Wer spüren will muss hören: Diesen Text gibt es auch als Podcast – dank bodalgo.com, dem Online-Marktplatz für Sprecher
[audio:Fragen_muessen.mp3]
Ich bin ein wenig ratlos: Soll ich wirklich glaube, dass ein Bundeswehr-Oberst unter Umgehung einiger Einsatzregeln und mit glatten Lügen („Troops in contact“) einen Luftangriff befiehlt, um eine Reihe Taliban umzubringen, dabei mehr oder weniger offensichtlich den Tod von Unbeteiligten in Kauf nimmt, das Bundestagsmandat weit überreizt ohne seinen Rechtsberater, der neben ihm steht, auch nur um Rat zu fragen – und alles auf eigene Veranlassung, ohne eine politische Weisung, in Afghanistan jetzt aber mal härter durchzugreifen?
Und soll ich dann tatsächlich Respekt für einen Verteidigungsminister haben, der im gleichen Atemzug Oberst Klein die volle und alleinige Verantwortung für diese Entscheidung überschreibt, aber dabei behauptet, er würde ihn nicht fallen lassen? Weil sich das „nicht gehöre“?
Wenn Oberst Klein getan hat, was der Bundesverteidigungsminister behauptet, nämlich durch schwer zu vermittelnde Verfahrensfehler im Einsatz, durch falsche Angaben und durch sein Vertrauen in zweifelhafte Informationen viele, viele Leben vernichtet, dann gehörte es sich durchaus, ihn fallen zu lassen und anzuklagen. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube, die Regierung verschweigt uns, dass sie in Afghanistan die Strategie geändert hat – und dass der Luftangriff von Kundus ein Fehlschlag im Rahmen dieser neuen Strategie ist.
Das für mich völlig Bizarre an diesem Fall ist: Der Verteidigungsminister redet und redet, zuletzt wieder eine gefühlte ganze Nacht bei Beckmann – ohne, dass er irgendetwas dabei sagt (gut, bei Beckmann war echte Aufklärung vielleicht auch nicht zu erwarten, aber warum fragt er den Minister nicht einfach, wo er schonmal da ist?). Karl Theodor zu Guttenberg verweigert die Aufklärung der Ereignisse mit dem Hinweis, es gäbe ja nun einen Untersuchungsausschuss, was nichts anderes ist als der Versuch, sich von seinem eigenen Ministerium so weit fern zu halten, als gehöre er nicht dazu (denn natürlich ist der Verteidigungsminister als erster in der Pflicht, die Vorgänge in seinem Amtsbereich zu kennen).
Wir wissen, dass es vor Ort eine geheime „Task Force 47“ gibt, von deren Kommandostand aus der Luftangriff befehligt wurde. Wir wissen, dass an der Task Force Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beteiligt sind. zumindest die wird sich Oberst Klein nicht ohne Wissen seiner Regierung und des zuständigen Ministers selbst geschnitzt haben. Aber wir lassen Guttenberg vom Haken und ihn eine Show abziehen, an der mich vor allem eines zutiefst stört: Er tut so, als stelle er sich vor die Soldaten. Aber er tut das Gegenteil: Er flüchtet so weit wie möglich weg von den Einschlägen. Und wir wenden für Guttenberg die Unschuldsvermutung an, obwohl das bedeutet, die Schuld zu verschieben auf Menschen, die in Afghanistan einen schwierigen Dienst tun und sich nicht pausenlos vor jeder Kamera zu Wort melden können.
Oberst Klein wollte mit seinem Angriff am 4. September viele Menschen töten, das steht wohl fest. Die Frage, die als erste zu beantworten ist muss doch sein: War das politisch so gewollt und beschlossen oder nicht? Hatte er die Anweisung, die Strategie in diesem Sinne zu ändern oder nicht? Ich glaube nicht, dass die Frage, über die wir hier sprechen ist, ob Kleins Verhalten „militärisch angemessen“ war. Militärs lösen ihre Aufgabenstellungen militärisch, und der Luftschlag war militärisch in jedem Fall sehr effektiv. Aber unabhängig von völkerrechtlichen Fragen der Angemessenheit ist die Frage, ob ein deutscher Offizier eigenmächtig und sehenden Auges den verheerendsten deutschen Militärschlag seit dem Zweiten Weltkrieg befohlen hat – oder ob es die Anweisung dazu gab. Dass der Luftschlag nach unserer Einschätzung unangemessen war heißt auch: Einer von beiden ist schuldig, der Soldat oder seine Regierung. Einer von beiden hat beschlossen, dass wir nun Menschen töten, auch wenn sie uns nicht direkt angreifen. Und egal ob wir finden, dass das in Afghanistan die angemessene Strategie ist – abgesprochen war das nicht.
Ganz persönlich bin überzeugt, wir sollten tatsächlich hinter denen stehen, die weit entfernt unter großem Druck und in unserem Auftrag ihr Leben riskieren. Im Gegensatz zu den hohlen Worten des Ministers sollten wir Oberst Klein tatsächlich nicht fallen lassen, wie wir es tun, wenn wir wie Reinhold Beckmann den Minister seine Worthülsen verbreiten lassen, ohne ihn wirklich zu hinterfragen.
Die Frage ist einfach: Habt ihr, die Regierung, Oberst Klein angewiesen, von nun an rigoros Taliban-Anführer auszulöschen? Und wenn nicht: Was macht die KSK da? Was macht diese Task Force da? Und nein, Herr Minister, es ist nicht die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, ihre Arbeit zu machen.
Ich bin mir bei Weitem nicht sicher, dass die Frage, wann wer etwas von zivilen Opfern gewusst hat die einzige Frage ist, in der wir angelogen werden. Ich glaube, dass das Abenteuer Afghanistan mit seinen verfassungsrechtlichen Implikationen den Verantwortlichen längst über den Kopf gewachsen ist und sie keine klare Linie mehr finden. Ich habe sogar Verständnis dafür. Aber es ist ekelhaft, wenn dieser Schlingerkurs im Halbschatten auf Kosten von Soldaten gefahren wird, die uneingeschränkte Unterstützung brauchen und verdienen. Und es ist leider auch kein Ruhmesblatt für die Presse, wenn wir uns wie in den letzten Wochen vom Kleinklein ablenken lassen von den Fragen, die wirklich wichtig sind.
Teilen