Logik für alle!

Pech beim Denken entsteht zumindest meiner Beobachtung nach gar nicht unbedingt durch Fehler, sondern dadurch, dass man zu früh damit aufhört. Der „Starinvestor“ George Soros legt im SPIEGEL sehr sachlich dar, was die Optionen für Europa sind: nämlich deutlich mehr oder deutlich weniger gemeinsame Finanzpolitik, letztlich entweder eine Auflösung in kleinere Einheiten (bis hin zurück zu Nationalstaaten) oder eine echte Währungsgemeinschaft inklusive gemeinsamer Schulden. Und er legt dar, warum es sinnvoller ist, dass Deutschland den Euro verlässt und nicht ein (oder alle) so genannten Krisenstaaten.

Es ist wahnsinnig lustig, die Kommentare der Leser darunter zu lesen, die ziemlich exakt die Diskussionen widerspiegeln, die ich regelmäßig habe: Nach Ansicht vieler Deutscher sollte Deutschland auf keinen Fall den Euro verlassen, weil die nächste Währung (nennen wir sie D-Mark) sofort aufwerten würde, und Leben mit einer zu starken Währung bedeutet weniger Exporte, also weniger Arbeitsplätze und dadurch sinkende Einkommen, eine kontraktierende Wirtschaft, letztlich viel, viel Elend. Wir wollen nicht mit einer zu starken Währung leben.

Wenn wir aber exakt dasselbe, nämlich eine zu starke Währung, südeuropäischen Ländern aufdrücken, dann sind diese selber Schuld.

Man bräuchte nur auf alle Fälle dieselbe Logik anwenden, dann wäre man in der Analyse kongruent und könnte endlich anfangen, die echten Probleme nachhaltig zu lösen.

Warum mag eigentlich niemand Erpresser?

Die Welt muss verwirrend sein, wenn die Realität die eigenen Überzeugungen nicht verändern darf. Dann muss man zum Beispiel wie Paul Ronzheimer, Südeuropa-Hetzbeauftragter der BILD, erstaunt feststellen:

Immer auf die Deutschen!

Wir zahlen am meisten und sind trotzdem die Buhmänner

Ronzheimer tut ehrlich überrascht. Nachdem zuletzt auch in Italien eine Mehrheit der Wähler Politiker gewählt hat, die zumindest einen Anti-Merkel-Kurs fahren (im Fall von Berlusconi einen offen antideutschen), wie vorher schon in Frankreich und Griechenland, heuchelt er Empörung über eine Situation, die Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman so zusammenfasst:

The Germans don’t want a Cyprus collapse / exit from the euro, but they also don’t want the spectacle of German taxpayers bailing out Russian money-launderers. So what they did instead was blackmail Cyprus into having Cypriot depositors bail out Russian money-launderers. That way Germany’s hands are clean.
Am I missing something?

Denn das ist die Situation: Aus regierungsdeutscher Sicht wird etwas Falsches dann richtig, wenn man es nicht selbst tut, sondern einen anderen zwingt, es zu tun. Das ist deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik unter der schwarzgelben Koalition. Und dabei zählt schon lange nicht mehr das Argument, irgendjemand hätte sich irgendetwas selbst eingebrockt: Wie ausgerechnet ein zypriotischer Sparer an der Krise der Banken oder Schwarzgeld aus Russland schuld sein soll ist nicht argumentierbar. Den Versuch unternimmt ja auch keiner – außer Paul Ronzheimer in der BILD.

Das Ergebnis ist erschütternd: Wenn es der Bundeskanzlerin dieser schlechtesten aller deutschen Nachkriegsregierungen gelingen sollte, die nächste Wahl zu gewinnen, dann auch wegen der Vorstellung vieler Wähler, sie wäre auch eine ganz erfolgreiche Krisenmanagerin. Nichts könnte weiter entfernt sein von der Wahrheit. Na gut, Ronzheimer vielleicht. Aber sonst wirklich nichts.

Real: Alles drin. Irreal: Was Politik behauptet, was drin ist.

Die erfolgversprechendste Art für jede Organisation, die Zukunft anzugehen ist, so viele gute Ideen wie möglich auszuprobieren und sich von den jeweils schlechtesten so schnell wie möglich wieder zu trennen. Bei Apple tut man das, indem man unzählige Prototypen baut. Die meisten anderen Unternehmen tun es, indem sie ein paar Prototypen bauen, den besten auswählen und von da an mit Kundenfeedback von Version zu Version besser werden („Done is better than perfect“). Das System ist das gleiche: Wer bereits vorher glaubt, die Antwort auf die Fragen der Zukunft zu kennen, arbeitet nicht mit Ideen sondern mit Ideologie. Und das ist eine Methode, bei der nur sicher ist, dass selbst ein nur relativ optimaler Erfolg praktisch unmöglich zu erreichen ist, d.h. nicht einmal tatsächlich umgesetzte Ideen können ihr volles Potenzial entfalten, weil ihre Beschränkung immer bereits eingebaut ist.

Willkommen in der Politik.

Nur ist die Politik daran gar nicht allein schuld. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern, natürlich anhand der Euro-Krise, die zumindest für irgendetwas nützen soll.

Da ist einmal die real existierende Politik. Sie versagt mehr oder weniger vollständig: Allen Krisenländern geht es immer schlechter. Nehmen wir Spanien, deren Ministerpräsident Rajoy gerade in Berlin zu Gast war, und der dabei (wie nicht lange zuvor sein irischer Amtskollege) den Spagat vollbringen musste, einerseits darauf zu verweisen, wie großartig konsequent er die ihm von den europäischen institutionellen und nationalen Großmächten aufoktruierten „Reformen“ umsetzt, und andererseits um Hilfe zu bitten, weil die Realität sich nicht an die Pläne der Ideologen hält. Unter den Reformen bricht die spanische Wirtschaft genauso zusammen wie die griechische, die portugiesische und mit ein paar Abstrichen auch die irische. Die Programme funktionieren nicht, nirgendwo und unter keinen Bedingungen. Die Zahlen zeigen das.

Aber natürlich wäre diese Realität nur dann ein Baustein in der Politik zum Beispiel unserer Bundesregierung, wenn es dabei um Ideen ginge und nicht um Ideologie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Reformbemühungen Spaniens gewürdigt. Deutschland habe „große Hochachtung und große Bewunderung“ für das, was Spanien zur Bewältigung der Schuldenkrise auf den Weg gebracht habe, sagte die CDU-Politikerin nach ihrem Treffen mit Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy in Berlin. Sie sei überzeugt, dass die Reformen Wirkung zeigen würden.

Zeit.de

Warum soll sie sich mit der Realität beschäftigen, wo sie doch überzeugt ist? Die Wahrheit ist, dass die spanische Wirtschaft in einer Größenordnung zusammenbricht, die sich kaum noch beschreiben lässt. Das Land ist in allen wichtigen Bereichen von Produktion, Handel und Arbeit um Jahrzehnte zurückgeworfen und implodiert. Merkel lügt. Und lügt. Und lügt.

