Das Ende der Politik

Angela Merkel hat in den großen Fragen der jüngeren Zeit jeweils jeden Standpunkt vertreten, den man vertreten konnte: Für und gegen Atomkraft, gegen und für Hilfen für Griechenland, für und gegen die Wehrpflicht, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dabei beschreibt das nur die jeweils extremsten Positionen, zwischen denen sie jeweils in schneller Abfolge und feiner Abstufung mal mehr und mal weniger offensiv ihre Überzeugungen angepasst. Man könnte das für einen Mangel an Orientierung halten. Aber man hätte damit unrecht. Angela Merkels Irrlichtern ist eine zielgerichtete Form der Politik – oder besser, es ist das Gegenteil davon: Die Abschaffung der Politik, wie sie gemeint ist.

Es gibt unter wahlkämpfenden Politikern eine Urangst, ein Gespenst: die dezentrale Mobilisierung. Gemeint ist damit, dass das offensive Vertreten einer bestimmten Position mehr Gegner dieser Position an die Wahlurne treibt als Unterstützer. Aufgeteilt bis hinunter in bestimmte innerstädtische Straßenzüge versuchen Politiker alles zu vermeiden, was ihnen dort mehr schaden als nutzen könnte, weil es ansonsten schläfrige potenzielle Nichtwähler zuerst auf die Palme und dann ins Wahllokal treibt – weil sie so sehr dagegen sind. Angela Merkels Strategie ist eine andere: Die der dezentralen Demobilisierung. Sie schläfert ein, in der berechtigten und 2009 bestätigten Hoffnung, in einer möglichst wenig aufgeheizten Stimmung, bei einer möglichst wenig polarisierenden Fragestellung, werde ihre unzerstörbare Wählerbasis ausreichen, zumindest bei einem uneinigen linken Lager nicht nur die CDU zur stärksten Partei sondern auch Mehrheiten gegen sie unmöglich zu machen.

Kein Grünen-Wähler wird plötzlich die CDU wählen, weil die auf einmal gegen Atomkraft ist. Aber vielleicht werden ein paar Menschen, für die Atomkraft ein wichtiges Thema war, weniger zur Wahl gehen und gegen sie stimmen, wenn sie ihnen diese Angriffsfläche nicht mehr bietet. Bei der griechischen Staatsschuldenkrise macht sie ihre Position ganz einfach undurchschaubar, indem sie jede Position mal vertritt und am Ende so wenig wie möglich tut. Ganz bizarr ist die Frage der Wehrpflicht, bei der sie es selbst noch am vergangenen Sonntagabend bei Günter Jauch schaffte, noch auf Karl Theodor zu Guttenberg als Urheber der Reform zu verweisen – so dass dessen Nach-wie-vor-Bewunderer zufrieden gestellt und etwaige Kritiker der Reform in ihrer Wut auf ein anderes Ziel umgeleitet waren. Ein genialer Zug.

Die Folge dieser Strategie der dezentralen Demobilisierung ist allerdings fatal: Sie nimmt der demokratischen Auseinandersetzung den Raum. Wenn Merkel zu recht zu jedem Argument sagen kann „das habe ich auch schon gesagt“, weil sie es tatsächlich getan hat, nämlich für und gegen alles, um dann so unbemerkt wie möglich immer nur gerade so viel wie nötig zu tun, nimmt sie der demokratischen Öffentlichkeit ein Stück weit die Teilhabe. Ein relatives Schweigen der Mehrheit ist weniger eine grundsätzliche Zustimmung zu dem, was da in Berlin gesagt und getan wird. Es ist reine Übermüdung.

Geschwätz von gestern

Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler zeigte sich verärgert über neue Forderungen zum Euro-Rettungsschirm, wie sie von EU-Kommissionpräsident José Manuel Barroso geäußert worden waren. Wer die Entscheidungen des Euro-Krisengipfels nach nur zwei Wochen wieder in Frage stelle, „erreicht genau das Gegenteil und verunsichert die Märkte“, sagte Rösler gegenüber FOCUS.

