Ist Bild die rechtspopulistische Partei, die wir nicht haben?

Der Spiegel-Artikel über die Bild-Zeitung und ihre Methoden hat in der Branche wenig Zustimmung erfahren, was allerdings zum Teil daran liegen kann, dass der Bildblog in den vergangenen Jahren so gute Arbeit geleistet hat, dass zumindest seine Leser kaum mehr zu schocken sind. Die größte Frage, die der Spiegel-Artikel leider nur aufwirft, ist aber wohl die, ob die Bild die Rolle einer rechtspopulistischen Partei ausfüllt, die es in Deutschland im Moment nicht gibt.

Die Bild-Zeitung ist populistisch, das gehört zu ihrem Auftrag. Sie ist auch rechts, wobei diese Tatsache zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass die allermeisten Geschichten des Boulevard darauf basieren, eine schnelle, eindeutige und emotionale Reaktion hervorzurufen, und am besten eignen sich dafür solche, in denen es einen Schuldigen gibt, einen Bösen, einen, den man anprangern kann. Das ist von rechts einfacher als von links, weil der linke Blick auf die Welt durchdrungen ist von Gedanken wie dem Kollektiv, Gemeinsamkeit und Solidarität. Der reaktionäre Blick, durch die Brille von Werten wie Disziplin, Ordnung und Hierarchie, hat es einfacher, Schuldige auszumachen, zu markieren und anzugreifen. Insofern wird eine rechte Boulevardzeitung im Regelfall amüsanter zu lesen sein als eine linke, weil sie einen Bösewicht präsentieren kann, wo eine linke öfter mal „die Gesellschaft“ ins Visier nehmen müsste – was unbefriedigend ist, obwohl es aus meiner Sicht öfter stimmt.

Die Frage, die sich mir stellt ist aber: Was genau muss man sich heute unter einer Partei vorstellen, wenn man davon ausgeht, dass die Bild-Zeitung eine ist?

Parteien genießen in Deutschland im Moment ein denkbar schlechtes Image, und das zum Teil sicher auch zu Recht. Wenn die CSU es als „parteischädigend“ einstuft, dass Bundestags-Präsident Lammert, immerhin der zweite Mann im Staat und der Demokratie verpflichtet, es kritisiert, wenn ein Minister lügt und betrügt, dann darf man sich um die demokratische Verfasstheit dieser Partei seine Gedanken machen. Der Eindruck jedenfalls, dass Parteien in Deutschland der eigene Erfolg wichtiger ist als der Erfolg der gemeinsamen Demokratie und das Wohlergehen des Landes, ist weit verbreitet – und das ist eine Katastrophe. Er ist auch falsch: Von den Millionen Parteimitgliedern in Deutschland sind die allermeisten gerade deshalb eingetreten, weil sie der Überzeugung sind, dass Demokratie Arbeit macht, und diese Arbeit eben von irgendwem erledigt werden muss. Im Gegensatz zu dem, was auch der politische Journalismus in Deutschland behauptet, ist Politik weit mehr als nur das Politische Geschäft auf dem Planeten Berlin. Und dass in der politischen Presse Deutschlands Parteien und Politiker nur als Machterringungs- und -erhaltungsmaschinen vorkommen, liegt nicht daran, dass es nur solche Politiker gibt.

Zu den lustigsten Mythen über Parteien zählt aber die Vorstellung, die Mitglieder einer Partei hätten grundsätzlich eine gemeinsame Meinung. Wer so denkt, hat offensichtlich nie irgendeine interne Veranstaltung irgendeiner Partei besucht. Allerdings verlangt die Demokratie, dass man zu Themen eine Haltung einnimmt. Entscheidungen nicht zu treffen, ist keine Option, insofern bedeutet keine Haltung einzunehmen, sich der Entscheidung anderer kampflos zu beugen (der Grund, warum ich wenig Respektables an der Position der Nichtwähler finden kann). Parteien sind nichts als ein Ort, gemeinsam mit vielen anderen, also im besten Fall einer Mehrheit, zu einer Haltung zu kommen. Das ist Arbeit. Und zum Respekt in der Demokratie gehört es, dass in Parteien die durch Diskussion und oft genug Streit erarbeiteten Positionen am Ende gemeinsam vertreten werden. Schon das ist schwer.

