Warum AfD-Lucke möglicherweise unverzichtbar ist

Journalismus in Deutschland, Reality Check: Griechenland hat also einen Primärüberschuss erwirtschaftet. Es gibt eine Schulregel, was ein Primärüberschuss ist (der Saldo des Staatshaushaltes vor Bedienung der Schuldzinsen), allerdings gibt es auch durchaus sinnvolle Modifizierungen, je nachdem, wessen Primärüberschuss da gerade berechnet wird. Bei den deutschen Bundesländern zum Beispiel fließen die Leistungen der Geberländer im Länderfinanzausgleich nicht in die Berechnung ein. Bei Griechenland sind in den Berechnungen die Einmalzahlungen ausgenommen, die das Land in einen Fond zur Rettung seiner Banken leistet.

Bei der FAZ war genau das aber gestern der Grund, Griechenlands Primärüberschuss als „Primärüberschuss“ zu bezeichnen, also als etwas, das nur so heißt, aber in Wahrheit etwas anderes ist. Der pöbelnde Mob der faz.net-Leser verstand das selbstverständlich als Aufruf zu dem, was sie eh immer machen: Den Griechen vorzuwerfen, sie würden betrügen. Im Prinzip lässt sich das ja auch nicht anders verstehen.

Ich habe, in zugegeben leicht genervter Laune, per Twitter nachgefragt, warum der mit den vorher aufgestellten Regeln übereinstimmende Primärüberschuss nur ein „Primärüberschuss“ ist. Und ich erhielt Antwort: Ein FAZ-Wirtschafts-Redakteur (ich nehme an, der Autor des Artikels, aber ich finde da online die Autorenzeile nicht) erklärte es mir so:

Das artete ein bisschen aus und ich wollte unter anderem wissen, ob die FAZ jetzt alle Primärüberschüsse in der EU in Anführungen schreiben würde, weil die EU ja die Regeln für die Berechnung so festgelegt hatte.

Natürlich führt das zu nix. Ich werde weder FAZ-Redakteure von irgendwas überzeugen, die denken, sie wüssten alles, ohne die Dinge durchzulesen, über die sie schreiben. Und schon überhaupt gar nicht werde ich die ekligen Lallbacken zur Fairness bewegen, die dort solche Artikel kommentieren.

Ich nicht.

Aber Bernd Lucke. Denn der lurchige Professor für Volkszorn, nebenbei auch Vorsitzender der Partei Alternative für Deutschland, stellte (sinngemäß) fest, dass das ja ein Skandal wäre, wenn die scheiß Griechen sich so schon wieder zu neuen Hilfen schummelten, und offenbar gelang es ihm, das Bundesfinanzministerium in einen Briefwechsel zum „Primärüberschuss“ Griechenlands zu verwickeln. Das Finanzministerium besteht darauf, dass es ein Primärüberschuss ohne Anführungszeichen ist und bedient sich in seiner Antwort Techniken wie Logik und klare Vereinbarungen, die als Grundlage von Entscheidungen dienen. Auch klar, einen Lucke überzeugt man so nicht.

Aber erstaunlicherweise die FAZ. Plötzlich scheinen Logik und Regeln doch wieder bessere Argumente zu sein als Lucke und Vorurteile, denn heute schreibt Werner Mussler zusätzlich zu einem langen Erklärstück den Kommentar „Kein Skandal in Griechenland“:

Luckes impliziter Vorwurf, die Troika habe erst jüngst ihre Definition angepasst, ist daher schlicht falsch. Diese ist schon zum Start des Programms so festgelegt worden.

Also ist Bernd Lucke wenigstens dafür nützlich: Als verlässlichster Marker für so richtig falsche Standpunkte. Wer seine Zustimmung bekommt denkt dann offensichtlich doch noch mal drüber nach, dass da irgendwo ein Fehler in der Argumentation sein muss.

Na gut, nicht ganz alle: Luckes impliziten Vorwurf erhebt zumindest einer ganz explizit und richtet sogar seine Berichterstattung danach aus.

Kurz warten

Ich bin Vater von zwei kleinen Kindern und es ist völlig richtig, dass die Rechtsordnung nicht ausgerechnet mich danach fragt, wie mit Menschen umzugehen ist, die Kinder sexuell missbrauchen oder den Missbrauch dadurch befördern, dass sie kinderpornografische „Schriften“ kaufen und so aus dem Verbrechen auch noch ein Geschäft machen. Meine Antwort wäre nicht zivilisiert. Wer meinen Kindern etwas antut ist tot, wenn ich das irgendwie einrichten kann, und wer anderen Kindern etwas antut, dem muss es aus meiner Sicht nicht besser gehen.

Allerdings ist mir auf einem allgemeineren Level klar, dass das keine vernünftige Antwort einer zivilisierten Gesellschaft auf Verbrechen ist. Deshalb bin ich einigermaßen froh, dass ich da nicht konkret gefragt bin.

Allerdings setzt der Reflex schon viel früher ein. Wenn die Vorwürfe stimmen sollten, dass Sebastian Edathy Bilder von nackten Jungs einem Anbieter von solchen und schlimmeren Dingen bestellt hat, dann bin ich angewidert, wütend und wünsche ihm entstellende Pusteln, egal wie „legal“ das gewesen sein mag. Gesetze sind nicht alles.

Aber so weit sind wir noch nicht. Im Gegenteil: Ich habe lange keinen öffentlich so „großen“ Fall erlebt, bei dem nicht nur die Beweislage so dünn war, sondern bei dem nicht einmal ein einziger strafrechtlicher Vorwurf erhoben wurde. Und klar, es mag Feuer sein, wo hier Rauch ausgemacht wird, aber ich bin der Überzeugung, dass wir als zivilisierte Gesellschaft besser sein müssen, als ich es als Vater bin, und mit der Vorverurteilung eines Menschen warten müssen, bis wir das Feuer sicher als solches identifiziert haben.

Denn natürlich ist ein Szenario denkbar, in dem Edathy unschuldig ist. Es mag nicht wahrscheinlich sein, aber es ist möglich, und bevor sein Ruf und sein Leben zerstört werden, sollte man sich jenseits jedes vernünftigen Zweifels sicher sein.