Focus Online, 6. August 2011

„Eine Regierung muss sagen, was sie für richtig hält, und darf sich dabei nicht von Märkten treiben lassen.“

Philipp Rösler

z. B. sueddeutsche.de, 15. September 2011

PS.

Es sind viele Bekenntnisse, die Rösler ablegt. In der Sache aber bleibt er auf Kurs, verteidigt sich gegen Vorwürfe, er habe die Aktienwerte an den Börsen durch seine Äußerungen zum Einsturz gebracht: Das sei schon „merkwürdig“, er habe von seinen Aussagen „nichts zurückgenommen, modifiziert, geändert“ und „zwei Tage später waren die Märkte wieder beruhigt“. Die Zuhörer applaudieren ihm.

Spiegel-Online, 16. September

Hat der Bundeswirtschaftsminister gesagt, es sei „schon merkwürdig“, dass die Börsenkurse steigen, obwohl er nichts zurückgenommen habe? Im Sinne von: Der Vorwurf, er habe einen Kursrutsch verursacht ist falsch, weil sie schliesslich auch wieder steigen – übrigens, Herr Wirtschaftsminister, nachdem die Notenbanken begonnen haben, die Märkte mit Dollars zu fluten? Denkt er wirklich, das wäre ein Argument? Ist der Mann dämlich, oder lügt er sich die Welt zurecht? Und was wäre schlimmer?

Wired: Wo sind bloß diese ganzen Geeks?

Ich weiß, dass die wichtigen Sachen zur eben erschienenen deutschen Ausgabe von Wired schon gesagt sind, aber ich habe Lust, mich mal wieder um das Thema zu kümmern, für das dieser Blog mal gegründet wurde (und, ja, ich sage „der Blog“). Um Printprodukte und ihre Gegenwart.

Ich bin wahrscheinlich ein bisschen voreingenommen. Ich hätte erstens gerne an einer deutschen Wired mitgearbeitet, und zweitens ging mir Thomas Knüwer, der Chefredakteur, immer wenn ich etwas in seinem Blog „Indiskretion Ehrensache“ gelesen habe, mit seiner Überheblichkeit auf die Nerven. Aber ich glaube, es ist nicht so schlimm, dass ich meine Emotionen da nicht beherrschen kann. Und ich bin grundsätzlich tief drinnen ganz angetan von dem Mut von Moritz von Laffert, mit der Konzeption einer deutschen Wired jemanden zu betrauen, der noch nie ein Magazin gemacht hat. Es ist ja nicht so, dass die Erfahrung bei allen anderen pausenlos nur Erfolge hervorbringt. Insofern ist das ein Weg, der sich lohnen könnte – ich bin immer für mehr Experimente.

Und die neue Wired ist erstens mal erschienen, was gar nicht so selbstverständlich ist, wie es sein sollte, und sieht zweitens auf den ersten Blick mehr als nur ordentlich aus. Ich verstehe das Cover nicht, weder die Titelzeile noch die Illustration, aber ich finde sie erstens hübsch und zweitens ist dieses Heft zunächst mal gar nicht für den Kioskverkauf vorgesehen, sondern eine Beigabe zu GQ, insofern darf man da Markenbildung über Verkäuflichkeit stellen. Als Verkäufer hielte ich den Titel für einen Stinker, aber dazu kommen wir noch.