Gleichzeitig gibt es in deutschen Medien spürbar weniger Berichte aus den Krisenländern. Wie dramatisch die Lage in Europa ist, wird in Deutschland nirgendwo wirklich sichtbar. Insofern könnte ein Besuch des SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück in Athen ein Schlaglicht darauf werfen, denn immerhin verbrachte er einen guten Teil seiner Zeit in Einrichtungen zur Armenspeisung. Stattdessen kümmern sich die Journalisten, die ihn begleiten, um ganz andere Fragen: Obwohl Steinbrück zumindest in homöopathischen Dosen ernsthafte Ideen zur Überwindung der Krise vorgebracht hat, ist die einzige Frage, die Journalisten dabei interessiert, wie sie mit seiner Kandidatur zusammenwirken.

Als Beispiel das Leitmedium Spiegel Online:

Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf Rekordhoch, die Investoren scheuen den Gang zurück ins Land. Daheim in Berlin würde manch einer den Hellenen gerne den Geldhahn zudrehen. Steinbrück nicht. Er will dem Misstrauen gegenüber der griechischen Regierung etwas entgegensetzen, das ist das Hauptanliegen seines Besuchs. Er sagt: „Das Land braucht mehr Zeit, um seine Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.“ Steinbrück, der Barmherzige.

Es ist ein Kurs mit Risiko. Der SPD-Mann weiß, dass jene Frau, die er beerben will, andere Töne anschlägt. Angela Merkel gefällt sich seit Beginn der Krise als eiserne Kanzlerin. Wann immer sie sich zur Zukunft Griechenlands äußert, pocht sie auf Einhaltung der Brüsseler Bedingung, das Defizit auch über massive Sozialreformen in den Griff zu bekommen. Kein Geld ohne Gegenleistung – das ist ihr Credo. Beim Wähler fährt sie damit bislang ganz gut.

Abgesehen davon wie lustig es ist, „Brüsseler Bedingungen“ von den deutschen Bedingungen zu trennen fällt auf, dass die Realität durch die Brille von Spiegel Online nicht mehr als solche wahrgenommen wird, sondern nur noch als Leinwand, vor der sich das Spektakel des deutschen Wahlkampfes entfaltet. Dass die „Brüsseler Bedingungen“ in keinem Land positive, sehr wohl aber in jedem Krisenland katastrophale ökonomische und soziale Folgen haben ist vollkommen unerheblich angesichts der Tatsache, auf welche der Lügen und Inszenierungen der (oftmals durch eben dieselben Medien bedingt) im Ahnungslosen verharrende Wähler doller hereinfällt. Politik ist mit Inhalten hier gar nicht zu machen: Dass Politiker selbst um den Preis der Wahrheit, selbst um den Preis realen (aber unsichtbaren) Leidens erfolgreicher an Ideologien festhalten als sich um die Lösung realer Probleme zu bemühen liegt auch daran, dass Medien es so wollen. Die gute Geschichte schlägt gute Politik. Ob Merkel in Wahrheit lieber gute Politik machen würde ist zweitrangig – es lohnt sich schlicht nicht. Wenn sie die Zahlen aus den Krisenstaaten zum Anlass nähme, Fehler zu korrigieren und echte Verbesserungen herzustellen, würde ihr das von den Medien und so letztlich den Wählern negativ angerechnet. Sie wäre eine Umfallerin. Weil sie die Realität ernst genommen hätte.

Noch einmal: Würde die vorherrschende europäische Politik an Zahlen gemessen, dann müsste man Merkel ihre Worte von den spanischen Fortschritten pausenlos um die Ohren hauen. Im Vergleich zu ihrem Allzeithoch 2007 hat die spanische Industrie mehr als 30 Prozent weniger Output. Der Stand ist schlechter als der von vor 20 Jahren. Fortschritte? My ass! Wen wollt ihr hier eigentlich verarschen?

Ach ja, uns alle.

Das Schlimme dabei ist nicht nur, dass es funktioniert. Das Schlimme ist, dass es sich längst als ein System etabliert hat, welches die echte Lösung von Problemen bestraft, während es die Lügen von Ideologen belohnt.

In der Realität ist das schlecht.

Homophocus

Es gibt Menschen, die spielen großartig Fußball. Und es gibt Menschen, die sind dämlich. Eins ist nicht kausal für das andere, aber beides passiert oft parallel: Während die einen Fußball spielen, nutzen andere das, um sich auf den Rängen oder rund ums Stadion aufzuführen wie Vollidioten – inklusive verschiedener Formen körperlicher und verbaler Gewalt. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes, aber es ist einer seiner eher unangenehmeren Aspekte. Und nach Meinung des Leiters des Ressorts „Debatte“ der Nachrichtenmagazinsimulation Focus ist es eine schützenswertere Form der Selbstverwirklichung als der offene Umgang der Fußballspieler mit ihrer sexuellen Identität. Der Mann heißt Michael Klonovsky, und er argumentiert in der aktuellen Focus-Ausgabe nicht nur dagegen, dass schwule Fußballprofis ihr Coming Out haben sollen, sondern auch gleich dagegen, dass die homophobe Grundstimmung rund um den Profifußball überhaupt ein Thema sein soll.

Das Fußballstadion aber ist eine archaische Sphäre. Auf dem Platz
imitieren Männer das Jagdrudel von ehedem und kämpfen gegen ein
anderes Rudel. Die Ränge bilden den Ort der Parteinahme, der
emotionalen Aufwallung, der Enthemmung, der Triebabfuhr. Das Stadion
gehört zu den raren Klausuren, wo der von Verhaltensvorschriften und
Tabus umstellte moderne Mensch sich noch gehen lassen kann. Die
Fankurve ist die letzte Bastion gegen den Totalitarismus der
Toleranzerzwinger. Hier hüten von den Medien sonst gern übersehene
Normalos das heilige Feuer des temporären Menschenrechts, sich
danebenzubenehmen, zu fluchen, zu höhnen, sich maßlos zu echauffieren
und dem Gegner unzivilisierte Beleidigungen zuzubrüllen.

Da „hineinzumaßregeln“ (was bedeuten würde … ja, was eigentlich? Homophobie als Verein offensiv anzuprangern und abzulehnen?) griffe also in die „temporären Menschenrechte“ ein. Wenigstens auf dem Fußballplatz soll man ihn, den Stellvertreter des Normalos auf Erden, mit diesen Schwulenproblemen in Ruhe lassen.

Homosexuellen-Probleme sind in letzter Zeit in der Öffentlichkeit
ausgiebig behandelt worden: von der Hinterbliebenenrente bis zur
Erbschaftsteuer, vom Ehegatten-Splitting bis zum Adoptionsrecht.
Angesichts der Tatsache, dass die Probleme der Schwulen und Lesben für
die Zukunft dieser Republik eher sekundär sind, vielleicht zu
ausgiebig.

Das gehört nicht nur zum Albernsten, sondern auch zum Schlimmsten, über das ich mich diese Woche aufrege.

