Bleibt alles anders

Nun ist das Referendum wieder abgesagt. Es waren ziemlich irre Tage in Athen, und ich habe ja meine persönliche Präferenz ziemlich deutlich gemacht: Ich hätte es richtig, wichtig und gut gefunden, wenn endlich die einmal hätten abstimmen dürfen, die die Last tatsächlich tragen. Denn bisher haben unter anderem wir deutschen Steuerzahler zwar großzügig gebürgt und geliehen, tatsächlich bezahlt haben aber bis zu diesem Moment nur die griechischen Arbeitnehmer – darunter auch hunderte Millionen Euro an Deutschland –, und das bitterlich. Die Bevölkerung verarmt, während es den Reichen, den Banken und jenen in der politischen Elite, die das Chaos angerichtet haben, nicht wirklich schlechter geht.

Verblüffend bei dieser an Verblüffungen reichen Woche bleibt allerdings das Ergebnis: Offenbar wird es in Athen eine Regierung der nationalen Einheit geben, die das Rettungspaket ratifizieren und dann Neuwahlen ausrichten wird. Während vor einer Woche noch ein Ministerpräsident mit einer wackligen, dünnen Mehrheit einer vollständig und schändlich blockierenden Opposition gegenüberstand und das Volk vor dem Parlament demonstrierte, ist das Land plötzlich tatsächlich einen Schritt weiter in Richtung Neuanfang. Papandreou hat einen Gordischen Knoten durchschlagen – und wenn er dieses Ergebnis vorausgesehen hat, dann ist er das größte politische Talent der Gegenwart. Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen, ich glaube eher, dass er in einem Moment tiefer Verzweiflung die entscheidende Auseinandersetzung gesucht hat, ohne wirklich ein Ergebnis im Blick zu haben. Aber unabhängig davon glaube ich, es braucht einen Arsch in der Hose, um das zu tun. Mut beweist man ja nicht dadurch, dass man etwas anfängt, von dem man sicher weiß, wie es ausgeht.

Es sind aus meiner Sicht zwei Dinge, die ein Volk braucht, um eine Krise durchzustehen: Einheit und eine Aussicht auf das Ziel. Beides war in Griechenland zu Beginn dieser Krise vorhanden, als es erstens hieß „wenigstens trifft es diesmal alle“ und das Ausmaß der durch die Sparvorgaben verschärften Rezession noch nicht absehbar war. Mit einer Regierung der Einheit, Neuwahlen (die ja nicht weniger wert sind als ein Referendum) und einem endlich zumindest halbwegs entschlossen agierenden EU-Europa könnte hier ein echter Schritt getan sein, ein erster nach langer Zeit, und es ist dem Ministerpräsidenten zu verdanken, dass er die Opposition in die Verantwortung gezwungen und die Konsequenzen der zur Verfügung stehenden Optionen spürbar gemacht hat.

Es gibt keinen Weg, Griechenland zu verstehen, ohne zuerst zu lernen, dass in diesem Land schon immer alles erkämpft werden musste. Der offizielle Wahlspruch der Republik Griechenland ist „Freiheit oder Tod“. Vielen Griechen, die ja in der allergrößten Mehrheit so wenig Schuld an der Krise tragen wie ich als deutscher Steuerzahler an den Zuständen bei der Hypo Real Estate, kommt das fesselnde Spardiktat der Troika vor wie eine Besatzung – als Verlust der Freiheit. In seinem erratisch wirkenden Ausbruch hat Papandreou, ob nun bewusst oder nicht, zumindest einmal den schon halb erschlafften Muskel der Freiheit angespannt und gezeigt, dass es eine Wahl gibt. Vielleicht nur eine noch schlechtere, aber es gibt sie. Ich mag das immer noch.

14 Antworten auf „Bleibt alles anders“

  1. „Vielen Griechen, die ja in der allergrößten Mehrheit so wenig Schuld an der Krise tragen wie ich als deutscher Steuerzahler an den Zuständen bei der Hypo Real Estate, kommt das fesselnde Spardiktat der Troika vor wie eine Besatzung – als Verlust der Freiheit“: die Mehrheit der Griechen hat die Politiker gewählt, welche die Staatsschuldenkrise herbeigeführt haben. Und jetzt trägt die „allergrößte Mehrheit“ keine Schuld?