Richtig kompliziert wird es aber, wenn man sich ansieht, welche Faktoren in dieser Entscheidung eine Rolle spielen. Um Gesetze, Verordnungen und Weisungen zu erarbeiten braucht man zunächst einmal eine Vision davon, wie man in einem Land leben möchte. Schon hier auf einen Nenner zu kommen, ist ein Balance-Akt. Es macht selbst auf der niedrigsten kommunalen Ebene einen Unterschied, ob ich eine innerstädtische Fläche dazu benutze, einen großen Arbeitgeber anzusiedeln, kleine Handwerksbetriebe oder vielleicht sogar freie Künstler. Und es besteht selten und in keinem Milieu echte Einigkeit darüber, was davon jetzt gerade an einer konkreten Stelle das wichtigste ist, für alles gibt es Argumente. Zum anderen betreffen viele Entscheidungen, die Politik in der Legislative und Exekutive treffen können, die Zukunft. Ob eine Maßnahme tatsächlich den gewünschten Erfolg hat, kann also noch einmal potenziert in Wahrheit niemand sagen. Das ist also die Arbeit der Demokraten.

Man muss sie gleichzeitig an den zwei Dingen messen, die ein Staat überhaupt nur zu leisten angehalten ist: Er soll seinen Bürgern Sicherheit bieten vor den schlimmsten Gefahren, die das Leben mit sich bringt (z.B. durch ein Gesundheitswesen, die Polizei und das Militär), und er soll ihnen Möglichkeiten geben, sich in ihm zu entfalten und zu prosperieren (durch Bildung, Infrastruktur, Verwaltung). Allein darüber, wie viel davon die richtige Dosis ist, lässt sich ein Leben lang nachdenken. Der Freiheitsbegriff ist über das Spektrum verteilt sehr unterschiedlich, aber schon die Frage, wie und wo der Staat auch dafür sorgen soll, dass seine Bürger Arbeit haben, zeigt deutliche Gegensätze in der Vorstellung von einem perfekten Gemeinwesen.

Der kurze Sinn dieser Rede ist: So etwas wie die eine Wahrheit gibt es in der Politik frühestens hinterher. Bizarrerweise sind es aber gerade auch die Beobachter von Politik, die in Leitartikeln und Kommentaren diese einfache Tatsache verschleiern und regelmäßig den Eindruck erwecken, sie wüssten, wie es geht. Diese Haltung wird von vielen ihrer Leser geteilt: So wie jeder von uns ein besserer Bundestrainer wäre, glauben auch viele, sie wären gute Politiker, wenn man dafür nur nicht so viel Zeit in Hinterzimmern von Kneipen mit Menschen diskutieren müsste, denen man haushoch überlegen ist, die aber trotzdem das gleiche Stimmrecht haben wie man selbst. Das ist ein Irrglaube, denn genau dieses diskutieren an Stammtischen, das Erarbeiten von Meinungen, Haltungen und letztlich Beschlüssen ist Politik. Abgesehen davon, dass keine intellektuelle Überlegenheit irgendjemanden dazu befähigt, zu entscheiden, wie wir in diesem Land leben wollen. Das können wir nur gemeinsam, dafür kommen wir um die Diskussionen nicht herum.

Die Bild-Zeitung mit ihrer oft harten, schnellen, wenn man so will pointierten, in jedem Fall aber als die angeblich unabhängig über den Dingen stehende Instanz des „Volksempfindens“ oder des „gesunden Menschenverstandes“ oder wie auch immer sie sich da sehen, ist ein typisches Werkzeug des Hinterher-besser-wissens. Ihre Versuche, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen, wie jetzt im Fall Guttenberg, aber auch schon früher zum Beispiel im Streit um den Religionsunterricht in Berlin oder um de Flughafen Tempelhof, sind nicht die Erfolgsgeschichten, die man befürchten würde (übrigens ähnlich wie die Versuche von Rechtspopulisten wie dem unsäglichen Ronald Schill in Hamburg, in der parlamentarischen Demokratie Fuß zu fassen).

