Das Keine-Wahl-Ergebnis

Ganz kurz: Die Griechen haben bei der Wahl am Sonntag – mit Ausnahme der faschistischen Randgruppen (den Stalinisten gegenüber bin ich deutlich milder, das sind aus meiner Erfahrung vor allem nostalgische Opas, aber die wollen nichts Böses) – eine vernünftige Wahl getroffen, angesichts der Tatsache, dass sie keine Wahl haben.

Der so genannte Sparkurs ist keiner. Griechenland setzt seit zwei Jahren mit beispiellosem Erfolg Strukturreformen um, aber die Ergebnisse können nicht eintreten, weil die Wirtschaft kollabiert. Davon hat niemand etwas. Diesen Kurs aber ohne Veränderungen fortzuführen ist dumm und wahnsinnig (in Deutschland nennt man es „Stabilität“, aber das ist, als würde man bei der sinkenden Titanic einen Anker werfen und behaupten, das Schiff liege jetzt stabiler).

Wenn sich jetzt in dem verfassungsmäßig dafür vorgesehenen Verfahren (oder, wie man es in der deutschen Presse nennt: „Chaos“) keine Regierung findet, dann deshalb, weil es von außen aufgezwungen aus deutscher Regierungssicht nur zwei Optionen gibt: „Weiter so“ (tödlich) oder „Raus aus dem Euro“ (tödlich).

Die Linie von Merkel wird außerhalb Deutschlands ohnehin nicht mehr vertreten, außerhalb ihrer Regierung eigentlich auch nicht. Der Versuch, die Griechen dafür verantwortlich zu machen, dass sie sich nicht für eine Todesart entscheiden möchten, weil sie lieber leben wollen, ist mit Dummheit allein nicht mehr zu erklären. Es ist Ideologie und die dazugehörige Propaganda.

The (Chicago) Boys Are Back In Town

Das Haushaltsrecht wird auch das „Königsrecht“ des Parlaments genannt. Wer fordert, es abzuschaffen, der fordert im Prinzip die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. Aber wer würde das tun? Nun ja, unsere Regierungskoalition zum Beispiel. Nicht hier, aber in Griechenland, und damit in der Folge wohl in jedem Euro-Staat der Peripherie, der sich nicht an Spardiktate halten will oder kann. Die deutsche Bundesregierung fordert, dass die Einnahmen des griechischen Staates auf ein Sonderkonto eingezahlt werden, damit griechische Politiker nicht mehr darüber verfügen können, sondern EU-Beamte, die nie ein Grieche (oder sonst ein Europäer) gewählt hat. Dieser Vorschlag löst nicht einmal einen Aufschrei des Entsetzens unter den Demokraten in diesem Land aus. Und das ist ein Fehler, der sich rächen wird.

Nur, um es einmal nüchtern festzuhalten: Die griechische Bevölkerung schultert seit mehr als einem Jahr das härteste Sparprogramm, das je eine westliche Nation stemmen musste – für große Teile der Bevölkerung bedeutet es schlicht und einfach eine rapide Verarmung. Ich saß vor einiger Zeit in einer Diskussionsrunde mit der deutschen Arbeitsministerin, die zur Größenordnung des Pakets sagte, wenn man es in Deutschland durchsetzen wollte würde „die Straße brennen“. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung vor allem in Deutschland schultert die griechische Bevölkerung diese „Pakete“ bisher allein – die „Rettungsschirme“ sind durch Kredite und Bürgschaften unterlegt, deren Zinsen und Gebühren bisher alle pünktlich bedient wurden (im Moment ist der Saldo so, dass Griechenland einige hundert Millionen Euro an Deutschland bezahlt hat). Gleichzeitig funktioniert dieses Sparpaket nicht: die griechische Staatsverschuldung ist dadurch im Gegenteil so weit gestiegen, dass ein Stand von 120 Prozent im Verhältnis zum griechischen BIP im Jahr 2020 als wünschenswertes aber unrealistisches Ziel gilt – also ziemlich exakt der Schuldenstand, den Griechenland vor dieser Krise hatte. Das Sparpaket wird durchgesetzt von einer Regierung, die so nie vom griechischen Volk gewählt worden ist und das angeleitet wird von Mächten wie der Troika, die erst recht niemand in Griechenland oder im Rest von Europa gewählt hat. Der neueste Vorschlag dieser Mächte ist eben jenes durch „Sonderkonto“ das Haushaltsrecht. Ein griechischer Bürger hat also im Moment de facto keinerlei Einflussmöglichkeit mehr auf die Politik, die in seinem Land gemacht wird. Egal wie man es dreht und wendet, auch unabhängig von jeder Begründung – über die wir gleich noch reden werden – ist das die Abschaffung der Demokratie.

