Weit weg

Die Grünen haben einen Antrag gestellt, die Tagesordnung des Bundestages dahingehend zu ändern, dass heute morgen, wo eigentlich über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken diskutiert werden sollte, zunächst über die Demonstrationen um Stuttgart 21 und die 100 Verletzten gesprochen werden sollte, die es in der letzten Nacht gegeben hat. Unter den Verletzten sind offenbar auch Kinder. Für die CDU/CSU-Fraktion begründete der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmeier die Ablehnung des Antrages mit drei Argumenten. Zum einen sei der Antrag erst um 20.44 Uhr eingereicht worden, zwei Stunden und 44 Minuten zu spät. Außerdem sei zunächst das Landesparlament zuständig, und das Geschehen sowieso 700 Kilometer weit weg — viel zu weit, um zu wissen, was dort vorgehe.

700 Kilometer sind eine weite Entfernung, aber sie scheint mir winzig im Verhältnis zur Entfernung, die Politik zu denen haben kann, die sie zu regieren hat. Nicht nur, weil die Bundeskanzlerin Stuttgart 21 in der Haushaltsdebatte zur Chefsache gemacht hat, sondern weil von unseren Parlamentariern zu erwarten sein muss, dass sie Worte finden, dass sie beteiligt sind und bewegt von dem, was ihre Bürger bewegt. Ich kann nicht ertragen, dass Schüler von ihrem, unserem Staat verletzt werden, weil sie friedlich ihr Recht auf Demonstration ausüben. Ich kann nicht ertragen, dass das aus so albernen Gründen wie einem knapp drei Stunden zu spät eingereichten Antrag kein Thema sein soll.

Die Regierung hat den Antrag mit ihrer Mehrheit gegen alle drei Oppositionsfraktionen abgelehnt (er hätte eine Zweidrittelmehrheit gebraucht). Im Moment spricht nun also der Wirtschaftsminister darüber, warum es richtig sein soll, die längeren Atomlaufzeiten gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.

Wie weit weg kann man sein?

6 Antworten auf „Weit weg“

  1. Danke aus BaWü für diese Sichtweise.
    Es tut wirklich weh, zu sehen, WIE weit sie weg sind. Andererseits möcht ich mich selber auslachen, weil ich es bisher immer und immer und immer noch nicht glauben wollte.

  2. Zu glauben, dass die momentane Großkapitalregierung ernsthaft Interesse an den Bürgern hätte, ist mittlerweile nur noch weltfremd.

    Es geht nur noch darum, Großunternehmer und Reiche (halt die klassische FDP-Klientel) mit der maximal möglichen Zahl an Steuergeschenken etc zu versorgen.

    Um den „einfachen Bürger“ ging es dieser Regierung nie und um den wird es ihr auch nicht mehr gehen.

  3. Jan hat sicher recht. Nur was ist die Konsequenz daraus? Wie lässt sich daran etwas ändern? Dass wir an der Wahlurne tatsächlich Einfluss nehmen könnten, daran glaube ich inzwischen auch nicht mehr.

  4. @vtaktuell
    Ich bin aus dieser Fragestellung heraus gestern nach Stuttgart gefahren… „Ändern“ ist vielleicht ein großes Wort, aber zumindest tut sich da was… und in der Zwischenzeit hilft es, nicht völlig vor dem Fernseher einzuschlafen.

  5. Verzeihung, ganz so einfach ist es auch nicht. Von einem Politiker, den ich als Vertreter gewählt habe, verlange ich vor allem Kompetenz. Bisweilen kann es auch sein, das eine Mehrheit ohne Ahnung von einer Kompetenten Minderheit unterdrückt werden muss. Dass es der derzeitigen Regierung an Kompetenz mangelt ist vor allem im Streitfall des Atomausstiegs unbestritten. Insbesondere muss man bei dem Wort Mehrheit eben darauf achten wovon sich die Meinung des Volkes leiten lässt. Medien wie die Bild haben einen sehr großen Einfluss auf das öffentliche Meinungsbild und bereits jetzt einen viel zu großen Einfluss auf die Politik. Was also ist die Meinung der „Mehrheit“ wert, wenn sie auf reflexartig ausgestoßenen Parolen und medialen Lügen basiert? Und ist es überhaupt die Mehrheit? Oder etwa nur die, die am lautesten Brüllen? Ein Beispiel hierfür ist die Dresdner Waldschlösschenbrücke. Ein Volksentscheid gab ein sogar deutliches „pro“ der Dresdner Bevölkerung zur Brücke. Dennoch wurde die Situation in den Medien behandelt als würde die Dresdner Regierung den Dresdnern eine Brücke aufsetzen, die keiner wollte. Wir müssen also vorsichtig sein, wie wir den Begriff „Mehrheit“ benutzen. Betrachtet man diese Schwierigkeit, so findet man durchaus Verständnis für Politiker die genau das tun, was sie tun sollen. Sie handeln nach >ihrem< Gewissen als Vertreter. Ich weiß nicht, ob wirklich die Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Verlängerung der Laufzeiten ist. Ich glaube eher, der Mehrheit ist es völlig egal woher der Strom kommt, solange er kommt.

    Den ersten beiden Argumenten ist kaum zu widersprechen. Diese Fristen werden gesetzt, damit nicht Fraktionen ihnen unliebsame Abstimmungen spontan hinauszögern können. Ich frage mich auch, was im Plenum des Bundestages besprochen werden sollte. Was gibt es zu sagen? Für eine Untersuchung der genauen Geschehnisse ist tatsächlich das Land zuständig. Soll es um das generelle Verhalten von Polizisten und Demonstranten gehen, müsste es sich um eine vorbereitete Sitzung handeln – spontan könnte dazu sicherlich kaum jemand was sagen. Allerdings würde ich auch dort Kompetenzmängel vermuten. Die Politik neigt dazu, immer einseitig die Demonstranten an den Pranger zu stellen.

    In jedem Fall kann von der Bundespolitik nicht erwartet werden, sich um Handeln der Polizei auf Länderebene zu kümmern. Das ist zunächst Sache der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg als übergeordnetes Plenum. Die Bundesregierung kann sich bei Stuttgart 21 einmischen, weil sie mit zu den Bauherren gehört. Aber das Verhalten der Polizei ist Ländersache und damit nicht die Zuständigkeit des Bundes.

    mE ist daher an der Ablehnung des Antrags nichts auszusetzen. Nur an der Regierung.

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