Zirkeltraining

Die griechische EU-Kommissarin für Fischerei, Maria Damanaki, hat auf ihrer privaten Webseite einen Appell an das griechische Volk gerichtet, vor allem wohl an die Opposition, zur Rettung des Euro das harte Sparpaket der Regierung weiter mitzutragen. Dabei warnt sie drastisch, sogar das Szenario eine Euro-Austrittes des Landes „liege auf dem Tisch“. Natürlich stürzen sich alle Medien darauf, bild.de interpretiert die Worte sogar in einer Bildunterschrift als

Klartext aus Brüssel: Die griechische EU-Kommissarin hält die Rückkehr zur Drachme nicht für unwahrscheinlich

Und besonders freut sich Spiegel-Online über diese Meldung, denn

SPIEGEL ONLINE hatte bereits berichtet, dass das Land den Austritt erwäge.

Das ist insofern witzig, als Damanaki natürlich nicht behauptet, es läge irgendwo ein Ausstiegsszenario auf dem Tisch. Der Satz „liegt auf dem Tisch“ bedeutet hier so viel wie „steht im Raum“ – und da Spiegel-Online bis heute das einzige Medium ist, das ein entsprechendes Papier aus dem deutschen Finanzministerium zugespielt bekommen haben will (was immer noch keine griechischen Erwägungen belegen würde, sondern nur deutsche Berechnungen, die es selbstverständlich gibt), kann sich Damanaki mit diesem Satz auch nur auf ein Szenario beziehen: Auf das eine, das Spiegel-Online in den Raum gestellt hat nämlich. Damit hat sich Spiegel-Online in diesem Punkt selbst belegt.

Damanaki bekräftigte ihre Warnung mit den Worten

„Ich muss das offen sagen: Entweder einigen wir uns mit unseren Kreditgebern auf ein Programm mit harten Opfern … oder wir kehren zur Drachme zurück“

Was eine bemerkenswert dämliche Formulierung für eine Politikerin ist, aber wenn man den Zusammenhang und den Adressaten ihrer Rede kennt, ungefähr so viel bedeutet wie: „Entweder wir einigen uns … oder wir werden alle sterben!“ Um es kurz zu machen: Damanaki befürchtet einen Euro-Austritt, so wie wir den Absturz eines Flugzeuges auf ein Atomkraftwerk fürchten. Eine Schlagzeile ist das in Wahrheit nur, wenn man sie nicht verstehen will.

Journalitsen sind Hedlen!

Unsere neue, vom – wenn man der BILD-Zeitung folgt – ehemaligen Bundesverteidigungs-Messias Karl-Theodor zu Guttenberg offenbar brillant eingestielte Bundeswehr, hat vor einiger Zeit in einer großen Kampagne exklusiv in BILD, BamS und auf bild.de um Nachwuchs geworben. Das hat dem Springer Verlag zwar angeblich 600.000 Euro eingebracht, aber auch eine neue Herausforderung: Schließlich sucht das Haus selber auch Nachwuchs, nämlich Bewerber für die hauseigene „Modernste deutsche Journalistenschule“, die Axel-Springer-Akademie. Neben den spannenden Jobs bei der Bundeswehr sahen die Anzeigen aber möglicherweise doch zu lahm aus – schließlich sind Journalisten nicht nur unbeliebt, sie sitzen in Wahrheit ja auch noch den ganzen Tag an Schreibtischen herum und sind, wenn sie denn mal raus dürfen, auf allen Veranstaltungen die am schlechtesten angezogenen.

Dann aber ist jemand auf eine Idee gekommen, und ich werde gar nicht versuchen, mir auszumalen, wie. In der Folge jedenfalls wirbt die Axel-Springer-Akademie für den nächsten Jahrgang nun Nachwuchs mit einem ebenso schlichten wie größenwahnsinnigen Slogan:

Journalisten sind Helden

Das Banner leitet auf eine Seite der Akademie, auf der dieser eher unbescheidene Claim dann weiter ausgeführt wird.

Womit zumindest belegt wäre, dass einige Journalisten Helden sind. Auffällig dabei ist natürlich, dass kein deutscher Kollege dabei ist, aber so auf Anhieb … noch bizarrer ist allerdings die merkwürdige Timeline, die von 1977 nach 2004 springt, nur um dann wieder nach 1979 zurückzukehren. Und, ganz ehrlich, 2004 ist schon Quatsch, denn selbst hier wird ja offen zugegeben, dass Hersh bereits 1969 zum ersten Mal zum Helden wurde, als er das Massaker von My Lai aufdeckte. Da wäre es dann fast schon albern, anzumerken, dass Fallaci natürlich nicht die erste war, die Khomeini öffentlich kritisierte, sondern die erste Journalistin, die es von Angesicht zu Angesicht tat – also eben nicht nur öffentlich. Während die Seite also bis hierhin verdeutlicht, dass es im Journalismus zumindest vor 30, 40 Jahren einmal Helden gegeben hat, wächst gleichzeitig das unschöne Gefühl, dass es heute möglicherweise eher „Journalisten sind Herden“ heißen müsste.

