Reiche Esel: Der SPIEGEL hetzt langsam, aber dafür irre

Ich weiß, ich bin spät, aber immer noch schneller als DER SPIEGEL: Einige Wochen, nachdem eine „EZB-Studie“ einige Zahlen so vermischte, dass man daraus unter Umgehung von Konzepten wie „Realität“ hätte schließen können, dass südeuropäische Privathaushalte reicher sind als nordeuropäische, hat das Nachrichtenmagazin in der vergangenen Woche eine Titelgeschichte dazu gemacht. Unter der Titelzeile „Die Armutslüge“ saß da ein wahrscheinlich griechischer Kleinbauer auf einem Esel, vor der Sonne geschützt durch einen Schirm mit Europa-Symbolen, aus den Lastkörben des Esels wehten Euro-Noten und der Esel hatte einen schwarzen Balken über den Augen, so wie Verdächtige in Medien unkenntlich gemacht werden. Insgesamt ein Titel, der an rassistischen Anspielungen deutlich stark genug für ein NPD-Plakat gewesen wäre. Und das wie gesagt nicht nur Wochen nach der „Studie“ (die eher eine Art wilde Zahlensammlung ist und explizit nicht so gelesen werden soll oder kann, wie DER SPIEGEL tut). Auch Wochen, nachdem jedes Argument in Richtung der Lesart, die den Redakteuren offensichtlich nahegelegt wurde, längst kompetent öffentlich widerlegt wurden (elegant und sauber zum Beispiel von Jens Berger hier).

Ich möchte mich hier nur um ein Kernargument des SPIEGEL kümmern, weil ich glaube, dass diese Geschichte in voller Absicht wahrheitswidrig aufgeschrieben wurde, weil der SPIEGEL inzwischen offensichtlich verzweifelt nach irgendeiner Art von Deutungshoheit sucht (die Spiegel-Online übrigens, nur nebenbei, im Bereich der Online-Medien lässig innehat).

Also hin zu den so genannten Argumenten, die der SPIEGEL gebraucht, unterzeichnet von gleich acht Autoren. Eins der großen Probleme der „Studie“ ist, dass es die Altersversorgung extrem unterschiedlich bewertet. Meine Schwester zum Beispiel ist Lehrerin in Griechenland und verdient dort natürlich nur einen Bruchteil dessen, was eine Lehrerin in Deutschland verdient. Sie wird auch einmal nur einen Bruchteil der Rente/Pension bekommen, die sie in Deutschland bekäme. Sie sorgt also erstens privat stärker vor und zweitens haben sie und ihr Mann – wie in Südeuropa üblich – die Wohnung gekauft (in diesem Fall gebaut), in der sie wohnen. Die „Studie“ der EZB wertet sowohl die Wohnung als auch die private Vorsorge als Vermögen, die Rentenansprüche der deutschen Lehrerin aber nicht. So ist meine Schwester plötzlich vermögender als ihre deutsche Kollegin, obwohl sie Zeit ihres Lebens weniger Geld hatte und haben wird.

DER SPIEGEL findet das total richtig. Das ist natürlich schwierig zu verargumentieren, weil man dazu die Realität ausblenden muss, aber einem echten Nachrichtenmagazin, das acht Autoren an eine einzige Geschichte setzen und diese von ihren legendären Dokumentaren checken lassen kann, ist offensichtlich nichts zu schwer. So kommt also dieses Argument zustande:

Bei den Ansprüchen an die staatliche Alterskasse handelt es sich nicht um Vermögensbildung im klassischen Sinne, eher um ein Versprechen, dessen Einlösung fraglich ist.

Doch, das steht im SPIEGEL. Nochmal: In der Realität ist es gerade eher so, dass Menschen in Südeuropa mit „klassischer Vermögensbildung“ bei einer Bank Gefahr laufen, ihr Geld nicht wieder zu sehen, aber beim SPIEGEL behauptet man, Südeuropäer wären reicher als Deutsche, weil die deutsche Rentenversicherung und Pensionskassen nur ein Versprechen sind, dessen Einlösung fraglich ist? Was genau ist dann eigentlich nicht fraglich? Jedenfalls ganz offensichtlich nicht die Immobilienpreise in Südeuropa, denn den Immobilienbesitz rechnet ja DER SPIEGEL voll ein – obwohl es zum Beispiel in Athen gerade fast völlig unmöglich ist, eine Wohnung zu verkaufen.

Für mich ist fraglich, wie weit man sich als SPIEGEL-Redakteur oder -Dokumentar oder -Autor oder -Irgendwas eigentlich verbiegen muss, um unter einem rassistischen Cover eine Lügengeschichte zu basteln, deren Kernargumente so hanebüchen sind, dass es an Recherche nicht mehr bedurft hätte als ein einfaches Öffnen der Augen, um zu erkennen, was für eine alte Scheiße man da erzählen soll. Acht Autoren, unter anderem die Athen-Korrespondentin, die offensichtlich nicht widerspricht wenn man behauptet, Athener wären reicher als Hamburger? Na, danke.

Ich weiß nicht, ob das noch Mascolo zu verantworten hatte, aber meiner Meinung nach reicht es für die Rettung dieses Heftes schon längst nicht mehr, nur einen rauszuschmeißen. Wer verzweifelt zu solchen Mitteln greift, um wenigstens die Aufmerksamkeit der heimlichen Dumpfdeutschen zu wecken, der hat höchstens Verachtung verdient. Denn das es hier keinen journalistischen Antrieb gab, diese Geschichte zu schreiben, ist offensichtlich. Und eklig.

Logik für alle!

Pech beim Denken entsteht zumindest meiner Beobachtung nach gar nicht unbedingt durch Fehler, sondern dadurch, dass man zu früh damit aufhört. Der „Starinvestor“ George Soros legt im SPIEGEL sehr sachlich dar, was die Optionen für Europa sind: nämlich deutlich mehr oder deutlich weniger gemeinsame Finanzpolitik, letztlich entweder eine Auflösung in kleinere Einheiten (bis hin zurück zu Nationalstaaten) oder eine echte Währungsgemeinschaft inklusive gemeinsamer Schulden. Und er legt dar, warum es sinnvoller ist, dass Deutschland den Euro verlässt und nicht ein (oder alle) so genannten Krisenstaaten.

Es ist wahnsinnig lustig, die Kommentare der Leser darunter zu lesen, die ziemlich exakt die Diskussionen widerspiegeln, die ich regelmäßig habe: Nach Ansicht vieler Deutscher sollte Deutschland auf keinen Fall den Euro verlassen, weil die nächste Währung (nennen wir sie D-Mark) sofort aufwerten würde, und Leben mit einer zu starken Währung bedeutet weniger Exporte, also weniger Arbeitsplätze und dadurch sinkende Einkommen, eine kontraktierende Wirtschaft, letztlich viel, viel Elend. Wir wollen nicht mit einer zu starken Währung leben.

Wenn wir aber exakt dasselbe, nämlich eine zu starke Währung, südeuropäischen Ländern aufdrücken, dann sind diese selber Schuld.

Man bräuchte nur auf alle Fälle dieselbe Logik anwenden, dann wäre man in der Analyse kongruent und könnte endlich anfangen, die echten Probleme nachhaltig zu lösen.