Beim ersten Blättern fallen mir – neben der guten Gestaltung – zwei Dinge negativ auf: Das Heft hat wenig Rhythmus, zu viele kleine Geschichten und letztlich keine große Geschichte, die bei mir hängenbleibt. Und, als eindeutiges Mitglied der Zielgruppe, wenn dazu die Tatsache reicht, dass ich regelmäßiger Leser der US-Ausgabe bin, finde ich auf den redaktionellen Seiten kein einziges Produkt, das ich kaufen wollen würde. Da bin ich billig zu haben: Ich mag die Seiten mit Ferngläsern, Kameras oder Lautsprecherboxen. Ich mag Technik, die ich benutzen kann. Aber die deutsche Wired nutzt den Raum, den sie dafür hat, für Produkte wie eine Wasserpfeife für 1300 Euro oder den üblichen Roboter-Staubsaugertest, den ich seit acht Jahren irgendwann in jedem Magazin mal gesehen habe, obwohl ich immer noch keinen Menschen kenne, der so ein Ding je gekauft hat.

Das ist nicht so uneingeschränkt schlecht, wie es klingt. Ich suche beim Lesen wie beim Entwickeln von Zeitschriften nach Charakter, und Charakter wahrscheinlich am ehesten in der Bedeutung des Wortes wie bei einem Charakter in einer Fernsehserie. Da wahrscheinlich keine einzige Information in einem Magazin exklusiv ist, geht es bei Zeitschriften ausschließlich um die Weltsicht, und die wird neben der textlichen und gestalterischen Aufmachung auch durch die Themenauswahl bestimmt (zur Analogie: man guckt Fernsehserien auch nicht wegen der Geschichten, sondern wegen der Charaktere. Ob bei Doktor House ein Krebs oder ein Bruch behandelt wird ist nebensächlich neben der Frage, wie er behandelt).

Jedenfalls: Die Auswahl der Produkte und vieler Themen habe ich nicht verstanden, in dem Sinne, als sie mir kein Bild vom Charakter der Zeitschrift gegeben haben, das mich angesprochen hat.

Sehr viel wert wird dann beim zweiten Lesen auf die Entwicklung einer expliziten Weltsicht gelegt. Das zeigt sich am offensivsten in der Titelgeschichte über „Geeks“. Offenbar herrscht in der Redaktion oder zumindest bei ihrem Chefredakteur die Meinung vor, erstens einmal wäre „Geeks“ der positive Ausdruck für „Nerds“ (was mir nicht klar war – ist es eigentlich immer noch nicht), und zweitens wären Nerds in Deutschland irgendwie unterbewertet. Er macht das daran fest, dass die Süddeutsche Zeitung nicht regelmäßig über Geeks schreibt, was ich für ein komisches System halte. Die Süddeutsche Zeitung schreibt auch wenig über Spackos, obwohl sie in meinem Leben extrem präsent sind. Ich habe oft den Eindruck, ich wäre von Spackos umgeben. Ich nehme der Süddeutschen aber nicht wirklich übel, dass sie praktisch nie über Spackos schreibt, weil ich diesen im allgemeinen Sprachgebrauch unüblichen Begriff sehr eigenwillig benutze, und ich habe den Eindruck, mit Knüwer und den Geeks ist es ähnlich.

Allerdings könnte man den Begriff Geek, wie Knüwer ihn benutzt, aus meiner Sicht ziemlich genau mit dem in Deutschland gefeierten Begriff „Tüftler“ synonym benutzen, und dann bricht die komplette These der Titelgeschichte zusammen. Kurz: Ich halte die komplette These für Unfug, was auch daran liegt, dass sie abenteuerlich belegt ist.

Knüwer schreibt, es wäre merkwürdig, dass Geeks keine Rolle spielen, wo doch Geeks wie Gutenberg und Carl Benz das Land groß gemacht hätten. Allerdings bestreitet niemand deren Leistung, es nennt sie nur niemand Geeks (aber ich schlage im Zuge der ausdrücklich eingeforderten Leserbeteiligung vor, sich mal mit dem Skandal zu beschäftigen, dass verschwiegen wird, dass Hitler der Spacko das Land mal komplett ruiniert hat. Das muss man doch mal aufschreiben!).

