In eigener Sache

Ich kümmere mich gerade zu wenig um diesen Blog, weil gerade so viel los und zu tun ist. Das wird wieder besser, versprochen. Nur ganz kurz an dieser Stelle: Für das Lob, die Kritik und die Anregungen nach meinem Auftritt bei Anne Will am Sonntag vielen, vielen Dank!

Die Inoffizielle BILD-Kampagne

Ich musste, ehrlich gesagt, lachen, als ich zum ersten Mal gesehen habe, dass die Bild-Zeitung ihre Kampagnenberichterstattung gegen den DSDS-Kombattanten Menowin Fröhlich in großen Lettern zur „Offiziellen Bild-Kampagne“ deklarierte – unter dem Motto: „So ein Typ darf nicht Superstar werden.“ Bild sagt: nein. Auch wenn das dem einen oder anderen „solchen Typ“ schon gelungen sein soll.
Die lustige Implikation ist natürlich, dass es möglicherweise auch schon inoffizielle Bild-Kampagnen gegeben hat. Aber ich komme immer mehr zu dem Eindruck, dass es wahrscheinlich sehr viel weniger sind, als man denkt. Denn bewusste Kampagnen sind gar nicht nötig, wenn man es schafft, bei jedem Thema das richtige Mind-Set zu vertreten.
Deutschland sucht den Superstar ist zum äußeren Symbol eines scharfen Sozial-Darwinismus geworden: Das Format feiert das Sich-durchsetzen-wollen-um-jeden-Preis, das Gewinnerprinzip, und das in einer nie gesehenen Härte. Man kann so etwas gut finden oder schlecht, aber schon die Terminologie, die in der Sendung benutzt wird, zeigt, dass es um mehr geht als den Sieg in einem Gesangswettbewerb.

Stefan Niggemeier hat sich die Arbeit gemacht, den Schlussmonolog von Marco Schreyl im Finale von DSDS zu transkribieren. Und Schreyl sagt unter anderem das:

Wenn sich der Sieger dieses Kampfes nicht dumm anstellt, wird er für lange Zeit ausgesorgt haben. Der Sieger bei DSDS bekommt: all das! Der Verlierer: nichts! Der Sieger steht im Licht. Der Verlierer steht für immer in seinem Schatten. Und das ist ein Schicksal, mit dem sich der Verlierer wahrscheinlich niemals versöhnen wird.

Prägnanter kann man es wohl nicht in Worte fassen.

Dabei tritt ein Effekt ein, den man oft an sich selber beobachten kann, unter anderem dann, wenn man „die Bild ironisch liest“: Man fragt sich, ob es tatsächlich Menschen gibt, die das alles ernst nehmen. Und wie dämlich sie dafür sein müssen. Glaubt irgendjemand dieses aufgeblasene, pathetische DSDS-Getöse?

Es wirkt wie ein Rätsel, aber die Antwort ist erstaunlich eindeutig. Das Problem ist: Die Antwort ist für exakt die Menschen, die sich diese Frage stellen, nicht nachvollziehbar. Denn die Bild genau wie DSDS zielen auf einen völlig anderen Verständnisrahmen.

Wir haben gelernt zu glauben, dass Aufklärung funktioniert. Unser Verständnisrahmen funktioniert so: Wenn jemand alle Informationen zur Verfügung hat, und diese Informationen eindeutig sind, dann wird der Mensch auch richtig entscheiden. Aber die Realität überrennt uns pausenlos mit dem Beweis des Gegenteils. Als Beispiel: Mitten in der schwersten Krise der unregulierten Marktwirtschaft erzielt die FDP, die Partei des unregulierten Marktes, ein Rekordergebnis. Die Frage ist: Wie kann das sein? Kann es sein, dass Menschen gegen ihre eigenen Interessen wählen? Die Antwort ist: absolut. Und es lohnt sich, die Gründe zu untersuchen. Denn die Aufklärung, wie wir sie verstehen, funktioniert viel zu oft nicht.

Der Linguist und (doofes Wort) Kognitionswissenschaftler George Lakoff weist in seinem Buch The Political Mind nach, dass wir bestimmten Fragestellungen mit bestimmten Denkarten begegnen – und dass diese viel weniger auf bewusstem Nachdenken oder dem Abwägen von Informationen beruhen, als wir es gerne hätten. Sie sind unterbewusst und so lange angelernt, dass sie quasi miteinander verlötet sind. Denn wir denken einerseits in Metaphern und verbinden andererseits Dinge miteinander. Und wir belegen jede Metapher mit einem Wert – sie ist gut oder schlecht. Es braucht ein paar Schritte, um das zu erklären, aber ich verspreche, es lohnt sich.