Ich ärgere mich in diesem Fall auch über mich selbst, das mal vorweg. Ich bin ein eher behäbiger, heterosexueller Pseudo-Mini-Macho mit viel Unverständnis allem mir Fremden gegenüber. Ich verstehe einen Großteil aller sexuellen Orientierungen und Fetische ohnehin nicht. Ich habe keine Ahnung von schwuler Kultur oder Subkultur. Mir ist sogar unangenehm, dass sich Hape Kerkeling dauernd als Frau verkleidet, obwohl ich nicht einmal weiß, ob das irgendwie damit zusammenhängt, dass er schwul ist. Mit anderen Worten: Es gibt keinen schlechteren Verteidiger der Schwulenrechte als mich. Aber die simple Tatsache, dass es offenbar im 2012 in Mitteleuropa immer noch ein Diskussionsthema ist, wer sein Coming Out haben kann, soll und darf und wer nicht bedeutet, dass wir alle, auch der Allerletzte und Schlechteste – kurz: ich – aufgefordert sind, Typen wie Herrn Klonovsky zu sagen: Das ist eben nicht nur falsch, was Sie sagen, das ist eine alte Scheiße. Stellen Sie das ab!

Aber der Reihe nach: Sport ist die vielleicht großartigste Metapher auf das Leben, die wir haben. Der Kampf um Erfolg, den eigentlich jeder nur gegen sich selbst gewinnen kann. Die Momente der Größe, die Momente der Niederlage. Und die graue Zeit dazwischen. Diese unerklärliche Mischung aus Team-Geist und Egoismus, die Helden auszeichnet. Die Unerklärlichkeit des Lebens, die Zufälle, die Millimeter, die Ungerechtigkeit, das Glück. Wenn da unten Menschen spielen und Millionen dafür bekommen, dann deshalb, weil es so großartig ist, dabei zuzusehen und zu spüren, was das Leben alles sein kann, wenn man dafür kämpft. Was wir alles sein können. Und mehr als das: Was wir sein können, ohne dabei Regeln zu brechen. Innerhalb der Gemeinschaft. Wenn wir Fair Play zur Grundlage jedes Sports machen, dann nicht deshalb, weil es das Spiel spannender macht – sondern weil es das Spiel erst möglich macht. Egal ob ein Fußballspiel mit 55.000 Menschen im Volksparksstadion, die Stadt Hamburg, die Bundesrepublik Deutschland oder den Rest der Welt – all das funktioniert nur, weil es das „temporäre Menschenrecht der Triebabfuhr auf Kosten anderer“, wie es Herr Klonovsky propagiert, eben nicht gibt. Nicht einmal im Debattenressort des Focus.

Die Argumentation des Herrn Klonovsky wäre genauso auch auf ausländische Spieler anwendbar: Wir reden viel über die Probleme von Ausländern in Deutschland, warum sollte man sich da nicht wenigstens im Stadion zu rassistischen Ausfällen hinreißen lassen dürfen? Schließlich passiert das ja. In der Logik des Debattenressortleiters sollte man ausländischen Spielern vermutlich zunächst raten, ihr Ausländischsein zu verheimlichen („Schmink dich doch einfach über, Demba Ba! Und dann nennen wir dich Daniel Bahr!“) und ansonsten die Klappe zu halten. Ich möchte das eigentlich gar nicht Argumentation nennen, sondern das wütende Schluchzen eines frustrierten Reaktionärs nach Kontakt mit diesem ekligen Zeug, das zwölf Monate im Jahr draußen vor der Tür wartet … der Realität.

Um es einmal zu sagen: Wir gehen praktisch alle davon aus, dass Beziehungen, Familie, Ehe – Liebe! – ein zentraler Punkt unseres Daseins auf diesem Planeten sind. Der Default-Modus eines Hotelzimmers ist Doppelzimmer. Von Menschen zu verlangen, sie mögen bitte auf einen zentralen Teil ihrer Existenz verzichten oder ihn zumindest unter extremem Öffentlichkeitsdruck verheimlichen, damit der homophobe „Normalo“ auf der Tribüne nicht ihretwegen sein temporäres Menschenrecht aufs Arschlochsein ausüben muss, ist unmenschlich, unvertretbar und widerlich. Punkt. Ich möchte nicht in der Haut derjenigen stecken, die heute als Fußballer mit sich ringen, ob sie ihr Coming Out haben sollen. Ich kann ihnen das nicht abnehmen. Aber ich kann feststellen, dass die Tatsache, dass es so schwierig ist, eindeutig ein Fehler im System Profifußball ist – und kein Fehler der schwulen Spieler. Ich weiß nicht, wie das letztlich gehen wird, aber: Natürlich müssen wir den Fehler abstellen, nicht die sexuelle Orientierung der Spieler.

Selbstverständlich weiß ich auch, dass die armseligen Gestalten beim Focus solche Dinge nur schreiben, damit sich mal wieder irgendjemand für sie interessiert. Aber, wie gesagt, es geht dabei auch um mich selbst. Ich bin viel zu oft still, wenn Menschen diskriminiert werden, weil ich eben nicht zu der diskriminierten Gruppe gehöre. Und das tut mir leid. Das geht so nicht.

Insofern: Homophobe Arschlöcher aller Länder, verpisst euch aus meinem Stadion!

Fakten, Fakten, Fakten … oder wie heißen diese Stimmen in meinem Kopf?

Vergangene Woche legte die irische Zentralbank eine Studie vor zu den Sparprogrammen der europäischen Krisenstaaten. Es ist in jeden Fall eine gewaltige Fleißarbeit gewesen, sich durch die Papiere so vieler Länder zu wühlen, tatsächlich Umgesetztes von vorerst nur Angekündigtem zu trennen und das ganze in eine lesbare Form zu bringen. Und eine Aussage lässt sich sehr einfach daraus ableiten: Niemand spart so viel wie Griechenland.

Das ist eine Nachricht, die vielleicht nicht so richtig zu dem Strom an Geschichten passt, die Athen in den vergangenen Jahren und Monaten „mangelnden Sparwillen“ unterstellt haben, aber es ist doch eine Nachricht, die den normalen deutschen Steuerzahler ein bisschen beruhigen könnte. Eigentlich eine gute Nachricht, auch wenn es traurig ist, dass sie überhaupt für jemanden neu ist. Man hätte es wissen können. Aber hier kommt die knifflige Frage: Woher sollen die Leute das wissen? Der Tenor in den Massenmedien war ja wirklich ein anderer. Wer hätte es ihnen sagen sollen?

