Lieber Journalismus, wir müssen reden

Die Branche, jeder weiß das, ist durch und durch korrupt. Fast kann man sagen, dass es schon eher die Ausnahme ist, wenn irgendwo das drinsteht, was außen angepriesen wird. Die Produkte sind oftmals unter nachlässigsten Bedingungen produziert, von Menschen, die gerade noch so das Nötigste dafür bekommen, an Mitteln und an Bezahlung. Quantität geht weit über Qualität, und der allergrößte Teil der Kundschaft ist ohnehin an nichts interessiert als daran, möglichst nichts für die Produkte zu bezahlen. Und obwohl neue Technik das gesamte Gewerbe in den letzten Jahrzehnten revolutioniert hat, werden nicht nur die Möglichkeiten kaum ausgeschöpft, selbst althergebrachte Standards werden pausenlos unterlaufen: weil es alle machen; weil die Ausbildung so schlecht ist, dass an sich Ungeheuerliches normal erscheint; oder weil echte Kriminelle am Werk sind. Allen Sonntagsreden zum Trotz verschwinden die letzten verbliebenen Qualitätsproduzenten von diesem Scheiß-egal-Markt, weil niemand ihre Arbeit honoriert. Es könnte sein, dass bald kein einziger mehr übrig ist. Das ist nicht einmal unwahrscheinlich.

Die Rede ist von Olivenöl, dem eigentlich schönsten Produkt der Welt. Wovon denn  sonst?

Bleiben Sie kurz bei mir: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift BEEF ist eine Geschichte, die ich geschrieben habe, über Olivenöl. Oder, wenn man es genauer nimmt, über die Suche ganz verschiedener Männer nach dem besten Olivenöl der Welt – weil wir in Wahrheit nach Jahrtausenden erst langsam in die Position kommen, das ganze Potenzial dieses einzigen Fruchtsaftes unter den Ölen wirklich auszuschöpfen (Olivenöl war über Jahrtausende zwar wertvolle Medizin, Brennstoff und rituelle Substanz, aber keine Nahrung. Es war bis zur Einführung der Zentrifuge in die Mühlentechnik in den Siebzigerjahren sowieso von Anfang an ranzig).
Die Recherche für diese Geschichte begann vor anderthalb Jahren, als ich Conrad Bölicke kennenlernte: Wahrscheinlich der deutsche Olivenölpapst, in jedem Fall ein Mann, der unvorstellbar viel über die Materie weiß. Vor 18 Jahren hat er eine Firma gegründet, die Spitzenöle kleiner, feiner und wie ich gleich noch erläutern werde auch sonst besonderer Produzenten direkt vermarktet. Das System funktioniert in etwa so: Er bezahlt den Produzenten mehr, als sie beim Verkauf an die üblichen Konzerne verdienen würden, und über die Direktvermarktung bleiben die Öle trotzdem für die Endkunden bezahlbar.

Das ist der erste Schritt. Es kommen zwei noch wichtigere: Zum einen bietet das Konzept die Möglichkeit, dass die Kunden die Produzenten (medial und bei Veranstaltungen auch direkt) selbst kennenlernen können. Und zweitens verpflichtet sich jeder Produzent einem großen Ziel: Immer besser zu werden. Denn tatsächlich gibt es immer noch keine Olivenfachschulen in Europa, werden die Mühlen immer noch betrieben von Mechanikern, die viel über Maschinen wissen und wenig über Oliven, und gleichzeitig denkt jeder Grieche, Spanier und Italiener, er oder zumindest sein Onkel machten ohnehin das beste Öl der Welt, zu lernen gäbe es da nichts mehr. Deshalb braucht es die besonderen Produzenten: Sie stellen sich zunächst mal gegen eine ganze Kultur. Im Ernst und bei allerZurückhaltung: Die Geschichte in BEEF ist wirklich ganz interessant.

