Wir erleben am so genannten Sparpaket gerade ein Paradebeispiel dafür, wie sehr unser Denken von Metaphern und Verständnisrahmen bestimmt wird – und wie wenig von rationalen Gedanken. Und natürlich, wie diese Tatsache benutzt wird, um Politik durchzusetzen.
Das Wort „Sparen“ setzt bei uns eine Kette von Assoziationen in Gang, die seit der kleinsten Kindheit verankert sind. Sparen ist nötig, wenn man etwas möchte, es wird belohnt und ist oft unumgänglich. Vor allem aber ist Sparen immer verbunden mit einem persönlichen Budget: Familien sparen für den Sommerurlaub, einen neuen Fernseher oder, per Bausparvertrag, auf ein Haus. Und wenn eine Familie – gerade eine gern genutzte und kaum hinterfragte Phrase – „über ihre Verhältnisse gelebt hat“, dann muss sie sparen, um das Konto wieder auszugleichen. Das entspricht in den Augen vieler Kommentatoren der heutigen Haushaltssituation der Republik. Zumindest wird es so dargestellt. Und, wegen der tief verankerten Sparmetapher in unserem Unterbewusstsein, quasi instinktiv verstanden.
Das Problem dabei ist, dass der öffentliche Haushalt mit dem privaten Haushalt einer Familie oder eines Unternehmens sehr wenig gemein hat. Wenn wir privat Geld ausgeben, dann ist es für uns weg. Wenn wir als Allgemeinheit aus unserem Staatshaushalt Geld verteilen, dann ist es in einer anderen Tasche, kann aber trotzdem auf vielen Ebenen unserem gemeinsamen Wohlstand dienen. Um nur eine der häufigsten metaphorischen Phrasen zu erwähnen: Es wird gerne angeführt, die Schulden, die wir heute machen, lasteten auf kommenden Generationen. Das ist natürlich überhaupt kein Automatismus, vor allem nicht in einem Land mit einer Sparquote wie der deutschen. Würden die Deutschen, die heute in der Lage sind, Geld zu sparen, dieses Geld über Bundeswertpapiere dem Staat zur Verfügung stellen, dann bekämen sie oder ihre Kinder es im Gegenteil mit Zinsen zurück, während heute davon wichtige Investitionen in die Zukunft getätigt werden könnten. In jedem Fall wird jemand an den Schulden verdienen, warum also nicht wir? Abgesehen davon, dass der Staat sein Geld ja nicht einfach ausgibt, sondern investiert: In Infrastruktur, Bildung oder zumindest – im Falle der Transferleistungen – in die Binnennachfrage.
Sparen ist also nicht gleich Sparen, aber die politische Auseinandersetzung wird sehr bewusst über diese Verständnisrahmen geführt – was man schon daran sieht, dass dieses so genannte Sparpaket mit faktischem Sparen, dem Zurücklegen von Geld für schlechtere Zeiten oder große Anschaffungen, überhaupt nichts zu tun hat.
Die Metapher vom Sparen hat einen erwünschten Nebeneffekt. Wenn man den Staat unterbewusst als privaten Haushalt versteht, der weniger Geld ausgeben muss, weil er eben nicht mehr hat, der findet den Staat in einer Situation, in der er „schmerzhafte Einschnitte“ machen muss, wie eine Familie, die ihre jährliche Spende an eine wohltätige Organisation einschränken muss, weil sie das Geld dafür eben einfach nicht hat. So scheint es plötzlich unumgänglich, arbeitslosen, alleinerziehenden Müttern von Säuglingen auch noch die 300 Euro Kindergeld zu streichen, die ihnen nach ordnungspolitischen Gesichtspunkten ja nicht mehr zustehen, seitdem Frau von der Leyen aus dem Erziehungsgeld das Elterngeld und damit einen Lohnersatz gemacht hat. Analog zur Verantwotung einer Familie für ihre privaten Finanzen wird die Verantwortung des Staates (also von uns allen) für seine Finanzen über das gestellt, was eigentlich die Kernaufgabe des Staates ist: Seinen Bürgern die Möglichkeit zu bieten, in Freiheit zu prosperieren, und sie vor den Folgen der großen Lebensrisiken zu schützen.
Das große Problem ist, dass die große Erzählung vom Sparpaket schon nicht mehr diskutiert werden kann, wenn man die Begrifflichkeit und damit die Metapher akzeptiert hat. Innerhalb des Verständnisrahmens Sparpaket sind nur noch Details zu kritisieren, nicht mehr die grundsätzliche Entscheidung darüber, was wir von und mit unserem Staat gestalten wollen. Es fehlen die Worte dafür.
Natürlich ist dieses Sparpaket nicht „gerecht“, und ich kann nicht eine Sekunde lang glauben, dass irgendjemand, der das behauptet, es wirklich denkt. Was für ein unfassbares Arschloch müsste das sein. Wenn wir es analog zu dem Beispiel von der Familie betrachten, die überlegt, welche wohltätige Spende sie in diesem Jahr einspart, dann müsste man sagen, natürlich wäre es zum Beispiel berechtigt, wenn sie weiter für die Minenopfer überweist aber nicht mehr für die missbrauchten Kinder. Aber erstens ist das zwar berechtigt, aber weit von jeder Definition von „gerecht“, und zweitens befinden wir uns schon wieder in einer falschen Metapher: Empfänger von Transferleistungen in Deutschland erhalten keine Spenden, sie bekommen das, was ihnen zusteht, was uns allen in ihrer Situation zustände.
Ihnen das wegzunehmen, weil wir eine Euro- oder was auch immer Krise haben, für die die Bürger Deutschlands am wenigsten können, ist nicht nur ungerecht. Es widerspricht dem Versprechen von dem, was dieses Land ist. Es verleugnet das, was wir von unserem Staat wollen.
Und da ist sie plötzlich, die große Metapher, die niemand zu benutzen wagt gegen das jämmerliche Sparen und Stutzen, gegen die Interessenpolitik der Lobbys. Die Metapher ist Deutschland. Wir alle. Es geht nicht um einzelne Familien, die sich gegen diesen Staat behaupten, sondern darum, dass wir alle gemeinsam mit der Gegenwart umgehen müssen, und das braucht die Bereitschaft von allen. Aber dann ist es nicht einmal mehr eine echte Herausforderung.
Nur so, als Beispiel: Ein Paket von gut 80 Milliarden über drei Jahre bei einer Bevölkerung von gut 80 Millionen benötigt rund 1000 Euro von jedem, also 333 Euro pro Jahr. Das bedeutet, eine Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt und in Zukunft die 300 Euro Elterngeld nicht mehr erhält, gibt während eines Jahres für sich und ihr Kind fast doppelt so viel, wie sie innerhalb von drei Jahren müsste – und finanziert damit einen unangetasteten Millionär und sein Kind mit.
Und das kriegen wir nicht anders geregelt? Das ist das, von dem uns Medien erzählen wollen, es wäre gerecht und alternativlos? Das ist Deutschland?
Mein Deutschland ist das nicht. Da bin ich Patriot.