Raus!

Spiegel-Online hat in einer schön ausrecherchierten Geschichte die Kosten für einen kompletten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2020 berechnet.

Fest steht: Der rasche Ausstieg aus der Kernenergie wäre teuer. Die Kosten bis 2020 würden sich grob überschlagen auf rund 233 Milliarden Euro summieren, mit den zusätzlichen Windkraftwerken auf 245 Milliarden.

Das wären bei 82 Millionen Bürgern in Deutschland 2987,80 Euro. Verteilt auf neun Jahre pro Jahr 331,98 Euro pro Person, im Monat also 27,66 Euro. Wir sind eine vierköpfige Familie, das macht also 110,64 Euro, und weil sich viele das auch nicht leisten können, wenn sie unbedingt wollen, legen wir nochmal 50 Prozent drauf (55,32 Euro). Macht für mich monatlich 165,96 Euro. Nicht wenig Geld.

Aber das wäre es mir wert.

Krisen-PR: Wir Unvergleichlichen – aktualisiert

Es kann sein, dass ich einfach viel zu wenig Ahnung habe, um das zu beurteilen, aber es wundert mich doch, wie viele deutsche Politiker im Zusammenhang mit der japanischen Atomkatastrophe gerade mit Sätzen davonkommen wie der bayrische Umweltminister Markus Söder:

Fakt ist: Japan ist nicht mit Deutschland vergleichbar. Bei uns gibt es keine vergleichbaren Erdbeben und Tsunamis.

Wenn ich es richtig verstehe, dann ist der direkte Auslöser für die Kernschmelzen ein Stromausfall, durch den die Kühlung der Reaktoren zum Erliegen gekommen ist.

Und eine Naturkatastrophe, einen Unfall oder Anschlag, durch die erstens der Strom ausfällt und zweitens die Zugänge zu einem Reaktor so versperrt sind, dass Ersatz nur schwer durchkommt ist in Deutschland vielleicht schwer vorstellbar, aber doch um einiges wahrscheinlicher als ein Erdbeben oder Tsunami dieser Stärke.

Reiner Matzger hat in einem Kommentar in der taz deutliche Worte für die Vertuscher der Atomlobby gefunden. Der Originaltitel des Kommentars ist inzwischen entschärft, aber in der URL noch nachlesbar. Ich wüsste nicht, wie man ihm da widersprechen sollte.

PS: Die nächste Phase ist gezündet, und vorneweg marschiert der mir fast lieb gewordene Jan Fleischhauer, der wie jede Woche versucht, sinnlose Positionen damit zu verteidigen, dass er sie für irgendwie stilvoller hält. Das Argument lautet ungefähr so: Die Kernkraftgegner sind trotz allem immer noch im Unrecht, weil sie sich heimlich darüber freuen, dass es endlich den Unfall gegeben hat, der beweist, dass sie immer Recht hatten.

Viel ist jetzt vom Mitgefühl mit den Menschen die Rede, die in Japan aus Sorge vor einer Kernschmelze aus ihren Wohnorten weggebracht werden mussten. Wer an diesem Mitgefühl Zweifel hegt, setzt sich heftigen Verwünschungen aus. „Inhuman, widerlich und zynisch“ nannte der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck einen Twitter-Eintrag, in dem der Autor dieser Kolumne den Verdacht äußerte, dass der Kernkraftgegner im tiefsten Inneren seines Herzens immer den Unfall herbeisehnt, weil dieser auf drastische Art seine Befürchtungen bestätigt, vorausgesetzt natürlich, er ereignet sich nicht vor der eigenen Haustür.

Das ist in einer Größenordnung bizarre Logik, die es mir unmöglich macht, noch irgendeinen Gedanken des Herrn Fleischhauer ernst zu nehmen – bisher war es ja nur sehr schwierig. Aber fürs Protokoll: Wer derart neben den Ereignissen argumentieren muss, um noch irgendeinen lächerlichen Punkt zu machen, der weiß offensichtlich selbst, dass er verloren hat. Aber zu behaupten, diejenigen, die immer vor der Gefahr gewarnt und ein Ende der Atomkraft gefordert haben, wären heimlich froh über den Unfall, ist derart ekelhaft, verlogen und wider jede Realität, dass man sich schon fragen darf, ob das nur die simple Lust an der Provokation ist, oder ob man nicht doch ein echtes Arschloch sein muss, um überhaupt auf solche Ideen zu kommen.