Zum Beispiel: Wir halten jemanden mit einer „warmen Persönlichkeit“ für gut. Ein kühler Mensch ist schlecht. Das ist eine Metapher, und sie ist gelernt: Wenn unsere Mutter uns in den Arm genommen hat, dann war es warm. Und treten Dinge oft genug gleichzeitig auf, dann verlöten wir sie unbewusst miteinander. Unser Verständnisrahmen ist: warm ist gut, kalt ist schlecht.

Nun sind nicht alle Dinge für jeden gleich: Lakoff erklärt das Verständnis für konservative und progressive Verständnisrahmen letztlich mit unserem Verständnis für die erste und am tiefsten gelernte Form von Regierung, die wir erleben: unsere Familie (und dabei entscheidet nicht unsere eigene Familie unser politisches Verständnis, sondern unser Verhältnis dazu. Man kann die Art, wie man erzogen wurde, auch mehr oder weniger konsequent ablehnen). Wir verstehen unsere Gemeinschaft in Familienmetaphern, und das Regierungsoberhaupt als Vaterfigur (selbst Merkel, aber dazu kommen wir noch). Und es gibt ganz unterschiedliche Familienbilder.

Das konservative Familienbild ist das des strengen Vaters. Er entscheidet, ihm ist zu gehorchen, und das Gehorchen zahlt sich aus. Disziplin, Fleiß und Leistung führen zum Erfolg. Ungehorsam und Widerspruch führen ins Verderben. Im konservativen Veständnisrahmen ist Disziplin also moralisch gut, Widerspruch schlecht. Die Kinder sind dem Vater gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet.

Das progressive Familienbild ist das der unterstützenden Familien, in der gleichberechtigte Partner gemeinsam entscheiden und in der die Verantwortung geteilt wird. Hier sind auch die Eltern (Geschlechterrollen lösen sich auf) gegenüber den Kindern in der Verantwortung stehen. Es ist im Prinzip ein Modell der innerfamiliären Demokratie, in der jeder eine Stimme hat. Gemeinsamkeit ist gut, Empathie ist gut, Egoismus dagegen schlecht.

Wir alle haben verschiedene Verständnisrahmen, kaum jemand ist nur konservativ oder nur progressiv, aber wir können jede Frage nur mit jeweils innerhalb eines Rahmens verstehen und moralisch beantworten. Noch einmal: Was wir in welcher Frage gut finden, was wir für moralisch richtig halten, hängt nicht von den Informationen ab, die wir bekommen – sondern damit, welchen Rahmen wir mit der Frage verbinden. Die Frage ist, welchen Wert wir mit welchem Rahmen verlötet haben.

In diesem Sinne ist DSDS, wie Marco Schreyl es beschreibt, ein zutiefst konservatives Format: Leistung, Disziplin und Fleiß, unter den Augen des strengen Dieter Bohlen, führen zum Erfolg. Wenn Bild entgegen all unserer Erfahrung mit Popkultur schreibt, dass ein lügender, gewalttätiger oder möglicherweise gar Drogen konsumierender Halbsympath, der lieber feiert als etwas Vernünftiges zu tun, kein Star werden darf (sorry, Keith Richards!), dann entspricht das exakt dem konservativen Verständnisrahmen. Wer in der Gruppe der ursprünglich angetretenen Sänger der beste Teamplayer war, wer am meisten für die Gruppe getan hat, spielt überhaupt keine Rolle. Es gilt: Disziplinlosigkeit + Faulheit = kein Erfolg = schlecht.

Das ist die Offizielle Bild-Kampagne. Und sie ist aus meiner Sicht nicht angreifbar. Das kann man alles finden. Und trotzdem offenbaren sich darin die Probleme, über die Menschen grübeln, wenn ihnen ein Medium das unbestimmte Gefühl gibt, nicht die Wahrheit zu sagen, obwohl die dargestellten Fakten im Prinzip alle stimmen (und das bezieht sich keineswegs nur auf die Bild, sie ist nur so groß, dass sie sich als Beispiel am besten eignet). Das ungute Gefühl kommt daher, dass sich der Leser im für ihn falschen Rahmen bewegt. Es wäre zum Beispiel kaum denkbar, dass die Bild-Zeitung eine Kampagne zugunsten des verurteilten Schlägers gestartet hätte (vielleicht unter dem Motto „Resozialisierung“?) – sie wäre aus dem Rahmen gefallen.