Nur mal als Verschwörungstheoretiker: Edathy tritt als Vorsitzender des NSU-Ausschusses reihenweise Nachrichtendienstlern auf die Füße, und plötzlich kommt der Innenminister mit Erkenntnissen befreundeter Ermittlungsbehörden, Edathys IP-Adresse wäre da im Zusammenhang mit (nicht strafbarem) Schmuddel aufgetaucht. Klingt abstrus, ist aber trotzdem irgendwie auch so passiert (derselbe Innenminister verteidigt zeitgleich dieselben befreundeten Dienst auf abstruse Weise gegen belegte Vorwürfe gigantischen Ausmaßes). Danach werden Medien mit allen möglichen Details gefüttert, die alles mögliche aussagen können, aber nicht müssen (und kommt es nur mir so vor, oder sind es besonders oft der NDR und die SZ, die von dem investigativ-Team des für seine Geheimdienstkontakte gerühmten Georg Mascolo versorgt werden?). In dieser Situation wirkt selbst die Abwesenheit von echten Beweisen plötzlich wie ein Indiz für die Schuld (er war gewarnt!). Edathy ist politisch tot und seine bürgerliche Existenz vernichtet. Niemand wird ihm irgendetwas glauben. Es heißt nicht, dass es so war, aber wenn man ihn hätte wegen irgendetwas mundtot machen wollen, dann wäre das ein perfekter Weg.

Wie gesagt, das muss alles nichts bedeuten. Es kann sein, dass er schuldig ist und aus der Stadt gejagt gehört. Aber ich wäre froh, wenn wir Rechtsstaatler genug wären, auf Beweise zu warten, bevor wir die Existenz eines Mannes zerstören. Dazu bleibt uns danach auf jeden Fall noch genug Zeit.

PS. Und wenn er meine Tochter nur schief anguckt, dann hänge ich ihn an den Eiern auf. Das gilt übrigens für alle.

Being Matussek

Die Welt-Gruppe im Axel-Springer-Verlag hat eine Aktion über das Altern gestartet. So wie Männer in Geburtsvorbereitungsgruppen falsche Schwangerschaftsbäuche umgehängt bekommen, um mal zu fühlen, wie anstrengend das Leben für ihre Partnerinnen ist, simuliert die Welt-Gruppe in einer Reihe von Kommentaren, wie es sich anfühlt, wenn man beginnt zu denken wie ein verkalkender alter Mann.

Als Großmeister des mentalen Fatsuits wurde sogar Matthias Matussek reanimiert, der eigentlich beim Spiegel schon im journalistischen Abklingbecken seinen sklerotischen Gedanken nachhing, Youtube-Filmchen drehte und zu Großem längst nicht mehr fähig schien.

Matussek hat eine einmalige Methode, vorzuführen, wie es wäre, wenn das Denkvermögen langsam aber stetig abnähme. Dazu schreibt er Kommentare, die sich anfühlen, als würde man sich Gips in die Synapsen gießen.

Nehmen wir sein neuestes Werk, ein Kommentar, in dem eine Figur „Matussek“ ihre homophobe Grundhaltung verteidigt. Sie endet in einem Crescendo aus aufsteigenden gedanklichen Blubberbläschen, so als würde Opa einfach wieder und wieder vergessen, dass er schon eine Corega-Tabs-Tablette in das Glas mit seinen Zähnen geworfen hat – und immer noch eine nachlegen.

Matussek schreibt dort

Ich lasse mir meine Gedankenfreiheit nicht nehmen, das gehört zu meinem Stolz als Publizist. Ich weiß, dass ich damit keine Beliebtheitswettbewerbe im „Grill Royal“ oder anderen Szene-Tränken gewinnen werde, aber ich habe nach wie vor Reserven, wenn ich im Fernsehen zwei schwule Männer serviert bekomme, die perfekte Eltern sind und völlig normaaaal einen kleinen Jungen adoptiert haben, oder eine andere Kleine mit ihrer Liebe beschenken, die sie sich über Leihmütter in der Ukraine oder Indien organisiert haben.

Seine Gedankenfreiheit besteht hier darin, weiterhin Gedanken zu haben, die seit Jahrhunderten Männer vor ihm hatten. Insofern darf man sie hier nicht als „Die Freiheit der Gedanken“ missverstehen, sondern muss sie wahrnehmen als „Freiheit von Gedanken“ – was er zusätzlich deutlich macht daran, dass seine „Reserven“ dann bestehen, wenn Schwule als Eltern perfekt und normal sind, obwohl sie ihre Kinder auf offenbar unnormalen Wegen bekommen, also adoptiert haben.
Das ist als Gedanke ja erst einmal nur Kritik an der Adoption, denn die schwulen Eltern beschreibt er doch als perfekt. Er meint das ironisch, aber es gibt ja hier nicht den Hauch eines Anhaltspunktes, dass sie nicht perfekt sind, außer eben der unnormalen Empfängnis, der Adoption – und die ist zunächst mal nicht homo oder hetero.*

Da blitzt sie, die Brillanz des Matussek hinter dem „Matussek“: Die Gedanken bewegen sich in engen, versandeten Gedankenbahnen, in einer Welt des Mangels, in einer Wüste – es ist das Gegenteil von der Freiheit, die wir meinen, wenn wir Gedankenfreiheit sagen. Etwas ironisch zu sagen bedeutet in der Regel, man meint etwas anderes, meist sogar das Gegenteil dessen, was man sagt – aber von Mattusseks genial parodiertem Altherrendenken existiert eben kein Gegenteil. Etwas, das normal aussieht, „normaaaaal“ zu nennen, macht es eben nicht unnormal. Aber irgendwann sind wir wahrscheinlich alle zu alt, das noch zu erkennen.**

Ich glaube nicht, dass die Ehe zwischen Männern oder Frauen gleichen Geschlechts derjenigen zwischen Mann und Frau gleichwertig ist. Punkt. Nicht, dass die Veranlagung Sünde wäre – ich glaube, der liebe Gott liebt alle seine Geschöpfe. Doch ich glaube auch an die Polarität der Schöpfung und daran, dass es für Kinder wichtig ist, diese Polarität zu erleben.

Zur Polarität kommen wir gleich, nehmen wir erst den wichtigeren Punkt, der hier aufgegriffen wird. Denn Matussek greift sich hier virtuos eine der wichtigen philosophischen Fragen, die jeder Mensch, zumindest aber jeder Gläubige im Verlauf seines Alterns zu klären hat. Denn natürlich scheitert auch ein jeder Katholik letztlich an seinem eigenen Anspruch an sich selbst, niemand ist so gut, wie er sein will. Man nennt das Leben. Man muss sich selbst unter realistischem Licht betrachten und sich vergeben können, man muss Gottes Liebe und Vergebung annehmen können. Das sollte zur Demut erziehen.