Ist Bild die rechtspopulistische Partei, die wir nicht haben?

Der Spiegel-Artikel über die Bild-Zeitung und ihre Methoden hat in der Branche wenig Zustimmung erfahren, was allerdings zum Teil daran liegen kann, dass der Bildblog in den vergangenen Jahren so gute Arbeit geleistet hat, dass zumindest seine Leser kaum mehr zu schocken sind. Die größte Frage, die der Spiegel-Artikel leider nur aufwirft, ist aber wohl die, ob die Bild die Rolle einer rechtspopulistischen Partei ausfüllt, die es in Deutschland im Moment nicht gibt.

Die Bild-Zeitung ist populistisch, das gehört zu ihrem Auftrag. Sie ist auch rechts, wobei diese Tatsache zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass die allermeisten Geschichten des Boulevard darauf basieren, eine schnelle, eindeutige und emotionale Reaktion hervorzurufen, und am besten eignen sich dafür solche, in denen es einen Schuldigen gibt, einen Bösen, einen, den man anprangern kann. Das ist von rechts einfacher als von links, weil der linke Blick auf die Welt durchdrungen ist von Gedanken wie dem Kollektiv, Gemeinsamkeit und Solidarität. Der reaktionäre Blick, durch die Brille von Werten wie Disziplin, Ordnung und Hierarchie, hat es einfacher, Schuldige auszumachen, zu markieren und anzugreifen. Insofern wird eine rechte Boulevardzeitung im Regelfall amüsanter zu lesen sein als eine linke, weil sie einen Bösewicht präsentieren kann, wo eine linke öfter mal „die Gesellschaft“ ins Visier nehmen müsste – was unbefriedigend ist, obwohl es aus meiner Sicht öfter stimmt.

Die Frage, die sich mir stellt ist aber: Was genau muss man sich heute unter einer Partei vorstellen, wenn man davon ausgeht, dass die Bild-Zeitung eine ist?

Parteien genießen in Deutschland im Moment ein denkbar schlechtes Image, und das zum Teil sicher auch zu Recht. Wenn die CSU es als „parteischädigend“ einstuft, dass Bundestags-Präsident Lammert, immerhin der zweite Mann im Staat und der Demokratie verpflichtet, es kritisiert, wenn ein Minister lügt und betrügt, dann darf man sich um die demokratische Verfasstheit dieser Partei seine Gedanken machen. Der Eindruck jedenfalls, dass Parteien in Deutschland der eigene Erfolg wichtiger ist als der Erfolg der gemeinsamen Demokratie und das Wohlergehen des Landes, ist weit verbreitet – und das ist eine Katastrophe. Er ist auch falsch: Von den Millionen Parteimitgliedern in Deutschland sind die allermeisten gerade deshalb eingetreten, weil sie der Überzeugung sind, dass Demokratie Arbeit macht, und diese Arbeit eben von irgendwem erledigt werden muss. Im Gegensatz zu dem, was auch der politische Journalismus in Deutschland behauptet, ist Politik weit mehr als nur das Politische Geschäft auf dem Planeten Berlin. Und dass in der politischen Presse Deutschlands Parteien und Politiker nur als Machterringungs- und -erhaltungsmaschinen vorkommen, liegt nicht daran, dass es nur solche Politiker gibt.