  2. Ich kann Papandreou leider gar nicht beurteilen, aber irgendwie gefällt mir die Vorstellung, dass er das tatsächlich genau so geplant haben könnte. Dass er wirklich so hoch gezockt haben könnte. Und dass er am Ende in die Ecke gedrängt all diesen Sarkozys und Merkels überlegen gewesen sein könnte.

    Bei der „New York Times“ hat er übrigens sein Volk geeint. Bei „Spiegel Online“ ist er vor Europa eingeknickt.

  3. Angesichts der viele Kehrtwenden der vergangenen Tage trau ich mir über Griechenland kaum noch ein Urteil zu. Die ganzen Manöver befremden mich nur noch. Aber auch finde es schade, dass es nun (vorerst?) kein Referendum gibt. Das erschien mit als die sauberste und mutigste Lösung.
    Ziemlich unglaublich finde ich, was die „Bild“-Zeitung daraus gemacht hat. http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/griechen-kuschen-vor-merkel-20811288.bild.html Hat dieses …Blatt denn gar keine Redakteure mit historischem Instinkt? Das letzte Mal hat eine deutsche Regierung glaube ich im Frühjahr 1938 eine Volksabstimmung in einem anderen Land verhindert, als Kurt von Schuschnigg über die Unabhängigkeit Österreichs abstimmen lassen wollte. Wir wissen, was folgte. Falls sich jetzt jemand findet, der die „Bild“-Texte von heute mit denen deutscher Blätter von damals vergleicht, wäre das zwar unfair, aber ganz und gar nicht zu bedauern.

  4. Papandreou beurteilen? Er ist ein Täuscher und Taschenspieler in dritter Generation. Sein Familienunternehmen ist schwer reich und in tonnenweise Korruptions-Skandale verwickelt (z.B. Siemens, HDW). Was mit dem griechischen Volk passiert geht ihm am A… vorbei, hauptsache die Kasse stimmt.

    Deswegen klappts jetzt auch mit den Nachbarn von der ND, die haben die gleichen Ziele und Grundsätze im Leben.

  5. Griechenland sollte sich dem Neo-Osmanischen Reich des Herrn Recep Tayyip Erdoğan [ˈrɛdʒɛp ˈtɑːjip ˈɛrdɔːɑn] anschließen, wenn es die EU nicht mehr mag.

  6. Was mich mal interessieren würde: was ist eigentlich mit den sagenhaft reichen griechischen Reedern? Diesen ganzen Onassis-Epigonen?

    Der griechischen Milliardärselite scheint das Vaterland offenbar schnurz zu sein?

  7. Zum Thema Reeder: Zusammen mit der Verkündigung der Grundeigentumssteuer auf der Stromrechnung hatte Venizelos verkündet, dass die Regierung mit „gewissen Wirtschaftsgruppen wie z.B. den Reedern“ Gespräche aufnehmen würde, damit die vielleicht auf ihre Steuerprivilegien verzichten zur „Rettung des griechischen Volkes“ [Regieanweisung: Hier Heiligenschein einblenden und Fade-In Carmina Burana]. Nie wieder was gehört davon.

    Aber bei der Präsentation gabs auch auch noch andere schöne Märchen (z.B. dass Langzeitsarbeitslose und Invalide die Steuer nicht bezahlen müssen… klar müssen sie jetzt).

    Venizelos gibt lieber der Proton-Bank 800 Millionen. Das ist eine Absturz-Bank, die einen kriminellen Konkurs hingelegt hat, eine Geschichte des „Spezls“ Lavrentiadis. In diese Skandal-Geschiche ist der Schwiegervater von Venizelos verwickelt und Nikos Papandreou, der Bruder von Giorgos Papandreou – die beiden sassen im Vorstand der Omega-Bank (Vorgängerbank der Proton). Das 800 Millionen-Geschenk und ein Spezialgesetz um Lavrentiadis die Strafverfolgung zu ersparen hat Venizelos während seiner Amtszeit als Finanzminister hingekriegt… so sieht die Rettung des griechischen Volkes aus.