Insofern füllt die Bild-Zeitung nicht die Rolle einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland. Sie ist eine populistische, auch gern mal rechtspopulistische Zeitung. Aber um tatsächlich eine parteiähnliche Rolle zu spielen, braucht es mehr als nur Rechthaberei. Eine Meinung hat jeder, aber eine gemeinsame Haltung zu finden braucht Arbeit.

Allerdings wäre es wahrscheinlich nicht verkehrt, wenn alle Medien inklusive der Bild dieser Arbeit ein bisschen mehr Wert zumessen würden.

5 Antworten auf „Ist Bild die rechtspopulistische Partei, die wir nicht haben?“

  1. Ich bin bezüglich der Einigkeit innerhalb der Parteien anderer Meinung. Was für einen Sinn macht denn eine Partei, die sich völlig uneinig ist, für was sie steht? Gar keinen. Und genau darum haben die meisten Parteien heute gar keinen Sinn mehr. Ein Sarrazin (SPD, noch immer, oder?) steht vermutlich rechts von einer Merkel (CDU) – eine verkehrte Welt.

    Parteien müssen Partei sein für etwas. Wenn sie das nicht mehr sind und völlig beliebig vor sich hin schwadronieren, kann man sie genau so gut auch auflösen. Mir ist klar, dass das nicht so einfach mit der Einigkeit in der Parteien – aber eine Partei hat sich so zu organisieren, dass sie einig ist. Mitglieder, die ganz andere Meinungen vertreten als die, auf die man sich grundsätzlich festlegt oder festgelegt hat, sollten die Partei wechseln bzw. gar nicht erst in sie eintreten.

    Der Prozess bis zum Kompromiss, die politische Arbeit, das Abwägen von verschieden gewichtigen Positionen – das kommt erst nachher. Der Kompromiss ist das Resultat des Wettstreits verschiedener Positionen.

  2. @Ronnie: Ich bin im Prinzip einer Meinung mit dir: Parteien müssen ihre Beschlüsse vertreten. Aber es geht um den Prozess, zu so einem Beschluss zu kommen. Die Partei ist ein Instrument, um die politische Willensbildung zu unterstützen (im Moment oftmals das einzige, das funktioniert, weil die meisten Themen den weniger politisch interessierten Bürgern zu langweilig sind), und sie finden sich aufgrund von Grundwerten, aus denen sich viel unterschiedliches entwickeln lässt, das dann wiederum in der Praxis zu unterschiedlichen, auch unvorhergesehenen Ergebnissen führen kann. Parteien sind also auch ein Ort, und ich muss sagen, mich nervt auch der ständige Abgesang auf die Volksparteien anhand von schlechten Wahlergebnissen. Die Volkspartei definiert sich nicht darüber, dass das ganze Volk sie wählt, sondern aus der Tatsache heraus, dass sie politischer Heimatort über einzelne Klientelgruppen hinaus ist. In den Parteien neben CDU und SPD passiert ziemlich genau das, was uns allen überall im Leben passiert: Es reffen sich vor allem Menschen, die genau so sind wie man selbst (das ist übrigens eine der großen Gefahren für den Journalismus, wir sind ja auch alle gleich). Die Partei als Ort, um seine Meinungen einzubringen, in der Diskussion zu überprüfen und zur Abstimmung zu stellen sind Stand heute unübertroffen.

  3. Bild und Spiegel sind Brüder im (Un-)Geiste. Mal zerstritten, mal vereint. Eine rechtspopulistische Partei ist die Bildzeitung genauso wenig wie der Spiegel das linksintellektuelle Zentralorgan. Beide Blätter sind wichtige Stimmen im Meinungskonzert, aber bei weitem nicht so wichtig wie sie es gerne wären.

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