Von Dr. House lernen heißt ‘wöchentlich’ lernen

House

Es mag daran liegen, dass ich einfach gestrickt bin. Ich halte die Sopranos für großartiger als die gesammelten Werke von Thomas Mann und wenn ich mich zwischen Curb Your Enthusiasm und Oscar Wilde entscheiden müsste, dann hätte Oscar zum ersten Mal einen schweren Stand bei mir. Vielleicht bin ich nicht schlau genug. Aber vielleicht erklärt mir einmal jemand das Phänomen, warum so viele wöchentliche Illustrierte, beim Stern angefangen und bei Bunte noch nicht aufgehört, die einfachste Lektion nicht befolgen: Der wöchentliche Rhythmus braucht die Seifenoper.

 Bei Dr. House, der ungeheuer erfolgreichen Serie um einen körperlich und sozial behinderten Oberarzt, erleben dieselben Charaktere Woche für Woche Abenteuer, die sie ihrem Charakter entsprechend durchleben und die daraus enstehenden Probleme lösen müssen. So funktioniert Drama, in jedem Medium, überall auf der Welt, jeden Tag, im Fernsehen und in Illustrierten Woche für Woche. Und so funktionieren erfolgreiche Zeitschriftenformate: In Bravo und InTouch tauchen Woche für Woche dieselben Personen auf und erleben das Leben in allen Facetten, aber immer „in character“. Im Spiegel in Wahrheit auch, nur sind dort neben den üblichen Verdächtigen (den Politikern) auch noch solche Charaktere vertreten, die stellvertretend Klischees erfüllen (der korrupte Provinzpolitiker, der gierige Manager usw.). In den Gazetten für die Damen mit den blauen Haaren über Menschen mit blauem Blut ist es natürlich genau so, in SportBild und unzähligen anderen auch. Und wie bei einer Fernsehserie die Zuschauer haben bei starken wöchentlichen Zeitschriften-Formaten die Leser immer das gleiche Gefühl, wenn sie ihre Zeitschrift nach dem lesen weglegen. Sie schauen nicht nach, was für eine Geschichte heute bei Dr. House behandelt wird („Krebs, och nee. Ich warte, bis wieder mal ein komplizierter Virus kommt!“). Sie schalten ein für das Gefühl.

 

Bei der Bunten kann man sich offenbar nicht einigen, was denn eigentlich Bunte-Personal ist, und so ist die größte Meldung über die so genannten VIPs in dem Blatt für mich regelmäßig, dass es sie a) überhaupt gibt oder dass sie b) noch am Leben sind („Maximilian Schell hat eine neue Freundin? Ich dachte, der wäre längst tot!“).

 

Und beim Stern, der großartigsten Illustrierten unseres Landes? Dort fühlt man sich so sehr der Aktualität und der „Wundertüte“ verpflichtet, dass man sich echtes Personal offenbar nicht aufzubauen traut. Und obwohl der Stern – mit Sicherheit das Blatt, über das in der Branche am meisten geredet und gelästert wird, wir sind nämlich nicht nur alle bessere Bundestrainer, wir sind auch bessere Stern-Chefredakteure –  wirklich jedes einzige Mal, wenn ich ihn angucke, viel besser ist als ich erwartet hätte, habe ich kein Stern-Gefühl. Er ist zu unberechenbar. Und so sehr ich es bewundere, dass jemand es schafft, Jahrzehnte lang eine unberechenbare Zeitschrift zu machen, so sehr halte ich es für das Kernproblem des Magazins.

 

Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass Stern-TV dieses Problem nicht hat. Aber auf den zweiten Blick nicht mehr, denn Stern-TV hat Günther Jauch. Und Jauch schafft es besser als jeder andere Journalist, bei seinen Zuschauern in jedem Zusammenhang immer das gleiche, angenehme Gefühl herzustellen, egal, welche Geschichten er behandelt. Er ist der Dr. House unserer Zunft (und wenn man sich seine Frisuren, Outfits und seine Kamera-Mimik über die Jahre ansieht ist man versucht zu sagen: „samt der Behinderungen“) – immer „in character“. Und ich glaube, der gedruckte Stern könnte daraus lernen.

 

Denn der Stern hat Personal, das jede Woche auftaucht: seine Reporter und Autoren. Doch während woanders Journalisten zu Stars werden (man kennt Autoren vom Spiegel bis zum SZ-Magazin, von der Bunten bis zum New Yorker oder der amerikanischen Vanity Fair) sind es beim Stern erstaunlich wenige, deren Namen einem einfallen. Und ich meine nicht Kolumnisten (natürlich fallen mir Jörges und Weiler ein), deren Job sich in unserem Land ja dadurch von den anderen Reportern und Autoren dadurch abgrenzt, dass Kolumnisten im Regelfall nicht recherchieren oder auch nur ihren Schreibtisch-Stuhl verlassen müssen, sondern nur von innerhalb ihres eigenen Kopfes berichten. Das muss so aber nicht sein.

 

In einer Zeit, in der Blogger den Journalismus persönlicher und den Journalisten damit anfassbarer (und auch verantwortlicher) machen, scheint es mir den Versuch wert, Star-Korrespondenten für bestimmte Themen zu schaffen. Warum soll es nicht einen Gesundheits-Korrespondenten beim Stern geben, zwei oder drei für Politik, einen großartigen Gerichtsreporter (der es mit Gisela Friedrichsen aufnehmen können müsste, was schwer ist), einen für Gesellschaftsthemen, vielleicht sogar einen für Menschenrechte und einen für den Klimawandel? Veranwortliche, die mit ihrem Gesicht vor den Lesern für die Qualität der Geschichte bürgen, und die gleichzeitig klug, witzig und eigen berichten können? Die multimedial erreichbar und dadurch anfassbar sind? Einer, den ich bewundere, würde wahrscheinlich reichen, mich zum regelmäßigen Stern-Leser zu machen. Zwei reichen, und ich bin Abonnent (Disclosure: Ich bin Abonnent vom New Yorker, dem amerikanischen Esquire und von Monocle. Bei den ersten beiden kenne ich zwischen fünf und zehn Autoren, die mir sofort einfallen und die ich verehre. Bei Monocle allerdings keinen außer TB, den ich als Autoren nicht verehre).

 

Der Stern war immer eine Sammlung von Charakteren und Könnern, viele großartig in dem einen und grauenhaft in dem anderen, in welcher Reihenfolge auch immer, aber es waren Typen, männlich wie weiblich. Die Leistung der Stern-Chefredaktion war immer, diese Arche voller Kamele durch das Nadelöhr Magazin zu drücken (und der Witz ging, dass sich Stern-Redakteure umbringen, indem sie sich von dem Stapel ihrer unveröffentlichten Manuskripte stürzen). Heute müsste der Stern ein Ökosystem werden, an dem aus allen Enden Geschichten wachsen, und das Magazin ist nurmehr das Aushängeschild – das Lagerfeuer, der Leuchtturm. Der Stern strahlt ja noch da oben, nur das Universum drum herum lässt er unbesetzt.

 

Ich glaube, es ist die gleichzeitig schwierigste und lohnendste Aufgabe, den Stern in die neue Medienzeit zu überführen. Und ich habe höllischen Respekt vor denen, die es tun müssen. Denn ich habe in den vielen Jahren, in denen ich nun schon höre „der Stern müsste dieses tun und jenes tun“ viele Kollegen getroffen, die einen sehr, sehr guten Stern machen könnten. Aber keinen, der 52 davon in einem Jahr schafft.

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