Damit kommen wir zum Wirtschaftsressortleiter des Focus, Uli Dönch. Er schreibt unter anderem Kolumnen auf Focus Online, die wahrscheinlich von manchen Menschen als „launig“ umschrieben würden. Das heißt, die steile These ist ihm wichtig. Vor drei Wochen zum Beispiel schrieb er über Griechenland

Sie können nicht sparen – und wollen es auch gar nicht. Stattdessen geben die Griechen immer gern anderen die Schuld: Früher den USA, heute Deutschland, morgen vielleicht den Eskimos

Die Zahlen sind schlecht. Unfassbar schlecht. Und das, obwohl wir Rest-Europäer Griechenland mit gut 380 Milliarden Euro unterstützt haben. Es hat nichts genützt. Im Gegenteil: Der Verschwender-Staat wächst weiter, die korrupte Bürokratie wuchert wie nie – nur die ohnehin dürftige private Wirtschaft kollabiert.

Das ist ein Widerspruch: „Sie können und wollen nicht sparen“, sagt Dönch. „Die größten Sparer Europas – und das mindestens seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagen die Zahlen. Und in der Beurteilung wirtschaftlicher Vorgänge besteht eine Einigkeit darin, dass die realen Zahlen wichtiger zu nehmen sind als das, was in Uli Dönchs Kopf vor sich geht. Aber das bedeutet in der Folge, Dönch kann entweder keine Zahlen lesen, oder er versucht es gar nicht erst. Ich sage es noch einmal: der Leiter des Wirtschaftsressorts des Focus seit zwölf Jahren.

In der Folge ist sein Text, der bei sauberer Recherche vielleicht einfach eine Polemik gewesen wäre, ein reines Hetzpamphlet. Er nutzt den billigsten Trick, den er finden kann, nämlich die Polemik eines griechischen Autoren gegen die griechische Motzmentalität (boah, meta, motzen gegen’s Motzen!) und konstruiert aus ihr den endgültigen Beweis: Wenn ein Grieche schon Griechenland kritisiert, muss das ja stimmen – findet lustigerweise ein Autor, der sonst Griechen gar nichts glaubt.

Die Hetze des Uli Dönch ist eine rassistisch konnotierte. Das, was er schreibt, wertet ganze Völker ab, soll demütigen und verächtlich machen. Es ist auch nicht das erste Mal, er ist auf einer Art Kriegspfad, möchte den Griechen am liebsten die Souveränität entziehen, sie aus dem Euro werfen gemeinsam mit den anderen „Euro-Schwächlingen“, den „unreifen Südländern“, den „heißen Kandidaten des Griechenland-Ähnlichkeits-Wettbewerbs“. Die Menschenverachtung seiner Sprache gehört für mich zum Ekelhaftesten, das ein deutsches Mainstream-Medium zu bieten hat.

Zum Glück steht es nur im Focus.

Lehnt dpa die Realität eigentlich ab, oder hält sie sie nur für nicht notwendig?

Es ist nicht, was ich im Innern bin, was mich definiert – sondern das, was ich tue.

Batman

Die Deutsche Presse-Agentur dpa ist eine Art offizielle Institution in der Art, wie auch die Tagesschau eine Institution ist: an Glaubwürdigkeit gemeinhin nicht zu überbieten. Sie ist so etwas wie die Sparkasse unter den Produzenten journalistischer Inhalte: wenig funky – man erwartet dort keine Texte mit literarischem Anspruch –, aber grundsolide in der Recherche und genau in der Umsetzung. Die dpa ist die Art Agentur, auf deren Informationen sich deutsche Diplomaten im Ausland verlassen. Offenbar ist das keine so gute Idee, wie ich bisher gedacht hätte. Denn die dpa macht nicht nur Fehler (wie jeder andere auch), sie macht Fehler an politisch entscheidenden Stellen: da, wo sie der offiziellen politischen Propaganda gut in den Kram passen.

In der vergangenen Woche berichtete die dpa über das Gutachten einer Gruppe von 17 prominenten internationalen Ökonomen (darunter aktuelle und ehemalige deutsche „Wirtschaftsweise“), die vor den extremen Gefahren der aktuellen Euro-Krise in starken Worten warnten und Lösungsvorschläge präsentierten. Tatsächlich übernahmen praktisch alle Medien den dpa-Bericht (zum Beispiel sowohl bild.de als auch faz.net, was als Kombination ohnehin schon verstörend ist). Zunächst las offenbar kein Journalist außerhalb der dpa den Bericht dieser „Euro Task Force“ des Institute for New Economic Thinking (INET) tatsächlich durch, was einigermaßen fatal ist, denn der dpa-Bericht enthielt einen Fehler an einer entscheidenden Stelle:

Eine langfristige Transferunion lehnen sie […] ebenso ab wie Eurobonds.

Dieser Satz ist selbst für einen Amateur wie mich hier überraschend, wenn man sich auch nur eine Sekunde lang mit der Zusammensetzung der Gruppe beschäftigt. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ist ein Mitglied, der schon lange vertritt, dass Eurobonds notwendig sind. Patrick Artus sitzt der Kommission vor, der seit Monaten wenn nicht Jahren erklärt, eine Transferunion sei völlig unausweichlich und eine gemeinsame Haftung durch das Target-System längst Realität. Und wenn man den Text dann liest stellt man fest, dass das Gegenteil dessen, was dpa behauptet, darin steht: Eine kurzfristige Vergemeinschaftung der Schulden wird als schnelle Maßnahme ausdrücklich gefordert, auch Werkzeuge, die man durchaus als Eurobonds bezeichnen könnte, einzig die langfristige Einführung solcher Bonds halten in der Gruppe offenbar nicht alle für zwingend, deshalb hat man sich auf die Formulierung geeinigt, Eurobands seien „nicht notwendig“. Ablehnung ist etwas völlig anderes.

Das ist ein schwerer Fehler. Stefan Niggemeier hat ihn für den Bildblog nachrecherchiert und dokumentiert, die dpa erklärt er basiere auf ihrer „Interpretation“ des Textes – was bizarr ist. Der Text ist eindeutig (und Peter Bofinger hat ihn dem Bildblog noch einmal bestätigt). Interessant ist, dass erstens die FAZ den Fehler am nächsten Tag in einem von einem Wirtschaftsredakteur gezeichneten Artikel wiederholt – und dann auch noch die Bundesregierung in ihrer Reaktion auf die Forderungen der Euro-Task-Force anmerkt, wenigstens sei man sich bei den Eurobonds einig. Die Fehler der dpa pflanzen sich fort, und zwar in einer Weise, die nicht einfach der Bundesregierung nützt, sondern auch ihre längst von den Realitäten entkoppelte Ideologie unterstützt. Und damit kommen wir endlich zurück zu Batman. Zumindest gleich.

