe mal gehört, wie jemand behauptete, die Redaktion des inzwischen eingestellten Interview-Magazins Galore hätte ihm ein Thema geklaut. Das Thema war „Ein Interview mit Kylie Minogue“) und drittens ist das ein übler Vorwurf – Themen klauen ist eine Todsünde für Redaktionen. Plötzlich und ohne Belege öffentlich diesem Vorwurf ausgesetzt zu sein ist hart, und Chefredakteur Michael Ebert ist sehr sauer darüber. Ich muss sagen, ich finde, er hat damit recht.

Ich persönlich kann nichts zu dem inhaltlichen Vorgang sagen. Ich bin im Zuge der Recherchen über die Nominierungen nach meiner Erfahrung gefragt worden und habe damals gesagt, mir gegenüber ist die Redaktion von NEON in jedem einzelnen Fall sehr, sehr fair aufgetreten, in einigen Fällen sogar überragend großzügig mit ihrer Unterstützung. Ich hätte gedacht, sie würden eher auf der Himmel-Seite des Preises nominiert. Aber, nächste Eskalationsstufe und letztlich der Grund, warum ich glaube, dieser Preis hat ein doch auch strukturelles Problem: Als Mitglied darf ich jetzt wählen, welcher der nominierten den Preis jeweils bekommt. Ich persönlich finde, NEON verdient ihn nicht, ich müsste also einen der beiden anderen wählen – habe aber für beide noch gar nicht gearbeitet. Das ist nicht gut.

So findet sich der Verband, an dem ich sehr hänge, von dem ich viel halte und dessen Erfolg mir wichtig ist in einer echten Zwickmühle: Dieser Preis war gedacht als konstruktive Kritik, die Anstoß geben soll zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Redaktion und Freien in der Zukunft. So etwa, wie Politiker „Dinge zuspitzen“ um Debatten hervorzurufen. Leider sind mein Verband und ich in diesem Falle Guido Westerwelle: Wir haben uns im Ton vergriffen. Und das schadet der Wertschätzung, die dieser Verband bisher auch von den kritisierten Redaktionen entgegengebracht bekam. Dieser Preis hat den doofen Namen „Hölle“ und den Zusatz „fieseste Redaktion“, aber er war gedacht als ein ehrliches Wort unter Kollegen.

Ich habe eine Lösung dafür, aber sie ist aberwitzig: Ich weiß, dass Michael Ebert und Matthias Müller von Blumencron stinkesauer sind, und ich habe schon gesagt, ich finde, sie sind es zu recht. Aber ich habe einen winzigen Fitzel Hoffnung, dass ausgerechnet sie sich am Ende eines reinigenden Gewitters trotzdem hinstellen und den Preis so verstehen werden, wie er gedacht war, und nicht so, wie man ihn verstehen musste, weil er scheiße aufgezogen worden ist. Beide haben das in ihren Interviews durchklingen lassen: Dass sie grundsätzlich Respekt für den Verband und sein Anliegen haben. Deshalb schlage ich folgendes vor: Wir sehen ein, dass es, wenn wir den Preis und seine Ziele ernst nehmen, in diesem Jahr nur einen würdigen Preisträger geben kann: uns selbst. Wir waren nicht fair. Ich werde am Wahltag einen Wahlzettel abgeben, auf dem die „Hölle“-Stimmen ungültig gemacht sind.

Und ich würde Michael Ebert, Matthias Müller von Blumencron und wenn sie sich angesprochen fühlt auch Sabine Fäth von der Für Sie von Herzen bitten, die Größe zu zeigen, am Abend der Preisverleihung zu einer Diskussionsrunde über die Zusammenarbeit von Redaktionen und Freien teilzunehmen. Dabei können die Vorwürfe ja ausgesprochen werden und wir können versuchen, zu beurteilen, welche Substanz sie haben. Aber wir sollten das im Gespräch tun, nicht in der Konfrontation. Ich glaube, wir können in dieser Situation nur darum bitten, denn wir haben es trotz guter Intention verbockt. Wir sollten die Größe haben, das zu sagen.

Aber die echte Arbeit liegt nicht bei dem, der sich entschuldigt, sondern bei dem, der die Entschuldigung annehmen oder ablehnen muss. Man kann und darf da nichts erwarten oder voraussetzen. Aber ich habe Hoffnung.

PS. Der großartige Kollege Christoph Koch auch.