Gleichzeitig stellt Knüwer fest, dass „die Politiker“ und irgendwie auch alle anderen das Land kaputt machen, weil sie Geeks nicht fördern. Geeks sind dabei Menschen wie Gutenberg, Benz und eine junge Frau, die tolle Schokolade macht, die Politiker und der Spiegel unterdrücken sie aber, indem sie das Internet gefährlich finden und immer nur regulieren wollen. Nochmal zum Mitdenken:

[Geeks] gründen Fotografie-Startups oder entwickeln neue Produktionsmethoden für ethisch korrekte Schokolade.
Anerkennung und Respekt ernten sie dafür wenig – im Gegenteil. Sie werden zu Außenseitern erklärt. Zu Nerds. Freaks. Zu Parias. Zum Beispiel vom „Spiegel“: „Macht das Internet doof?“; „Netz ohne Gesetz“; „Die Unersättlichen – Milliardengeschäfte mit privaten Daten“ – alles Schlagzeilen seit 2008″

Wenn das wahr ist, dann ist es mir komplett entgangen. Werden Schokoladen-Tüftler zu Parias gemacht? Ich habe aber den Eindruck, dass da Dinge miteinander vermischt werden, um irgendetwas zu belegen, von dem der Wired-Chefredakteur denkt, es wäre so – das sich aber nicht belegen lässt. Knüwer leitet daraus dann allerdings her, dass es eine Angst der Eliten vor dem Netz gibt, die ja immerhin gesehen haben, wie man mit dem Netz in Nordafrika Diktatoren stürzt – was ich dann auch wieder in jeder Hinsicht für Quatsch halte. Aber wie dem auch sei, die Geschichte geht in etwa so: Die deutschen Eliten verspielen aus Angst davor, ihr Verhalten zu ändern, die Zukunft des Standortes Deutschland. Andere machen das teilweise besser. Und das sind Geeks.

Ein Geek für Deutschland – das wäre eine Idee. Oder auch mehrere. Viele. Geeks haben das Fachwissen, das in der Politik fehlt und oft auch in der Wirtschaft.

Es gibt also irgendwo eine Horde von ganz tollen Typen, die alles nötige Fachwissen haben, damit bisher aber weder in der Wirtschaft arbeiten noch in der Wissenschaft, wo Politiker ihre Experten rekrutieren. Das ist aus meiner Sicht eine so abenteuerlich jenseits der Realität angesiedelte Vorstellung von der Welt, dass ich nicht einmal weiß, wie man darauf antworten soll. Ich würde nur diesen Keller gerne sehen, in dem die Geeks angeblich aufbewahrt werden. Positiv festhalten lässt sich, dass hier das Programm der deutschen Wired in seiner Essenz aufgeführt wird, denn genau so geht es weiter: Die da oben haben keine Ahnung, und wir sind das Organ derjenigen, die es besser wissen.

Da wird ein Wirtschaftsjournalist vorgestellt, weil er offenbar Wirtschaftsjournalismus macht, und sich „mit Star-Ökonomen anlegt“ (gemeint mit „Star-Ökonom“ ist, knihihi, Hans-Werner Sinn).

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der irgendwas zum Thema Cyberwar macht, und sich dabei „mit Generälen und Politikern“ – na? Genau: anlegt (übrigens damit das Militär nicht so viel das Internet benutzt, das ist zu unsicher).

Dann kriegt es angeblich keiner in Deutschland mit, dass Berlin zu einem tollen Startup-Standort geworden ist. Badoo ist ein Social-Network-Phänomen „aber keiner redet drüber“. Computerspiele sind das „Medium von morgen“, aber Spiele sehen aus wie Hollywoodfilme von gestern.

Das sind alles nur Zitate aus den Vorspännen von Geschichten, in den Geschichten selbst geht es aber dann genau so weiter: Wenn ich den Charakter der deutschen Wired beschreiben sollte, würde ich sagen, sie leidet daran, dass sie glaubt, alles besser zu wissen als alle anderen. Wenn doch endlich jemand auf sie hören würde!

