Ich krieg die (Rechnung für die) Krise

Im Prinzip ist die Vorstellung nur folgerichtig, dass Griechenland unter die Aufsicht verantwortungsbewussterer Völker gestellt werden sollte – jedenfalls dann, wenn man die Berichterstattung zum Thema glauben wollte. Und Angela Merkel hat sich sehenden Auges in die Situation gebracht, dass sie ihrem Wahlvolk eine Politik verkaufen muss, die mit der Realität wenig gemein hat, weil sie bis heute die Aufgabe scheut, die Probleme der Euro-Zone richtig zu erklären. Das hat absurde Folgen: Weil die wahren Hintergründe – die Konstruktionsfehler des Euro – nicht erklärt wurden, kann die wahre Krise auch nicht bekämpft werden, und gleichzeitig müssen die Staatschefs, die sich zu immer neuen Gipfeln treffen, jedesmal vorspielen, sie glaubten tatsächlich an die erreichten Kompromisse, bis sie ein paar Tage später wieder zerrieben sind.

Dabei sprechen die Fachleute die Wahrheit ganz gelassen aus. In der FAZ antwortet der Chefvolkswirt von Goldman Sachs Jan Hatzius trocken auf die Frage:

Was haben wir aus Ihrer Sicht für eine Krise?

Eine der Zahlungsbilanz, die wesentlich aus dem Aufbau privater Schulden resultierte und die über private Kapitalzuflüsse in die Euro-Peripherie finanziert wurde.

Denn das ist der Kern. In einer Währungsunion mit großen Produktivitätsunterschieden, wo beispielsweise Deutschland bei 125 des Mittelwertes liegt und Griechenland bei 85 Prozent – und das sind noch nicht einmal die extremsten Werte nach oben und unten – verschieben sich die Leistungsbilanzen. Das Geld, das aus den weniger produktiven ab- und in die produktiveren fließt muss irgendwo hin, und wie wir wissen ist es zum Beispiel in Deutschland nicht in Löhne geflossen, sondern als Investition wieder zurück in die europäische Peripherie – in Immobilien in Spanien oder in griechische Staatsanleihen. In Finanzprodukte. Hans-Werner Sinn, der mich so sehr nervt, dass ich gerade keine Lust habe das genaue Zitat rauszusuchen, nennt das sinngemäß „Porsche Cayenne gegen Schuldverschreibungen verkaufen“ – und es funktioniert nur, weil die Institute, die all diese „Finanzprodukte“ verkaufen, das Risiko auf die Steuerzahler abwälzen. Die Arbeitnehmer bezahlen, wenn etwas schiefgeht, im Moment in Spanien, Griechenland, Irland und Portugal, aber spätestens mit der unausweichlichen griechischen Umschuldung auch in Deutschland. Die Politik baut Rettungspakete für die Banken, während die griechischen Staatsschulden trotz aller so genannten „Hilfen“ nur weiter steigen. Wenn diese Krise durch Staatsverschuldung ausgelöst wäre, müsste Spanien besser dastehen als Deutschland, weil der spanische Staat besser gewirtschaftet hat als der deutsche. Aber darum geht es eben nicht. Deshalb ist die Krise auch durch Konsolidierung nicht zu lösen (unbenommen der Tatsache, dass im griechischen Staatswesen sehr viel schief gelaufen ist und noch läuft, aber das ist eben ein anderes Problem).

Die bizarre Leistung der Kanzlerin ist, dass sie es geschafft hat zu verschweigen, dass die Grenzen dabei nicht zwischen Ländern verlaufen, wie es in der Diskussion um „die Griechen“ (aber letztlich genauso um Spanien und Italien) glauben macht. Sie verlaufen zwischen oben und unten, zwischen Zinszahlern und Zinsempfängern – und die Nationalstaaten samt ihrer Regierungen sind vor allem willfährige Helfer beim Sichern der Gewinne.

An der Fehlkonstruktion des Euro ändert all das nichts. Kein Rettungspaket macht auch nur kleine Schritte in die richtige Richtung. Aber um die Illusion aufrecht zu erhalten, werden Sparpakete installiert, die dazu führen, dass mitten in Europa Menschen ohne Heizung der Winterkälte trotzen müssen, weil das Heizöl so teuer geworden ist. Es ist eine Schande. Und ein „Sparkommissar“ ist das letzte, was es in dieser Situation noch braucht.

Reconstructing Heveling

Es ist wirklich schwierig zu entscheiden, welcher Abschnitt des irrenfulminanten Textes des CDU-Bundestagsabgeordneten Ansgar Heveling im Handelsblatt zu Geistigem Eigentum Urheberrecht Irgendwas mit Internet am schönsten ist. Aber ich entscheide mich für das hier:

Welche Hybris! Lasst euch gesagt sein: Das Wissen und vor allem die Weisheit der Welt liegen immer noch in den Köpfen der Menschen. Also, Bürger, geht auf die Barrikaden und zitiert Goethe, die Bibel oder auch Marx. Am besten aus einem gebundenen Buch!

Ich liebe zunächst das Aufgeregte. Der Autor ruft, er klagt, er prangert an! Er wechselt außerdem mittendrin den Empfänger seiner Botschaft, von „den Googles und Wikimedias“ zu den Bürgern. Also, dem Bürger, woran mir besonders gefällt, dass „der Bürger“ in der Einzahl abgegrenzt wird von „den Köpfen der Menschen“ in der Mehrzahl, die voller Weisheit sind, was folgerichtig dazu führt, dass der Bürger offensichtlich die Weisheit nicht im Kopf hat sondern aus einem Buch zitieren muss, eigentlich sogar scheißegal welchem, so lange es gebunden ist und nicht aus dem Kindle-Store.