Ein bisschen wirkt es so, als hätten die Bewerber des letzten Jahrgangs diese Seite gestaltet, und zwar hoffentlich nicht die, die letztlich angenommen wurden. Denn es geht noch weiter: Wer seine Eignung als Journalisten-Anwärter testen will, der kann hier den Wissenstest, der Teil des Aufnahmeverfahrens ist, einmal durchspielen. Die erste Frage lautet:

Frage 1 Wissenstest
Es waren natürlich mehr Länder in den Schlagzeilen, es reichen also vier von diesen vielen Ländern. Allein im Nahen Osten und Nordafrika war da einiges los. Jemand wie ich, dessen zeitliche Orientierung innerhalb eines Jahres sich leider weit gehend um die Fußball-Bundesliga und die Formel-1-Saison herum drapiert, erinnert sich dann zum Beispiel daran, dass der Saisonstart der Formel 1 Mitte März in Bahrain wegen Unruhen im Land abgesagt wurde. Außerdem gab es da diesen bizarren Machtkampf an der Elfenbeinküste, wo der abgewählte Präsident einfach nicht gehen wollte. Und so weiter. Könnte man denken. Sollte man aber nicht. Denn die Antwort ist, laut Axel-Springer-Akademie, diese hier:

Wissenstest Antwort Frage 1

Und damit klärt sich dann wahrscheinlich auch das Rätsel um den merkwürdigen Claim. Es war ein Missverständnis. Ich sehe Marc-Thomas Spahl, den Leiter der Akademie, deutlich vor meinem inneren Auge, wie er kopfschüttelnd dasteht und sagt: „Ihr seid mir vielleicht Helden: Journalist werden wollen, aber nichtmal Libyen und Marokko richtig schreiben können!“

PS. Im eigenen Blog der Akademie beschreibt Marc-Thomas Spahl, wie es eigentlich gedacht ist (Hinweis: anders).

PPS. Die Akademie hat die Rechtschreibfehler im Wissenstest jetzt korrigiert.

Wie weit sind wir gekommen, wenn BILD nichts mehr vom Pöbeln versteht?

Für manche zart besaitete Seele ist die Arbeit in Redaktionen in den Momenten schwierig, in denen zu entscheiden ist, wie viel Realität der Öffentlichkeit zumutbar ist. Fotos von Verbrechens- oder Unfallopfern zum Beispiel sind oft unzumutbar – aber der arme Redakteur muss sie sich natürlich ansehen, um zu entscheiden, ob sie zur Veröffentlichung taugen. Oder jetzt, wo offenbar griechische Zeitungen gegen UNSERE KANZLERIN PÖBELN, obwohl sie doch nur KLARTEXT GESPROCHEN HAT, als sie feststelltebehauptete, die Südeuropäer würden früher in Rente gehen und mehr Urlaub machen als wir. Selbst, wenn die BILD inzwischen festgestellt hätte, was alle anderen Medien längst vermelden – dass nämlich diese Behauptungen ganz einfach falsch sind, falsch im Sinne von: das Gegenteil ist richtig –, wäre das doch kein Grund zu pöbeln (an dieser Stelle sei als Hommage an den nachahmlichen Stil der BILD-Zeitung einmal ein Ausrufezeichen erlaubt:)!

Aber es ist, wie es ist, und die BILD als journalistisches Medium kann auch nicht einfach die Realität unterdrücken, wenn sie schon mal Kontakt zu ihr hat. Deshalb zitiert sie also DIE PÖBELEI unter der Überschrift „Nach Standpauke: Griechen pöbeln gegen Merkel“:

PRESSE PÖBELT
Die Zeitungen [sic!] protestiert gegen den Ton unserer Kanzlerin.
„Sie betreiben Populismus, Frau Merkel“, hieß es am Donnerstag in einem Kommentar der linksliberalen Athener Zeitung „Eleftherotypia“.
Auch die Athener Zeitung „Ta Nea“ kritisierte die Aussagen und veröffentlichte eine Tabelle, wonach die Griechen weniger Urlaub im Jahr bekommen als die Arbeitnehmer in Deutschland.

„Sie betreiben Populismus, Frau Merkel“! Wenn das kein Pöbeln ist! Und dann auch noch Tabellen veröffentlichen, die UNSERE KANZLERIN widerlegen! Und das nur, weil UNSERE KANZLERIN mit falschen, nur ganz sanft rassistisch gefärbten Stereotypen hantiert?

DIE ARSCHGEIGEN!

Kann man Merkel aus dem Euro ausschließen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel passt genau auf, dass Deutschland faulen Südeuropäern kein Geld leiht. Bei einer CDU-Veranstaltung in Nordrhein-Westfalen sagte sie:

„Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig.“

Und das sind die Zahlen: Das durchschnittliche Renteineintrittsalter liegt in Griechenland bei 61,4 Jahren und in Spanien und Portugal bei jeweils 62,6 Jahren. Oh, ja, und in Deutschland bei 61,7 Jahren.