Zu den lustigsten Mythen über Parteien zählt aber die Vorstellung, die Mitglieder einer Partei hätten grundsätzlich eine gemeinsame Meinung. Wer so denkt, hat offensichtlich nie irgendeine interne Veranstaltung irgendeiner Partei besucht. Allerdings verlangt die Demokratie, dass man zu Themen eine Haltung einnimmt. Entscheidungen nicht zu treffen, ist keine Option, insofern bedeutet keine Haltung einzunehmen, sich der Entscheidung anderer kampflos zu beugen (der Grund, warum ich wenig Respektables an der Position der Nichtwähler finden kann). Parteien sind nichts als ein Ort, gemeinsam mit vielen anderen, also im besten Fall einer Mehrheit, zu einer Haltung zu kommen. Das ist Arbeit. Und zum Respekt in der Demokratie gehört es, dass in Parteien die durch Diskussion und oft genug Streit erarbeiteten Positionen am Ende gemeinsam vertreten werden. Schon das ist schwer.

Richtig kompliziert wird es aber, wenn man sich ansieht, welche Faktoren in dieser Entscheidung eine Rolle spielen. Um Gesetze, Verordnungen und Weisungen zu erarbeiten braucht man zunächst einmal eine Vision davon, wie man in einem Land leben möchte. Schon hier auf einen Nenner zu kommen, ist ein Balance-Akt. Es macht selbst auf der niedrigsten kommunalen Ebene einen Unterschied, ob ich eine innerstädtische Fläche dazu benutze, einen großen Arbeitgeber anzusiedeln, kleine Handwerksbetriebe oder vielleicht sogar freie Künstler. Und es besteht selten und in keinem Milieu echte Einigkeit darüber, was davon jetzt gerade an einer konkreten Stelle das wichtigste ist, für alles gibt es Argumente. Zum anderen betreffen viele Entscheidungen, die Politik in der Legislative und Exekutive treffen können, die Zukunft. Ob eine Maßnahme tatsächlich den gewünschten Erfolg hat, kann also noch einmal potenziert in Wahrheit niemand sagen. Das ist also die Arbeit der Demokraten.

Man muss sie gleichzeitig an den zwei Dingen messen, die ein Staat überhaupt nur zu leisten angehalten ist: Er soll seinen Bürgern Sicherheit bieten vor den schlimmsten Gefahren, die das Leben mit sich bringt (z.B. durch ein Gesundheitswesen, die Polizei und das Militär), und er soll ihnen Möglichkeiten geben, sich in ihm zu entfalten und zu prosperieren (durch Bildung, Infrastruktur, Verwaltung). Allein darüber, wie viel davon die richtige Dosis ist, lässt sich ein Leben lang nachdenken. Der Freiheitsbegriff ist über das Spektrum verteilt sehr unterschiedlich, aber schon die Frage, wie und wo der Staat auch dafür sorgen soll, dass seine Bürger Arbeit haben, zeigt deutliche Gegensätze in der Vorstellung von einem perfekten Gemeinwesen.

Der kurze Sinn dieser Rede ist: So etwas wie die eine Wahrheit gibt es in der Politik frühestens hinterher. Bizarrerweise sind es aber gerade auch die Beobachter von Politik, die in Leitartikeln und Kommentaren diese einfache Tatsache verschleiern und regelmäßig den Eindruck erwecken, sie wüssten, wie es geht. Diese Haltung wird von vielen ihrer Leser geteilt: So wie jeder von uns ein besserer Bundestrainer wäre, glauben auch viele, sie wären gute Politiker, wenn man dafür nur nicht so viel Zeit in Hinterzimmern von Kneipen mit Menschen diskutieren müsste, denen man haushoch überlegen ist, die aber trotzdem das gleiche Stimmrecht haben wie man selbst. Das ist ein Irrglaube, denn genau dieses diskutieren an Stammtischen, das Erarbeiten von Meinungen, Haltungen und letztlich Beschlüssen ist Politik. Abgesehen davon, dass keine intellektuelle Überlegenheit irgendjemanden dazu befähigt, zu entscheiden, wie wir in diesem Land leben wollen. Das können wir nur gemeinsam, dafür kommen wir um die Diskussionen nicht herum.