Im Verlaufe der eigenen Verkalkung erreicht der alternde Gläubige da aber oft genug einen erstaunlichen Punkt, und Matussek legt mutig seinen Finger in die Wunde: Gott liebt und verzeiht allen, der verkalkende Mann aber eigentlich nur sich selbst. Seine Lebenserfahrung, seine Haltung, seine eben nicht mehr freien Gedanken zwingen ihn, auch da zu richten, wo Gott es nicht tut. Da ist dann Homosexualität für Gott okay („Gott liebt alle“), für „Matussek“ aber minderwertig und ein Vergehen an den Kindern, denen zumindest die Polarität vorenthalten wird. Der echte Matussek verpackt den Gedanken des verkalkenden „Matussek“ dabei überragend komisch in einen Freudschen Versprecher der gendermäßigen politischen Überkorrektheit, indem er von „Männern und Frauen gleichen Geschlechts“ redet, so als würden die Kinder in einer homosexuellen Ehe mit zwei Männern unterschiedlichen Geschlechts die von ihm geforderte Polarität durchaus erleben können. Auf der Metaebene entlarvt „Matussek“ den bröckelnden Gips, der aus diesen vermeintlich freien Gedanken rieselt.

Da wirkt der Schlusssatz fast schon ein bisschen zu einfach, als ein fast zu billiges Finale, aber Matussek richtet sich an ein Massenpublikum und will sicher verstanden werden, so dass er plakativ in dem Satz endet:

Wahrscheinlich bin ich homophob wie mein Freund, und das ist auch gut so.

Mir persönlich ist das zu grell, auf den Selbsthass alternder Klemmschwestern abzuzielen, aber wenn er sein Ziel dadurch am Ende sicher trifft, soll es mir recht sein. Zwei alte Freunde, die sich ihre Liebe nie gestehen konnten …okay, irgendwie 1950er, aber was soll’s.

Der Punkt ist gemacht: Wer Homophobie so rechtfertigt wie „Matussek“, den hat Matussek nach allen Regeln der Kunst geoutet. Er hat einfach Angst vor der Welt, die er nicht mehr versteht. Und das ist irgendwie okay. Wenn Opa vom Krieg erzählen will, dann tun wir eben so, als würden wir zuhören, wenn das macht, dass er sich besser fühlt.

Sollte er allerdings nochmal Stiefel anziehen und in den Krieg ziehen wollen, müsste man ihm schon klarmachen, dass er in der Welt heut nichts mehr zu sagen hat.

*Über Katholiken und ihre Vorstellungen von Empfängnis will ich hier nicht anfangen, aber Jesus Christus hatte zwei Väter.
** Genau hier ist übrigens Harald Schmidt stehengeblieben und hat aus der besten Sendung im deutschen Fernsehen langsam aber sicher die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung der besten Sendung im deutschen Fernsehen gemacht. Ruhe sanft, alter Meister!

PS. In der ersten Fassung habe ich die Ursünde begangen und Matussek konsequent falsch geschrieben. Peimlich!

Journalisten-Bullshit-Bingo. Heute: Transparency International

Heute veröffentlicht die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International ihren Jahresbericht, und man kann unbesorgt Wetten darüber abschließen, dass Griechenland dabei einmal mehr als „das korrupteste Land der EU“ bezeichnet werden wird.

Der Spaß dabei ist, darauf zu achten, wer denn das Thema des Jahresberichtes einigermaßen realitätsgetreu wiedergeben kann. Denn TI ist naturgemäß nicht in der Lage, echte Korruption zu messen (die meisten korrupten Menschen geben das in Befragungen nicht zu, oder, wie TI selbst schreibt: „There is no meaningful way to assess absolute levels of corruption“) und befragt stattdessen letztlich alle möglichen Menschen und Gruppen, welches Land sie für besonders korrupt halten. Dadurch schneiden Länder, deren Korruption besonders im Fokus der Berichterstattung steht, quasi automatisch schlechter ab.

Entsprechend heißt der Bericht von TI auch „Corruption Perceptions Index“, also „Korruptionswahrnehmungsbericht“ und sagt aus, welche Länder für besonders korrupt gehalten werden, nicht ob sie es sind (natürlich gibt es da Korrelationen, aber es ist trotzdem ein Unterschied).

So, und jetzt mal abwarten, welcher Journalist die Unterscheidung in seiner Berichterstattung hinkriegt.

PS. Doppelt lustig: SpOn nennt das Thema zumindest einmal richtig den „vermuteten Grad der Korruption“, behandelt den Inhalt dann aber einfach als Fakten anstatt Vermutung.

PPS. Okay, die Rhein-Zeitung macht alles richtig: Sie zitiert korrekt UND schmeichelt mir!

Fachblatt für Homophobie

Einen Mann im Büro verführen? Wenn junge, attraktive Frauen das machen, dann ist die BILD nicht nur dafür, sie hilft sogar dabei: Unter dem Motto „Lust auf eine Büro-Affäre? Sex-Coach pimpt Business-Mode auf“ erklärt das Fachblatt für Bigotterie

Einen Großteil unserer Zeit verbringen wir am Arbeitsplatz. Es ist also wenig überraschend, dass sich hier Liebes-Beziehungen entwickeln, ein heißer Flirt oder eine Affäre. Der traditionelle Business-Look in dunklen Farben und hoch geschlossene Oberteile sind allerdings alles andere als sexy und wecken kaum die Fantasie der Herren.
BILD hat Sex-Coach Vanessa del Rae gefragt, wie sie den strengen Look auflockern würde. Als Beraterin hat sie häufig mit Klienten aus dem mittleren und gehobenen Management zu tun und kennt deren Vorlieben.

Und natürlich ist das nicht einmal ein Bruchteil der Treffer, den die Suche nach „Sex im Büro“ auf bild.de ergibt. Da hat das Ressort Geifern und Sabbern einiges zu bieten.

Ganz anders ist die Sache natürlich, wenn Sie ein junger, attraktiver Mann sind und einen Mann im Büro verführen.

Dann versucht BILD nämlich alles, um mit Ihrem Privatleben Ihre Karriere zu zerstören.

BAYERISCHER LANDRAT
Sex im Amt
Mehrmals soll Michael Adam (28) einen Liebhaber zum Sex ins Landratsamt gebracht haben. Auch Drogen soll der verheiratete Politiker bei den Treffen konsumiert haben.

In der kompletten Geschichte steht nichts Berichtenswertes, das die Welt etwas anginge. Zur Erinnerung ganz kurz der einschlägige Auszug aus dem Pressekodex:

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit
Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung.