Gemeint haben kann sie dabei also nur die Griechen, die durchschnittlich drei Monate jünger sind als Deutsche, wenn sie in Rente gehen. Dass sie deshalb während ihres Lebens weniger Jahre gearbeitet haben, würde ich schon wegen des höheren Anteils der Agrarwirtschaft in Griechenland zumindest sanft bezweifeln wollen, weil dort im Regelfall relativ jung angefangen wird, aber die Zahlen finde ich nicht. Aus meiner Sicht fällt die Spanne in jedem Fall in den Bereich von „sich ein wenig gleich anstrengen.“

Die Kanzlerin der ehemaligen Europa-Partei CDU macht mit billigen ethnischen Stereotypen Stimmung. Was nicht besser wird dadurch, dass sie sonst nichts tut. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde: Wenn schon CDU, dann wäre mir inzwischen selbst Helmut Kohl lieber. Der hatte wenigstens eine Vorstellung davon, was er wollte.

Schuldig. Aber vielleicht nicht so.

Heute ist der „Nazi-Scherge“ (BILD) John Demjanjuk in München wegen Beihilfe zum Mord in 28060 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ich habe vor anderthalb Jahren schon geschrieben, warum ich diesen Prozess abgelehnt habe. Daran hat sich nichts geändert. Deshalb poste ich den Text vom 6. November 2009 hier noch einmal. Den ersten, verschwurbelten Absatz habe ich rausgekürzt, weil da alte Verweise drin waren (damals gab es noch die Schweinegrippe, Halleluja). Also los:

Kennen Sie den Fall? Wahrscheinlich ja. Er wurde ausführlich auf allen Kanälen besprochen, aber ich gebe zu, bei mir ist zuerst nicht viel mehr hängen geblieben als: Ehemaliger KZ-Wächter. Was in meinen Synapsen sofort den Reflex auslöst: Für immer wegsperren. Fertig. Aber tatsächlich ist der Fall ein bisschen mehr als das.
Demjanjuk wäre, so weit ich das überblicken kann, der erste Ausländer, den ein deutsches Gericht wegen seiner Nazi-Kollaboration verurteilen würde. Er ist angeklagt, Beihilfe zur Ermordung von 27900 Menschen im Vernichtungslager Sobibor geleistet zu haben (schon diese Zahl lässt erschauern, denn sie setzt sich zusammen aus der Zahl der in Viehwaggons nach Sobibor verfrachteten Opfer minus einer gerundeten Toleranz von solchen, die hochgerechnet wahrscheinlich schon auf der Fahrt gestorben sind). Und das glaubt das Gericht Demjanjuk nachweisen zu können: Das er in Sobibor war. Es gibt einen Ausweis und einen Verlegungsbefehl – und möglicherweise Zeugen, aber dazu kommen wir noch.
John, damals noch Ivan, Demjanjuk war ein ukrainischer Bauernjunge, der im Krieg erst in die Rote Armee und dann in Kriegsgefangenschaft geriet. Aus dieser Gefangenschaft heraus wurde er zum „Trawniki“, zu einem von 4000 bis 5000 von der SS ausgebildeten Helfer. Diese Trawniki, alle zwischen 18 und 22 Jahren alt, hatten sich zumeist „freiwillig“ gemeldet – jedenfalls so freiwillig, wie man die Möglichkeit annimmt, seine Lage in der Kriegsgefangenschaft zu verbessern. Er war als Wächter in mehreren KZ stationiert, auch in der Außensicherung von dem reinen Vernichtungslager Sobibor, wo während der höchstwahrscheinlichen Zeit seiner Stationierung von März bis September 1943 mindestens 29000 Menschen umgebracht wurden.

Er war da.

Das ist es, was wir ihm vorwerfen: Er war da. Es ist ein schwer wiegender Vorwurf, und er ist offenbar einigermaßen gut zu belegen: Ivan, später John, Demjanjuk war ein KZ-Wächter, und das ist ein Verbrechen. Natürlich ist es das. Es gab Kriegsgefangene der Wehrmacht, die sich nicht freiwillig als SS-Schergen verpflichten ließen, selbst unter der halb erzwungenen Freiwilligkeit nicht. Aus meiner Sicht muss John Demjanjuk für diesen schweren Fehler, den er als junger Mann begangen hat, bestraft werden.

Und genau das ist längst passiert: Demjanjuk wurde in Israel zum Tode verurteilt und saß sieben Jahre im Gefängnis, weil Zeugen ihn als „Iwan den Schrecklichen“ identifiziert hatten, einen berüchtigt grausamen Aufseher im Lager Treblinka – erwiesenermaßen ein Fehlurteil, das auch deshalb möglich wurde, weil das amerikanische Justizministerium bei Demjanjuks Auslieferung an Israel entlastende Unterlagen zurückgehalten hatte (Demjanjuk war nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten emigriert, nannte sich nun John und wurde US-Staatsbürger). Zeugen hatten ihn eindeutig identifiziert, damals, obwohl er es nicht war. Und die Wahrscheinlichkeit, dass heute, noch viel später, die Zeugenaussagen verlässlicher sind, ist eher gering. Er war da – das ist es, was wir beweisen können, in meinem Namen und in Ihrem.