Aber wenn man diese Barrikade fände, könnte man dann nicht vielleicht auch aus dem Handelsblatt zitieren?

Kai Diekmann beschimpfen

Den Impuls, den Chefredakteur der Bild-Zeitung telefonisch zu beschimpfen kann man schwerlich jemandem übelnehmen. Und grundsätzlich müssen Journalisten bereit sein, Kritik an ihrer Arbeit zu ertragen, selbst wenn sie nicht ganz sachlich vorgetragen wird – und sei es nur deswegen, weil Journalisten auch davon leben, selbst Kritik in allen möglichen Formen vorzutragen. Dass allerdings der Bundespräsident auf die Idee kommt, einem Journalisten zu drohen, gleich die Verbindungen zu dem gesamten Verlag abzubrechen, ist in einer Größenordnung dämlich, die an seiner Eignung zweifeln lässt. Hat er wirklich geglaubt, das käme niemals heraus? Selbst wenn Diekmann es nicht so herumerzählt hätte, dass es nun in allen Zeitungen steht (und ich gehe davon aus, dass anders eine Nachricht auf seiner Mailbox nicht öffentlich werden konnte, oder ist das naiv, Rupert Murdoch?), hätte sich doch mit Sicherheit zumindest in der Branche herumgesprochen, was für ein schlechtes Gewissen Wulff in Bezug auf seinen Hauskredit offensichtlich hat. Vielleicht ist Erpressbarkeit ein zu großes Wort für den Zustand, der dann eingetreten wäre, aber wäre es diesem Bundespräsidenten tatsächlich lieber gewesen, ausschließlich ein paar ausgewählte Bild-Mitarbeiter wüssten um diese Schwachstelle in seiner Kreditbiografie? Das macht mir noch mehr Angst als die kleinen, streng riechenden Details die da Tag um Tag ans Licht kommen.

Nach Helmut Schmidt zählen sich auch Journalisten zur Politischen Klasse, und Wulff mochte offenbar genug darauf vertrauen, dass die kleinen Sauereien innerhalb dieser Klasse möglicherweise zur Verhandlungsmasse werden können, wenn man darüber redet, wie „ein Krieg ablaufen soll“, dass sie aber trotzdem dem gemeinen Volk gegenüber geheim bleiben können. Angesichts der langen, erfolgreichen Karriere, die Wulff als Politiker gemacht hat, dürfte er da aus Erfahrung sprechen. Und wenn dem so ist muss die Frage erlaubt sein, wie denn aus dieser Klasse überhaupt ein Bundespräsident hervorgehen will, dem die Bevölkerung dann geradezu naives Vertrauen entgegenbringen soll.

Der Schritt von Wulff, Journalisten einen Deal anzubieten (nämlich den, weiter mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn sie eine Geschichte unterdrücken) ist nur ein weiterer Tropfen Gift in diesem Endlager voller strahlender Fässer. Aber wenn der oberste Repräsentant unseres Staatswesens in seiner für politische Positionen einzigartigen Unangreifbarkeit nicht in der Lage ist, seine Taten seinen wohlklingenden Reden anzupassen, welcher Politiker soll es dann sein?

Allerdings nähme ich das alles hier zurück, wenn sich herausstellte, dass Christian Wulff seit Jahren jeden Tag Kai Diekmann am Telefon wegen praktisch aller Bild-Geschichten beschimpft, und es nur zufällig an diesem einen Tag einmal um seine eigene ging. Es ist ja auch nicht alles juristisch rechtens, was richtig ist.

Der Fall Köhler

Es ist sicher eine interessante Zeit, um Horst Köhler zu sein: Sein Nachfolger als Bundespräsident ist wegen seiner Kleingeistigkeit unter Beschuss, die es ihm offensichtlich nicht erlaubt hat, zu gegebener Zeit dazu zu stehen, dass er sich nach seiner Scheidung aus eigener Kraft kein Walmdachhaus leisten konnte. Und sein, Köhlers, eigener Rücktrittsgrund erhält plötzlich neue Aktualität dadurch, dass die von ihm in einem Nebensatz geäußerte und danach heftig kritisierte Feststellung, die Bundeswehr müsse gegebenenfalls auch ökonomische Interessen Deutschlands verteidigen, möglicherweise dem Realitätscheck unterzogen wird. Denn sollte der Iran tatsächlich die Straße von Hormus für den Schiffsverkehr schließen, können wir uns nur noch entscheiden zwischen der Möglichkeit, unseren Ölverbrauch schlagartig so weit zu senken, dass weite Teile der Wirtschaft zusammenbrechen, oder eben mit Waffengewalt (der Bundeswehr oder stellvertretend anderer Armeen) den Handelsweg freizuschießen, was exakt das Szenario ist, auf das Köhler damals hingewiesen hat – und für dass er als Verfassungsbrecher und Möchtegern-Imperialist angegriffen wurde.

Köhler hat recht behalten. Sein Rücktritt war trotzdem falsch. Aber das wird er sich angesichts seines Nachfolgers wohl selbst am meisten vorwerfen.