Die Frage ist: Kann es sein, dass hier ein dpa-Mitarbeiter einfach nur einen Fehler gemacht hat? Das ist schwer vorstellbar. Dafür ist der Text der Task Force zu eindeutig, dafür sind auch die Positionen zumindest einiger ihrer Mitglieder zu bekannt. Und dpa selbst nennt ihre Berichterstattung eine „Interpretation“ – warum auch immer die Information, jemand halte etwas für „nicht notwendig“ interpretiert werden müsste. Es wirkt natürlich schräg, dass ein Wirtschaftsredakteur der FAZ noch einen Artikel über die Empfehlungen der Task Force schreibt, ohne ihn zu lesen, aber ich habe ja schon beschrieben, welche Glaubwürdigkeit dpa-Meldungen normalerweise haben. Natürlich muss gerade einem Wirtschaftsredakteur auffallen, was da passiert, aber das Versagen ist zumindest mit Faulheit oder Zeitmangel erklärbar. Und dass unsere Bundesregierung Stellung nimmt zu Texten, die sie nicht gelesen hat, ist … vielleicht Absicht? Immerhin sieht sich die Bundesregierung so in einem Kernstück ihrer Wirtschaftspolitik bestätigt, das sich ansonsten ausschließlich auf Ideologie gründet.

An welche Mittel Menschen wirklich glauben sieht man daran, worauf sie setzen, wenn es für sie eng wird. Das ist so beim ewigen Kampf zwischen Schulmedizin und Homöopathie, aber eben auch bei pro- oder antizyklischer Wirtschaftspolitik. Die deutsche Bundesregierung hat (in der großen Koalition) unter Merkel eindeutig antizyklisch auf die Wirtschaftskrise reagiert (z.B. mit zwei Konjunkturpaketen, Kurzarbeitergeld und der Abwrackprämie), also „auf Pump“ die Nachfrage belebt. Das hat gut funktioniert. Jetzt verlangt sie im Brustton der Überzeugung von allen anderen in Europa das Gegenteil, nämlich im Abschwung zu Sparen. Das hat, für jeden offensichtlich, nicht funktioniert. Nirgendwo. Es treibt ganze Völker ins Elend. Es gibt keinen aufgrund von Zahlen und Fakten argumentierbaren Grund mehr, an diesem Weg festzuhalten – aber eben eine nicht auf Tatsachen basierende Überzeugung, eine Ideologie. Sie wird gern mit intuitiv verständlichen Phrasen erklärt wie „Schulden kann man nicht mit Schulden bekämpfen“ und „wenn der Staat Schulden macht ist das unsozial, weil es die Probleme der Gegenwart auf zukünftige Generation abwälzt“. Beides ist Blödsinn, aber es klingt vernünftig, wenn man fälschlicherweise versucht, die Erfahrungen eines Privathaushaltes mit denen eines Staatshaushaltes zu vergleichen (was Wähler offenbar oft genug tun). Die prozyklische Wirtschaftspolitik, verbunden mit der neoliberalen Ideologie des „schlanken“ Staates, nützt vor allem denen, die den Staat nicht brauchen, weil sie sich besseres leisten können. Auftritt FDP.

Im Zuge der Neoliberalisierung der deutschen Politik ist es den daran interessierten Kreisen in beeindruckender Art und Weise gelungen, falsche Vorstellungen zu vermeintlichem Allgemeinwissen werden zu lassen. Dazu gehört nicht zuletzt, dass Eurobonds schlecht für Deutschland wären, weil sie Deutschland überfordern würden. Die Wahrheit ist genau anders: Ein Zusammenbrechen des Euroraumes würde Deutschland überfordern, wie es durch das momentane System mit nationalstaatlichen Anleihen sehr viel wahrscheinlicher ist, weil einzelne Staaten mörderisch Zinsen zahlen müssen und so zahlungsunfähig werden könnten. Die einzigen, denen das momentane System nützt, sind diejenigen, die die hohen Zinsen erhalten: Banken und diejenigen, denen sie gehören (und denen seit Jahren von den Steuerzahlern regelmäßig der Arsch gerettet wird).

All das den Wählern zu erklären nimmt sich selbst bei SPD und Grünen schon gar kein Politiker mehr vor. Auch dort haben sie vor der vermeintlichen Dummheit der Wähler kapituliert. Anstatt mit echten Informationen um Vertrauen zu werben, anstatt mit echten Lösungen den Euroraum wieder in die starke Stellung zu bringen, die ihm zusteht (ein Euroraum mit gemeinschaftlichen Schulden hätte nach Aussage der Ratingagenturen selbstverständlich ein AAA-Rating und keinerlei Probleme, seine Schulden zu finanzieren, die dann überschaubare 87 Prozent des BIP ausmachen würden). Stattdessen wird argumentativ in einem virtuellen Raum agiert, in dem die Logik der viel zitierten „schwäbischen Hausfrau“ zu Naturgesetzen mutiert ist. Selbst die dpa „interpretiert“ Informationen dabei so, dass sie passen. Die Euro-Krise ist eine Art Ego-Shooter für Politiker geworden, eine eigene Realität. In der echten Realität verdienen derweil Banken weiter Geld mit Geschäften, deren Risiko der Steuerzahler trägt.

Die Frage ist: Ist das Absicht? Auf Seiten der Bundesregierung ganz sicher. Es ist nicht so, dass sie keine soziale Ader hätte: Sie dient immerhin als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für eine Reihe von Menschen, die ansonsten schwer vermittelbar wären. Philipp Rösler ist ja nicht einfach nur nicht ministrabel, um von Dirk Niebel und Rainer Brüderle mal gar nicht erst anzufangen. Das Beste, was man über Guido Westerwelle sagen kann ist, dass man wenig von ihm hört. Ironischerweise ist es diese FDP, die in der möglicherweise letzten Legislaturperiode ihres Bestehens den Schwenk von der antizyklischen, handelnden Bundesregierung in der Großen Koalition zur paralysierten aber mit dem Mund prozyklischen Traumkoalition begründet hat. Es ist jene Fraktion, der die Bundeskanzlerin in einem besonders bizarren Moment versprochen hat, es gäbe keine gemeinsamen europäischen Anleihen „so lange sie (Angela Merkel) lebe“. Da wäre es ein Geschenk, wenn tatsächlich eine derart prominent besetzte Riege wie die der INET ihren Kurs unterstützen würde, der so offensichtlich bisher nicht greift. Da ist es sogar verständlich, wenn sich die Bundesregierung in ihrer Antwort eher auf die erkennbar falsche dpa-Berichterstattung stützt als auf den Text selbst. Es bleibt unethisch, aber verständlich ist es schon. Bleibt die Frage, warum dpa „interpretiert“ anstatt einfach zu berichten.

Es will mir kein einfacher Grund einfallen. Auch bei mehrmaligem Lesen ist es unmöglich, den Originaltext der INET-Task Force falsch zu verstehen – ganz besonders für jemanden, der das, anders als ich, hauptberuflich macht und wahrscheinlich noch viel mehr mit den Positionen der Unterzeichner vertraut ist. Man muss ihn schon unbedingt falsch verstehen wollen. Und dafür fallen mir wiederum nur zwei mögliche Gründe ein: Entweder man ist so gehirngewaschen, dass man widersprechende Positionen nicht mehr bemerkt – was für einen Journalisten hieße, er wäre berufsunfähig. Oder man will jemandem einen Gefallen tun. Dann gilt das mit der Berufsunfähigkeit umso mehr.