Eine kleine Anekdote aus dem Prozess in Israel muss man vielleicht noch erzählen: Demjanjuk leugnet bis heute, Trawniki gewesen zu sein. Er will über die drei Jahre einfacher Kriegsgefangener gewesen sein. Das Gericht glaubte ihm nicht: In dem Lager Chelm, in dem er saß, hätte er die Zeit unmöglich überleben können, dafür wären die Zustände zu schlecht gewesen.

Das ist die Situation: Ein Kriegsgefangener in einem Lager, in dem die Zustände so sind, dass es als ausgeschlossen gelten muss, dass hier ein Gefangener lange überlebt. Er ist damals 22 Jahre alt und meldet sich freiwillig, um aus dem Lager zu kommen. Wie gesagt: Mit der Arroganz des später Geborenen halte ich trotzdem daran fest, dass es unser Menschsein gebietet, nicht als Aufseher in einem KZ zu „arbeiten“, nicht in einem Vernichtungslager Menschen aus Viehwaggons in Gaskammern zu treiben. Das war verbrecherisch. Aber John Demjanjuk hat sieben Jahre lang in einem israelischen Gefängnis gesessen, seine Hinrichtung vor Augen, für Verbrechen, die er nicht begangen hat. Er ist mehrfach in den USA aus- und wieder eingebürgert worden, hatte Auslieferungen in die Ukraine und nach Deutschland vor Augen und landet nun, als alter, kranker Mann, hier – um von den Leuten verurteilt zu werden, die ihn aus seiner Sicht erst in die Situation gebracht haben, in der er Verbrechen begehen konnte.

Keine dieser Informationen ist geheim. Sie sind so alle – wenn auch nicht alle gleichzeitig – in deutschen Qualitätsmedien zu finden, aber wie das so ist, wenn man nur Fakten, Fakten, Fakten aneinander reiht: Es ist kein Bild entstanden über die Schlagworte „Ivan der Schreckliche“, „KZ-Wächter“ und „Beihilfe zum tausendfachen Mord“ hinaus.

Ich glaube, wir haben den falschen Mann, um ein Exempel an ihm zu statuieren. Aus meiner Sicht ist er kein Unschuldiger, aber er ist auch nicht nur Täter, sondern die Figur seiner eigenen Tragödie.

Er wäre der erste Trawniki, der in Deutschland verurteilt würde – im Ausland sind viele der „Kollaborateure“ zu teilweise langen Strafen verurteilt oder hingerichtet worden. Aber SS-Wächter aus Sobibor sind bereits in Deutschland verurteilt worden: Der Lagerkommandant Franz Stangl und ein weiterer SS-Mann zu lebenslanger Haft, ein weiterer beging vor dem Urteil Selbstmord. Vier SS-Wächter erhielten Haftstrafen zwischen drei und acht Jahren. Vier weitere wurden freigesprochen. Obwohl sie da waren.

Ich hasse die Tatsache, dass ich plötzlich mit einem Nazi-Schergen mitfühlen soll. Aber man kann auch nicht einfach eine Geschichte gar nicht erzählen.

Hinweis an Spiegel-Online: Geht doch! Woanders.

Die New York Times zitiert heute aus einem Interview, das Bundeskanzlerin Merkel der Zeit gegeben hat:

Mrs. Merkel told the weekly newspaper Die Zeit, in an interview published Wednesday, that Mr. Draghi embodied German ideas about economic stability and that the government could support his candidacy to success Jean-Claude Trichet of France as head of the central bank.

Mrs. Merkel’s office confirmed the chancellor’s comments.

Boah! Das bedeutet, sie haben zitiert und trotzdem noch einmal im Büro der Kanzlerin nachgefragt, ob sie in der Zeit richtig zitiert wurde. Samt Angabe aller Quellen. Das ist die Höchstform von seriös.

Und ziemlich genau das Gegenteil davon, aberwitzige Gerüchte aus unbenannten Quellen veröffentlichen, nachfragen, es dementiert bekommen und dann das Dementi einfach verschweigen, weil es die schöne Geschichte kaputtmacht.

Mir wurde noch nie ein Preis aberkannt

Vorweg: Den Grad der gefühlten Demütigung einer Branche erkennt man daran, wie viele Preise sie sich selbst verleiht. Der Journalismus vergibt sehr viele Preise. Ich selbst bin eigentlich der einzige Journalist, den ich kenne, der noch nie irgendeinen davon gewonnen hat, und nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil es offensichtlich nie dafür gereicht hat. Insofern bin ich der Allerschlechteste, um über Journalistenpreise zu schreiben – mehr Demütigung geht ja gar nicht. Aber wer will mich davon abhalten?

Für alle, die das Glück haben in einer Welt zu leben, in der das scheißegal ist: Dem Sieger des renommiertesten deutschen Journalistenpreises „Henri Nannen Preis“ ist – auch noch in der Königsdisziplin Reportage – die am Freitag verliehene Auszeichnung am Montag wieder abgenommen worden, weil er einen entscheidenden Teil des von ihm Beschriebenen nicht selbst erlebt hat. Er hatte über die Modelleisenbahn des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer geschrieben, und ausgerechnet aus ihr eine komplette, lesenswerte Persönlichkeitsstudie abgeleitet (die Geschichte heißt „Am Stellpult“ und Seehofer wird als einer beschrieben, der mit Menschen manövriert).