    (Siehe z.B. http://www.zougla.gr/page.ashx?pid=80&aid=402986&cid=122 )

  8. Sehr respektabler Auftritt gestern!

    Allein das Ertragen von Frau vdL ist eine Leistung… Was für eine böse, alte Frau. Kalt bis ans Herz und geltungssüchtig bis zum Platzen.

    Im Sommer würden da die Fliegen tot von der Wand fallen.

    PS.: Ich kenne überhaupt nur eine Dame mit ähnlicher Aura: Brigitte Seebacher-Brandt. Evil empire.

  9. Ja, der „mikis“ ist fernsehtauglich. Sagte man früher dazu nicht „telegen“?
    Und Frau „vdL“? Sie kann schon nerven, weil sie viel zu oft in den Talkshows rumsitzt. Aber das gilt für den Gysi doppelt und dreifach.

  10. Errastisch, idiotisch, verräterisch, oder einfach nur verzweifelt…..Das alles spielt keine Rolle mehr.

    Papandreou hat eine wichtige Sache gemacht:
    Er hat die Kommödianten demaskiert.

    Nach seiner Ankündigung für das Referendum hielten alle Politiker der Welt den Atem an. Dann konnte man vereinzelte Artikel lesen mit Inhalt: „legitim, demokratisch etc“.

    In der Zwschenzeit gingen die Börsen auf Talfahrt. Was hatte das zu bedeuten? Als die Politiker ihre Sprache wiedergefunden hatten, änderte sich die Rhetorik im mainstream: „Papandreou wird zum RAPPORT gerufen (von Merkozy).“

    Und dann Merkel: „Das Referendum sollte im Dezember stattfinden.“
    Papandreou: „Bis dahin stehen die Bedingungen für die Kredite nicht fest. Das griechische Volk sollte die Bedingungen und Einzelheiten kennen, auf die es sich einlassen wird.“
    Merkel: „Das ist nicht nötig!“
    Sarkozy: „Griechenland war immer frei und unabhängig (und wird bald vogelfrei? LOLLL!)“

    Papandreou zurück in GR. Absage des Referendums. Rücktritt. Vorschlag neuer Premier: Papademos – ehemaliger EZB Vize, der es ABLEHNT eine Regierung bestehend nur aus Technokraten zu führen.

    Lange Rede, kurzer Sinn:

    Papandreou hat seinem Volk und der staunenden Welt eins vor Augen geführt:
    Politiker sind Marionetten der Finanzindustrie.

    Die Finanzindustrie hat jetzt in einem Staatsstreich, ganz offiziell und absolut VÖLKERRECHTSWIDRIG den ersten Staat unter seine Kontrolle gebracht.

    Weitere werden folgen. Italien zum Beispiel.

    Wir schreiben Geschichte. Doch, wie immer, werden die Meisten erst in 30-40 Jahren verstehen…..

    In Griechenland, Spanien und Italien formiert sich mittlerweile der Widerstand. Wie man diese Menschen wohl demnächst bezeichnen wird?

    Eurogenfor Truppen sind schon vor Ort (in Nord-GR), um evtl. Volksaufstände blutig niederzuschlagen.

    http://www.wikileaks-forum.com/index.php?topic=5353.0

    Es ist für alles gesorgt.
    Es ist alles gesagt.
    Kalnichta Dimokratia.

    P.S.:
    Aber man sollte nie seinen Optimismus verlieren. Vielleicht gebiert die westliche Welt, die sich als rechtmäßiger Erbe des Hellinismus ansieht, einen neuen Solon und eine Art Seisachtheia, wie er sie eingeführt hat und nicht im Sinne der Troika……

    http://de.wikipedia.org/wiki/Solon

  11. Ein allerletztes hierzu:
    Man braucht gar nicht so weit zu gehen und auf eine Wiedergeburt Solons hoffen.

    Es ginge einfacher und billiger für alle, sagt Flassbeck:

    „WTO Regeln im Euroraum anwenden und weder Schuldenkrisen noch bailouts wären nötig.“

    http://www.tageswoche.ch/@agfme

    Sehr lesenswert!

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