Ich kann nur für mich sprechen. Aber es ist eine Errungenschaft, dass ich das kann, und eine, die ich zu den höchsten Gütern unserer Gesellschaft zähle, und die ich zur Not mit dem Messer zwischen den Zähnen verteidigen würde. Gefüllt wird dieses Freiheitsrecht von denjenigen, die sich zu einer Meinung durchringen und zu ihr stehen. Die Freiheit, eine Meinung zu haben, wird relativ wertlos, wenn man keine hat, sie nicht sagt, oder sie als die Meinung von anderen verbreitet. Das vorweg.
Stefan Niggemeier hat in seinem Blog das merkwürdige Kommentargebaren von jemandem aufgezeigt, der Zugang zum Computer des Verlagsvorstandes Konstantin Neven DuMont hatte (ich persönlich habe den nahe liegenden Verdacht, dass es sich um Neven DuMont selbst handelt, aber er streitet das vehement ab). Die Geschichte zieht einigermaßen große Kreise, die wohl heute in dem Rückzug von KND aus dem Vorstand gipfeln werden, aber in einer ganzen Reihe von Blogs (zum Beispiel hier, hier und hier) wird ein Nebenaspekt dieser Auseinandersetzung zum Thema gemacht: Niggemeier hat das offenbar irgendwo ungeschrieben gespeicherte Gesetz verletzt, die Anonymität von Kommentatoren zu wahren. Und in der Parallelgesellschaft Blogosphäre wird das mit angeekelter Verachtung bestraft, die ins kampagnenhafte abgleitet. Die Bloggerin Lanu schreibt zum Beispiel
Für mich ist Niggemeier ein Journalist. Damit ist über ihn auch schon alles gesagt, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass der Typ auch nen Blog hat und jeder von Euch, der selbst bloggt, sollte schleunigst eines tun, sich von Niggemeier distanzieren und laut und deutlich sagen, dass sein Umgang mit den Daten seiner Leser, die persönlichen Gockelleien mit DuMont und sein Gequatsche über angebliches öffentliches Interesse daran, mit Bloggen nix, aber auch gar nix zu tun haben.
Das scheint eine ganz gute Zusammenfassung der dort herrschenden Meinung zu sein. Und ich habe Schwierigkeiten, mir ob der intellektuellen Minderleistung überhaupt auszumalen, wo ich anfangen soll, den Unsinn zu widerlegen.
Ich werde mich nicht mit der Definition von Blog abplagen, weil sie egal ist. Auch nicht damit, dass Niggemeier keine Daten veröffentlicht hat, sondern ein Verhalten öffentlich gemacht hat. Im Kern geht es darum, dass jeder anonym kommentieren können soll, und dass Kommentare wie die von KNDs Rechner, von wo unter hundert verschiedenen Pseudonymen teilweise mit sich selbst diskutiert wurde, einfach gelöscht werden sollten. Mit anderen Worten: Niggemeier soll eine Kommentarspalte stellen, auf der sich jeder austoben kann, wie er will, und Niggemeier soll nur den Wildwuchs beschneiden, und das lieber als Zensur denn durch Transparenz. Auf keinen Fall, wirklich auf keinen, darf die Identität eines Kommentatoren preisgegeben werden. Es ist bizarr.
Ich weiß nicht, wie weit sich manche der Kritiker das überlegt haben. Es würde bedeuten, dass der Betreiber einer Themenseite, auf der ein Lobbyunternehmen hunderte Kommentare unter Pseudonym zugunsten der eigenen Sache schreiben lässt, diese verdeckte PR nicht aufdecken darf. Und das ist völlig inakzeptabel. Es würde bedeuten, dass ein Mächtiger unter dem Deckmantel der Anonymität das möglicherweise gefährliche Gegenteil von dem fordern darf, für das er tagsüber einsteht. Es würde bedeuten, dass einer der wichtigsten Medienmanager Deutschlands sich in einer Art und Weise aufführen darf, die ernsthafte Zweifel daran aufkommen lässt, ob er für die Machtposition, die er gegenüber seinen Mitarbeitern und gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit innehat, geeignet ist, ohne dass es jemand publik machen darf. Und das kann nicht sein.
Ich bin für Kommentare. Und meinetwegen soll sich jeder unter dem Namen äußern, unter dem er will. Aber ich erwarte, dass er für sich spricht, ehrlich für sich und nur für sich. Wenn jeder plötzlich 100 Leute sein kann, die sich unterstützen, wenn plötzlich ein Unternehmer anonym gegen die Konkurrenz wettern kann, wie es von KNDs Computer passiert ist, wenn also eine Diskussion nicht mehr ehrlich und offen geführt werden kann, dann ist sie wertlos. Dann gehört es zur Verteidigung der Freiheitsrechte, darauf hinzuweisen. Ich erwarte von jedem, der sich in eine Diskussion begibt, dass er bereit ist, zu seiner Meinung zu stehen. Ein Pseudonym kann nicht bedeuten, dass ich mir eben ein nächstes nehme, weil mein erstes sich zu weit aus dem Fenster hängt oder keine Unterstützung findet. Das ist keine Freiheit, die ich verteidige. Es ist, im Gegenteil, schädlich.
Dass der freie Journalist Niggemeier sich (mal wieder) mit einem Großverlag anlegt und sie zwingt, sich des merkwürdigen Gebarens ihres Junior-Chefs zu stellen – was überfällig war –, ist mutig und richtig. Es gibt kein Recht darauf, anonym irgendetwas kaputt zu machen, auch keine Diskussion.