Die Bild-Zeitung mit ihrer oft harten, schnellen, wenn man so will pointierten, in jedem Fall aber als die angeblich unabhängig über den Dingen stehende Instanz des „Volksempfindens“ oder des „gesunden Menschenverstandes“ oder wie auch immer sie sich da sehen, ist ein typisches Werkzeug des Hinterher-besser-wissens. Ihre Versuche, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen, wie jetzt im Fall Guttenberg, aber auch schon früher zum Beispiel im Streit um den Religionsunterricht in Berlin oder um de Flughafen Tempelhof, sind nicht die Erfolgsgeschichten, die man befürchten würde (übrigens ähnlich wie die Versuche von Rechtspopulisten wie dem unsäglichen Ronald Schill in Hamburg, in der parlamentarischen Demokratie Fuß zu fassen).

Insofern füllt die Bild-Zeitung nicht die Rolle einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland. Sie ist eine populistische, auch gern mal rechtspopulistische Zeitung. Aber um tatsächlich eine parteiähnliche Rolle zu spielen, braucht es mehr als nur Rechthaberei. Eine Meinung hat jeder, aber eine gemeinsame Haltung zu finden braucht Arbeit.

Allerdings wäre es wahrscheinlich nicht verkehrt, wenn alle Medien inklusive der Bild dieser Arbeit ein bisschen mehr Wert zumessen würden.

Dummes Volk?

Es ist ohnehin auf eine dunkle Art faszinierend, welchen Phantomschmerz der Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg auslöst, aber am faszinierendsten – und auch am traurigsten – finde ich die Tendenz, mit der auch heute, wo die Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Anhängern erröteten Barons längst eindeutig entschieden ist, eine fatale Meinung vertreten wird: Wer heute noch zu dem ehemaligen Verteidigungsminister steht, muss in den Augen vieler, auch Medienschaffender, ganz offensichtlich dumm sein. Man liest, hört und sieht diese Haltung an vielen Stellen, vornehmlich in den Kommentarspalten, aber zwischen den Zeilen auch bei Kommentatoren. Das Volk hat sich nach Meinung vieler von dem Mann blenden lassen, es ist einfach nicht klug oder schlau genug, seinen Schwindel zu durchschauen. Abgesehen davon, dass mich die Arroganz dieser Haltung ankotzt, ist die Schlussfolgerung auch – dumm.

Die Wahrheit ist sehr einfach, es gibt unter denen, die sich überhaupt für den Vorgang interessieren, nur drei Gruppen: Diejenigen, die KTzG sowieso nicht mochten, diejenigen, denen sein Vergehen so schwer aufgestoßen ist, dass sie ihn unabhängig von Sympathie nicht mehr in diesem verantwortungsvollen, auch würdevollen Amt haben wollten und diejenigen, die ihn ohne Wenn und Aber sowieso geliebt haben. Über die reden wir hier. Sie mögen ihn und vertrauen ihm. Das ist nicht naiv, sondern Voraussetzung für Demokratie: Um zu wählen müssen wir vertrauen. Und wir vertrauen lieber denen, die wir mögen. Das klingt zu einfach, aber es ist so: Grundsätzlich reicht Sympathie in einer Demokratie, um in ein Amt gewählt zu werden, und trotzdem haben es Populisten in diesem Land (mit einigen unrühmlichen Ausnahmen in meiner geliebten Heimatstadt Hamburg) nicht besonders leicht, in die Parlamente zu gelangen. Die Wähler sind nicht dumm. Plötzlich einen großen Teil der Bevölkerung für dumm zu halten, weil sie an einem Betrüger Qualitäten sieht, die einen Verbleib im Amt trotz seines Betruges für richtig halten, ist sehr kurz gesprungen. Es bedeutet vor allem, dass man sich vor einer echten Analyse drückt. Warum stehen so viele immer noch zu dem Lügenbaron?

Da ist zum einen sein Vergehen, das von vielen als nichtig betrachtet wird. Und das ist nicht unverständlich. Ich bin beeindruckt von der geballten Aktion der wissenschaftlichen Community, die letztlich zu KTzGs Sturz geführt hat, und ich halte ganz persönlich selbstverständlich sein Plagiat und die Lügen in der Folge für schwerwiegend und für einen Rücktrittsgrund. Aber muss man dumm sein, um das anders zu sehen?