Es ist viel darüber geschrieben worden, ob die Aberkennung richtig war oder nicht.

Aber ich habe eine Meinung noch nicht gelesen, zufällig meine eigene, und deshalb schreibe ich sie hier.

Der Autor René Pfister steigt in die Geschichte ein:

Ein paarmal im Jahr steigt Horst Seehofer in den Keller seines Ferienhauses in Schamhaupten, Weihnachten und Ostern, auch jetzt im Sommer, wenn er ein paar Tage frei hat. Dort unten steht seine Eisenbahn, es ist eine Märklin H0 im Maßstab 1:87, er baut seit Jahren daran. Die Eisenbahn ist ein Modell von Seehofers Leben.

[…] Seit neuestem hat auch Angela Merkel einen Platz in Seehofers Keller. Er hat lange überlegt, wohin er die Kanzlerin stellen soll. Vor ein paar Monaten dann schnitt er ihr Porträtfoto aus und kopierte es klein, dann klebte er es auf eine Plastikfigur und setzte sie in eine Diesellok. Seither dreht auch die Kanzlerin auf Seehofers Eisenbahn ihre Runden.

Seehofer hat sich in Schamhaupten eine Welt nach seinem Willen geformt, er steht dort am Stellpult, und die Figuren in den Zügen setzen sich in Bewegung, wenn er den Befehl dazu erteilt. […]

Pfister hat den Keller nie gesehen, sondern sich von Seehofer während einer Reise nach China davon erzählen, und sich von anderen, die den Keller mal gesehen haben, später Seehofers Beschreibung bestätigen lassen (was journalistisch einwandfrei ist, aber nach Ansicht der Jury hätte man es kennzeichnen müssen, denn es entspricht nicht der klassischen Vorstellung von einer Reportage als Augenzeugenbericht – nur darum ging es in der Aberkennung des Preises).

Dazu hätte ich eine Anmerkung: Wenn der Journalist neben dem Ministerpräsidenten in einem Flugzeug sitzt, und Seehofer – der ja weiß, dass alles was er sagt einem Text über ihn dienen soll – erzählt davon, wie er im Keller Angela-Merkel-Bildchen auf Modelleisenbahnen klebt … ist das nicht die hundertmal geilere Szene? Ein Politiker, der will, dass man ihn als Stellmeister portraitiert, und dabei von infantilem Zeug wie seiner Modelleisenbahn erzählt? Die Szene im Flugzeug hätte ich lieber gelesen als das Zeug über seinen Allmachts-Keller, das Seehofer selbst verbreitet.

Aber vielleicht ist das genau der Grund, warum ich nie einen Preis gewinne.

PS. Der klügste Text zum Thema stammt übrigens wie erwartet von dem völlig zurecht preisgekrönten Wolfgang Michal. Deshalb verlinke ich ihn erst ganz hier unten. Es reicht bei mir vielleicht nicht für Preise, aber ich bin ja nicht total doof.

Spiegel-Online-Style: Die Informationen sind zwar falsch, aber exklusiv!

Am Freitag nachmittag veröffentlichte Spiegel-Online die Nachricht, dass die griechische Regierung erwäge, aus dem Euro auszutreten. Zunächst stand die Geschichte dort als kleinere Meldung, dann fiel offenbar jemandem auf, was für eine Sprengkraft die Geschichte hat: Der Euro-Austritt eines kleinen Landes, ganz besonders in der schwierigen aktuellen Lage Griechenlands, wäre wirtschaftlicher Selbstmord. Er würde außerdem den gesamten Euro-Raum in unvorhersehbarer Weise erschüttern, aber vorhersehbar katastrophal. Also machte man aus der Geschichte einen Aufmacher, der weltweit zitiert wurde und, auch nach eigener Einschätzung von Spiegel-Online, zu Kursverlusten des Euro führte.

Das Problem: Bis heute ist Spiegel-Online das einzige Medium, das diese Information verbreitet. Ohne Angabe einer Quelle. Da steht nur „nach Informationen von Spiegel-Online“. Jeder Teilnehmer eine Treffens von Euro-Finanzpolitikern, das Spiegel-Online als Indiz für die Pläne Griechenlands deutet, sagt, dass über dieses Thema nie geredet worden sei. Die griechische Regierung bestreitet jeden Gedanken in die Richtung vehement und impliziert dabei, die Berichterstattung von Spiegel-Online sei durch interessierte Kreise gelenkt.

Das ist die Situation: Spiegel-Online hat offenbar Informationen, die extrem unwahrscheinlich sind (und sich im Nachhinein entsprechend auch als unzutreffend herausstellen). Diese Informationen hat Spiegel-Online exklusiv. Es ist offensichtlich, dass die Redaktion nicht einmal einen Hinweis darauf geben kann, was ihre Quelle ist, ob sie in deutschen oder griechischen Regierungskreisen beheimatet ist zum Beispiel, weil sonst die Enttarnung der Quelle droht (das ist die positivste Auslegung, warum es keinen Hinweis auf die Quelle gibt).