Die europäische Politik – und hier wieder hervorgehoben die deutsche bei besonderer Hervorhebung der Regierungs-Randparteien FDP und CSU – begleitet dabei alle Geschehnisse in Griechenland mit ständigen Hinweisen auf den „mangelnden Reformwillen“ der griechischen Politiker. Noch einmal: begleitend zu den härtesten Einsparungen, die je eine westliche Nation gestemmt hat. Aussagekräftiger als diese Aussagen ist dabei wahrscheinlich, was diese Politiker nicht sagen: nämlich, was sie damit meinen.

Die Reformen sind im Kern Liberalisierung und Privatisierung von öffentlichen Betrieben und Staatseigentum, hinzu kommen Entflechtung und Entbürokratisierung, die auch von der griechischen Bevölkerung schon lange gefordert werden. Aber gucken wir uns das an einem Beispiel an.

Es gibt in Griechenland das Relikt der „geschützten Berufe“, zum Beispiel die Lastwagenfahrer. Wer ein Transportunternehmen betreiben wollte, musste zu seinem Lastwagen auch eine Lizenz erwerben, und die Zahl dieser Lizenzen ist seit 1971 unverändert. Das hat denjenigen, die so eine Lizenz haben, ein sicheres Einkommen beschert, aber auch innergriechische Transporte aufgrund der mangelnden Konkurrenz extrem verteuert. Mit anderen Worten: diese Lizenzen sind wertvoll. Sie werden vererbt oder weiterverkauft und kosten offenbar bis zu 300.000 Euro. Im Zuge der geforderten Reformen soll und muss diese Praxis geändert werden, sie ist nicht tragfähig. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ein Mensch, der eine solche Lizenz erworben hat, in ihr in der Regel seine komplette Altersversorgung hat. Sie ist sein Vermögen, und sie ihm wegzunehmen ist eine Enteignung. Es erscheint unausweichlich, dass diese Enteignungen stattfinden müssen – aber in einem demokratischen Rechtsstaat steht ihm trotz allem der Weg durch die Gerichte zu, und er hat möglicherweise Anrecht auf eine Entschädigung. Das bedeutet nicht, dass die Reform nicht stattfinden kann. Aber es schließt aus, dass diese Reform so schnell geht, wie ein Herr Söder von der CSU (und diesen Namen kann man durch eine bald unendlich große Zahl an weiteren politischen Sprücheklopfern ersetzen) sich das vorstellt. Auch hier gilt: Was die Lautsprecher fordern ist nicht weniger als die Abschaffung des Rechtsstaates in einem anderen Land, ohne dass dessen Volk dabei ein Mitspracherecht zugestanden wird. Es ist die Abschaffung der Demokratie.