Das Plagiat an sich ist ein Verbrechen ohne Opfer, dessen Schwere für Menschen, die nicht direkt mit der Materie zu tun haben, schwer vermittelbar ist. Um ein schräges Beispiel zu bemühen: Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich die Rechtsprechung auch in Deutschland dazu durchgerungen hat, zum Beispiel den Vertrieb gefälschter Uhren zu verurteilen, bei denen jedem klar war, dass sie falsch sind. Denn wenn jemand, nennen wir ihn O., in Bangkok eine gefälschte Rolex für 20 Dollar bei einem Straßenhändler kauft, dann entsteht ihm kein Schaden. Er weiß ja, dass sie falsch ist. Auch Rolex entsteht kein materieller Schaden, denn der O., der für 20 Dollar eine falsche Uhr kauft, verzichtet garantiert nicht deshalb auf den Kauf einer echten. Was also ist das Verbrechen?

Das Verbrechen ist, dass alle Beteiligten das geistige Eigentum am Design und dem Logo von Rolex verletzt haben. Das kann (und aus meiner Sicht auch: sollte) man schlimm finden. Aber mal ehrlich: pffft? Ich könnte O. trotz seines Vergehens mögen. Genau wie die von KTzG zitierten Autoren zu Recht beleidigt sein können, denn er hat sich an ihrem geistigen Eigentum vergriffen. Und er hat es in einer gewerbsmäßigen Größenordnung gemacht. Das ist strafbar, unehrlich und schmierig. Aber ich kann zumindest nachvollziehen, dass nicht jeder es für so ein ernstes Vergehen hält, wie ich das tue.

Außerdem hat Guttenberg eine falsche Ehrenerklärung abgegeben und seinen Doktorvater nach Strich und Faden belogen. Auch das finde ich furchtbar bis an den Rand des Fremdschämens. Auch das ist für mich ein Rücktrittsgrund für einen Minister. Aber was entgegne ich jemandem, der findet, dass ein langjähriges Betrügen der Ehefrau damit im Prinzip vergleichbar ist? Das fände ich nämlich auf der anderen Seite keinen Rücktrittsgrund, obwohl mir als Begründung gerade nicht mehr einfällt, als dass Seitensprünge Privatsache sind. So ganz entkräftet das den Einwurf aber zugegebenerweise nicht, denn auch Seitensprünge sagen etwas über den Charakter und das Einhalten von Ehrenworten. In seiner Funktion als Minister fühlten sich viele aber offensichtlich von Guttenberg durch sein Erschleichen eines Doktortitels so wenig getäuscht wie von einem, der in seinem Privatleben fremdgeht. Man könnte bis hierher sagen: Ja, er hat gelogen, aber er hat mich nicht belogen. Das macht einen Unterschied.

Drittens muss sich der Träger der falschen Rolex (und in gesteigerter Weise der Träger eines falschen Titels) den Vorwurf gefallen lassen, er sei ein Blender. Natürlich ist er das. Er schmückt sich mit etwas, das er nicht verdient hat. Er versucht, mehr darzustellen, als er ist. Das ist kein einnehmender Zug, es ist sogar meist ganz schön armselig. Aber die Unterstellung, die Anhänger von KTzG würden auf sein Blendwerk hereinfallen, obwohl es doch schon enttarnt war, blendet ihrerseits eine Möglichkeit ganz einfach aus: Auch wenn man das Blendwerk abzieht kann bei einem Menschen noch genug übrig bleiben, das man lieben kann. Ganz offensichtlich haben viele Menschen das Gefühl gehabt, KTzG hätte irgendwann früher auf dem Weg nach oben zum Mittel der Blendung gegriffen, hätte aber hier und heute genügend eigene Größe, um Minister zu sein. Seien wir für einen Moment mal realistisch und erinnern uns an Guttenbergs Einstieg ins Kabinett, als er sich wie ein Gockel posierend auf dem Times Square fotografieren ließ – glaubt irgendjemand tatsächlich, dass es in diesem Land jemanden gibt, der nicht von Anfang an auch ein gutes Stück Eitelkeit und ein gutes Stück Blendwerk in KTzG erkannt hat? Bei einem Mann mit so einer Frisur? Also bitte, natürlich wusste jeder, dass der Typ auch ein Blender ist. Darüber sollten die Leute sich nun aufregen? Haben sie nicht. Sie haben dabei sicher nicht in Betracht gezogen, welchen Schatten das trotzdem auf die Wissenschaft an sich geworfen hätte, und den meisten Menschen ist die Wissenschaft an sich wahrscheinlich auch keine echte Herzensangelegenheit – aber das ist, ehrlich gesagt, auch ihr gutes Recht. Schlimm finde ich diese Einstellung vor allem von Frau Doktor Merkel und ihren schamlosen Kumpanen.