Die Probleme sind erstens, dass die Wertung „schlecht“ eine moralische ist, und dass zweitens diese Rahmen – wenn sie einmal etabliert sind – auch in die andere Richtung funktionieren. Wer einmal akzeptiert hat, dass Disziplin und Fleiß zum Erfolg führen und der Erfolgreiche (weil er auf den „strengen Vater“ gehört hat) moralisch gut ist, der wird nicht umhin kommen, dem Erfolglosen unterbewusst Faulheit und Disziplinlosigkeit zu unterstellen und das moralisch verwerflich zu finden.

Wir erleben es pausenlos: Guido Westerwelle hat es (wenn nicht bewusst dann fahrlässig) geschafft, Hartz-IV-Empfänger zu faulen und damit moralisch schlechten Menschen abzustempeln. Das gleiche Schicksal traf gleich die gesamte griechische Bevölkerung im Zuge der drohenden Staatspleite. Und ohne Bushs Metapher vom „Krieg gegen den Terror“ wäre es wahrscheinlich unmöglich gewesen, Soldaten nach Afghanistan zu schicken, denn Terrorismusbekämpfung war bis dahin im Verständnisrahmen als Aufgabe für die Polizei und die Geheimdienste fest verankert. Das ist also die Inoffizielle Kampagne: Durch packende Metaphern den Verständnisrahmen so zu verschieben, das plötzlich die Ausnahme zur Regel wird, und der konservative Denkrahmen zur Grundlage der öffentlichen Diskussion. Wenn DSDS zur Metapher für das Leben wird, dann wird das Gemeinwesen von der Metapher des Gewinnens und Verlierens bestimmt – und jeder ist selbst schuld, wenn er es nicht packt.

In letzter Konsequenz ist es auch das, was Westerwelle offenbar versucht hat: Den Staat aus der Verantwortung für den Bürger zu nehmen, und im Gegenteil den Bürger verantwortlich zu machen für das Wohlergehen des Staates. So lange der Mythos aufrecht erhalten wird, dass jeder es aus eigener Kraft schaffen kann, ist auch jeder dafür verantwortlich, wenn er es nicht schafft. Im Zuge so einer Debatte wirkt jemand, der die ihm gesetzlich zustehenden Leistungen in Anspruch nimmt schon fast als als unverschämt. Es soll Hartz-IV-Empfänger gegeben haben, die Westerwelles Thesen zugestimmt haben. Und das ist verständlich: Er hat es praktisch geschafft, den Bezug von ALG II als moralisch falsch hinzustellen – und niemand ist gern schlecht. Da stimmt man lieber gegen seine eigenen Interessen.

Nun glaube ich nicht an objektive oder neutrale Medien und ich finde es nicht verwerflich, wenn ein Medium wie die Bild innerhalb eines konservativen Verständnisrahmens agiert. Man kann höchstens der progressiven Konkurrenz vorwerfen, dass sie zu doof ist, ihre Sicht der Dinge ähnlich effektiv zu vertreten. Worum es mir geht ist vor allem zu erklären, woher das Gefühl kommt, Geschichten in bestimmten Medien wären falsch oder tendenziös, obwohl die dargestellten Fakten richtig sind. Es geht dabei um eine Botschaft, die für Watchblogs wie den erfolgreichen Bildblog meist ungreifbar bleibt, weil sie sich nicht auf der Ebene von Fehlern oder bewusst einseitiger Berichterstattung abspielt, sondern unterbewusst.

Es hat aus meiner Sicht keinen Sinn, sich darüber zu ereifern, wie doof wohl viele Menschen sein müssen, um bestimmte Fernsehformate oder Zeitungen zu sehen und zu lesen. Sie sind es nicht. Sie werden nur innerhalb eines unterbewussten Verständnisrahmens abgeholt und (handwerklich gut) bedient. Diese Formate funktionieren, weil sie sich an dem orientieren, wie Menschen Informationen tatsächlich aufnehmen – und nicht an dem, von dem wir uns wünschen, dass es funktioniert. Meiner Meinung nach muss inzwischen, wo wir diese Zusammenhänge verstehen, verantwortungsvolles Medienmachen auch beinhalten, mit diesen Erkenntnissen umzugehen – und sie nicht nur denen zu überlassen, die behaupten, Erfolg in unserer Gesellschaft beruhe auf dem unerbittlichen Kampf Mann gegen Mann.

Bedeutet Wikileaks, klassischer Journalismus ist überholt?