Bei der Wahl zum „Unwort des Jahres“ – zu dem zu recht „Döner-Morde“ gewählt wurde – erhielt ein Satz von Angela Merkel eine besondere Erwähnung, die gefordert hatte, unsere Demokratie müsse „marktkonform“ sein. Unser Grundgesetz regelt eher das Gegenteil, nämlich dass die Märkte demokratiekonform und dem Primat der Politik unterworfen sind, aber Merkels wie auch immer gewonnene Überzeugung ist offensichtlich eine andere. Und mit jedem Tag verfestigt sich der Eindruck, Griechenland – das sie am liebsten von einem externen Sparkommissar regiert sehen würde anstelle einer demokratisch gewählten Regierung – solle zu einer Art Testlauf für die marktkonforme Neuorganisation schwächerer Volkswirtschaften dienen. Man muss sich heute schon Mühe geben, um noch Unterschiede zwischen den aktuellen Ereignissen in Griechenland und der „Schockbehandlung“ Chiles durch die so genannten „Chicago Boys“ in den Siebzigerjahren zu erkennen. Beiden gemeinsam ist: Ihr Programm ist nicht demokratiekonform.

Gegen die Krise des Euro wirkt das Programm ohnehin nicht, weil es die Wurzel des Problems verleugnet. Dass der griechische Staat eindeutig reformbedürftig ist dient als einfache Projektionsfläche für das Märchen, überbordende Staatsverschuldung hätte die Krise verursacht. Das hat sie nicht, und nicht einmal Banker behaupten das. Dass Griechenland so in den Fokus gerutscht ist, ist der glückliche Zufall, den die Banken brauchten, um die Politik so lange vor sich her treiben zu können, bis alle Verluste auf Steuerzahler abgewälzt sind – auch in Ländern wie Spanien und Irland, deren Staaten vorbildlich gewirtschaftet haben und nur durch Spekulationsblasen unter die „Rettungsschirme“ getrieben wurden – die ja keinen anderen Inhalt haben, als Banken ihre Gewinne notfalls durch Steuergelder zu garantieren. Die Probleme im griechischen Staatswesen werden also erstens nicht so schnell zu lösen sein, wie die Söders sich das vorstellen (oder es sich wenigstens vorzustellen behaupten, um mal auf den Pudding hauen zu können), sondern viele Jahre brauchen – und haben ohnehin mit der aktuellen Krise wenig bis nichts zu tun. Aber das schlimmste ist: Selbst wenn sie allein Schuld wären, rechtfertigte das nicht die Abschaffung der Demokratie, wie wir sie hier erleben. So weichgeklopft durch die Fabelgeschichten der Presse, dass nicht einmal mehr ein Aufschrei durch das Land geht, wenn unsere Politiker die Abschaffung von Grundrechten fordern – das ist nicht nur eine Schande, es ist auch gefährlich. Für uns alle.

Bild gewinnt. Gegen den Journalismus

Am Freitagmorgen erschien Deutschlands größte Tageszeitung mit dem selbstbeweihräuchernden Artikel „Bild behielt recht“, zu dem ich mich bereits ausführlich geäußert habe. Am Nachmittag fuhr ich zur Promotionsfeier einer Cousine, der offenbar ersten Griechin, die für eine Arbeit über deutsche archäologische Funde den Doktorgrad verliehen bekam (normalerweise ist es anders herum). Ihre Mutter und ihre Schwester waren aus Griechenland gekommen. Die Schwester mit ihrem kleinen Kind. Und es war ein schöner Nachmittag und Abend, auch weil wir es schafften, die drückenden Themen in die Raucherpausen vor das Restaurant am Meer zu verlegen, in dem wir feierten: Meine kleine Cousine mit dem kleinen Kind ist zu Ende Juli gekündigt worden. Ihrem Mann hatte man gerade gesagt, dass er nur noch vier Tage die Woche zur Arbeit kommen kann, weil die Konjunkturlage mehr nicht hergibt. Die Familie steht jetzt mit weniger als der Hälfte des Einkommens da, das sie noch vor einem Jahr hatte, und selbst da hatte es aufgrund der Preissteigerungen kaum gereicht. In Griechenland kostet ein Pfund Butter inzwischen fünf Euro. Und meine Tante hat einen großen Teil ihrer ohnehin knappen Rente an das Sparpaket verloren. Wie wird es weitergehen? „Niemand weiß, was morgen ist. Oder ob morgen noch ist.“