Mit wem Michael Adam wo schläft hat die Öffentlichkeit nichts anzugehen. Natürlich impliziert BILD, er hätte sein Sexualleben als offen homosexueller Politiker irgendwie öffentlich gemacht („Michael Adam, jung, schwul, evangelisch, gilt als moderner Hoffnungsträger der Bayern-SPD.“), aber dann müsste man im Intimleben eines jeden Politikers herumschnüffeln dürfen, der je seinen Partner irgendwohin mitgenommen hat. Angela Merkel ist doch offen heterosexuell, dann muss man doch auch fragen dürfen, ob sie mit Professor Sauer nicht im Kanzleramt …

Natürlich nicht.

Ich wünschte, es gäbe ein schöneres Wort für diese Ekligkeiten, die BILD treibt und bei seinen Lesern vermutet, als Homophobie. Denn man darf nie vergessen, dass es ja keine Phobie ist, die solche Leute treibt. Sie haben ja nicht vor allem Angst, sie sind vor allem Arschlöcher.

BILD-Reporter gehen dahin, wo es weh tut. Anderen weh tut.

Die Hamburger Senatskanzlei hat mich eingeladen, auf einer Veranstaltung zum Thema „Europa in den Medien“ mit Paul Ronzheimer zu diskutieren, dem Mann, der Griechenland öffentlichkeitswirksam die Drachme zurückgeben wollte („Das wäre auch für unseren Euro das Beste“) und es umschreibt als „Land der Bankrotteure und Luxusrenten, Steuerhinterzieher und Abzocker.“ Natürlich habe ich das sofort zugesagt. Ich würde sehr gern öffentlich mit Paul Ronzheimer diskutieren.

Aber Paul Ronzheimer kneift. Er hat seine Teilnahme an der Veranstaltung wieder abgesagt, als er hörte, dass er mit mir diskutieren soll. Er würde zwar kommen, aber nur wenn jemand anderes da säße als ich. Der Mann, von dem die markigen Zitate oben stammen, ist außerhalb seiner präpotenten Prosa ein kleiner Feigling. Ich habe ihn per Mail gefragt, ob man solche wie ihn im BILD-Stil eher Schiss-Reporter oder Reporter-Schisser nennen sollte – aber er redet ja nicht mit mir.

Dabei ist es keineswegs so, dass er grundsätzlich lässig ignoriert, was über ihn geschrieben wird. Wenn er meint, sachliche Fehler in einem Beitrag über sich entdeckt zu haben, dann schickt er auch schonmal Richtigstellungen an Blogger mit dem Hinweis, ihn doch beim nächsten Mal direkt zu fragen. Er Antwortet auch auf Fragen, die ihm Menschen auf Facebook schicken. Auf eine kritische Frage von mir reagiert er dann allerdings nicht mehr.
Paul Ronzheimer hat sich für die Veranstaltung einen angenehmeren Gegenüber erbeten, und er kriegt ihn offenbar. So kann er dann wieder Geschwurbsel abgeben wie im Studenten-Magazin Campus der Zeit, das ihn zu den demütigenden Bildern fragt, auf denen er alten, verzweifelten Omis auf dem Athener Omonia-Platz Drachmenscheine in die Hand drückt wie der reiche Onkel aus Amerika:

Ronzheimer: Ich habe viel darüber nachgedacht, und es war sicherlich Boulevard an der Grenze. Meine Idee war: Griechen auf der Straße zu fragen, was sie über eine Rückkehr zur Drachme denken. Dazu kam das Foto mit mir und den Scheinen in der Hand. Ja, das hat polarisiert. Die Entwicklung ein Jahr später gibt uns aber in der kritischen Haltung zu den Hilfsmaßnahmen recht.

Wenn er das glauben würde, könnte er es diskutieren. Aber natürlich weiß er, dass selbst wenn er inhaltlich recht hätte (hat er nicht), es nicht darum geht, sondern um die Frage, ob man als Journalist für billige Witze leidende und verängstigte Menschen demütigen und beleidigen darf. Er meint: ja, darf man – will da aber nicht öffentlich mit jemandem drüber sprechen, von dem er weiß, dass er kritischere Fragen zu erwarten hat, die er nachträglich nicht mehr redigieren kann. Etwas armseligeres habe ich von einem Erwachsenen noch nie erlebt, glaube ich. Meine beiden kleinen Töchter stehen männlicher erwachsener zu dem, was sie anstellen.

In dem Zeit Campus Interview erklärt Ronzheimer noch, warum er sich oft gerne die Zeit nimmt, Menschen zu erklären, dass BILD ja eigentlich gut ist. Ich möchte das ganz kurz wiederholen, weil es als Argumentation sehr originell ist: Ronzheimer meint, dass was er macht gut ist, weil ja die BILD gut ist. Nun ist er vielleicht nicht das schärfste Messer im Block und offenbar kein Intellektueller, aber was muss man rauchen, um so etwas zu glauben? Es ist natürlich so: Ich glaube nicht einmal, dass die BILD gut ist – aber wenn sie es wäre, dann wäre es Ronzheimer noch lange nicht.

Er ist stattdessen der Reporter-Schisser. Nicht nur schlecht, sondern auch noch feige.

 

Korrektur: Ich habe nach einigen richtigen Hinweisen das falsche Adjektiv „männlicher“ gegen das korrektere „erwachsener“ getauscht. Meine Töchter sind natürlich nicht männlicher, sondern mutiger, stärker und lässiger. Leider alles nicht abgedeckt durch „männlich“, sonst wäre ich das ja auch.  

Für diesen Text bin ich aus der SPD ausgetreten

In der dunkelsten Stunde der letzten Jahrzehnte in den Beziehungen zwischen den Ländern, die ich beide Heimat nenne, konnte man das wenige, was leuchtete, besonders gut erkennen. In einem Moment im Frühjahr 2010, in dem in Griechenland die Moral der Bevölkerung am Boden lag, in dem die vielen persönlichen Katastrophen des finanziellen Bankrotts sich mit der großen, nationalen Schande des Versagens der Organe der Gesellschaft mischte, in dem sich zu dem Schaden noch die Demütigung mischte, schickte der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert seinem griechischen Amtskollegen einen aufmunternden Brief, in dem er Respekt ausdrückte vor der gigantischen Anstrengung, die das Land unternahm. Respekt. Vor Menschen, die leiden. Die Schwierigkeiten zu überwinden haben. Norbert Lammert schrieb auch, dass wahrscheinlich mancher hämische Kommentar in deutschen Medien unterblieben wäre, wenn Deutschland ähnliche Herausforderungen zu meistern hätte wie das gigantische griechische Sparpaket mit seinen brachialen Einschnitten. Respekt.

Ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment. In dem damals herrschenden Trommelfeuer der Demütigungen, die auf Griechen auch in Deutschland niederprasselten, war das ein kurzer Augenblick des Aufatmens. Wir Griechen hier haben uns selten beschwert, weil wir immer mit dem Bewusstsein beladen sind, dass es uns ja nicht wirklich schlecht geht. Schlecht geht es meiner Schwester in Athen, die mit so viel weniger auskommen muss. Meiner Tante, deren Töchter ausgewandert sind, weil es zuhause keine Arbeit gibt. Den Millionen, die nicht wissen, wie lange sie noch in ihrer Wohnung bleiben können, wo sie sonst hinsollen, was es morgen zu essen gibt. Wir Griechen in Deutschland stehen nicht wie zehntausende in Athen bei den Suppenküchen an, aber das heißt nicht, dass wir hier die Beleidigungen nicht gehört und gelesen haben, die Verzerrung der Wahrheit, die Lügen, den Hohn, den Hass. Jeder einzelne von uns mit einem griechischen Namen hat im besten Fall nur jeden Tag schlechte Witze gehört, immer und immer wieder, im schlechteren Fall auch Schlimmeres. Als leidlich öffentlicher Grieche war mein Mail-Eingangsfach da wahrscheinlich ziemlich repräsentativ. Ständiger, dauernder Hohn tut weh. Er schmerzt besonders, wenn er auf Lügen beruht, wie in diesem Fall. Auf der Kampagne der BILD-Zeitung zum Beispiel, deren Hetz-Kampagne man in dem Leitsatz zusammenfassen könnte, für die Rettung Griechenlands „sollte uns jeder Euro zu schade sein“. Wie gesagt, man könnte sie so zusammenfassen, wenn die BILD es nicht selbst schon getan hätte. Rolf Kleine hat das so in der BILD geschrieben, nur natürlich in Versalien. Für die Rettung „sollte uns JEDER EURO zu schade sein“.

Rolf Kleine ist der neue Sprecher des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

Lammerts Brief, jenes kurze Aufblitzen von Respekt gegenüber den von der BILD längst entmenschlichten „Pleite-Griechen“, für deren Rettung JEDER EURO zu schade sein sollte, kam von einem politisch ziemlich unabhängigen Geist. Denn es war einigermaßen klar, dass deutsche Mandatsträger, die nicht im Gleichschritt mit Springers Propaganda auf die Griechen eindroschen, mit schlechter Presse zu rechnen hatten. FDP-Hinterbänkler wie der im wahren Leben fast karikaturesk unwichtige Frank Schäffler wurden von BILD zu „Finanz-Experten“ aufgeblasen, wenn sie den Verkauf griechischen Territoriums forderten (arme Länder haben in der FDP-Logik offenbar kein Anrecht auf Staatsgebiete), und so hochgeschrieben, dass zum Beispiel Schäffler sich zwischenzeitlich selbst super genug vorkam, um seine ganze Partei per Mitgliederentscheid zum Massenselbstmord aufzufordern (oder so ähnlich, ich will mich da gar nicht genauer dran erinnern). Gleichzeitig waren selbst deutsche Botschafter vor dem Zorn der BILD nicht sicher und wurden niedergeschrieben, wenn sie nett zu Griechen waren.*
So traf es auch Lammert. Natürlich ist es selbst für die BILD-Zeitung schwierig, Menschen dafür zu kritisieren, dass sie andere Menschen wie solche behandeln, selbst wenn es nur Pleite-Griechen sind. Deshalb musste der mit dem Gegenangriff beauftragte Redakteur, der Leiter des Parlamentsbüros Rolf Kleine, zunächst einmal die Realität verändern und behaupten, Norbert Lammert habe sich bei den Pleite-Griechen für die Berichterstattung in deutschen Medien entschuldigt.

Ganz Europa sorgt sich über die desaströse Finanzlage Griechenlands und die Stabilität des Euro – und was macht unser Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU)?

Er entschuldigt sich in einem Brief an den griechischen Parlamentspräsidenten Philippos Petsalnikos für „manche hochmütige Aufforderung deutscher Politiker zur Kurskorrektur“ und „hämische“ Kommentare „in deutschen Medien“.

ABER WEN MEINT ER DA BLOSS?

Doch wohl nicht etwa die Forderung von Politikern in BILD-Interviews, dass Griechenland auch Staatseigentum privatisieren solle – zum Beispiel Inseln?

Und später im selben Text

Und zum Lob für die Griechen. Lammert schreibt („Sehr geehrter Herr Präsident“): „Mir imponiert der Ernst und der Mut, mit dem verantwortliche Politiker in Ihrem Land nun an jahrelang verschobene und verdrängte Probleme herangehen.“

Damit meint er wohl: Korruption, unglaublichen Schlendrian und die Verschwendung von Milliardenbeträgen…

Selbst die Anrede „Sehr geehrter Herr Präsident“ für einen griechischen Parlamentspräsidenten ist Kleine offensichtlich zuviel des Respekts für einen dieser … dieser … wie würde Kleine sie nennen? Was genau denkt man über die Menschen eines natürlich armen aber doch immerhin demokratischen europäischen Landes, wenn man der Meinung ist, der Parlamentspräsident verdiene eigentlich die Anrede „Sehr geehrter Herr Präsident“ nicht? Ich will mich nicht in einer Klammer in einem einzelnen Text verhaken, aber ehrlich: Was genau ist an dieser Haltung nicht schlicht und einfach Hetze?

Aber was genau erwarte ich von einem der Autoren des Instant-Klassikers des modernen Hetzjournalismus mit dem Titel „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen… und die Akropolis gleich mit!“ Doch, auch dieser Text ist von Kleine als einem von drei unterzeichnenden Autoren. Er enthält auch die Sätze „Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.“

Dieser Rolf Kleine ist jetzt Sprecher von Peer Steinbrück.

Die Botschaft seines Briefs an Lammert damals jedenfalls war klar: Wer als Politiker in Deutschland damals auch nur so viel Respekt für einen Griechen zeigt, dass er ihn mit seinem korrekten Titel anspricht anstatt mit „Pleite-Grieche“, der wird von den Meinungs-Schlägern der BILD-Kommentarspalte niedergemacht und muss mit ihrer Feindschaft rechnen. Es reichte ihnen einfach nicht, einen Hetzmob gegen die Pleite-Griechen aufzuführen, sie mussten auch noch die Ersthelfer bedrohen, die wenigstens ein bisschen Linderung bringen wollten. Jeder Hauch, jeder Anschein von Respekt für diese … diese Art Wesen, die ein Pleite-Grieche noch ist, musste unterbunden werden. Und diesen Job übernahm hier Rolf Kleine.