Die Frage, die sich aus Verlagssicht dazu stellt, ist ob es genug Menschen gibt, die die Welt genauso sehen. Die Verschwörungstheoretiker in den Kommentarspalten der deutschen Nachrichtenangebote sprächen dafür, dass es so ist. Das Gefühl, alles besser zu wissen und „die Politik“ dafür zu verachten, wie wenig Ahnung sie angeblich hat, sorgt – inhaltlich allerdings auf einem höheren Niveau – ja auch für die großartige Auflage des Spiegel. Dass ich das Konzept persönlich nicht mag, heißt nicht, dass es nicht funktionieren kann.

Aber ich finde es langweilig.

Tugenden

Inzwischen begibt sich selbst der sonst eher rational argumentierende Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in die Niederungen, in denen seine Kollegen aus der Regierungskoalition ihren billigen Stimmenfang betreiben. Die Politiker von CDU und FDP versuchen seit inzwischen fast zwei Jahren mit Unterstützung der üblichen Medien, für die Schuldenprobleme vor allem der südeuropäischen Staaten charakterliche Defizite verantwortlich zu machen. Da ist von Schulden-„Sündern“ die Rede, von „Schlendrian“ und allen möglichen Mentalitäten (erstaunlicherweise nicht, wenn es um die USA geht, aber warum sollte falsche Argumentation konsistent sein). Schäuble bedient sich nun implizit derselben argumentativen Schiene, wenn er in einem Beitrag in der Financial Times zum Beispiel behauptet

There is some concern that fiscal consolidation, a smaller public sector and more flexible labour markets could undermine demand in these countries in the short term. I am not convinced that this is a foregone conclusion, but even if it were, there is a trade-off between short-term pain and long-term gain.

Das Bild vom reinigenden „Schmerz“, der auf lange Sicht die Erlösung bringt, passt perfekt in die Ideologie derjenigen, die Länder „leiden“ sehen wollen, weil sie „Sünder“ sind (und wenn er da nicht nur einen merkwürdigen Witz machen wollte, verlangt EU-Kommissar Günther Oettinger, dass Länder mit einem Haushaltsdefizit in Zukunft dadurch gedemütigt werden sollen, dass ihre Flaggen vor den EU-Gebäuden auf Halbmast gesetzt werden sollen. Was für ein kranker Mann). Die Maßnahmen, die deutschen Regierungspolitikern zu den Problemen unserer Zeit einfallen, erinnern stark an die Maßnahmen, die der katholischen Kirche in vergangenen Jahrhunderten zu den Problemen ihrer Zeit eingefallen sind: tue Buße. Und das war dann das. Ökonomisch ergibt das selbstverständlich keinen Sinn, aber Ökonomen sind auch berühmt dafür, dass sie im Gegensatz zur BILD-Zeitung nicht in moralischen Kategorien denken. Die Wählerverarschung erfüllt inzwischen wahrscheinlich die Definition für Organisiertes Verbrechen.

Wie falsch die Rechenschieber-Inquisiteure und Sparprogrammierer dabei liegen zeigt in dieser Woche ausgerechnet eine bemerkenswerte Rede aus einer gänzlich unerwarteten Ecke. Charles Evans, Präsident der Chicagoer Zentralbank (die US-amerikanische „Federal Reserve“ besteht aus einer Reihe regionaler Zentralbanken), weist in einer Rede darauf hin, dass die Verantwortung seiner Institution nicht nur darin bestehe, die Inflation knapp unter zwei Prozent zu halten, sondern auch die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten.

Suppose we faced a very different economic environment: Imagine that inflation was running at 5% against our inflation objective of 2%. Is there a doubt that any central banker worth their salt would be reacting strongly to fight this high inflation rate? No, there isn’t any doubt. They would be acting as if their hair was on fire. We should be similarly energized about improving conditions in the labor market.