Und es bleiben Guttenbergs Lügen, das scheibchenweise fast Zugeben, das Lavieren und die rhetorischen Spielchen rund um das Wichtigere und die toten Soldaten. Allerdings glaube ich, dass wer bis hierhin zu KTzG gehalten hatte, sich festgelegt hatte, und es von nun an nur noch darum ging, die einmal gefundene Überzeugung mit irgendetwas zu untermauern, was sich wie ein Argument anfühlte. Denn natürlich ist „Haben wir denn keine wichtigeren Probleme in Deutschland“ kein Argument – oder wenn, dann eines gegen praktisch alles. Dann könnten wir über gar nichts mehr reden. Aber man darf dabei eines auch nicht übersehen: KTzG hat bis heute den in seiner Dissertation wohl eindeutig erkennbaren Vorsatz zur Täuschung zwar nicht gestanden und sich dafür nicht entschuldigt, aber er hat gleichzeitig pausenlos irgendetwas gestanden und sich geradezu gebetsmühlenartig für irgendetwas entschuldigt. Aus Sicht der Kritiker, auch aus meiner, war das ein rein taktischer Zug und im Zuge seiner Verteidigung eigentlich dafür gedacht, am Ende eben nicht zurücktreten zu müssen. Aber ist es wirklich so schwer verständlich, dass Menschen, die sehen, dass ihr Idol sich pausenlos entschuldigt, irgendwann genervt sind von dem Anwurf, dass er sich aber bitte endlich für etwas anderes entschuldigen soll? Ich glaube, hier hat der Ton die Musik gemacht, und auch wenn die Noten formal korrekt waren, hatten die Töne der Kritik oft einen kreischenden Klang.

Langer Rede kurzer Sinn: Man konnte auch ohne dumm zu sein einen Weg finden, weiterhin Guttenberg im Amt zu wollen – man musste es allerdings sehr wollen. Ich habe an dieser Stelle schon einmal aufgezählt, was Guttenberg aus meiner Sicht so erfolgreich (und auch gefährlich) gemacht hat, warum Menschen ihn also so sehr wollten. Aber eins muss ich hinzufügen, und zwar als einer, der ihn niemals wollte: Er ist weg, weil er schwere Fehler gemacht hat. Aber das heißt leider nicht, dass ich, dass wir, die wir ihn nie wollten, in allem Recht hatten. Ich hätte ihn wirklich lieber für seine Politik drangekriegt.

Das war das

Nun ist Guttenberg doch noch zurückgetreten, und damit hat er die richtige Entscheidung spät, aber eben doch getroffen. Nachtreten verbietet sich. Allerdings warte ich gespannt auf die Erklärungen seiner vehementen Verteidiger. Ob sie auch zu ihren Lügen stehen werden?

Und ich bin gespannt, ob es der Opposition gelingen wird, das ohne Häme und in ordentlichem Stil über die Bühne zu bringen, anders als es bei den (absolut berechtigten) Anwürfen auf Guttenberg war. Ich halte das für wichtig, denn das Vertrauen in die Demokratie zu erhalten kann man dieser Regierung offensichtlich nicht zutrauen. Die Damen und Herren haben sich selbst disqualifiziert.

Jetzt ist es also an den anderen, Größe zu zeigen. Es leiden alle an dieser Affäre. Aber es müssen sich ja deshalb nicht gleich alle zerstören.