Rolf Kleine ist der neue Sprecher des Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und damit auch einer seiner wichtigsten Berater. Ganz offensichtlich hat die Panik Peer Steinbrück in dieser Phase des Wahlkampfes ergriffen, in dem es für ihn eher schlecht läuft, und er hat sich einen – wie sagt man? Haudegen? Mann fürs Grobe? Kommunikationsexperten? – jedenfalls Rolf Kleine ins Team geholt, obwohl das, wofür Kleine zum Beispiel in Fragen der Euro-Rettung steht, in Inhalt und Form nicht mit dem übereinstimmt, was Sozialdemokraten in diesem Land sonst so tun. Für Peer Steinbrück darf man ganz offensichtlich ein Schwein sein, so lange man sein Schwein ist. Ich finde diesen Zynismus unerträglich.

Jetzt kommt der Satz, für den ich aus der SPD ausgetreten bin:

Ich möchte nicht, dass Peer Steinbrück Bundeskanzler wird – weil ich ihn wegen der zynischen, „der Zweck heiligt die Mittel“-pragmatischen, die sozialdemokratischen Tugenden verachtenden Entscheidungen, die er hier unter Druck trifft, für ungeeignet halte, das Land zu führen.

Selbstverständlich würde ich von jedem Genossen, der so etwas denkt erwarten, dass er es zumindest bis nach der Wahl bitte höchstens im kleinen Kreis äußert. Öffentlich wäre so ein Satz, von einem Genossen ausgesprochen oder wie hier öffentlich geschrieben, aus meiner Sicht parteischädigend. Das gehört sich nicht. Es ist unsolidarisch. Ich würde einen solchen Genossen zur Ordnung rufen und ihn bitten, bis nach der Wahl einfach ein bisschen still zu sein. Alle anderen Genossen arbeiten so hart an dem Erfolg, dass es unfair ist, ihn durch solche Alleingänge zu beschädigen. Das finde ich tatsächlich. Und halte mich selbst nicht dran.

Denn in diesem ganz bestimmten Fall kann ich nicht schweigen. Ich kämpfe seit Jahren öffentlich gegen Typen wie Rolf Kleine. Ich kann nicht monatelang darüber schweigen, dass ein Mann, der dann auch mit meiner Unterstützung Kanzler der Bundesrepublik werden will, sich einen Mann ins Team holt, der genau das tut, was ich bekämpfe.

Deshalb bin ich aus der Partei ausgetreten, die ich nach wie vor für das Beste halte, was diesem Land politisch in den letzten 150 Jahren passiert ist. Die SPD ist Teil des demokratischen Rückenmarks dieses Landes, mit hunderttausenden großartigen Genossen, die für ein einziges Ziel in die Partei eingetreten sind, nämlich daran zu arbeiten, dass dieses wunderbare Land immer noch besser wird. Und in 150 Jahren stand diese Partei am Ende doch immer auf der richtigen Seite, auch das ist etwas, das man erstmal schaffen muss. Die Ziele der Sozialdemokratie sind gleichzeitig visionär und an den Realitäten orientiert, und deshalb in jeder Zeit wieder aufs Neue geeignet, die Veränderung hin zum Besseren zu unterstützen. Außerdem muss man sich ja irgendwo engagieren, nur meckern hilft ja nicht, und da kann man es wirklich schlechter treffen als bei der SPD (hatte ich Frank Schäffler erwähnt?). So viel dazu.

Das ist mein Dilemma. Ich kann nicht schweigen an diesem Punkt. Seit dem öffentlichen Ausbruch der griechischen Krise arbeite ich politisch engagiert und sehr öffentlich daran, die deutsch-griechischen Beziehungen zu erhalten, zu retten und neu aufzubauen, vor allem dadurch, dass ich die Lügen, die absichtlichen und unabsichtlichen Fehler und Fehlinformationen bekämpfe, mit denen im Großen wie im Kleinen das, womit ich mich als geborener Europäer verbunden fühle, zerstört wird. Rolf Kleine ist in dieser Auseinandersetzung genau die andere Seite. Ich werde keine Sekunde lang mit ihm gemeinsam Wahlkampf für einen Mann machen, der glaubt, dass es okay ist, Rolf Kleine zu einem wichtigen Mitglied im Team zu machen. Ich könnte das vor mir selbst nicht rechtfertigen. Aus einem einzigen Grund: Es wäre falsch.

Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen, was dieser Text alles nicht ist: Er ist kein Hinweis auf eine Stimmungslage irgendwo innerhalb der Partei in Hinblick auf den Kandidaten Peer Steinbrück. Die einzige Stimmung, die er zeigt, ist meine.

Ich bin mir außerdem sicher, dass es viele geben wird, die mich erstens für naiv und zweitens für einen beleidigten Griechen halten werden. Das bleibt ihnen überlassen, aber meine Erfahrung sagt mir ganz persönlich, dass der weit, weit, weit überwiegende Teil von Politik in meiner ehemaligen Partei von Menschen mit klaren Werten und klaren Grenzen gemacht wird, die eben nicht alles mitmachen, nur um Macht zu erlangen oder zu erhalten. Und ja, es ist ein Zufall, dass es gerade mein politisches Thema der letzten Jahre ist, bei dem Kleine sich aus meiner Sicht zu einem in Inhalt und Form unsäglichen Hetzer aufgeschwungen hat, aber ich finde nichts falsches daran, dass ich als Deutsch-Grieche die deutschgriechischen Beziehungen zu meinem Thema gemacht habe. Ich finde es auch nicht zu viel verlangt, dass ein SPD-Kanzlerkandidat eben keinen Hetzer zum Sprecher macht. Man schränkt die Auswahl nicht unerträglich ein, wenn man verlangt, dass ein potenzieller Regierungssprecher wenigstens den Parlamentspräsidenten befreundeter Staaten nicht absprechen sollte, dass man sie mit „Sehr geehrter Herr“ anspricht (sofern sie Männer sind).

