Nebenbei: Der Fall Osama zeigt, dass Folter nicht funktioniert

Manchmal steht man mit Bewunderung vor der Dreistigkeit, mit der bestimmte Menschen oder Gruppen den Lauf der Dinge im Sinne ihrer Überzeugungen interpretieren. Frech gewinnt tatsächlich oft. Aber man kann es auch übertreiben, und dann wirkt es nur noch dumm.

Die Organisation Keep America Safe ist eine konservative US-amerikanische Lobby-Organisation, die angeführt von Dick Cheneys Tochter Liz vor allem dem Zweck dient, zu verbreiten, die aktuelle Regierung würde mit ihrer vorsichtigen Rückkehr von Bushs Anti-Terror-Politik zu so etwas wie Rechtsstaatlichkeit die Sicherheit der USA gefährden – eine Haltung, die durch die erfolgreiche Militär-Aktion gegen Osama bin Laden am Sonntag einen deutlichen Schlag erlitten hat. Was also tut eine Organisation wie KAS? Sie veröffentlicht eine Pressemitteilung von eher geringem Umfang – denn bei dem, was die Organisation alles weglassen musste, um die tatsächlichen Ereignisse noch mit ihrer Auffassung der Realität in Einklang zu bringen, blieb einfach nicht mehr viel, was man dazu sagen konnte.

Der Reihe nach:

Today marks a major victory for the people of the United States and the forces of freedom and justice all over the world. We are grateful for the bravery of the Americans who raided the compound near Islamabad and killed Osama bin Laden.

Selbstverständlich kann KAS dabei der aktuellen Regierung oder gar Präsident Obama namentlich nicht gratulieren, denn im Mission Statement von KAS steht ja:

[…] the current administration is weakening the nation, and making it more difficult for us to defend our security and our interests.

Davon kann es offenbar selbst in Einzelfällen keine Ausnahme geben, schließlich steht es da so.

Aber weiter in der Presseerklärung:

We are also grateful to the men and women of America’s intelligence services who, through their interrogation of high-value detainees, developed the information that apparently led us to bin Laden.

Nun bedeutet dieser Satz mehr, als man dort zunächst lesen könnte. „High Value Detainees“ steht für die gefangenen mutmaßlichen Terroristen, die durch die CIA und andere den „besonderen Verhörmethoden“ ausgesetzt waren, unter anderem für Khalid Scheich Mohamed, der als ein Terror-Mastermind gilt und von dem die US-Behörden zunächst den Deck- und später den Klarnamen des Kuriers erfahren haben wollen, der die Agenten letztlich zu dem Anwesen führte, in dem bin Laden sich versteckt hielt. Khalid Scheich Mohamed wurde während seiner Gefangenschaft laut Geheimdienstdokumenten 183 mal der Foltermethode „Waterboarding“ ausgesetzt – innerhalb eines einzigen Monats.

Wenn man der Pressemitteilung von KAS folgt, dann könnte man in diesem Moment denken: „Ja, Folter, furchtbar … aber sie funktioniert immerhin, oder?“ Und so ist die Pressemitteilung auch gemeint. Die Antwort darauf ist: ähm, nein?

Die US-Behörden wollen den Kampfnamen des Kuriers von Khalid Scheich Mohamed 2003 erfahren haben, und es besteht zumindest die Möglichkeit, dass KSM diese Information unter Folter preisgegeben hat. Sicher ist auch das nicht, es kann auch bei einem ganz normalen Verhör gewesen sein. Den Klarnamen des Kuriers allerdings erfuhren die Behörden aus der gleichen Quelle erst 2007. Das High Value Detainee-Programm samt Folter endete aber durch juristische Intervention bereits 2006. Mit anderen Worten: Der Gefangene hat diese Information unter Folter für sich behalten können, ihn während der mit klassischen Methoden ausgeführten Verhöre später aber preisgegeben. Wenn Folter funktionieren würde, dann müsste man davon ausgehen dürfen, dass die US-Regierung bereits 2003 an die Informationen gelangt wäre, die sie so erst 2007 erlangt hat. Dabei ist nicht einmal gesagt, dass KSM der einzige unter den gefolterten Gefangenen war, der den Namen des Kuriers kannte. Letztlich bleibt eher die Wahrscheinlichkeit, dass es besser gewesen wäre, gleich mit der letztlich erfolgreichen Verhörtechnik zu beginnen – so wie es Experten seit Jahren fordern. Der Rest der jahrelangen Suche nach bin Laden war ohnehin eher klassische Überwachungs- und Ermittlungsarbeit, bis der Kurier im August letzten Jahres aufgespürt und letztlich der Aufenthaltsort als bin Ladens Unterschlupf identifiziert werden konnte.

Wenn dieser Fall etwas zeigt, dann dass Folter nicht nur moralisch abzulehnen ist, sie funktioniert auch nicht. Zumindest nicht in der Realität.

Die gescheiterte Assimilation des Thilo Sarrazin

Die Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles, stört es nach eigener Aussage, dass Thilo Sarrazin weiterhin SPD-Mitglied – und es darf unterstellt werden, dass ihre Meinung in diesem Punkt auch der ihres Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel entspricht. Das ist keine ganz kleine Aussage, denn es gehört schon Größe dazu, als Führungsfigur einer Partei zuzugeben, dass die Dinge selbst im eigenen Laden eben nicht unbedingt so laufen, wie man sich das gewünscht hätte. Für die Demokratie an sich ist die Tatsache großartig, dass zwei Menschen mit in einzelnen Punkten stark widerstreitenden Ansichten Mitglieder ein und der selben Partei sein können – und dass selbst Parteivorsitzende Mitglieder mit widerstreitenden Ansichten nicht einfach hinauswerfen können.