Paul Ronzheimer ist der so genannte Journalist, der nach Griechenland gefahren ist und sich auf dem Athener Syntagma-Platz fotografieren ließ, wie er vor demonstrierenden Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen, mit Drachmen-Scheinen wedelte wie mit Bananen vor Affen im Zoo. Nikolaus Blome ist der Mann, der jede verfügbare Zahl aus dem Zusammenhang gerissen hat, um zu belegen, dass diese Menschen faul und zu korrupt sind und deshalb nichts Besseres verdienen. Wenige Stunden, nachdem sie ihren gemeinsam verfassten Artikel darüber, dass sie immer recht hatten, veröffentlichten, lief klein und kaum beachtet die Nachricht über den Ticker, dass das griechische Konsulat in Berlin in der Nacht von Vermummten mit Steinen und Farbbeuteln angegriffen worden war. Der Mob hatte sich ein Ventil gesucht für den Volkszorn auf die faulen, korrupten Griechen, die sie aus der Bild-Zeitung und aus den Ausführungen der Bundeskanzlerin kennen.

Heute läuft die Nachricht über den Ticker, dass Ronzheimer und Blome für ihre Griechenland-Berichterstattung den Herbert-Quandt-Preis für Wirtschaftsberichterstattung erhalten, dotiert mit 10000 Euro – mehr Geld, als es viele normale, arbeitende Familien in Griechenland im Jahr zur Verfügung haben, obwohl die Lebenshaltungskosten in Athen längst höher sind als in Berlin.

Ich kann nicht einmal sagen, dass es vor allem Verachtung ist, die ich empfinde. Natürlich empfinde ich die auch, aber was soll das bei Menschen, die offensichtlich keine Scham empfinden können. Für mich bedeutet die Auszeichnung der Werke dieser beiden auch eine weitere und vielleicht entscheidende Niederlage des Journalismus, wie ich ihn verstehe. Eine Branche, in der das, was diese beiden tun, preiswürdig ist, ist verloren.

PS. Heute Mittag hat mir Dr. Jörg Appelhans geschrieben, Vorstand der Johanna-Quandt-Stiftung, wofür ich mich bedanke. Mit seiner Zustimmung veröffentliche ich hier seine Mail an mich.

Sehr geehrter Herr Pantelouris,

in Ihrem Blog üben Sie Kritik an der Vergabe des diesjährigen Herbert Quandt Medien-Preises. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie gern auf folgendes hinweisen:

Wir haben nicht die Berichterstattung der „BILD“ zu den sogenannten „Pleite-Griechen“ ausgezeichnet, sondern eine sehr faktenstarke und an wirtschaftspolitischen Hintergrundinformationen reiche Reportageserie aus dem Herbst 2010 über das Zustandekommen des EU-Beitritts Griechenlands. Wenn Sie es wünschen, können wir Ihnen diese Serie zur weiteren Meinungsbildung zukommen lassen.

Im übrigen ist die Würdigung und Auszeichnung von journalistischen Leistungen immer auch geprägt von subjektiver Betrachtung. Wir sind aber der Überzeugung, dass wir aufgrund des in der Jury zum Herbert Quandt Medien-Preis versammelten journalistischen Sachverstands auch in diesem Jahr wieder eine gute und richtige Wahl getroffen haben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jörg Appelhans
Vorstand

Der versammelte journalistische Sachverstand, der hier angesprochen wird, sind der HR-Intendant Dr. Helmut Reitze und die Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff (Tagesspiegel) und Roland Tichy (Wirtschaftswoche), die neben Johanna und Stefan Quandt in der Jury sitzen.

Ich persönlich halte schon die Argumentation, dass eine fünfteilige Serie innerhalb einer inzwischen mehr als hundertteiligen Hetz-Kampagne preiswürdig sein kann für völlig unhaltbar – abgesehen davon, dass auch die Serie selbst im gleichen Stil verfährt –, aber ich danke hier ganz ausdrücklich für die Bereitschaft zur Diskussion.