Endlich reden wir mal über Sex: fickt euch!

Es ist eine Liste von Ekligkeiten: CDU-Partei … ähem, „freunde“ von Christian Wulff setzen das Gerücht in die Welt, seine neue Frau hätte eine „Rotlichtvergangenheit“, und bei passender Gelegenheit drucksen deutsche Medien so lange um die Tatsache herum, dass es vollkommen indizienfreie Gerüchte gibt, bis irgendwann zumindest alle mal darüber schreiben können, dass wieder andere möglicherweise irgendetwas hätten, dass sie berichten könnten. Diese Geschichte ist letztlich in die Öffentlichkeit gelangt, weil Günther Jauch in seiner Sendung den BILD-Vize damit konfrontierte, dass die Berliner Zeitung schrieb, die BILD hätte möglicherweise irgendwelche Informationen? Der Schwager einer Freundin der Arbeitskollegin des Bekannten von Dingenskirchen sicher auch, aber den fragt ja keiner.

In meiner persönlichen Liste der Ekelpriorität stehen die Parteifreunde noch ein bisschen höher – also in der realen Welt niedriger, Prioritäten sind ja nur eine Ableitung der Wirklichkeit –, aber ich schaffe es kaum, mich über diese niedersächsischen Provinzpusteln aufzuregen, weil ich ein noch viel grundlegenderes Problem mit dieser Geschichte habe. Und zwar dieses: Leben wir wirklich immer noch in Zeiten, in denen wir Hexenjagden veranstalten auf Frauen, weil sie (in diesem Fall: angeblich) einmal Prostituierte waren? Verstehe ich das richtig, dass ein deutscher Ministerpräsident sich nicht in eine/n Prostituierte/n verlieben und sie/ihn heiraten darf?

Ich habe hier ein ernstes Problem, und ich rege mich seit Tagen mehr und mehr darüber auf, mit welcher Scheinheiligkeit wir pausenlos Menschen sowohl nach ihrem Sexualleben als auch nach ihrer Sexualität bewerten und dabei im- und explizit mit Werten und Begriffen um uns werfen, die in der Debatte nichts verloren haben. Ich will das gerne begründen.

Um eins vorweg zu nehmen: Ich werde im Folgenden beschreiben, dass ich die Vorwürfe gegen Bettina Wulff schon deshalb für eklig halte, weil sie implizieren, eine „Rotlichtvergangenheit“ würde sie als First Lady disqualifizieren. Dabei ist mir vollkommen bewusst, dass Bettina Wulff keine solche Vergangenheit hat und die ganze Diskussion nur auf niederträchtigen Gerüchten basiert. Ich möchte nicht implizieren, ich hielte es für möglich, dass sie eine solche Vergangenheit hat. Ich bin völlig davon überzeugt, dass sie sie nicht hat. Mein Punkt ist, dass ich glaube, es könnte durchaus eine First Lady geben, die ähnlich gut geeignet für diese Funktion ist wie Bettina Wulff (vor deren Haltung in der Krise rund um den Rücktritt ihres Mannes ich einen unendlichen Respekt habe) und die eine Vergangenheit als Wasauchimmer hat.

Aber zum Punkt: Es gibt offenbar kein valides Datenmaterial zur Prostitution in Deutschland, erst recht nicht zu den Freiern. Die Daten bei Umfragen variieren derart, dass sie völlig sinnlos sind. Aber ich wohne wenige Minuten von der Reeperbahn entfernt. Ich persönlich halte die Umfragen, die sagen, etwa die Hälfte aller Männer in Deutschland hat schon für Sex bezahlt für nicht weit hergeholt. Rein von den Zahlen her muss man sagen, Prostitution ist in dieser unserer Gesellschaft fest verankert. Ich weiß, dass Sexarbeit mit besonderen vor allem psychischen Belastungen einhergeht, ich meine es absolut nicht respektlos wenn ich sage: Es ist ein ganz normales Gewerbe. Aber das ist es. Prostituierte zahlen Steuern und erfüllen offensichtlich eine gesellschaftliche Funktion. Und wenn es eine Ehe zwischen einer Hure und einem Spitzenpolitiker gibt, dann würde ich jederzeit darauf wetten, dass die Hure im ehrlicheren Gewerbe beheimatet ist. Wenn es eine Vergangenheit gibt, die einen Menschen als Bundespräsidenten (oder dessen bessere Hälfte) disqualifiziert, dann aus meiner Sicht jeder Posten in der niedersächsischen CDU zehnmal eher als Sex in unzähligen Positionen in einem Hannoveraner Puff.

Noch einmal: Bettina Wulff hat keine Rotlichtvergangenheit. Sie ist nur sexier als es in der niedersächsischen CDU ertragen wird. Wahrscheinlich ist da was dran, dass wenn man geil aussieht oder keine Probleme damit hat, hübsche Frauen abzuschleppen, man gar nicht erst in die Gefahr gerät in die Junge Union einzutreten. Aber Gerüchte über eine junge Frau verbreiten, um ihrem Mann zu schaden? Buäh, seid Ihr eklig!

Jedenfalls: Der falsche Anwurf, der da kam um dem damaligen Ministerpräsidenten Wulff zu schaden hatte die Stoßrichtung, seine Urteilsfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Wer sich in eine Nutte verliebt, das soll man wohl denken, der hat sich auch sonst nicht unter Kontrolle (und ist möglicherweise sogar erpressbar). Anders kann ich die mutwillig platzierten Gerüchte nicht verstehen. Was zu Ende gedacht bedeutet: Eine Nutte kann keine Frau sein, in die ein ernsthafter Mann sich verlieben kann. Schließlich ist sie eine Nutte. Und der Mann kann deshalb nur auf sie hereingefallen sein, wahrscheinlich deshalb, weil in ihrer Gegenwart zu viel von seinem Blut nicht in seinem Gehirn ist. Der Sex hat in willenlos gemacht.