Es ist an sich müßig, darüber zu streiten, ob Sarrazins (auch aus meiner Sicht) teilweise abstrusen Thesen Platz in der Sozialdemokratie haben. Neben vielen Stärken und klaren Analysen enthält sein Buch eben durchaus Passagen, die ich so verstanden – nach Sarrazins Erklärung im Parteischiedsverfahren missverstanden – habe, dass eben nicht alle Kinder gleich viel wert und vor allem nicht gleich wünschenswert sind. Aber so, wie die Dinge nach dem Mahlen der Mühlen der Parteijustiz sind, bleibt in jedem Fall die Ironie, dass Sarrazin und seine parteiinternen Anhänger nun das geworden sind, was sie Migranten in Deutschland im- oder auch explizit vorwerfen: eine Parallelgesellschaft. Sarrazin nimmt für sich in Anspruch, ertragen zu werden in seiner Eigenheit, mit dem Gefühl, er sei schließlich im Recht – was wohl ziemlich genau dem Gefühl jeder religiösen und kulturellen Minderheit entspricht, wobei die meist nicht mit dem Sarrazin’schen Sendungsbewusstsein mithalten können.

Nach der Einigung vor der Partei-Schiedskommission in Berlin steht nun also fest, dass Sarrazin nicht ausgewiesen wird. Eine Assimilation in die offizielle Parteilinie steht – siehe Nahles – gar nicht zur Debatte, er wird sich nicht mehr in den Rahmen der klassisch sozialdemokratischen Werte begeben. Wir sprechen also bei der Randgruppe Sarrazin in der SPD über die Möglichkeit einer Integration im Sinne von Lord Ralf Dahrendorf: Parallelgesellschaften sind – jenseits des öffentlichen Raumes, für den klare Regeln gelten – zu ertragen. Das ist die einzige Form der Integration, die bisher irgendwo funktioniert hat. Für den Genossen Thilo Sarrazin wird die Zurückhaltung im öffentlichen Raum eine schwierige, wenn nicht letztlich unlösbare Aufgabe sein, weil er in dem Gefühl, recht zu haben, jedes Gefühl dafür verloren hat, was eine angemessene Äußerung ist.

Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.

Die Wahrheit ist: Thilo Sarrazin muss überhaupt niemanden anerkennen. Er muss aber, wie jeder von uns – und als exponierter Vertreter einer politischen Partei und staatlicher Institutionen sogar in besonderem Maße –, im öffentlichen Raum zum Beispiel die Regeln des gegenseitigen Respekts beachten. Ich kann nicht erkennen, warum er das plötzlich verstanden haben sollte, und ich traue es ihm vor allem deshalb nicht zu, weil er offenbar sicher glaubt, auf der Wahrheit zu sitzen. Er unterliegt dabei dem gleichen Missverständnis wie viele Populisten: Nicht alles, was „unbequem“ ist, ist deshalb gleich eine Wahrheit. Er hat außerdem die Grundzumutung des demokratischen Systems ausgeblendet: Selbst wenn er mit allem, was er sagt, recht hätte (und er hat es in einem eher kleinen aber entscheidenden Teil seiner Thesen aus meiner Sicht nicht), wäre seine Stimme nicht mehr wert als jede andere im Kanon der politischen Willensbildung.

All das zusammen macht Sarrazin unangenehm. Ich möchte nicht ausblenden, dass sein Buch mehr Stärken hat als Schwächen. Aber in diesem Fall, im Zuge dieser Diskussion und nicht zuletzt auch in der von ihm fachmännisch und mit der Erfahrung eines politischen Lebens gesteuerten Kampagne rund um das Erscheinen des Buches samt Vorabdrucken in Spiegel und Bild, die in breiten Teilen der Bevölkerung zu einem Ventil rassistischer Ressentiments geworden ist, wiegen die Schwächen am Ende schwerer. Das Buch ist, wie die Kanzlerin es korrekt zusammengefasst hat, „nicht hilfreich.“ Nicht mehr und nicht weniger.

Und trotzdem muss man Thilo Sarrazin ertragen. Das ist Demokratie. Er ist in der SPD nicht assimiliert und ein produktiver Beitrag zur Parteipolitik ist für die Zukunft eher nicht zu erwarten, es werden sich im Gegenteil wahrscheinlich die meisten freuen, wenn er in Zukunft einfach nur still ist (ich weiß, hier kommt gleich das Argument, dass viele Wähler Sarrazin doch zustimmen. Aber, bitte: Niemand wählt die SPD, weil er findet, es gäbe zu viele schlecht integrierte Ausländer in Deutschland. Für wen Sarrazin der entscheidende Grund wäre, SPD zu wählen, der wählt gleich die NPD). Der Genosse Sarrazin ist in seiner Partei vom produktiven Mitglied zur Belastung geworden, zum Äquivalent eines Transferleistungs-Empfängers. Und trotzdem hat er die exakt gleiche Berechtigung, in der Partei zu sein, wie Andrea Nahles. So geil ist Demokratie. Schade, dass er das nicht verstehen wird.