Die CSU als Naturkatastrophe

In ihrem lesenswerten Buch Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismuslegt Naomi Klein dar, wie Anhänger des Korporatismus mithilfe zum Beispiel des IWF Katastrophen nutzen, um Politik umzusetzen, die unter normalen Umständen am Widerstand der Bevölkerung scheitern müsste – nämlich einen radikalen Dreiklang von Kürzungen der Staatsausgaben, den Abbau von Arbeitnehmerrechten und der Privatisierung von Staatseigentum. All das lässt sich jeden Tag beobachten, im Moment zum Beispiel in Griechenland oder der Ukraine, die aktuell von Krediten des IWF abhängig sind.

Aber was ist mit Ländern wie Deutschland, in denen solche Katastrophenszenarien unwahrscheinlicher sind, potenzielle Gewinne aber hoch? Ich glaube, wir erleben gerade dieser Tage eine verdeckte Strategie zur schleichenden Privatisierung, ohne sie bewusst wahrzunehmen: In der absurden Einführung einer PKW-Maut für Ausländer, die deutsche Autobahnen benutzen.

Der Bundestag beschließt heute ein Gesetz, das angeblich niemand außerhalb der CSU will, das wahrscheinlich gegen europäisches Recht verstößt und von dem nicht einmal klar ist, ob der bürokratische Aufwand nicht potenzielle Gewinne sofort wieder auffrisst. Medien beschreiben das halb belustigt, halb verärgert.

Ich glaube nicht, dass der Hauptgedanke hinter dem Gesetz tatsächlich ist, dass (wie SpOn schreibt) „im bayerischen Landtagswahlkampf 2013 wohl ein paar angeheiterte Bierzelt-Bayern gejohlt haben, als die CSU ihnen versprach, endlich die Ösis abzukassieren, wenn sie die deutschen Autobahnen benutzen.“ Für so absurd halte ich deutsche Politik dann doch noch nicht. Die Maut ist zunächst einmal ein Einstieg in das „Verursacherprinzip“, also die ursprünglich grüne Forderung, dass für Autobahnen der bezahlt, der sie vornehmlich nutzt*. Verkehrsminister Dobrindt (CSU) sprach heute im Bundestag schon von einem „Systemwechsel“ hin zur „Nutzerfinanzierung“. Von hier ist der Schritt nicht mehr weit zu Straßenbau in „Private-Public-Partnerships“, wie sie zum Beispiel die CSU-Heimat Bayern vorantreibt, in denen Teile der Infrastruktur zunächst halb- und später ganz privat betrieben werden. Das ist, was folgen wird: private Straßen, die mit Profit betrieben werden.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Privatisierungen, auch wenn ich skeptisch bin, dass Infrastruktur dem Gemeinwohl besser dient, wenn mit ihr Gewinn erwirtschaftet werden muss. Sicher gibt es in fast jedem Einzelfall gute Argumente dafür und dagegen. Ganz eindeutig fragwürdig finde ich, wenn Privatisierungen ohne breite Diskussion durch die Hintertür eingeführt werden, wie in diesem Fall – und die Medien sich durch eine obskur argumentierende Partei wie die CSU von dem ablenken lassen, was die eigentliche Geschichte hinter dem neuen Gesetz wäre. Die Opposition scheint derweil ohnehin zu sehr damit beschäftigt, sich daran abzuarbeiten, dass dieses Gesetz eine „Niederlage für Merkel“ wäre. Es ist aber vor allem eine Niederlage für die Bürger und Steuerzahler, die ihre Infrastruktur in naher Zukunft möglicherweise überbezahlen werden müssen, um sie für Investoren profitabel zu machen. Wir werden das spätestens dann sehen, wenn der versprochene Ausgleich für deutsche Autofahrer über die verminderte KFZ-Steuer wieder kassiert wird, die Autobahn-Maut aber bestehen bleibt – wovon ich ausgehe.

Darüber sollten wir reden. Und darüber, dass Naomi Klein am Ende wahrscheinlich doch recht hat: Es braucht eine Katastrophe, um so etwas durchzusetzen, zum Beispiel die CSU.

*Ich halte das übrigens für ein dünnes Argument, weil zum Beispiel auch jeder, der im Supermarkt einkauft, die Autobahnen für die Transporte zum Supermarkt nutzen lässt, aber das ist ein anderes Thema.

