Das Riekelsche Gesetz

Es ist eine Weile her, dass ich zuletzt dazu gekommen bin, hier etwas Substanzielles von mir zu geben, und diese Zeit ist gekennzeichnet von Niederlagen. Zum einen habe ich den Ideen-Wettbewerb Scoop des Axel-Springer-Verlages nicht gewonnen (ich war unter den letzten Sechs und durfte vor der Jury präsentieren, was Spaß gemacht hat, aber wenn man unter 1200 Bewerbern schon einmal so weit ist, will man auch gewinnen. Verdammt).

Und dann hat Patricia Riekel von der Bunten beschlossen, ganz offen eine alte journalistische Übereinkunft aufzukündigen, die zwar zunehmend erodierte aber doch über Jahrzehnte bestand hatte: Das Privatleben von Politikern in Deutschland war für Journalisten tabu. Jetzt erklärt sie, führende Politiker seien Vorbilder und müssten es sich deshalb gefallen lassen, dass zum Beispiel auch ihre heimlichen Liebschaften dem Wähler bekannt sein müssen. Sie hätte die Information gehabt, in Franz Münteferings Leben sei eine „entscheidende Änderung“ eingetreten, der die Rechercheure nachgehen sollten. Ja, genau. Die Information lag vor: Franz Müntefering hatte sich nach dem Tod seiner Frau wieder verliebt. Und deshalb hat er kein Recht mehr auf eine Privatsphäre?
Um es kurz vorweg zu sagen: Ich finde das ekelhaft. „Das Riekelsche Gesetz“ weiterlesen

Nur ganz schnell

Es tut mir leid, ich bin gerade unglaublich viel unterwegs und habe, mit etwas Glück, dafür auch bald wieder sehr viel zu erzählen. Für den Moment aber nur das hier: Dieser Text von Stefan Niggemeier über die Diskussion um die Tagesschau-iPhone-App ist so scheißgut, dass ich irre sauer bin, dass ich ihn nicht geschrieben habe. Irre sauer.

Und dann gibt es noch das hier:

Zu Burdas Geburtstag: O-Töne

Ich glaube ja, dass es besonders den Inhaber-geführten Verlagen besser gehen würde, wenn die Machthaber noch Leute um sich herum hätten, die ihnen die Wahrheit sagen, die einen guten Ton finden, um dem Alleinherrscher Kritik zu überbringen.
Bei Burda machen sie es anders: Zum Geburtstag überbringen die Chefredakteurinnen des Hauses in bester Hupfdohlen-Manier ein Ständchen voller Nettigkeiten. Wenigstens treffen sie, vielleicht in subversiver Absicht, keinen Ton.

Oli Kahn und das … äh, Fußball

Irgendwas bleibt immer hängen, so traurig das ist, und meiner Meinung nach ist Oliver Bierhoff bei seinen Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung beim DFB recht tapsig in ein offenes Messer gerannt. Was allerdings nichts daran ändert, dass das Niveau der Vorwürfe gegen ihn lächerlich ist und der ganze Streit Kampagnencharakter hat. Aber, ganz ehrlich, es ist mir letztlich egal. Nicht egal ist etwas anderes: Die Bereitschaft von Medien, falsche Informationen zu verbreiten. So lästert zum Beispiel der ehemalige Torwart-Titan Oliver Kahn, den eine schöne, alte Feindschaft mit Bierhoff verbindet, mit der nur ihm möglichen Abschätzigkeit, Bierhoff solle doch erst einmal die Strukturen des DFB verstehen, bevor er zum Beispiel ein Mitspracherecht bei der Besetzung des Nationaltrainerpostens verlange, denn für dieses Recht müsse man schließlich Mitglied im DFB-Präsidium sein. Spiegel Online verbreitet das in einem Video (ab etwa 1:45 Min.), in dem es vor allem um den Imageschaden für Bierhoff geht. Dass Bierhoffs Ruf dabei durch das Video selbst weiter leidet ist klar. Insofern wäre es vielleicht schlau gewesen, vorher wenigstens einmal die Vorwürfe von Kahn zu prüfen, bevor man sie verbreitet: Im Präsidium des DFB ist Oliver Bierhoff schon seit mehr als zwei Jahren.

Oliver Bierhoff bei dfb.de

No Company For Old Men

Vorweg: Diesen Text kann man auch hören! Dank Bodalgo.com, dem Online-Marktplatz für Sprecher
[audio:No Company For Old Men 1.mp3]