Aber mich beschäftigt dabei noch etwas anderes: Die Art und Weise dieser Männer, mit der (ewigen) Krise ihrer Branche umzugehen. Sie machen nämlich die Dinge ganz einfach so, wie sie sein sollten: Sie stellen die höchste Qualität her, verbessern sich dabei trotzdem immer weiter und finden die Kunden, die tatsächlich bereit sind, für die ehrliche Qualität zu bezahlen. Das ist das eine. Das andere ist: Alle Kunden, die nicht bereit sind dafür zu bezahlen, fressen den Scheißdreck, der als Olivenöl verpackt im Supermarkt steht.* Mir persönlich kommt das bekannt vor: Es ist der Weg, der im Journalismus seit Jahren behauptet wird. Aber so wenig, wie aus minderwertigem Lampantöl „Extra Vergine“ wird, nur weil man in Brüssel so lange lobbyiert, bis es legal ist (doch!), so wenig wird aus Quatsch „Qualitätsjournalismus“, nur weil man es behauptet.

Aber das ist nur der erste Gedanke, das erste Gefühl, das auftaucht, wenn man in einem Olivenhain in der Nähe von Korinth steht, über das Land sieht und fast schon körperlich spürbar all das einatmet, was der Olivenbaum und seine Frucht bedeuten. Sie sind in jeder Hinsicht Nahrung, sind Kulturgut, das Symbol und gleichzeitig die Erfüllung dessen, wofür es steht: Nahrung und Lebensgrundlage, gleichzeitig prägend für und geprägt von ihrer Heimat. Ihre Geschichte ist so reich, dass man praktisch jede andere Geschichte der Welt damit verknüpfen kann. Man könnte die ganze Geschichte der südeuropäischen Krise an der Olive entlang erzählen, wenn man wollte. Natürlich könnte man das: Sie ist das wahre Leben. Es macht einen Unterschied, ob es den Oliven gut geht oder nicht. So wie es für die Menschen einen Unterschied macht, ob sie echtes, ehrliches Olivenöl essen oder nicht**.

So wie es für die Verfasstheit jeder Gesellschaft wichtig ist, dass die echten, ehrlichen Informationen fließen. Die Frage, die sich dabei aufdrängt – mir aufdrängt – ist: Sind Journalisten da noch die richtigen? Wenn diese Männer, Conrad Bölicke zum Beispiel, oder Dimitrios Sinanos, der Olivier in Korinth, wenn sie ihr Produkt herstellen, dann machen sie den Boden besser. Wenn sie es verkaufen, machen sie ihr Dorf besser, ihre Gemeinde, sie machen das Leben ihrer Kunden besser. Und wenn sie darüber reden, wie und warum sie es machen, dann transportieren sie Werte, die nach meiner Erfahrung in meiner Branche, dem Journalismus, in den vergangenen Jahren immer lauter behauptet und immer weniger gelebt wurden.

Ich habe nichts anderes gelernt als meinen Beruf, deshalb kam es für mich sehr überraschend, als Conrad mich vor kurzer Zeit gefragt hat, ob ich in meinem Leben nicht noch einmal etwas Vernünftiges machen will: das, was er macht. Wenn man ihn fragt dann heißt das eigentlich: Die Welt ein bisschen mehr so machen, wie sie sein sollte.

Journalist bleibt man ja irgendwie für immer. Ich auch. Aber jetzt eben vor allem im Herzen, in der Realität nur in sehr ausgewählten Fällen.***

Wenn Sie, wenn Ihr, aber ein echtes, ehrliches, großartiges, aufregendes, besonderes Olivenöl sucht – und das sollte jeder tun –, dann gerne bei arteFakt, denn da bin ich ab sofort und verbinde meine Liebe zum Mittelmeer, zum Essen, zur Kultur und nicht zuletzt auch irgendwie die zur Kommunikation mit meinem Lebensunterhalt.

Ich werde an dieser Stelle davon berichten. Wünscht mir Glück.

HainKlenia

 

*(und damit meine ich nicht nur die ganzen Öle, die in den Tests durchfallen. Selbst die besseren Supermarktöle sind regelmäßig nur durch die lächerliche EU-Olivenölverordnung überhaupt legal als „extra nativ“ im Handel. In Wahrheit ist das sehr oft minderwertiger Schmodder).

**(all die Wunder, die Olivenöl in Bezug auf Herz und Gefäße zugesprochen werden sind wahr – wenn man gutes Öl isst. Und Öl kann noch viel mehr).

***(das sind zunächst mal meine Kolumnen in GQ und Emotion, zwei Redaktionen, denen ich sehr dankbar bin und die meinen Schritt mit amüsiertem Interesse verfolgen).