Es tut mir wahnsinnig weh, mein politisches Engagement in der SPD zu beenden. Ich habe viel Zeit und Kraft hinein investiert. Ich habe großartige Menschen aus allen Bereichen des Lebens kennengelernt, wo gibt es das denn sonst noch? Ich musste jetzt gleichzeitig als Distriktsvorsitzender des schönsten Hamburger Distriktes zurücktreten, Altona-Altstadt, einem Distrikt mit einer großen und stolzen sozialdemokratischen Tradition. Ich lasse also auch organisatorisch eine Lücke, die nun andere schließen müssen, die selbst schon genug zu tun hatten. Auch das schmerzt und tut mir leid. Aber ich habe Grenzen.

Lieber wäre mir gewesen, Peer Steinbrück hätte welche.

*Lustige Geschichte: In der Tiefgarage des Hauses, in dem der griechische Botschafter in Berlin lebt, fotografierte in der Zwischenzeit ein BILD-Mitarbeiter geparkte Luxusautos in der Hoffnung, eins davon gehöre dem Botschafter. Da könnte man doch noch eine Verschwendungsgeschichte draus machen! Leider gehörten die dann alle einem Händler, der auch im Gebäude wohnte.

Jetzt live: Abschalten

Wenn die Journalistin Danae Coulmas sich in Athen oder Thessaloniki in ein Taxi setzte, dann passierte es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder, dass der Fahrer sie an ihrer Stimme erkannte. Und sich bei ihr bedankte. Denn Danae Coulmas war während der Jahre der griechischen Obristen-Junta eine der wenigen Stimmen der echten, freien Information gewesen, die es noch gab. Sie war Radiojournalistin beim staatlichen Rundfunk, und die Menschen hörten ihre Sendung, um herauszufinden, was tatsächlich in der Welt los war. Und im diktatorisch regierten Griechenland. Denn sie sendete aus Westdeutschland: Danae Coulmas war beim griechischen Dienst der Deutschen Welle. Griechenland selbst hatte in dieser Zeit keinen unabhängigen Rundfunk. Und für viele Griechen ist bis heute die Deutsche Welle (und damit – in diesen Tagen mag das für manche unerwartet sein – auch Deutschland an sich) ein echter Freund im Kampf für die Freiheit.

Coulmas, die ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Junta 1975 in den griechischen diplomatischen Dienst eintrat und später als Dichterin und Übersetzerin viel größeren Ruhm erlangte, ist im vergangenen Jahr für ihre Verdienste um die Kultur gewürdigt worden. Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigen hingegen, wie schnell es geht, dass „unabhängige“, zumindest unabhängig berichtende Medien ab-, aus- oder gleichgeschaltet werden. In Griechenland ist seit gestern Nacht der Staatsrundfunk ERT mit seinen Fernseh- und Radioprogrammen nicht mehr auf Sendung. Die Regierung hat ihn abgeschaltet, weil er zu teuer war.

Die Erfahrung zeigt, dass wenig auf der Welt wertvoller ist als eine funktionierende Demokratie, und für eine funktionierende Demokratie ist der freie Fluss der Information konstituierend. Nur ein informierter Bürger kann eine sinnvolle Entscheidung treffen. Insofern ist das Argument schwierig anzuwenden: zu teuer. Demokratie ist keine Frage des Preises. Ob speziell die Leistung des ERT unter demokratischen Bedingungen billiger zu haben wäre mag ich nicht beurteilen, es mag durchaus erstrebenswert sein. Ihn aber einfach abzustellen ist ein Akt der Diktatur – eben unabhängig davon, ob mir oder irgendwem das Programm passen oder nicht. Das eigentlich Schlimme daran ist aber: Dieser Akt der Diktatur passt genau in die Logik der sogenannten Euro-Rettung, nach der jede Art von staatlicher oder gar demokratischer Aktivität teurer Luxus ist, der zugunsten privater Gewinne zu unterbleiben hat. Über die Handlungen der Euro-Retter hat noch nie in Europa jemand abgestimmt. Bezahlen mussten die Bürger sie trotzdem.

Dabei sind alle gestiegenen Staatsschulden überall – inklusive der deutschen – direkt auf die Rettung privater Banken zurückzuführen. Es sind eben haargenau „die Privaten“, die diese Krise verursacht haben. Die Bürger zum Beispiel in Griechenland bezahlen dafür nicht nur bitterlich in Geld, sondern auch mit dem Verlust der Möglichkeit demokratischer Einflussnahme. Es gab kein Euro-Referendum, stattdessen eine massive Einflussnahme auch des Auslands auf die Parlamentswahl und nun offensichtlich eine Beschneidung der freien Information. Griechenlands alte Garde ist immer noch an der Macht, die niemand prägnanter verkörpert als der amtierende Ministerpräsident Samaras, der auch noch als politischer Hütchenspieler jahrelang jede Bemühung um eine Lösung der griechischen Staatskrise blockiert hat. Jetzt schließt er Rundfunksender. Demokratie ist ihm offenbar zu teuer.

Was bleibt ist der fatale Eindruck, dass Demokratie in Europa nur noch für solche Staaten vorgesehen ist, die sie sich leisten können. „Wir müssen aufpassen, dass die Demokratie auch marktkonform ist“, hatte Angela Merkel einmal ihr Verhältnis zur Staatsquote beschrieben. Bizarrer Weise schafft Europa unter ihrer Führung, diesen Satz auch noch so auszulegen, dass von jeder der möglichen Welten das Schlimmste übrig bleibt: Die Demokratie ordnet sich dem Markt unter und verabschiedet sich da, wo sie „zu teuer“ wird. Und gleichzeitig verabschiedet sich der Markt und man rettet private Pleitebanken mit Steuergeld, ohne dem Steuerzahler dafür eine Gegenleistung zu bieten – ganz besonders nicht in Form von demokratischen Mitspracherechten.

Ich habe eingangs die kulturelle Leistung von Danae Coulmas erwähnt, und das ist es, worauf ich eigentlich hinauswollte: Der Markt ist selbstverständlich nur ein Werkzeug, um eine demokratische Gesellschaft zu ernähren und zu informieren. Er ist kein Selbstzweck. Es ist schlimm, das überhaupt sagen zu müssen. Vor allem, weil auch die demokratische Gesellschaft kein Selbstzweck ist: Sie ist nur die für uns beste Möglichkeit, dem Menschen als kulturellem Wesen ein bisschen Raum zu geben. Wir überwinden den Hunger und die Unterdrückung, um Raum zu haben für etwas besseres. Wir lösen die dringenden Probleme zuerst, um zu den wichtigen Aufgaben zu gelangen. Freiheit ist ja nicht das Ende der Entwicklung, sondern eigentlich erst ihr wahrer Anfang. Danae Coulmas hat es richtig gemacht: Natürlich müssen Faschisten abtreten, überall – und die Freiheit, die folgt, füllen wir mit Kultur.