Die Verantwortung, die in so einem Moment auf dem Redakteur und seinem Chefredakteur liegt, ist immens. Im Zuge der Veröffentlichung ist der Wert des Euro abgesackt, verängstigte Griechen haben Geld ins Ausland geschafft und die Anstrengungen des Landes, seinen Staatshaushalt zu konsolidieren, sind noch ein Stückchen schwieriger geworden. Alles aufgrund von, wie sich später herausgestellt, falschen Informationen, deren Quelle der Redakteur nicht preisgeben kann oder will.

Die Pressefreiheit ist ein heiliges Gut. Und ich bin fest der Überzeugung, Spiegel-Online muss irgendjemanden gehabt haben, der ihnen gegenüber tatsächlich behauptet hat, Griechenland erwäge, den Euro-Raum zu verlassen. Aber angesichts der Absurdität der Behauptung, der Tragweite der Konsequenzen der Veröffentlichung und der Tatsache, dass die Redaktion keine Quelle benennen kann, anhand derer sich ein Leser einen Eindruck von deren Seriosität machen kann, halte ich die Veröffentlichung für unvertretbar.

Es gibt eine Vielzahl von mehr oder weniger wahrscheinlichen Szenarien, wie der Autor Christian Reiermann exklusiv an die falsche Information gekommen sein könnte, in jedem Fall ist er entweder auf eine rein theoretische Floskel hereingefallen („dann müssten wir/dann müssten die aus dem Euro austreten“), oder er hat die durchgesteckte Fehlinformation von jemandem weiterverbreitet, der ein Interesse an der Destabilisierung der griechischen Regierung oder des Euro hat, aus politischen Gründen oder zugunsten gelenkter Spekulation (der Euro Kurssturz war ja vorhersehbar, wenn man diese Informationen hatte). Politisch interessierte Kreise gäbe es sowohl in Griechenland als auch in Deutschland.

Erstaunlicherweise veröffentlichte Reiermann seine Geschichte auch noch, ohne eine einzige Stimme aus der griechischen Regierung zu zitieren. Er zitiert stattdessen aus einem Papier des deutschen Finanzministeriums, das selbstverständlich zu dem gleichen Schluss kommt wie alle Ökonomen außer Hans-Werner Sinn (der daraufhin folgerichtig zum einzigen Ökonomen wird, den Spiegel-Online im Verlauf der Folgegeschichten zitiert). Die Tatsache, dass auch das Finanzministerium einen Euro-Austritt Griechenlands für geradezu bizarr halten würde, interpretiert der Autor, der wie gesagt keine offizielle griechische Stelle zitiert, so:

Schäuble will die Griechen unter allen Umständen vom Euro-Austritt abhalten.

Von einem Euro-Austritt, der, wie jeder einzelne griechische Regierungsvertreter mit Vehemenz erklärt, niemals seriös in Erwägung gezogen wurde. Das ist von Seiten Spiegel-Onlines dann schon bewusste Irreführung. Schäuble muss niemanden von etwas abhalten, das er nicht tun will. Als sich im Nachhinein die Geschichte als unhaltbar darstellt, versteckt Spiegel-Online das aber gekonnt:

Ein möglicher Austritt des südeuropäischen Landes aus der Euro-Zone sei bei der Zusammenkunft, an der auch der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, und EU-Währungskommissar Olli Rehn teilgenommen hätten, gar nicht diskutiert worden. Das behauptete zumindest Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker.

Das „behauptet“ er? Es ist das, was übereinstimmend alle Teilnehmer des Treffens sagen, und es ist auch das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario. Spiegel-Online bezichtigt lieber implizit den „Eurogruppen-Chef“ der Lüge, als zuzugeben, dass sie falschen Informationen aufgesessen sind. Wenn hier jemand etwas „behauptet“, dann vor allem Spiegel-Online. Herr Juncker „behauptet“, aber der oder die ominösen Quellen von Spiegel-Online, die etwas sagen, das extrem unwahrscheinlich und gleichzeitig weltexklusiv ist, sagen die unbestreitbare Wahrheit? Das ist Humbug. Das hätte man nicht schreiben dürfen. Das widerspricht Grundregeln der fairen Berichterstattung. Das ist eine Schande.

Ich nehme an, wir werden die Quellen für diese Geschichte nie erfahren. Wir werden nicht einmal erfahren, ob es welche gab, die man hätte ernst nehmen dürfen. Es ist in jedem Fall seit langem das schlechteste Stück Journalismus, das ich gesehen habe.

PS. In den Kommentaren weist Bastian Brinkmann auf die Theorie des griechischen Ökonomen Yanis Varoufakis hin, der schreibt, die Quellen lägen seiner Meinung nach vor allem im deutschen Finanzministerium – gestützt unter anderem auf die englische Version der Geschichte auf Spiegel Online, in der es heißt:

SPIEGEL ONLINE has obtained information from German government sources knowledgeable of the situation in Athens indicating that Papandreou’s government is considering abandoning the euro and reintroducing its own currency.