Die Sache mit dem Finger: Varoufakis bei Jauch / aktualisiert

Die große Tragödie ist, dass alle nur über diesen Finger reden werden. Yanis Varoufakis hat spannende und richtige Dinge gesagt bei Günther Jauch am Sonntag, aber eben auch eine, die entweder völlig falsch oder zumindest so dämlich missverständlich war, dass der Abend am Ende seinen Gegnern möglicherweise mehr nützen wird als ihm und der Sache der neuen griechischen Regierung.

In der Sendung hielt Günther Jauch ihm vor, er würde fordern, Griechenland solle seine Schulden ganz einfach nicht bezahlen und Deutschland den Mittelfinger zeigen, und er spielte ein Video ein, auf dem Varoufakis 2013 zu sehen war, wie er genau das tat.

Sprecher: Varoufakis will den Griechen neues Selbstvertrauen geben …(kurze Einblendung: Mai 2013)

Varoufakis: Griechenland sollte einfach verkünden, dass es nicht mehr zahlen kann …

Sprecher: … und steht für klare Botschaften. Besonders an Deutschland.

Varoufakis: … und Deutschland den Finger zeigen und sagen: Jetzt könnt ihr das Problem alleine lösen.

Dann leitete Jauch mit der Frage zu Varoufakis über

Jauch: Der Stinkefinger für Deutschland, Herr Minister. Die Deutschen zahlen am meisten, und werden dafür mit Abstand am meisten kritisiert. Wie passt das zusammen?

Varoufakis widersprach heftig: Er habe nie jemandem den Finger gezeigt, das Video müsse falsch sein, „that video is doctored“, für mich zumindest klingt das so, als behaupte er, das Video müsse sogar gefälscht sein, der Finger quasi hineinmontiert.

Ich glaube, das Video ist authentisch. Allerdings hat Varoufakis in einem entscheidenden Punkt trotzdem recht: Er fordert in diesem Video nicht, „Deutschland den Finger zu zeigen“ und die Schulden nicht zu bezahlen, sondern er fordert im Gegenteil ganz andere Lösungen für die Euro-Krise (nämlich dieselben, die er heute auch fordert) – aber er rekapituliert im Rahmen einer Frage-und-Antwort-Session zu seinem Buch im Mai 2013 seine Position von Anfang 2010, also seine Forderung von VOR irgendwelchen Hilfskrediten. Er zeigt nicht den Finger, sondern sagt, er habe drei Jahre früher von anderen in einer anderen Situation gefordert, sie sollten den Finger zeigen. Das ist ein Unterschied, sogar ein entscheidender. „Damals hätte man sollen“ und heute fordern sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge, wenn sich in der Zwischenzeit die Fakten geändert haben – zum Beispiel durch den größten Kredit der Menschheitsgeschichte. Oder so.

So wie Jauch das Video zeigt ist es tatsächlich falsch. Wenn Varoufakis mit „doctored“ aber gemeint hat, das Video wäre gefälscht, dann liegt er ebenfalls daneben. Die Jauch-Redaktion hat das Video in einen falschen Kontext gestellt: Varoufakis hat den „griechischen Default innerhalb des Euro“ nicht 2013 gefordert, als Deutschland Hilfskredite gewährt hatte, sondern 2010, als der noch möglich war. Damit wäre „die Deutschen zahlen am meisten“ nie Realität geworden und Jauchs ganze Frage hätte keinen Sinn mehr ergeben (ja, korrekt, hat sie so dann auch nicht). Inzwischen hat der für Jauch zuständige NDR-Fernseh-Chefredakteur Andreas Cichowicz auf Twitter auch zugegeben, dass der Kontext zur Frage besser gewesen wäre. Ich würde sogar sagen, er war notwendig.

Vor diesem Hintergrund ist es inhaltlich richtig: Varoufakis hat nie Deutschland den Finger gezeigt und das Video ist seines Kontextes beraubt, also auch doctored.

Ich nehme allerdings schwer an, dass diese Tiefe der Differenzierung bei BILD-Lesern (und erst recht BILD-Mitarbeitern) eher nicht ankommen wird.

Nachtrag: Am Montagabend bestätigt Varoufakis auf Twitter, was ich vermutet hatte: Er postet das „undoctored“ Video, in dem die Szene drin ist (bei Minute 40:32). Offensichtlich meint er mit „Video“ den Einspieler und den falschen Kontext. Ich wünschte, er hätte das gleich klarer gesagt (oder es wäre nicht in der Drei-Wege-Übersetzung verschütt gegangen).

PS. Noch einen Tick schöner steht es bei Stefan Niggemeier.