Es ist eine Diskussion über den Berufstand der Journalisten entbrannt, seitdem die Organisation Sunshine Press über ihre Seite Wikileaks vor einer guten Woche das Videoband aus der Bordkamera eines US-amerikanischen Militärhubschraubers veröffentlichte, auf dem zu sehen ist, wie die Besatzung Feuer auf eine Gruppe Männer und (in einem Transporter nicht zu sehender) Kinder eröffnet. Bei dem Angriff kamen mindestens zwölf Menschen ums Leben, darunter auch zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Auf der Tonspur des Videos ist zu hören, wie sich die Soldaten gegenseitig zu den „guten Schüssen“ gratulieren. Es ist schwer erträglich. Und aus Nachrichtensicht ist es eine Sensation, denn das US-Militär hatte immer behauptet, die Handlungen wären im Rahmen der internationalen Regeln und der eigenen „Rules of Engagement“ verlaufen und die Toten hätten eine direkte Bedrohung für die Soldaten dargestellt. Das Video erzählt eine andere Geschichte. Offensichtlich halten die Hubschrauberbesatzungen die Kameras der Reuters-Mitarbeiter für Sturmgewehre und Panzerfäuste, aber sie eröffnen das Feuer auch dann erneut, als ein Van vorfährt, dessen Insassen offensichtlich nur den verletzten Kameramann mitnehmen wollen. Wikileaks richtete eine extra Seite für das Video ein, unter dem wenig subtilen Titel „Collateral Murder“.

Natürlich ist das eine große Geschichte, und die klassischen Nachrichtenorganisationen überall auf der Welt haben mit dieser Geschichte aufgemacht. Die Frage, die für Journalisten bleibt ist aber: Warum hatte nicht einer von uns dieses Video zuerst, irgendein Reporter einer angesehen Zeitung oder eines Fernsehsenders, ein Journalist, der für seine Enthüllungen berühmt ist – sondern eine durch Spenden finanzierte Webseite, die überhaupt keinen Hehl daraus macht, dass zu ihren Unterstützern eine Reihe von Organisationen mit einer politischen Agenda gehören?* Ist das, wie manche Kommentatoren mutmaßen, ein Beweis dafür, dass Informanten ihre Enthüllungen nicht mehr „der Presse“ anvertrauen wollen? Haben sie den Glauben an die Journalisten oder ihre Öffentlichkeitsmacht verloren?
Es sieht tatsächlich so aus, und ich sehe nicht, was „die Presse“ – und dazu zähle ich mich – gewinnen könnte, wenn sie das einfach immer weiter bestreitet. Wikileaks hat die Authentizität des Videos verifiziert, einordnende und erklärende Kommentare in das Video gebaut und es mit Untertiteln ausgestattet, die den Funkverkehr zwischen Schützen, Piloten und ihrem Offizier im Hauptquartier verständlich machen. Das ist ordentlicher Journalismus (und tatsächlich wird die Seite ja nach ihrer Selbstauskunft unter anderen von Journalisten betrieben). Wer Journalismus als die Aufgabe versteht, die Öffentlichkeit umfassend über alles zu informieren, was auf der Welt an wichtigen Ereignissen passiert, der kann sich über den Umgang mit diesem Fall eigentlich nur freuen.


Auf den ersten Blick schadet er der klassischen Presse trotzdem: Ein weiterer Nagel in den Sarg, der aus der Überzeugung gebaut wird, dass es den Journalismus, wie er ist, wohl bald nicht mehr braucht. Ein weiterer Nagel geformt aus dem Misstrauen, dass die klassischen Redaktionen und Reporter in dem, was sie tun, eigentlich nicht mehr besonders gut sind – sei es wegen mangelnder finanzieller und zeitlicher Möglichkeiten, wegen einer tieferen politischen Agenda oder aus perönlichem Unvermögen und Schludrigkeit. Warum hatte keiner von uns das Video? Nun, vielleicht gehört zur Antwort auch, dass wir uns eingestehen, dass unsere Aufgabe im Gegensatz zu der von Wikileaks – deren einzige Funktion darin besteht, bislang unbekannte Dokumente zu veröffentlichen – nicht so klar und eindeutig ist, wie wir es gerne hätten.