Nach Varoufakis‘ Meinung beziehen sich die Spiegel-Online-Infomanten auf mehrere Wochen zurückliegende Berechnungen des griechischen Finanzministeriums, das (selbstverständlich) all denkbaren Szenarien zur Konsolidierung der griechischen Staatsfinanzen hat berechnen lassen. Wenn das so ist (und Varoufakis nennt seine Einschätzung nur eine „considered opinion“ – sie ist auch plausibel, aber nicht belegt), dann hat Spiegel Online sich schlicht von deutschen Ministerialbeamten einspannen lassen, um Druck auf Griechenland auszuüben und ggf. einen Schuldenschnitt als weniger schmerzhaftes Szenario erscheinen zu lassen. Auf einen derart simplen Propaganda-Plot hereinzufallen wäre für das Nachrichtenmagazin mehr als peinlich und sollte weit unter deren professionellen Standards sein, aber ehrlich gesagt fällt mir an Varoufakis‘ Argumentation beim ersten und zweiten Lesen keine Schwachstelle auf. Warum die Redaktion den deutschen Lesern vorenthält, dass die Quelle in Deutschland und nicht in Griechenland sitzt, ist mir ein Rätsel, handwerklich falsch ist es sowieso. Es würde sich allerdings, böswillig betrachtet, mit der Vermutung decken, dass man bei Speigel-Online von vornherein ahnte, dass man sich zu einem willfährigen Werkzeug politischer Propaganda machen lässt. Allerdings verweist Varoufakis auf eine Zusammenstellung der Financial Times, die darauf hindeutet, dass der Spiegel das schon eine ganze Weile macht – und das Freitag nur der vorläufige Höhepunkt dieser Kampagne ist.

PPS. Und irgendwie wird es immer nur noch bizarrer: Laut Nachfrage der SZ hatte die SpOn-Redaktion offenbar in Athen nachgefragt, aber das Dementi dann einfach nicht im Text erwähnt:

Griechenlands Vize-Finanzminister Filippos Sachinidis dementierte umgehend. Sein Land wolle die Euro-Zone keinesfalls verlassen. Sein Ministerium erklärte, der Bericht sei wider besseres Wissen veröffentlicht worden. Die Regierung in Athen habe eine entsprechende Anfrage ausdrücklich verneint.

Ich weiß nicht, wie man das sonst nennen soll, wenn nicht eine gezielte Kampagne. Informationen zurückzuhalten, um einseitiger berichten zu können, ist schlicht und ergreifen lügen.

Elitz. Würde. Kommentieren.

Man soll keine offenen Türen einrennen, aber zur Klarstellung: Professor Ernst Elitz* ist ein älterer Mann, der von der Bild-Zeitung vornehmlich dazu benutzt wird, Franz-Josef Wagner wie einen gesunden, vernünftigen Zeitgenossen aussehen zu lassen. Stilistisch grenzt er sich von Wagner vor allem dadurch ab, dass Wagner durchaus geniale Momente hat. Das auch im internationalen Vergleich Außergewöhnliche an seinem Werk ist, dass die Redaktion ihn regelmäßig mit Kommentaren beauftragt, ohne ihm zu sagen, worum es bei den Themen, die er zu kommentieren hat, eigentlich genau geht.

Heute hat Professor Ernst Elitz* einen weiteren Höhepunkt seines Schaffens an die Welt übergeben.

Zur Vorgeschichte: Die Bild-Zeitung macht heute auf mit der Geschichte um eine „Liste der Schande“, in der es darum geht, dass 223 libanesische Staatsbürger offenbar nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können, obwohl sie in Deutschland Straftaten begangen haben, die so schwer wiegen, dass sie nach dem Ausländerrecht abgeschoben werden müssten – weil der Libanon sie nicht zurücknimmt (ich habe das Strafmaß im Einzelnen nicht nachgeprüft, weil bild.de es in eine, richtig geraten, 223-teilige Klick-Galerie verpackt hat).

Außerdem wird in der Bild-Geschichte darauf hingewiesen:

36 960 Libanesen leben in Deutschland, 90 Prozent von ihnen beziehen Hartz IV. Über die Gewaltbereitschaft libanesischer Clans urteilt Roman Reusch, Leiter der Intensivtäter-Abteilung der Staatsanwaltschaft Berlin in einer Studie: „In libanesischen Familien findet eine konsequente Erziehung zur professionellen Kriminalitätsausübung statt. […].“

Der Zusammenhang dieser beiden absolut erschreckenden Zahlen – der „Liste der Schande“ und dem exorbitant hohen Anteil libanesischer Hartz IV-Bezieher – ist nicht ganz klar, aber immerhin geht es in beiden Geschichten um Libanesen. Im Bild-Rahmen also durchaus eine runde Geschichte. Und dann hat man offenbar Professor Ernst Elitz* gebeten, das Große Ganze auf seine unnachahmliche Art zu kommentieren. Oder irgendwas anderes. Und schon geht es los.

Professor Elitz* beginnt seinen Kommentar mit einer schmissigen, programmatischen Headline:

Schiebt sie ab!

Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, dass das ja offensichtlich genau das ist, was versucht wird. Es klappt nur eben nicht. Darum geht es ja! Aber, Professor Elitz*, es gibt ein paar Dinge, um die geht es gerade nicht, vielleicht könnte man da …

Sie werfen ihren Pass schon im Flugzeug nach Deutschland weg.
Sie freuen sich über deutsche Sozialleistungen. Sie wollen am liebsten nie wieder fort. Solche Typen wie die 223 libanesischen Intensivtäter haben das Wort „Asyl“ zum Schimpfwort gemacht.