Nur noch einmal zum auf der Zunge zergehen lassen: das sagt ein Zentralbanker in den USA – nicht unbedingt ein Land, auf das der ständig von unseren Regierungsparteien implizierte Vorwurf zutrifft, Eingriffe in den „freien“ Arbeitsmarkt zu praktizieren, die angeblich schädlich sind, weil sie letztlich die Disziplin, also die Tugend, der sündigen, faulen Arbeitnehmer untergraben (Evans plädiert in der Folge dafür, mehr Geld in den Markt zu pumpen und eine mäßig steigende Inflation zugunsten von neuen Jobs zumindest zeitweise in Kauf zu nehmen).

Was für den Währungsraum USA gilt stimmt auch für den Währungsraum Euro: Gleichzeitig auf Kosten grassierender Arbeitslosigkeit – besonders unter jungen Europäern – offensichtlich nutzlose Sparprogramme durchzudrücken, und das auch noch mehr oder weniger versteckt als Tugendhaftigkeit zu verkaufen, ist verlogen und bigott. Anstatt ihrer Verantwortung für die Bevölkerung(en) gerecht zu werden, tauschen Schäuble und seine Spießgesellen die Schicksale von Millionen Menschen gegen die Rettung von Banken – und deklarieren den Schmerz der Millionen verarmenden um zu einer Art spiritueller Reinigung.

Wenn es einen Gott gibt, dann gibt das Ärger.

PS. Der von mir geliebte Economist sieht es seit heute ähnlich:

There is an angry self-righteousness to German rhetoric. Schulden, the German word for debt, is derived from Schuld, which also means guilt. In a revealing recent speech in Washington DC, Wolfgang Schäuble, the German finance minister, said that the crisis was the result of forsaking “long-term gains for short-term gratification”, by piling up debt and abandoning competitiveness. The answer is not to throw more money at the problem. “You simply cannot fight fire with fire,” he said. One could almost hear an echo of Martin Luther denouncing the sale of indulgences. Why should sinners be given an easy way out?

Wie wird man eigentlich „Journalist“?

Weil Hetze nicht schlecht wird, wenn man sie ein paar Monate nicht benutzt, hat Bild.de heute noch einmal den Artikel ausgepackt, in dem sie darauf hinweist, dass sie in Bezug auf Griechenland schon immer Recht hatte (Anlass dafür, auf alte Artikel wie den mit der Headline „Griechen streiten und streiken, statt zu sparen!“ (BILD, 25. Februar 2010) hinzuweisen ist lustigerweise offenbar die spätestens seit gestern durch die Troika-Prüfungen belegte Tatsache, dass Griechenland zu viel spart).

Allerdings hat Bild.de einen zumindest für mich neuen Aspekt zu der Geschichte hinzugefügt: Kritik an Bild. In einer kleinen Klickgalerie zitiert Bild tatsächlich Experten, die die Kampagne der Bild kritisiert hatten! Oh, Moment, Experten? Nein: „Experten“. In Anführungsstrichen. „So wurde Bild von „Experten“ kritisiert“, heißt der Kasten. Und die Anführungsstriche sind, wie früher bei „DDR“, offenbar gedacht, um „so genannte“ zu insinuieren. Es handelt sich nach Ansicht von Bild bei Menschen wie dem Wirtschaftsminister Thüringens, Roland Koch und Sigmar Gabriel nicht um Experten, sondern nur um so genannte. Was besonders wundert bei Professor Doktor Peter Bofinger, einem der fünf Wirtschaftsweisen: Noch am 15. August nannte Bild selbst den so genannten „Experten“ nämlich einen „führenden Wirtschaftswissenschaftler Deutschlands“ – ohne Anführungsstriche natürlich.

Womit sich die Frage aufdrängt: Wird man eigentlich als „Journalist“ geboren, oder muss man sich den Hang dazu, die Welt auch mal als irgendetwas außerhalb des eigenen Kopfes zu betrachten, erst mühsam abtrainieren?