Was soll man eigentlich über Griechenland denken?

Dieser Text ist entstanden auf Anregung und im Auftrag von jetzt.de, die ihn tatsächlich auch in voller Länge veröffentlicht haben (allerdings leserfreundlicher in drei Teilen). Es ist mein Versuch, zumindest oberflächlich einmal zusammenzufassen, warum aus meiner Sicht Debatte und Berichterstattung über Griechenlands Schuldenkrise in eine vollkommen falsche Richtung laufen.

Steigt überhaupt noch jemand durch bei dem, was in Griechenland passiert? Da demonstrieren die Menschen und bewerfen ihre Politiker mit Obst, die Opposition verweigert sich einer „Regierung der nationalen Einheit“ und wer weiß denn schon noch, ob man dafür sein soll oder dagegen, weiter Geld in ein „Fass ohne Boden“ zu werfen? Sollen die jetzt selbst klarkommen? Oder muss man ihnen helfen, aus Solidarität oder – weil es sonst nur noch teurer kommt – sogar als Selbstschutz? Warum sagen alle so genannten Experten Dinge, die sich komplett widersprechen? Stehen wir alle vor einer Katastrophe? Und, vielleicht ist das das Wichtigste: Was will eigentlich unsere Regierung? „Was soll man eigentlich über Griechenland denken?“ weiterlesen

Unbescheiden

Reine Eigenwerbung: Die NDR-Sendung ZAPP hat ein Interview mit mir zur Berichterstattung der Medien in der Griechenlandkrise geführt (und davon etwa acht Sekunden in der Sendung benutzt). Das ganze Interview steht online, und zwar hier.

Könnten die Griechen nicht bald mal pleite gehen, damit BILD endlich recht hat?

Aus aktuellem Anlass eine klitzekleine Wiederholung: In ihrem bescheidenen Artikel Dings „Bild behielt recht“ schrieben die Journalisten Herbert-Quandt-Preisträger Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer

„Ihr Pleite-Griechen“, so nennt BILD im Frühjahr 2010 das Land, das um EU-Milliarden bitten muss.
Das will die griechische Regierung natürlich nicht wahrhaben. „Wir gehen nicht bankrott“, so Premierminister Georgios Papandreou.
Heute klingt das ganz anders, dramatisch.
Finanzminister Giorgos Papakonstantinou warnte Anfang der Woche vor einem Ausbleiben weiterer Kredit-Milliarden: „Wenn das Geld bis Ende Juli nicht kommt, müssen wir die Rollläden runterlassen. Der Staat wird dann alle Zahlungen einstellen.“ Das nennt man Staatspleite.

Heute nun vermeldet bild.de so klein wie möglich:

FREITAG, 03. JUNI 2011, 16:01 UHR
Positives Sparzeugnis für Griechenland
Brüssel/Athen – Die EU, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) haben Griechenland nach Angaben Athens ein positives Zeugnis über die Sparpolitik ausgestellt. Das Urteil beziehe sich auf die aktuellen Fortschritte aber auch auf die mittelfristige Finanzplanung, das neue Sparprogramm sowie die geplanten Strukturreformen für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, teilte das Finanzministerium am Freitag mit.

Während der automatisierte Ticker die Nachricht klein durchlaufen lässt (und andere Medien bereits größere Meldungen formuliert haben) macht bild.de weiter auf mit einer Geschichte über das explodierende Land Griechenland, in URL und als Browsertitel immer noch mit der Zeile: „Kommt die Revolution?“:

Die Bevölkerung ist extrem nervös – im Land selbst eskaliert die Lage.

Was heißt „Eskalieren“ genau? Bild war dabei:

Eine Frau schlägt mit ihrer Handtasche gegen ein Auto [eines Politikers], andere spucken auf die Frontscheibe. Wenige Meter entfernt, in einem kleinen Park, werden die Politiker auf dem Nachhauseweg verfolgt und mit Joghurts beschmissen, beleidigt.