Ah, das ist doch was: „Asyl“, stimmt genau, kommt bisher in der ganzen Geschichte noch nicht vor. Und Elitz* geht souverän darüber hinweg, wie er gerade auf diesen Zusammenhang kommt. Stattdessen verteidigt er das Asylrecht als hohes Gut, das jetzt von diesen Verbrechern „geschändet“ wird. Virtuos ohne Zusammenhang argumentiert:

Wer hier tötet, vergewaltigt, raubt und dealt ist nicht besser als jene selbst ernannten Kriegsfürsten, die von Deutschland aus per Handy und Mail die Blutorgien afrikanischer Milizen befehligten.

Es ist nicht ganz klar, ob man, um den finsteren Status eines Blutorgien befehligenden Kriegsfürsten zu erlangen, alle angebotenen Verbrechen begehen muss, aber wahrscheinlich reicht fakultativ eins davon, denn zumindest einige der 223 haben „nur“ Verurteilungen wegen Drogenhandels in ihrerm KlickgalerieVorstrafenregister stehen. Was aber konkret ein Drogendealer tun soll, der seine Strafe abgesessen hat, um unter Umgehung der Schändung des Grundgesetzes endlich abgeschoben werden zu können, erwähnt Elitz* nicht.

Dafür endet sein Kommentar mit einem Hinweis an die zuständigen Stellen:

Was immer die Innenminister jetzt tun – es geht um mehr als Knast und Passbetrug. Es geht um die Würde des Grundgesetzes.

Nun steht außer Frage, dass das Asylrecht ein hohes Gut ist. Wie jedes verfassungsmäßige Recht ist es außerdem im Kern ein Schutzrecht des Einzelnen gegenüber dem Staat, insofern ist es für den Einzelnen sehr schwierig, die Würde des Grundgesetzes anzugreifen. Aber es gibt Ausnahmen: Wichs-Kabinen mit verspiegelten Fenstern in Peepshows zum Beispiel sind nicht mehr genehmigungsfähig, weil durch sie die verfassungsmäßig garantierte Menschenwürde der ausgestellten Frauen auch dann angetastet wird, wenn die Frauen es freiwillig tun. Aber das ist juristisch ein ziemliches Monstrum.

Aber man kann die Würde von Grundrechten natürlich auch missbrauchen, indem man sie zusammenhanglos, bösartig und abstoßend in einen völlig falschen Zusammenhang bringt.

*Prof. Elitz ist Gründungsintendant des Deutschlandradios

Merkel, die Sau die (durchs Dorf getrieben wird)

Wie viel Prozent seines Gehirns muss man stilllegen, um auf die Idee zu kommen, Angela Merkel würde sich über den Tod eines Menschen freuen? Wir kennen unsere Kanzlerin ja nun alle nicht erst seit heute, und wenn sie in ihrer unnachahmlich verdrögten Art einen unglücklichen Satz raushaut wie „Ich freue mich, dass es gelungen ist, Osama bin Laden zu töten“, dann muss man schon jeden letzten Fitzel Menschenkenntnis vergessen, um das wörtlich zu nehmen. Ich bin ganz sicher kein Fan dieser Kanzlerin, aber um darauf anzuspringen, braucht man den schäbigsten Impuls eines Oppositionspolitikers. Aber die Kritik kam nicht nur von der Opposition.

Ihr Parteifreund Siegfried Kauder stellte in der Passauer Neuen Presse fest: „Ich hätte es so nicht formuliert. Das sind Rachegedanken, die man nicht hegen sollte.“ Und damit hat er weitestgehend recht, aber eben nicht ganz: Glaubt er wirklich, ausgerechnet seine doch eher unemotionale Parteichefin hätte das innere Feuer für Rachegedanken? Er wollte sicher sagen, das WÄREN Rachegedanken, wenn sie sie hegte. Oder? Nein! Er legt noch nach: „Das ist Mittelalter.“

Das ist Mittelalter? Habe ich das richtig verstanden: Der immerhin Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages glaubt, seine Regierungs- und Parteichefin hätte mittelalterliche Rechtsvorstellungen? Weil ihr ein doofer Satz rausgerutscht ist? Abgesehen davon: Ich musste feststellen, dass ich nicht ganz so ein guter Christ bin, wie ich mir das wünschen würde – ich habe mich nämlich ehrlich gesagt tatsächlich gefreut, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten. Ich sehe ein, dass das kein Gefühl ist, auf das man stolz sein sollte, vor allem nicht als überzeugter Gegner der Todesstrafe. Aber Mittelalter?

Ich finde, so kleinlich kann man nicht sein. Es muss doch mal einen Weg geben, zu sagen: Das war dämlich formuliert, aber wir alle kennen Merkel gut genug und wissen, dass es so nicht gemeint war. Sie hat sicher nicht vor, uns ins Mittelalter zu führen. Das kann niemand ernsthaft annehmen.

Außer natürlich stern.de.