Ich weiß, das sind viele Buchstaben für ein vermeintlich kleines Beispiel. Aber es ist nicht klein. Es zeigt, wie Europa von Regierungen an die Wand gefahren wird, die ihre falschen Vorstellungen von der Welt mit falschen „Fakten“ untermauern, assistiert von unfähigen oder willfährigen Journalisten, und sich mit ihren Erklärungen inzwischen so weit von der Realität entfernt haben, dass sie in einer virtuellen Welt agieren müssen, damit ihr Handeln noch irgendeinen Sinn ergibt.

Man ist, sagt Batman, was man tut. Die Vorgängerregierung hatte unter derselben Kanzlerin für Deutschland einen vernünftigen Weg gefunden. Seitdem redet sie aber (in einer anderen Koalition) überzeugt vom Gegenteil, selbst wenn sie dabei wie in diesem Beispiel die Wahrheit um 180 Grad drehen muss – und tut ansonsten am liebsten gar nichts.

In dieser Euro-Krise ist unfassbar viel falsch berichtet worden. Immer wieder argumentieren selbst Minister oder die Bundeskanzlerin öffentlich mit falschen Zahlen – um nicht zu sagen: auf der Grundlage von Vorurteilen. Und suchen Schuldige, wenn sich die Realität nicht ihren Vorurteilen fügt.

Wo ist dieser Batman, wenn man ihn mal braucht?

Euro-Krise 2012. Nächster Gegner: die stolzen Spanier

Spanien hat einige Probleme, seine durch die Bankenrettungen gestiegenen Staatsschulden am Markt zu refinanzieren. Das ist im Prinzip die Situation, für die Euro-Rettungsschirme überhaupt erst eingerichtet wurden. Leider haben diese Rettungsschirme einen eingebauten Fehler: Die Gelder sind mit Bedingungen verknüpft, die gleichzeitig die Wirtschaft, der sie helfen sollen, abwürgen. Deshalb will der spanische Staat kein Geld direkt annehmen, sondern nur indirekt über seinen Bankenrettungsfond – denn dieser Bankenrettungsfond kann keine neuen Sparprogramme zusagen. Das ist die einfache Geschichte, die Spiegel Online vielleicht einen Tick kompliziert aufschreibt.

Wie würde man diese Geschichte überschreiben?

Bei SpOn entscheidet man sich so

Euro-Retter wollen Spaniens Banken helfen

Spaniens finanzielle Lage wird immer dramatischer. Nun gibt es Anzeichen für einen Kompromiss mit den Euro-Partnern. Einem Zeitungsbericht zufolge könnten Hilfsgelder an den spanischen Bankenrettungsfonds fließen. Der Vorteil: Beide Seiten würden ihr Gesicht wahren.

Das ist absurd. Hier klingt es, als wären auf der einen Seite wieder einmal die dummen Südeuropäer, die ihr „Gesicht wahren“ wollen, und auf der anderen Seite die „Retter“, die die uneinsichtigen Spanier erst zu ihrem Glück zwingen müssen.

In der Financial Times Deutschland wird – allerdings in einem Meinungsartikel – die wirtschaftspolitische Entscheidung des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, die bizarren Sparprogramme nicht weiter mitzumachen als rein taktisches, eher noch naives Wahlversprechen verkauft, das heute zu verbockten Fehlentscheidungen führt. Die Headline ist dementsprechend

Rettungsschirm oder nicht?
Spanien ist von falschem Stolz geblendet

Bebildert ist die Geschichte online mit einem Matador, der wohl für den übersteigerten spanischen Stolz stehen soll. Man kennt die ja, die Spanier.

Die Realität sieht so aus: Spanien hat mitten in der Krise sein Defizit von 117 Milliarden Euro in 2009 auf 91 Milliarden in 2011 gesenkt (das Defizit ist nach der Lehman-Krise explodiert, was nicht die Schuld des spanischen Staates war, der bis dahin ein Euro-Musterknabe war. Nicht dass das eine Rolle spielt, aber es soll mal gesagt sein). Der Gesamtschuldenstand beträgt heute noch niedrige 68 Prozent im Verhältnis zum BIP (gegenüber mehr als 83 Prozent z.B. in Deutschland). Es braucht niemand irgendwo auf der Welt so zu tun, als müsste er den Spaniern erklären, wie man einen ordentlichen Haushalt aufstellt. Dass die spanischen Schulden trotz des schrumpfenden Defizits rasant weiter wachsen liegt daran, dass die Wirtschaft zusammenbricht.

Aber: Spanien hat eine galoppierende Arbeitslosigkeit. Mehr als jeder Fünfte ist ohne Job, jeder zweite unter 25 Jahren. Hier immer nur weiter zu sparen, wie es die Troika aus EU, IWF und EZB ja schon in anderen Ländern erfolglos vorführt, treibt das Land nur immer tiefer in die Schuldenspirale – bei gleichzeitiger Verelendung der Bevölkerung.

Es gibt möglicherweise neoliberale Theoretiker, die ehrlich glauben, dass prozyklische Wirtschaftspolitik funktioniert. Gerade in Deutschland, wo wir die Krise mit zwei schuldenfinanzierten Konjunkturpaketen, der Abwrackprämie und dem Kurzarbeitergeld bekämpft haben ist das zwar schwierig zu erklären, aber es mag irgendwo solche Leute geben. Aber selbst für jemanden, der entgegen der historischen Evidenz und gut argumentierter Wissenschaft glauben mag wäre es infam, es mit ethnischer Prädisposition zu falschem Stolz zu erklären.

Nachdem die Griechen zu faul zum arbeiten sind, sind die Spanier jetzt also zu stolz, um zu tun, was richtig ist. Ich nehme an, zu den Portugiesen, den Italienern und den Iren fallen uns auch noch rechtzeitig rassistische Erklärungen dafür ein, warum sie einfach nicht so funktionieren, wie die Welt nunmal funktionieren muss, weil wir sie hier so sehen.

Ich erlebe seit Jahren, wie sich ein völlig realitätsfremdes Bild „der Griechen“ heute bis zur gefühlten Wahrheit durchgesetzt hat. In Deutschland halten die Menschen die Griechen inzwischen für zu doof zum wählen, und das ist einem völligen Versagen von Medien – also Journalisten – geschuldet.

Das einzig Gute an der Situation bisher war, dass zu viele Journalisten zu beschäftigt damit waren rassistische Klischees über Griechen zu verbreiten, dass zumindest Spanier, Portugiesen und Iren einigermaßen unbeschadet geblieben sind.

Entgegen dem, was ich oben geschrieben habe, glaube ich in Wahrheit eigentlich nicht, dass irgendjemand mit einem Hauch von Verstand glauben kann, dass die Programme der Troika in dem Sinne funktionieren, dass sie einem Land in der Krise helfen. Ich glaube nicht, dass es diese Theoretiker gibt – aber ich weiß, dass es eine starke Lobby derjenigen gibt, die an dieser Krise verdienen, so lange die verschuldeten Länder zugunsten ihrer Gläubiger ausgequetscht werden.