Es ist ein Elend, wenn alte Männer sich streiten, da machen Helmut Markwort und Hubert Burda keine Ausnahme. Ersterer räumt seinen Platz beim Focus nicht, sondern drückt seinem Nachfolger einen so genannten Relaunch ins Blatt, der wirkt, als wolle er seine Sandburg zerstört hinterlassen, damit niemand anders damit spielen kann. Auf Kritik daran in der Süddeutschen Zeitung reagiert er, indem er dem Online-Chef Hans-Jürgen Jakobs „journalistisches Stalking“ unterstellt. Er schadet damit dem Focus: Der Nachfolger Wolfram Weimer muss den neuen Posten so schon angeschossen antreten – und die dringend nötigen weiteren Änderungen werden nun auf die letzten verbliebenen Leser vor allem verwirrend wirken.
Der Verleger Hubert Burda hätte wahrscheinlich längst durchgreifen sollen, immerhin hätte ein sauberes Ende auch Markworts Vermächtnis ein wenig heller gestrahlt als so. Burda tat es nicht, warum auch immer. Stattdessen gab er ausgerechnet Markworts Stalker Jakobs für die Printausgabe der Süddeutschen ein langes, bizarres Interview, das am Samstag in der Wochenend-Beilage erschienen ist.
Schon die Bebilderung ist merkwürdig, ein getuschtes Selbstportrait Burdas (in der Sendung Beckmann am späten Montagabend stellten Burda und seine Frau richtig, dass dieses spezielle Bild von Frau Furtwängler gemalt worden war), der sich am Wochenende gerne selbst malt: „Das ist das Spannendste“. Ob er bei diesen Variationen über sich selbst die Wahrheit über sich ans Licht holt, sei dahin gestellt, jedenfalls beantwortet er die Frage, ob es zu seinen Verwundungen gehöre, die ersten 40 Jahre unterschätzt worden zu sein, unter anderem mit dem schönen Gedanken: „Unterschätzt? Das war eher die Hamburger Perspektive auf das ‚Schwarzwald-Springerle'“. Die Hamburger, das waren Augstein, Bucerius und Springer, die großen Verleger, die schon auf seinen Vater herabsahen. Aber was meint man, wenn man sagt: Das war eher die Hamburger Perspektive? Heißt das, er wurde in Wahrheit nicht unterschätzt – weil ja nur die Hamburger Verleger ihn unterschätzten? Und wer unterschätzte ihn denn in diesem Fall nicht? Offenburg? München? Er sich selbst? Kann man behaupten, man würde in Wahrheit nicht unterschätzt, weil man sich selbst nicht unterschätzt? Es ist eine unerhörte Gedankenwindung dazu nötig: Zu glauben, etwas wäre erst wahr, wenn man es selbst glaubt. Es sieht so aus, als könnten die merkwürdigen Zustände im Hause Burda ganz einfach auf zwei kollidierenden Fällen von Solipsismus beruhen.

An einer einzigen Stelle auf diesen hunderten Zeilen spricht Burda über Inhalte: Als er erklärt, dass sein Bekannter Andy Warhol „in seiner Kunst [verarbeitete], was mir wichtig war: New York, beautiful people, Studio 54. Er hat die Trivialität des Alltags auf eine ästhetische Ebene gehoben“. Nun passen diese beiden Sätze eher nicht zusammen, denn gemeint ist wohl eher nicht die Trivialität des Alltags im Studio 54, überhaupt eher nicht die Alltage der beautiful people, die, wenn alle Stricke und Unterhaltungen abreißen, immer noch sich selbst malen können (das Spannendste, was es gibt!). Gemeint ist wohl unser Alltag. Der Alltag derer, die Dosensuppe öfter essen als malen.
Kunst und Unterhaltung, stellt Burda klar, sind „die gleiche Münze“. Eine merkwürdige Metapher: In gleicher Münze wird normalerweise heimgezahlt. Es heißt: Nicht dasselbe, aber gleich viel wert und auf gleichem Niveau. Es heißt auch: Nicht nur ihn haben sie unterschätzt, die Hamburger, sondern auch den Wert dessen, was er gemacht hat mit seinem „Leute-Magazin“ Bunte (inspiriert von Warhol!) und dem Nachrichtenmagazin für die Info-Elite (die jetzt leider „im Netz“ ist, deshalb braucht der Focus wieder mehr Text, damit die Info-Dings, also die Info-Nicht-Elite, ihn lesen mag). Es ist herzzerreißend.
Ein Grund, warum Burda dieses Interview gerade jetzt geben sollte, wenn nicht um Markwort zu demütigen, ist eigentlich nicht erkennbar. Für den Focus-Relaunch tut er nichts, den neuen Chefredakteur erwähnt er nicht, nennt Markwort allerdings auch nicht mehr Chefredakteur oder Herausgeber sondern „Gründer“ – nachdem er ein paar Antworten vorher gesagt hat, die Chefredakteure wären der Reichtum des Verlages, und er hätte zu den Anfangszeiten des Focus Angst gehabt, Helmut Markwort könnte etwas zustoßen. Heute klingt das fast wie eine Corleone-mäßige Drohung, denn heute ängstigt ihn wahrscheinlich eher die Vorstellung, der Gründer könnte ewig leben. Chefredakteure, sagt Burda, müssen „Tore schießen“, sonst können sie „nicht in der Mannschaft bleiben“. Markige Worte von einem, der gleichzeitig Markwort nicht aus dem Team entfernt.
Sie sind beide längst im Rentenalter, aber beide kennen offenbar niemanden, der ihren Job so gut machen kann wie sie selbst. Diese Selbsteinschätzung kommt nicht aus dem Nichts – man kann argumentieren, dass es eine Zeit gab, da war es so. Aber je mehr Zeit vergeht, bis diese Situation geklärt ist, umso mehr wirken die Erfolge der Vergangenheit wie Zufälle. Denn egal wie schön das Selbstportrait sein mag, das ich am Wochenende von mir male, es ist nicht „gleiche Münze“ mit dem, was ich den Rest der Woche über tue. Es mag sein, dass eine große Info-Elite einmal zufrieden war mit der ästhetisierten Trivialität, wie sie im Focus stand. Aber es gehört zum traurigsten, was unsere Branche zu bieten hat, wenn ausgerechnet Journalisten und Verleger an dem scheitern, was die Grundlage all unserer Arbeit sein sollte: Realität.