Das ist es, was diese Krise Europas uns vor Augen führt: Dass wir Schritt für Schritt jedes Gefühl verlieren und offenbar auch verlieren sollen für das Wichtige, das Richtige. Da sind die Kosten eines Rundfunks plötzlich als Frage so dringend, dass die wichtige Aufgabe des Rundfunks hintanstehen muss. Da schmerzen die drückenden Schuldzinsen eines Landes so akut, dass demokratische Beteiligung warten muss. Kultur? Wenn wir es uns leisten können. Dann ganz bestimmt.

Nur, dass sie bis dahin nicht mehr da ist. Denn wer es ständig verschiebt, das Richtige zu tun, weil er es sich gerade nicht leisten kann, der wird an dem Tag, an dem er es sich leisten könnte, verlernt haben, was es ist.

Reiche Esel: Der SPIEGEL hetzt langsam, aber dafür irre

Ich weiß, ich bin spät, aber immer noch schneller als DER SPIEGEL: Einige Wochen, nachdem eine „EZB-Studie“ einige Zahlen so vermischte, dass man daraus unter Umgehung von Konzepten wie „Realität“ hätte schließen können, dass südeuropäische Privathaushalte reicher sind als nordeuropäische, hat das Nachrichtenmagazin in der vergangenen Woche eine Titelgeschichte dazu gemacht. Unter der Titelzeile „Die Armutslüge“ saß da ein wahrscheinlich griechischer Kleinbauer auf einem Esel, vor der Sonne geschützt durch einen Schirm mit Europa-Symbolen, aus den Lastkörben des Esels wehten Euro-Noten und der Esel hatte einen schwarzen Balken über den Augen, so wie Verdächtige in Medien unkenntlich gemacht werden. Insgesamt ein Titel, der an rassistischen Anspielungen deutlich stark genug für ein NPD-Plakat gewesen wäre. Und das wie gesagt nicht nur Wochen nach der „Studie“ (die eher eine Art wilde Zahlensammlung ist und explizit nicht so gelesen werden soll oder kann, wie DER SPIEGEL tut). Auch Wochen, nachdem jedes Argument in Richtung der Lesart, die den Redakteuren offensichtlich nahegelegt wurde, längst kompetent öffentlich widerlegt wurden (elegant und sauber zum Beispiel von Jens Berger hier).

Ich möchte mich hier nur um ein Kernargument des SPIEGEL kümmern, weil ich glaube, dass diese Geschichte in voller Absicht wahrheitswidrig aufgeschrieben wurde, weil der SPIEGEL inzwischen offensichtlich verzweifelt nach irgendeiner Art von Deutungshoheit sucht (die Spiegel-Online übrigens, nur nebenbei, im Bereich der Online-Medien lässig innehat).

Also hin zu den so genannten Argumenten, die der SPIEGEL gebraucht, unterzeichnet von gleich acht Autoren. Eins der großen Probleme der „Studie“ ist, dass es die Altersversorgung extrem unterschiedlich bewertet. Meine Schwester zum Beispiel ist Lehrerin in Griechenland und verdient dort natürlich nur einen Bruchteil dessen, was eine Lehrerin in Deutschland verdient. Sie wird auch einmal nur einen Bruchteil der Rente/Pension bekommen, die sie in Deutschland bekäme. Sie sorgt also erstens privat stärker vor und zweitens haben sie und ihr Mann – wie in Südeuropa üblich – die Wohnung gekauft (in diesem Fall gebaut), in der sie wohnen. Die „Studie“ der EZB wertet sowohl die Wohnung als auch die private Vorsorge als Vermögen, die Rentenansprüche der deutschen Lehrerin aber nicht. So ist meine Schwester plötzlich vermögender als ihre deutsche Kollegin, obwohl sie Zeit ihres Lebens weniger Geld hatte und haben wird.

DER SPIEGEL findet das total richtig. Das ist natürlich schwierig zu verargumentieren, weil man dazu die Realität ausblenden muss, aber einem echten Nachrichtenmagazin, das acht Autoren an eine einzige Geschichte setzen und diese von ihren legendären Dokumentaren checken lassen kann, ist offensichtlich nichts zu schwer. So kommt also dieses Argument zustande:

Bei den Ansprüchen an die staatliche Alterskasse handelt es sich nicht um Vermögensbildung im klassischen Sinne, eher um ein Versprechen, dessen Einlösung fraglich ist.

Doch, das steht im SPIEGEL. Nochmal: In der Realität ist es gerade eher so, dass Menschen in Südeuropa mit „klassischer Vermögensbildung“ bei einer Bank Gefahr laufen, ihr Geld nicht wieder zu sehen, aber beim SPIEGEL behauptet man, Südeuropäer wären reicher als Deutsche, weil die deutsche Rentenversicherung und Pensionskassen nur ein Versprechen sind, dessen Einlösung fraglich ist? Was genau ist dann eigentlich nicht fraglich? Jedenfalls ganz offensichtlich nicht die Immobilienpreise in Südeuropa, denn den Immobilienbesitz rechnet ja DER SPIEGEL voll ein – obwohl es zum Beispiel in Athen gerade fast völlig unmöglich ist, eine Wohnung zu verkaufen.

Für mich ist fraglich, wie weit man sich als SPIEGEL-Redakteur oder -Dokumentar oder -Autor oder -Irgendwas eigentlich verbiegen muss, um unter einem rassistischen Cover eine Lügengeschichte zu basteln, deren Kernargumente so hanebüchen sind, dass es an Recherche nicht mehr bedurft hätte als ein einfaches Öffnen der Augen, um zu erkennen, was für eine alte Scheiße man da erzählen soll. Acht Autoren, unter anderem die Athen-Korrespondentin, die offensichtlich nicht widerspricht wenn man behauptet, Athener wären reicher als Hamburger? Na, danke.

Ich weiß nicht, ob das noch Mascolo zu verantworten hatte, aber meiner Meinung nach reicht es für die Rettung dieses Heftes schon längst nicht mehr, nur einen rauszuschmeißen. Wer verzweifelt zu solchen Mitteln greift, um wenigstens die Aufmerksamkeit der heimlichen Dumpfdeutschen zu wecken, der hat höchstens Verachtung verdient. Denn das es hier keinen journalistischen Antrieb gab, diese Geschichte zu schreiben, ist offensichtlich. Und eklig.