Was dann noch von den Ländern übrig bleibt, könnte nach dem Willen der Bundesregierung dann ja zum Beispiel als „Sonderwirtschaftszone“ genutzt werden, also als Region, in der Unternehmen ohne störende Arbeitnehmerrechte und Umweltauflagen zu niedrigen Steuern produzieren können. Eine eigene Dritte Welt in Europa! Das sind doch mal Programme.

Ich glaube, dass Journalisten, die in dieser Situation versuchen, die Krise mit ethnischen Stereotypen zu erklären, nicht nur falsch liegen, sondern unendlich ahnungslos sein müssen oder böse. Die Grenzen in dieser Krise verlaufen nicht zwischen Völkern, sondern zwischen denen, die an dieser Krise verdienen, und uns anderen, die wir dafür bezahlen. Es ist eine ekelhafte, neonationalistische Suppe, die da gerade angesetzt wird, und ich kann nur jeden Kollegen davor warnen, sich eines billigen, schlecht durchdachten Scherzes wegen dafür herzugeben.

Ich bin sicher, wir werden in den nächsten Tagen und Wochen eine Menge symbolischer Matador-Bilder zu sehen bekommen. Und jedem einzelnen, der nationale Töne in diese Diskussion einzuspeisen versucht möchte ich sagen:

Wir sind alle Griechen. Wir sind alle Spanier. Wir sind alle Iren. Wir sind alle Deutsche.

Und ihr seid alle Arschlöcher.

Man weiß, dass man recht hat, wenn der IWF sauer ist

Zu den interessanten Dingen in den letzten zwei Jahren zählen die Reaktionen von Menschen, die glauben, an mir ihre Dummheit und ihren Frust abarbeiten zu müssen, weil ich manchmal öffentlich zu Griechenland spreche. Im Regelfall äußert sich das in dem Versuch, eine elektronische Kommunikation mit mir aufzubauen aufzubauen die eine Art Griechenland- bzw. Volkswirtschaftsgrundkurs zum Inhalt haben soll („erklären Sie mir doch mal …“), den ich ihnen zu geben ihrer Meinung nach irgendwie verpflichtet bin, während sie mir gleichzeitig klar machen, wie unrecht ich habe/dumm ich bin. Flankierend gibt es regelmäßig wieder geäußerte ethnische Stereotypen, falsche oder gar keine Zahlen und aus dem Zusammenhang gerissene und falsch gebrauchte Argumente klügerer Menschen, mit denen man tatsächlich gerne diskutieren würde. Sehr viele dieser Menschen schicken mir seit Tagen Links zu dem Guardian-Inerview der IWF-Chefin Christine Lagarde, in dem sie klar macht, dass griechische Kinder anders hungern als afrikanische, weil griechische Eltern etwas für deren Schicksal können während Afrikaner ihrer Meinung nach dazu offenbar schon theoretisch gar nicht in der Lage sind.

Bizarrerweise ist dieses Interview der beste Beweis dafür, dass die Griechen recht haben. Der IWF ist eine Organisation, die regelmäßig nichts anderes tut als Länder zugunsten von Banken ausbluten zu lassen. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stieglitz, der eine Weile mit IWF und Weltbank gearbeitet hat, bevor er ihr Kritiker wurde, beschreibt das so:

“When the IMF arrives in a country, they are interested in only one thing. How do we make sure the banks and financial institutions are paid?… It is the IMF that keeps the [financial] speculators in business. They’re not interested in development, or what helps a country to get out of poverty.”

Die Politik des IWF ist direkt verantwortlich für tausende, wenn nicht zigtausende afrikanische Hungertote. Das Land Malawi kam erst wieder auf die Beine, als die Regierung den IWF rausschmiss und Ungarn hat nach der Lehman-Krise das Schlimmste gerade so abwenden können, als die neue Regierung die IWF-Abgesandten ebenfalls des Landes verwies und das Gegenteil dessen tat, was sie an „Strukturreformen“ durchsetzen wollten. Griechenland hat sich bis jetzt „auch im internationalen Maßstab vorbildlich“ (O-Ton IWF) an die vorgeschriebenen Reformen gehalten, ist dabei immer weiter in die Krise abgerutscht und bekommt nun, wo die klugen griechischen Wähler dem Treiben dieser Verbrecher ein Ende bereiten, den Zorn von Frau Lagarde zu hören. Ein besseres Zeichen, dass man recht hat, gibt es gar nicht.

Wir machen uns die Welt

Es ist faszinierend, wie zwei Menschen dieselbe Sache ansehen und völlig unterschiedliche Dinge dabei sehen können. Es zeigt auch, dass es letztlich wirklich nur der Verständnisrahmen ist, das Metapherngerüst, mit dem wir die Welt deuten, das unsere Wahrnehmung bestimmt. Fakten werden nicht in der Realität gemacht, sondern in unserem Kopf.

Ich stelle das regelmäßig in Diskussionen über die griechische Schuldenkrise fest. Unter Konservativen hält sich die Wertung, Griechenland wäre in seiner Staatsschuldenkrise „einzigartig“ (Schäuble), und vor allem ganz anders als die dann zufällig zeitgleich auftretenden Krisen in Irland und Spanien, die ja ausgelöst wären durch „Immobilienblasen“ (Kramp-Karrenbauer). Die griechische Krise hingegen ist dieser Lesart nach verursacht durch übergroße Staatsverschuldung durch Korruption und schlechte Haushaltsführung. Ganz anders also.

Dem widerspricht nicht nur der zeitliche Zusammenhang, sondern selbst die quasi hauseigene Studie der Europäischen Zentralbank. Alle drei Krisen wurden natürlich ausgelöst durch die Bankenrettung nach Lehman (wobei die erwähnten Fehler der griechischen Politik natürlich dafür gesorgt haben, dass es das Land am härtesten trifft). Wirklich erstaunlich aber finde ich die Tatsache, dass man versucht, staatliche und private Schulden völlig unterschiedlich zu bewerten. Alle „Staatsschuldenkrisen“ wurden ausgelöst dadurch, dass Banken vom Steuerzahler vor ihren Verbindlichkeiten gerettet werden mussten. All das führte zu extrem erhöhter (und auch noch toxischer, wegen der Bankpapiere) Staatsschuld. Und der Grund ist immer derselbe: billiges Geld. Denn für Staatsschulden wie für private, die dann eine Immobilienblase entstehen lässt, braucht man jemanden, der sie finanziert.

