Ich würde gerne ein kleines Gedanken-Experiment machen unter einer Prämisse: Nehmen wir für den Moment einmal kurz an, Aufklärung würde etwas nützen. Dann wäre es sinnvoll, Menschen korrekte Informationen zukommen zu lassen, damit sie auf der Grundlage dieser Informationen vernünftige Entscheidungen treffen können. Bis hierhin ist es noch relativ einfach.
Aber kommen wir dann einmal zur Realität: Die Rating-Agentur Moody’s hat das so genannte Credit Rating für Griechenland am Mittwoch noch einmal herabgestuft irgendwo in die Region der Kreditwürdigkeit einer Salatbar in Zeiten von EHEC. Und Ihre Tageszeitung hat darüber berichtet. Nehmen wir für dieses Experiment einmal an, Sie lesen die Süddeutsche Zeitung – wozu man ja im Prinzip nur gratulieren kann, das ist eine großartige Zeitung –, dann haben Sie zum Beispiel diesen Text gelesen, in dem es heißt:
Die Entscheidung, Griechenland vom Niveau B1 auf Caa1 herabzustufen, hänge mit dem erhöhten Risiko zusammen, dass Athen seine Finanzkrise nicht ohne Umschuldung in den Griff bekomme, erklärte ein Moody’s-Vertreter. Außerdem erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenlands Geber, die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), die Freigabe ihrer Finanzhilfe an die Bedingung knüpfen könnten, dass private Kreditgeber sich an der Umschuldung beteiligen.
Und das ist alles korrekt. Es entspricht in etwa einer Zusammenfassung der von Moody’s genannten Hauptauslöser („main triggers“) für die Herabstufung. Man muss allerdings nicht einmal die ganze Pressemitteilung lesen, um darauf zu kommen, das hier etwas fehlt. Der Satz, den die Süddeutsche mit „dem erhöhten Risiko“ zusammenfasst, „dass Athen seine Finanzkrise nicht ohne Umschuldung in den Griff bekomme“, geht im Original so:
The increased risk that Greece will fail to stabilise its debt position, without a debt restructuring, in light of (1) the ever-increasing scale of the implementation challenges facing the government, (2) the country’s highly uncertain growth prospects and (3) a track record of underperformance against budget consolidation targets.
Ein aufmerksamer Leser könnte jetzt denken: Die drei in Klammern gefassten Zahlen könnten etwas bedeuten! Tatsächlich tun sie das auch. Sie verweisen auf die Begründungen für die Analyse, und es hätte sich gelohnt, die zehn Minuten zu opfern, sie durchzulesen. Denn da steht zum Beispiel:
In light of recent comments by EU and IMF officials, Moody’s believes that Greece is running out of options, and that heightened implementation risk inherent in any new programme also increases the probability of a default event. […]
Further fiscal austerity is likely to deepen and prolong the recession and further undermine domestic political support for the reform programme.
Kurz: Das Risiko ist gestiegen, dass Griechenland weitere Unterstützung von EU und Währungsfond braucht, verbunden mit wieder neuen Bedingungen. Diese Bedingungen sind einer der Gründe, warum Moody’s schlechtere Aussichten sieht. Oder, auf gut deutsch: Griechenland spart jetzt schon zu viel. Neue Sparziele von EU und IWF werden es nur noch schlimmer machen.
Sollten Sie zum Beispiel Online den Financial Informer des Handelsblatts lesen, haben Sie das erfahren. In der Süddeutschen und nach meinem – stark begrenzten – Überblick den meisten anderen Zeitungen nicht nicht. Die FAZ macht es kein Stück besser. Und das ist problematisch, wenn man Moody’s Begründungen liest:
Moody’s believes that the public discussion about current policy options — including the possibility that financial assistance to Greece may be delayed or suspended — indicates that officials‘ cost-benefit analysis of a Greek restructuring is shifting.
Denn spätestens hier beißt sich die Katze in den Schwanz: die Politik reagiert selbstverständlich überall in Europa auf das, was ihre Bevölkerung will. Besonders Angela Merkel als Vertreterin der wichtigsten europäischen Volkswirtschaft reagiert ja schon offensichtlich getrieben von der von ihr antizipierten Volksmeinung. Und die Volksmeinung beruht gezwungenermaßen in weiten Teilen auf den Informationen, die veröffentlicht werden – das ist die „public discussion“, auf die Moody’s sich bezieht. Beruht die „öffentliche Diskussion“ auf falschen Voraussetzungen, dann muss Moody’s das in ihrem Rating berücksichtigen, und die Diskussion nimmt eine weitere Spirale nach unten: Je lauter unsere Politiker das Märchen von der Heilung durch eisernes Sparen weiter verbreiten, umso schlechter wird das Credit Rating für Griechenland. Aber Merkel und Konsorten verbreiten es weiter, weil es im Volk ankommt – medial aufbereitet unter anderem von unseren Zeitungen.
Es bleibt dabei: Die in weiten Teilen katastrophal schlechte Berichterstattung vieler deutscher Medien hat einen direkten Einfluss auf die Lage Griechenlands und Europas. Sie hat die Krise natürlich nicht ausgelöst (genauso wenig wie die angeblichen Luxusrentner in Griechenland, von denen in den deutschen Medien zwar gerne geredet wurde, aber immer noch kein einziger präsentiert), aber sie trägt direkt dazu bei, eine inzwischen ganz offensichtlich falsche Politik immer weiter zu treiben. Das ist das Ergebnis dieses Experiments: Selbst schlaue Zeitungen können dumm machen.
Wie es besser geht, wenn man zum Beispiel Pressemitteilungen bis zum Ende liest und sich dann auch noch eigene Gedanken macht, zeigt zum Beispiel Thomas Fricke heute in der Financial Times Deutschland.
PS. Und noch ein Satz aus der Moody’s-Analyse für all die Experten, die es schon von Anfang an besser wussten: „Nevertheless, Moody’s does not believe that a restructuring of Greece’s debt is inevitable.“