Na, wenn Frauen schon mit Handtaschen auf Autoscheiben schlagen, dann ist es bis zur Revolution sicher nicht mehr weit.

PS. Und inzwischen ist auch bild.de so weit: Herbert-Quandt-Preisträger Paul Ronzheimer hat die Neuigkeiten unter einer gewohnt einseitigen Headline zusammengefasst: „Die Griechen kriegen noch mehr Geld“.

Wenn Zeitungen dumm machen

Ich würde gerne ein kleines Gedanken-Experiment machen unter einer Prämisse: Nehmen wir für den Moment einmal kurz an, Aufklärung würde etwas nützen. Dann wäre es sinnvoll, Menschen korrekte Informationen zukommen zu lassen, damit sie auf der Grundlage dieser Informationen vernünftige Entscheidungen treffen können. Bis hierhin ist es noch relativ einfach.

Aber kommen wir dann einmal zur Realität: Die Rating-Agentur Moody’s hat das so genannte Credit Rating für Griechenland am Mittwoch noch einmal herabgestuft irgendwo in die Region der Kreditwürdigkeit einer Salatbar in Zeiten von EHEC. Und Ihre Tageszeitung hat darüber berichtet. Nehmen wir für dieses Experiment einmal an, Sie lesen die Süddeutsche Zeitung – wozu man ja im Prinzip nur gratulieren kann, das ist eine großartige Zeitung –, dann haben Sie zum Beispiel diesen Text gelesen, in dem es heißt:

Die Entscheidung, Griechenland vom Niveau B1 auf Caa1 herabzustufen, hänge mit dem erhöhten Risiko zusammen, dass Athen seine Finanzkrise nicht ohne Umschuldung in den Griff bekomme, erklärte ein Moody’s-Vertreter. Außerdem erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenlands Geber, die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), die Freigabe ihrer Finanzhilfe an die Bedingung knüpfen könnten, dass private Kreditgeber sich an der Umschuldung beteiligen.

Und das ist alles korrekt. Es entspricht in etwa einer Zusammenfassung der von Moody’s genannten Hauptauslöser („main triggers“) für die Herabstufung. Man muss allerdings nicht einmal die ganze Pressemitteilung lesen, um darauf zu kommen, das hier etwas fehlt. Der Satz, den die Süddeutsche mit „dem erhöhten Risiko“ zusammenfasst, „dass Athen seine Finanzkrise nicht ohne Umschuldung in den Griff bekomme“, geht im Original so:

The increased risk that Greece will fail to stabilise its debt position, without a debt restructuring, in light of (1) the ever-increasing scale of the implementation challenges facing the government, (2) the country’s highly uncertain growth prospects and (3) a track record of underperformance against budget consolidation targets.

Ein aufmerksamer Leser könnte jetzt denken: Die drei in Klammern gefassten Zahlen könnten etwas bedeuten! Tatsächlich tun sie das auch. Sie verweisen auf die Begründungen für die Analyse, und es hätte sich gelohnt, die zehn Minuten zu opfern, sie durchzulesen. Denn da steht zum Beispiel:

In light of recent comments by EU and IMF officials, Moody’s believes that Greece is running out of options, and that heightened implementation risk inherent in any new programme also increases the probability of a default event. […]
Further fiscal austerity is likely to deepen and prolong the recession and further undermine domestic political support for the reform programme.

Kurz: Das Risiko ist gestiegen, dass Griechenland weitere Unterstützung von EU und Währungsfond braucht, verbunden mit wieder neuen Bedingungen. Diese Bedingungen sind einer der Gründe, warum Moody’s schlechtere Aussichten sieht. Oder, auf gut deutsch: Griechenland spart jetzt schon zu viel. Neue Sparziele von EU und IWF werden es nur noch schlimmer machen.

Sollten Sie zum Beispiel Online den Financial Informer des Handelsblatts lesen, haben Sie das erfahren. In der Süddeutschen und nach meinem – stark begrenzten – Überblick den meisten anderen Zeitungen nicht nicht. Die FAZ macht es kein Stück besser. Und das ist problematisch, wenn man Moody’s Begründungen liest:

Moody’s believes that the public discussion about current policy options — including the possibility that financial assistance to Greece may be delayed or suspended — indicates that officials‘ cost-benefit analysis of a Greek restructuring is shifting.

