Der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou hat überraschend angekündigt, sein Volk über die EU-Entscheidung abstimmen zu lassen, die zu dem gefühlten Durchbruch am letzten Wochenende geführt hat – und wieder einmal sind Journalisten so irritiert, dass ihnen wie bei SpOn nicht viel mehr dazu einfällt, als zu Titeln: „Papandreou irritiert Griechen mit Abstimmungsplan“. Kronzeugen dafür sind ausgerechnet Abgeordnete jener „Neue Demokratie“ genannten Karikatur einer konservativen Partei, deren verrotteter Umgang mit dem eigenen Staat den schlimmsten Teil der Staatsverschuldung überhaupt erst verursacht hat.
„Wir Vertrauen dem Volk“, sagt Papandreou. Und meiner Meinung nach steigt er spätestens mit dieser Entscheidung in den Olymp derjenigen Politiker auf, die ein Volk tatsächlich führen können in Zeiten unvorstellbarer Not.
Denn natürlich ist das eine Entscheidung, die dem griechischen Volk zusteht. Selbst wenn wir für einen Moment – und nur für dieses Argument – annähmen, das griechische Volk oder zumindest die griechische Politik wären allein verantwortlich für die Krise, in der der Staat steckt (was sie trotz ihrer tausenden Fehler nicht sind), dann bleibt doch die Tatsache, dass diese Lösung nicht getroffen wurde, um Griechenland einen Ausweg zu bieten, sondern vor allem, um den Banken einen zu bieten. Der 50-prozentige „freiwillige Verzicht“ der Banken ist ein gigantischer Hoax. Die griechischen Staatsanleihen werden gehandelt, und sie wurden zuletzt zu Werten unterhalb von 40 Prozent ihres Nennwertes gehandelt. Gehandelt heißt: Von Banken verkauft und gekauft. Wer sie für 40 Prozent kauft und nun 50 Prozent durch unser Steuergeld garantiert bekommt, hat nicht freiwillig verzichtet, er bekommt vom Steuerzahler Geschenke. Darum geht es hier: Ein gigantisches Geschenk der Steuerzahler an die Banken. Das als „freiwilligen Verzicht“ der Banken zu deklarieren ist Betrug am Steuerzahler. Es ging bei all dem nur darum, einen Weg zu finden, der nicht dazu führt, dass die Banken untereinander ihre in unbekannten Wahnsinnshöhen gehandelten Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig werden lassen. Sie sind die große Gefahr für das System, nicht Griechenland, das wie oft gesagt für die europäische Wirtschaft so wenig wichtig ist wie Hessen.
Die griechische Bevölkerung bekommt für diesen Schritt die nächste Runde eines Sparprogrammes aufgedrückt, das schon heute weite Teile der Bevölkerung in Armut gedrückt und für die Wirtschaft nichts positives bewirkt hat. Die Staatsverschuldung ist weiter gestiegen, woran weiter Banken verdienen. Das ist die Situation, vor der Papandreou steht. Was tut der Führer eines Landes in so einer Situation?
Die wirtschaftliche Lage ist so verfahren, dass niemand mehr vernünftige Prognosen abgeben kann. Aber Wirtschaft ist, nach Ludwig Erhard, zur Hälfte Psychologie. Politik, meiner Meinung nach, zu achtzig Prozent. Papandreou wählt den einzigen Weg, seine Nation zu einen: Ob sie zustimmen oder nicht, sie werden am Ende eine Entscheidung getroffen haben, was ein Wert an sich ist, und sie werden die Verantwortung tragen müssen, was eine Motivation an sich ist. Gegen die Hinterzimmergespräche von Brüssel steht ein Akt der Demokratie.
Zwei Argumente stehen dagegen. Zum einen ist in der repräsentativen Demokratie der Abgeordnete – und mehr noch der Regierungschef – in der Verantwortung, schwierige, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Aber wer wollte behaupten, dass Papandreou das nicht längst in einem Maße getan hat, von dem die gesamte Reihe der Mittelmäßigen zum Beispiel in Deutschland schon beim ersten Anblick abgedreht hätte? Im Verhältnis zum Kabinett Merkel Zwei ist Papandreou längst ein Leuchtturm zwischen lauter Pappkartons. Beweisen muss er nichts mehr, aber er muss den Moment finden, in dem Repräsentation nicht mehr reicht. Bevor es in den Straßen brennt und Leichen auf den Plätzen liegen wie in Syrien. Der Souverän bleibt auch in der repräsentativen Demokratie das Volk.
Der zweite Einwand ist formal: Es tut einer Demokratie in der Regel nicht besonders gut, wenn Bürger über wirtschaftliche Belange abstimmen. In dem US-Bundesstaat Kalifornien haben des die Bürger geschafft, gleichzeitig eine der leistungsfähigsten Volkswirtschaften mit einem der bankrottesten Staatswesen zu verbinden, indem sie per Volksabstimmung regelmäßig Steuern und Abgaben verringert und die Aufgaben des Staates vergrößert haben. In der Regel – zum Beispiel in meiner Heimatstadt Hamburg – dürfen Volksabstimmungen keine Steuern und Abgaben zum Inhalt haben. In Griechenland sind Volksabstimmungen überhaupt nur bei Fragen von überragendem nationalen Interesse erlaubt. Aber meiner Meinung nach ist das hier mehr als gegeben. Was sollte denn von größerem nationalen Interesse sein, als die Möglichkeit, selbst über das eigene Schicksal zu bestimmen?
Es bleibt also, das Papandreou den Ablauf der internationalen Geldpolitik aufhält. Und ich kann das nicht so schlimm finden. Ich gehe davon aus, dass auch dieses Kapitel mit einem weiteren Geschenk an die Banken enden wird. Auf die eine oder andere Art endet es so immer. Die große Volksverdummungsmaschine wird, angeführt von der BILD-Zeitung, wieder einmal verbreiten, die Griechen wären undankbar oder was auch immer sie inzwischen an absurden Begründungen finden müssen, damit die Realität noch zu den Märchen passt, die sie jeden Tag erzählen.
Dem Volk vertrauen – vielleicht wäre das sogar irgendwann mal ein Konzept für uns.