Der Grund ist überall derselbe: Aus den Leistungsbilanzüberschüssen Kerneuropas, insbesondere auch Deutschlands, wurden Kapitalexporte in die Peripherie. Irgendwo MUSS eine Bank das Geld anlegen, wenn sie es hat, das sehen wir gerade wieder daran, dass Banken Deutschland Geld für real negative Zinsen leihen. Sie machen das nicht, weil sie es für ein gutes Geschäft halten. Sie halten es für das IN DIESEM MOMENT sinnvollste Geschäft, weil sie das Geld haben und es nicht unter dem Kopfkissen liegen lassen können. Und billiges Geld heißt immer: zu billiges. Also Geld, das eigentlich teurer sein, mehr Zinsen kosten müsste. Wer es nicht nimmt, ist nach kapitalistischer Logik eigentlich doof. Wer es nimmt aber möglicherweise auch, wenn sich die Voraussetzungen zwischendurch plötzlich ändern – zum Beispiel durch eine Krise wie Lehman Brothers. So ist es, wenn Märkte versagen. Dass der griechische Staat zusätzlich versagt hat macht die Situation komplizierter, aber einzigartig ist das nicht. Die Beschreibung führt nur in die Irre (und sie wird meiner Überzeugung nach genau deshalb dafür herhalten, dass Kanzlerin Merkel am Ende kollektiven Schulden zustimmt, ob sie nun Euro-Bands heißen oder wie auch immer. Die Griechen werden – dann aber möglicherweise nicht mehr im Euro – die Schuld zugeschoben bekommen).

Das ist also die Logik: Nicht wer „billiges Geld“ anbietet ist schuld, sondern wer es annimmt. So liegt der Grund für die Krise in dieser Betrachtungsweise nicht im System, sondern im massenhaften individuellen Fehlverhalten von Politikern und Hauskäufern in der Peripherie. Und so kann es dann auch sein, dass das korrupte Gebaren von Politikern in einer winzigen Volkswirtschaft am äußersten Rand Europas plötzlich überschattet, was wirklich passiert ist: Das Marktversagen von Banken und Großinvestoren, die viel zu viel Geld viel zu billig in die völlig falschen Projekte gepumpt haben, weil sie irgendwo hinmussten mit der ganzen Kohle. Den Arbeitnehmern konnte man sie schließlich nicht geben, die mussten in Deutschland ja auf Lohn verzichten. Wettbewerbsfähigkeit und so.

So kann man das sehen. Aber mich nervt das schon einigermaßen an.

Die Worte. Der Ton.

Es gibt viele Gründe zum Heulen, wenn es um Griechenland geht. Ich habe gestern erst den ein paar Tage alten Abschiedsbrief eines Mannes von der Insel gelesen, von der die Familie meines Vaters stammt.

Ohne Arbeit, ohne Rente, ohne Zukunft für meine Kinder (unsere Kinder). […] Sie sind klein und ohne Vater. Ich habe die schönste Familie, aber mit meinen Fehlern habe ich sie zerstört.

Dann setzte er sich in ein Boot, fuhr hinüber auf eine kleine, unbewohnte Insel und machte seinem Leben ein Ende. Die Kinder müssen seine Grundstücke als Erbe ausschlagen, weil sie sich die Steuern nicht leisten können. Was soll man sagen?

Niemand will, dass das passiert. Kein Mensch, auch keiner von denen, die der Meinung sind, es sollte keine weiteren „Rettungspakete“ für Griechenland geben. Ich spreche oft und viel über diese Krise, mit Menschen, deren Solidarität mit Griechenland unerschöpflich ist genauso wie mit solchen, die glauben, „die Griechen“ wären an allem selber schuld und die Krise praktisch die Strafe für ihre Sünden. Aber selbst die wollen nicht, dass Menschen Hunger leiden; dass sie ihre Kinder weggeben müssen, weil sie sie nicht mehr ernähren können; dass sie sich umbringen vor Scham, Angst und Not. Niemand will das.

Aber die Botschaften, die über so lange Zeit gesendet wurden – die Beleidigungen in Bild, Focus, und Stern, die Bundestags-Hinterbänkler, die sich auf Kosten der Griechen wie der Wahrheit zu „Finanzexperten“ ihrer Parteien hinaufgespielt haben, bis hin zu den manchmal bizarr unreflektierten Aussagen von Regierungsmitgliedern (und das alles übrigens lange, lange Zeit bevor in Griechenland irgendein Demonstrant ein Hakenkreuz auf irgendetwas gemalt hat, es ist kein Wechselspiel, es hatte einen Anfang) – all diese Signale, das diplomatische Versagen, führt heute dazu, dass selbst echte Hilfe und echte Solidarität nicht ankommen.

Populisten in Griechenland bekommen heute Beifall für Sätze wie „Merkel ist es egal, wenn in Griechenland drei Millionen Rentner verhungern“. Und natürlich ist das unangemessen und infam, und das muss ich auch als Verteidiger Griechenlands feststellen. Aber schlimmer ist, dass selbst vernünftige Vorschläge wie eine deutsche Hilfe beim Aufbau einer funktionierenden Steuerverwaltung allein deshalb auf Widerstand stoßen, weil sie bedeuten würden, dass deutsche Beamte in Griechenland Dienst tun würden – als Berater selbstverständlich, aber eben als deutsche Beamte.

In Deutschland ständen 160 Beamte bereit, die freiwillig beim Aufbau in Griechenland helfen wollen. In Griechenland protestiert dagegen die Gewerkschaft der Steuerbeamten. Aus ihrer Sicht sicher zu recht, denn ihren Mitgliedern drohen Lohneinbußen (sie verdienen heute sehr gut) und Jobverlust, sie müssen sich deutlich fortbilden und einige, wenn nicht viele von ihnen, verlieren Geld, das sie noch irgendwie nebenbei machen, durch Korruption oder dadurch, dass sie schwarz nebenbei Leuten die Steuererklärung machen. Diese Reform ist sicher schwieriger als die bereits weit und auch erfolgreich umgesetzten z.B. bei Rente und Arbeitsmarkt, aber ohne jeden Zweifel ist sie notwendig. Sie ist ein wichtiger Teil des Weges zu einem neuen Griechenland. Und jede Hilfe sollte willkommen sein.

Wie schön wäre es, wenn die deutsche Solidarität in Griechenland glaubwürdig wäre. Wenn man den Worten glaubt, dann will die deutsche Regierung genau das, was die Demonstranten vor dem griechischen Parlament auch wollen: einen funktionierenden, transparenten, tragfähigen Staat. Deutschland könnte hier auf der richtigen Seite stehen. Aber in der Mischung aus BILD und Frank Schäffler, in der allgemeinen Hetzkampagne ist nicht nur die Fähigkeit verloren gegangen, Richtiges und Falsches, Wichtiges und Nichtiges zu unterscheiden, sondern überhaupt die Fähigkeit, so zu reden, dass man verstanden werden kann.

„Greek statistics & german diplomacy“, griechische Statistiken und deutsche Diplomatie sind zwei geflügelte Worte in der EU-Kommission in Brüssel. Beides gibt es nach Meinung der Diplomaten dort eigentlich nicht. Wenn sie zusammentreffen, muss das in der Katastrophe enden.

Ohne Zukunft für meine Kinder (unsere Kinder).

Wie gesagt, keiner in Deutschland will das. Ich glaube, es würde einen gewaltigen Unterschied bedeuten, wenn Deutschland auch noch einen Weg fände, das so zu sagen, dass es verstanden werden kann.