Denn spätestens hier beißt sich die Katze in den Schwanz: die Politik reagiert selbstverständlich überall in Europa auf das, was ihre Bevölkerung will. Besonders Angela Merkel als Vertreterin der wichtigsten europäischen Volkswirtschaft reagiert ja schon offensichtlich getrieben von der von ihr antizipierten Volksmeinung. Und die Volksmeinung beruht gezwungenermaßen in weiten Teilen auf den Informationen, die veröffentlicht werden – das ist die „public discussion“, auf die Moody’s sich bezieht. Beruht die „öffentliche Diskussion“ auf falschen Voraussetzungen, dann muss Moody’s das in ihrem Rating berücksichtigen, und die Diskussion nimmt eine weitere Spirale nach unten: Je lauter unsere Politiker das Märchen von der Heilung durch eisernes Sparen weiter verbreiten, umso schlechter wird das Credit Rating für Griechenland. Aber Merkel und Konsorten verbreiten es weiter, weil es im Volk ankommt – medial aufbereitet unter anderem von unseren Zeitungen.

Es bleibt dabei: Die in weiten Teilen katastrophal schlechte Berichterstattung vieler deutscher Medien hat einen direkten Einfluss auf die Lage Griechenlands und Europas. Sie hat die Krise natürlich nicht ausgelöst (genauso wenig wie die angeblichen Luxusrentner in Griechenland, von denen in den deutschen Medien zwar gerne geredet wurde, aber immer noch kein einziger präsentiert), aber sie trägt direkt dazu bei, eine inzwischen ganz offensichtlich falsche Politik immer weiter zu treiben. Das ist das Ergebnis dieses Experiments: Selbst schlaue Zeitungen können dumm machen.

Wie es besser geht, wenn man zum Beispiel Pressemitteilungen bis zum Ende liest und sich dann auch noch eigene Gedanken macht, zeigt zum Beispiel Thomas Fricke heute in der Financial Times Deutschland.

PS. Und noch ein Satz aus der Moody’s-Analyse für all die Experten, die es schon von Anfang an besser wussten: „Nevertheless, Moody’s does not believe that a restructuring of Greece’s debt is inevitable.“

Bild gewinnt. Gegen den Journalismus

Am Freitagmorgen erschien Deutschlands größte Tageszeitung mit dem selbstbeweihräuchernden Artikel „Bild behielt recht“, zu dem ich mich bereits ausführlich geäußert habe. Am Nachmittag fuhr ich zur Promotionsfeier einer Cousine, der offenbar ersten Griechin, die für eine Arbeit über deutsche archäologische Funde den Doktorgrad verliehen bekam (normalerweise ist es anders herum). Ihre Mutter und ihre Schwester waren aus Griechenland gekommen. Die Schwester mit ihrem kleinen Kind. Und es war ein schöner Nachmittag und Abend, auch weil wir es schafften, die drückenden Themen in die Raucherpausen vor das Restaurant am Meer zu verlegen, in dem wir feierten: Meine kleine Cousine mit dem kleinen Kind ist zu Ende Juli gekündigt worden. Ihrem Mann hatte man gerade gesagt, dass er nur noch vier Tage die Woche zur Arbeit kommen kann, weil die Konjunkturlage mehr nicht hergibt. Die Familie steht jetzt mit weniger als der Hälfte des Einkommens da, das sie noch vor einem Jahr hatte, und selbst da hatte es aufgrund der Preissteigerungen kaum gereicht. In Griechenland kostet ein Pfund Butter inzwischen fünf Euro. Und meine Tante hat einen großen Teil ihrer ohnehin knappen Rente an das Sparpaket verloren. Wie wird es weitergehen? „Niemand weiß, was morgen ist. Oder ob morgen noch ist.“