Als ernsthafte Ehefrauen für Spitzenpolitiker kommen also nur solche infrage, die zumindest aus Sicht ihrer eigenen Männer nicht so geil sind. Da ist dann die Junge Union natürlich wieder weit im Vorteil.

Nur halb unabhängig davon führen wir gerade wieder eine Debatte darüber, was eigentlich eine Ehe ist, warum sie heilig und unter der besonderen Schutz des Grundgesetzes ist und warum sie nur zwischen Mann und Frau möglich sein soll. Und hier erreicht mein persönlicher Ärger seinen Höhepunkt.

Als heterosexueller, verheirateter Christ mit zwei Kindern möchte ich bitte einmal explizit darauf hinweisen, dass ich die quasi synonyme Nutzung der Begriffe „Ehe“ und „Familie“ für offensichtlich überholt und deshalb unredlich halte. Ich kann auch nicht den Hauch eines Hinweises erkennen, warum nicht zwei Männer, zwei Frauen, jede Kombination von und mit Transsexuellen oder eben ein Mann und eine Frau egal welcher sexueller Ausrichtung heiraten können sollen. Als Bürger glaube ich, die Ehe ist die freiwillige Übernahme von Verantwortung für einen Partner. Als Christ glaube ich, die Ehe ist das Sakrament der Uneigennützigkeit, der Liebe, der Hingabe. Ich glaube, die Geschichte hat gezeigt, dass Familien auf tausende Arten entstehen, und weder die Ehe noch die Tatsache, wer nun gerade am Zeugungsakt eines bestimmten Menschen beteiligt war haben nachhaltig viel Einfluss darauf, ob und wie eine Familie funktioniert. Sie ist mehr als das. Jesus Christus hatte zwei Väter, und er ist meiner Meinung nach ein guter Typ geworden.

Das alles gehört nur bedingt zusammen, aber eben doch auf eine Art. Ich beobachte, dass wir in ein Denken zurückfallen, das so lange überholt ist, dass es schon wieder frisch wirken könnte. Ist es aber nicht: Bettina Wulff ist eine derart beeindruckende Frau (wenn ich an ihr Lächeln während seiner Rücktrittsrede denke, salutiere ich ihr in Gedanken), dass es schon total egal sein müsste, was auch immer sie mit 18 oder 28 gemacht hat – wenn sie hätte, was sie nicht hat. Und wenn wir es verwerflich finden, dass Frauen und Männer anderen sexuelle Dienstleistungen verkaufen, dann sollen wir bitte alle damit aufhören, solche in Anspruch zu nehmen, und nicht diejenigen verurteilen, die offensichtlich vorhandene Bedürfnisse befriedigen.

Wir glauben an die Liebe, sogar an die besondere, die eine, die zur Ehe wird. Meine erste Bitte wäre, dass selbst CDU-Mitglieder auch dann daran glauben, wenn eine Frau daran beteiligt ist, die geil ist. Ich versuche ja, mich in diese Welt hineinzudenken. Und klar der Christian war einer von euch Politik-Nerds, und er hat entgegen aller Regeln und Wahrscheinlichkeiten eine Bombe abgekriegt. Da kann man schonmal misstrauisch werden. Aber deshalb gleich Gerüchte streuen? Ich würde sagen: Behaltet das in Zukunft für euch, Ihr verklemmten Wichser.

Wir haben eine Übereinkunft: Das Sexualleben eines Menschen geht niemanden etwas an, so lange erwachsene Menschen freiwillig miteinander umgehen. „Das geht niemanden etwas an“ bedeutet nicht, dass wir nicht darüber reden können. Wahrscheinlich reden wir viel zu selten darüber, so selten, dass Bundespräsidenten schon von Haus aus wirken müssen, als würden sie sich nicht gerne das Gehirn rausvögeln lassen. Und wenn wir nicht jungen Heteropaaren vorschreiben wollen, dass sie zumindest einen Kinderwunsch haben müssen, um heiraten zu können, hat sich das Argument der „Keimzelle der Familie“ zur Ablehnung der Homo-Ehe aus meiner Sicht erledigt. Es ist einfach nicht mehr wahr: Familien entstehen dauernd und überall. Es werden Kinder nach besoffenen One-Night-Stands geboren, ohne dass wir diese Form des Sexualkontakts deshalb als Keimzelle von irgendwas unter einen besonderen Schutz des Grundgesetzes stellen müssten oder wollten.

Ehe und Familie sind nicht das gleiche, wie es die Rechtsprechung in Deutschland immer noch impliziert und wie es konservative Politiker explizit behaupten. Ich finde meine Töchter ganz toll und möchte nicht ohne sie sein, aber sie sind nicht der Grund, warum ich meine Frau geheiratet habe. Der Grund, warum ich meine Frau geheiratet habe, ist meine Frau. Und ich kann nicht erkennen, warum eine lesbische Frau nicht denselben Grund haben sollte, ihre Frau zu heiraten. Ich bin nicht besser als sie. Und jedem, der gegen die Homo-Ehe mit „der Familie“ argumentiert möchte ich sagen: nicht mit meiner. Wir fühlen uns kein bisschen schlechter geschützt nur deshalb, weil anderer Leute Liebe vor dem Gesetz genau so viel Wert ist wie unsere.