Ein Beispiel aus dem direkten Umfeld verdeutlicht das meiner Meinung nach: Im Dezember führten unter anderem der US-Sender ABC, die britische BBC und die ARD gemeinsam eine Umfrage in Afghanistan durch. Damals beurteilten 70 Prozent der Befragten die Entwicklung in Afghanistan optimistisch, und diese überraschend positive Zahl fand sich nach ihrer Veröffentlichung in vielen Nachrichten (z. B. hier und hier). Drei Monate später, am 11. März 2010, stellte eine „Red Cell“ genannte Gruppe bei der CIA ein Dossier zusammen, in dem Wege vorgeschlagen wurden, wie die Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerungen vor allem in Frankreich und Deutschland begegnet werden könnte. Ein Vorschlag darin: Auf den hohen Optimismus der Afghanen hinsichtlich der ISAF-Mission hinzuweisen könne nach Ansicht der CIA gut genutzt werden, um „den Aussagen der Kritiker [zu widersprechen], die Mission sei eine Verschwendung von Ressourcen.“ Die 70 Prozent Optimismus sollten genutzt werden, um den Deutschen zu vermitteln, dass ihr Engagement wirke. Das Dokument kann seit dem 26. März auf Wikileaks heruntergeladen werden.

Doch vorher hatte die Bundesregierung offenbar schon auf die Erkenntnisse aus Amerika reagiert: Jedenfalls erschien am 15. März in der FAZ ein Meinungsbeitrag der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), in dem sie für den Afghanistan-Einsatz warb. Zitat:

Jüngste Umfragen zeigen: Unser Engagement wirkt! Über 70 Prozent der Afghanen blicken optimistisch in die Zukunft, ebenso viele Menschen bewerten die Schulversorgung in ihrem Umfeld positiv.

Außerdem schlagen die CIA-Denker vor, die erneute Gefahr durch den Terrorismus im Fall eines Abzuges zu betonen und sie gehen davon aus, dass „eine Betonung der multilateralen und humanitären Aspekte [der Mission] helfen könnte, die Abneigung der Deutschen gegen jede Art von Kriegführung besänftigen und an ihren Wunsch appellieren könnte, an multinationalen Missionen teilzunehmen.“ Bei Cornelia Pieper findet sich das vier Tage später so:

Afghanistan nach mehr als 20 Jahren Krieg und Zerstörung wieder aufzubauen und die Gefahr des Terrorismus einzudämmen – mit diesem Ziel ist die internationale Gemeinschaft seit 8 Jahren in Afghanistan aktiv.

Und, um es gleich vorweg zu sagen: Das ist überhaupt kein Skandal. Im Gegenteil: Die CIA ist genau dafür da, die US-Regierung über die Lage, auch die Stimmungslage, in der Welt zu unterrichten, und die Schlüsse, die sie ziehen, sind einigermaßen vernünftig, wenn man denn PR für den Einsatz in Afghanistan machen will. Es kann auch durchaus sein, dass das Auswärtige Amt ohne jede Hilfe aus Langley oder Washington auf dieselben Argumente gekommen und der zeitliche Zusammenhang ein Zufall ist. Aber das Ergebnis bleibt: Die FAZ sieht bei einem oberflächlichen Blick für den Leser plötzlich aus wie eine Abwurfstelle für Regierungspropaganda. Und Wikileaks sieht aus wie eine Organisation, die solche Propaganda entlarvt.

Das Grundmisstrauen gegenüber Staaten und Politikern wird längst auf die Presse ausgedehnt. Auf gefühlt unabhängige Webseiten aber nicht. Das war einmal genau anders herum: Bisher galt eher das Credo, dass „im Internet jeder schreiben kann, was er will“, während in der Presse sorgfältig geprüft wurde. Diese Zeit scheint nun vorbei.

Ich bin überzeugt, dass hierin eine Lehre steckt, über die es sich lohnt nachzudenken. Es scheint für mich so, als würden die Leser heute hinter einer Webseite eher einen Menschen vermuten, den man ansprechen kann, als hinter einer Verlagsmauer oder in einer Senderzentrale. Die journalistischen Institutionen und ihre Insignien verlieren ihren vertrauenerweckenden Status an jene, die einfach erreichbar sind. Mensch schlägt Medienmaschine. Das ist keine schlechte Nachricht. Wenn man richtig damit umgeht.

*Um diesen Satz ist, wie in den Kommentaren nachzulesen, eine kleine Diskussion entbrannt. Deshalb zur Klarstellung: Dass sich die Seite durch Spenden finanziert heißt nicht, dass sie sich von diesen Spendern abhängig macht, sondern nur – genau anders herum –, dass diese Spender in der Seite offenbar eine unterstützenswerte Einrichtung sieht. Etwas anderes wollte ich nicht behaupten, aber offenbar ist mein Satz missverständlich formuliert.