Paul Ronzheimer ist der so genannte Journalist, der nach Griechenland gefahren ist und sich auf dem Athener Syntagma-Platz fotografieren ließ, wie er vor demonstrierenden Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen, mit Drachmen-Scheinen wedelte wie mit Bananen vor Affen im Zoo. Nikolaus Blome ist der Mann, der jede verfügbare Zahl aus dem Zusammenhang gerissen hat, um zu belegen, dass diese Menschen faul und zu korrupt sind und deshalb nichts Besseres verdienen. Wenige Stunden, nachdem sie ihren gemeinsam verfassten Artikel darüber, dass sie immer recht hatten, veröffentlichten, lief klein und kaum beachtet die Nachricht über den Ticker, dass das griechische Konsulat in Berlin in der Nacht von Vermummten mit Steinen und Farbbeuteln angegriffen worden war. Der Mob hatte sich ein Ventil gesucht für den Volkszorn auf die faulen, korrupten Griechen, die sie aus der Bild-Zeitung und aus den Ausführungen der Bundeskanzlerin kennen.

Heute läuft die Nachricht über den Ticker, dass Ronzheimer und Blome für ihre Griechenland-Berichterstattung den Herbert-Quandt-Preis für Wirtschaftsberichterstattung erhalten, dotiert mit 10000 Euro – mehr Geld, als es viele normale, arbeitende Familien in Griechenland im Jahr zur Verfügung haben, obwohl die Lebenshaltungskosten in Athen längst höher sind als in Berlin.

Ich kann nicht einmal sagen, dass es vor allem Verachtung ist, die ich empfinde. Natürlich empfinde ich die auch, aber was soll das bei Menschen, die offensichtlich keine Scham empfinden können. Für mich bedeutet die Auszeichnung der Werke dieser beiden auch eine weitere und vielleicht entscheidende Niederlage des Journalismus, wie ich ihn verstehe. Eine Branche, in der das, was diese beiden tun, preiswürdig ist, ist verloren.

PS. Heute Mittag hat mir Dr. Jörg Appelhans geschrieben, Vorstand der Johanna-Quandt-Stiftung, wofür ich mich bedanke. Mit seiner Zustimmung veröffentliche ich hier seine Mail an mich.

Sehr geehrter Herr Pantelouris,

in Ihrem Blog üben Sie Kritik an der Vergabe des diesjährigen Herbert Quandt Medien-Preises. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gern auf folgendes hinweisen:

Wir haben nicht die Berichterstattung der „BILD“ zu den sogenannten „Pleite-Griechen“ ausgezeichnet, sondern eine sehr faktenstarke und an wirtschaftspolitischen Hintergrundinformationen reiche Reportageserie aus dem Herbst 2010 über das Zustandekommen des EU-Beitritts Griechenlands. Wenn Sie es wünschen, können wir Ihnen diese Serie zur weiteren Meinungsbildung zukommen lassen.

Im übrigen ist die Würdigung und Auszeichnung von journalistischen Leistungen immer auch geprägt von subjektiver Betrachtung. Wir sind aber der Überzeugung, dass wir aufgrund des in der Jury zum Herbert Quandt Medien-Preis versammelten journalistischen Sachverstands auch in diesem Jahr wieder eine gute und richtige Wahl getroffen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jörg Appelhans
Vorstand

Der versammelte journalistische Sachverstand, der hier angesprochen wird, sind der HR-Intendant Dr. Helmut Reitze und die Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff (Tagesspiegel) und Roland Tichy (Wirtschaftswoche), die neben Johanna und Stefan Quandt in der Jury sitzen.

Ich persönlich halte schon die Argumentation, dass eine fünfteilige Serie innerhalb einer inzwischen mehr als hundertteiligen Hetz-Kampagne preiswürdig sein kann für völlig unhaltbar – abgesehen davon, dass auch die Serie selbst im gleichen Stil verfährt –, aber ich danke hier ganz ausdrücklich für die Bereitschaft zur Diskussion.