DIE WELT möchte lieber nicht, dass Griechen wählen

Vor den letzten Parlamentswahlen in Griechenland im Juni 2012 gab es mehr oder weniger subtile Versuche aus Deutschland, dem griechischen Wahlvolk deutlich zu machen, dass es bloß nicht die „Linksradikalen“ (was die in Deutschland gängige und irreführende Übersetzung von „Koalition der Radikalen Linken“ ist) wählen dürfe. Bundesfinanzminister Schäuble warnte, dass alles andere als der bereits beschlossene Sparkurs sowieso nicht infrage käme, und viele griechische Wähler verstanden das als Drohung, im Falle eines Wahlsieges der Linken drohe Griechenland der Rauswurf aus dem Euro.

Nun wird der Sparkurs seit Jahren umgesetzt und hat katastrophale Folgen mit sich gebracht. Man könnte sagen, die Voraussagen aller Fachleute außerhalb vom IWF und den Wirtschaftsressorts von WELT und Focus haben sich bewahrheitet. Weil angesichts dieser Tatsachen subtile Drohungen offensichtlich nicht mehr helfen, greift man bei der WELT jetzt offen zu den Waffen und fordert die europäischen Regierungschefs auf, endlich aggressiv das griechische Wahlergebnis zu beeinflussen.

Aufmacher auf Welt.de war folgerichtig am Nachmittag ein Kommentar des Wirtschafte-Ressortleiters Olaf Gersemann, der schon in der Überschrift fordert:

Euro-Länder müssen den Griechen mit Rauswurf drohen

Nochmal zum Genießen: Die Euro-Länder müssen den Griechen (also: den griechischen Wählern) mit Rauswurf drohen, wenn sie falsch wählen? Diese nervige Demokratie muss denen im hypermodernen WELT-Newsroom schon gewaltig auf die Nerven gehen. Sowas geht online?

Abgesehen davon, dass das die Verträge gar nicht zulassen: Ich könnte Olaf Gersemann die völlige Unkenntnis des griechischen Reformprozesses einigermaßen verzeihen, obwohl ein klügerer Mensch an seiner Stelle dann vielleicht gar nicht drüber schreiben würde. Die dickhodig-antidemokratische Haltung ist schon überragend ekelhaft. Aber dass es jemand tatsächlich fertigbringt, die anstehenden Neuwahlen in Griechenland zu kommentieren, ohne mit einem einzigen Wort auf die Lage in Griechenland einzugehen, ist so absurd menschenverachtend, dass es mich ernsthaft schockiert.

Wer DIE WELT verstehen will, muss sich offensichtlich möglichst weit von der Welt entfernen.

Trickst die BILD heute die Kanzlerin aus?

Bevor ich mir vorwerfe, gar nichts dazu gesagt zu haben, möchte ich minimalinvasiv eine Kurzanalyse der aktuellen Griechenland-Berichterstattung der BILD abarbeiten – oder, wie ich es inzwischen nenne, kurz Schlickrutschen.

Manche haben es möglicherweise gesehen: BILD fragt sich

Tricksen die Griechen heute Angela Merkel aus?

BILD sagt, worauf die Kanzlerin heute bei den Gesprächen achten muss:

Damit Merkel sich dabei nicht wie vor den Landtagswahlen in NRW von der BILD austricksen lässt und Europa weiter in die Krise stürzt, nur weil sie sich im Fachblatt der Dumpfnationalen, aus deren Sicht außer Deutschen sowieso alle Betrüger sind und keinen Staatshaushalt aufstellen können, mit Pickelhaube als „Eiserne Kanzlerin“ dargestellt sehen will … puh, Luft holen, viel zu komplizierter Satz (aber ich kann hier machen, was ich will!) … damit Merkel sich also nicht austricksen lässt, sage ich mal kurz, warum sie auf die Berichterstattung der BILD nicht achten darf.

Kurzform: Weil die BILD-Berichterstattung zum Lachen dumm, falsch und auch noch offen rassistisch ist.

Wer Lust hat, liest ein bisschen Begründung. Als wäre das nötig! Aber ich habe gestern zwei unfassbar tolle Typen getroffen, Franziskaner-Mönche, die in der Bronx Jugendliche retten. Meine Botschaft ist heute ist also die Liebe, deshalb lasse ich die journalistische Fairness auch für rassistische *********** gelten und zerlege mal.

BILD sagt, worauf Merkel achten muss, zum Beispiel:

►Die Staatsschulden will Griechenland bis 2020 auf 120 % des Bruttoinlandsproduktes senken. Fakt ist: von 130 % (2009) stieg die Staatsverschuldung auf 177,3 % (2013) an. Und das trotz des Schuldenschnitts, bei dem 107 Milliarden Euro erlassen wurden!

Wenn BILD Fakten im Sinne von „Dinge, die in der Realität so sind“ benutzen würde, könnte man ja mal „Klartext“ schreiben, was das Geseier bedeutet: In realen Zahlen stieg die Staatsverschuldung Griechenlands in den vier Jahren um gerade einmal 20 Milliarden Euro (den Extrapunkt mit dem Schuldenschnitt für eine Sekunde außen vor) – was angesichts der Bankenkrise, die zu der Katastrophe geführt hat, ein lächerlich kleiner Betrag ist (die deutsche Staatsverschuldung stieg aus demselben Grund allein zwischen 2009 und 2010 um 315 Milliarden Euro oder neun Prozentpunkte im Verhältnis zum BIP, und nicht einmal das war schlecht gemanagt. Im Super-Beispiel-Wunderland Irland stieg die Staatsverschuldung um 100 Milliarden Euro, 40 davon allein zwischen 2009 und 2010, das waren 28 Prozentpunkte zum BIP. Und nochmal: In allen Ländern letztlich alles wegen der Bankenrettungen und der nötigen Folgemaßnahmen).

Nun wird irgendjemand auf die Idee kommen und sagen: „Ja, aber die 20 Milliarden PLUS die 107 Milliarden Schuldenschnitt, das sind dann doch …“ Und das wäre tatsächlich eine andere Zahl, wenn man sie denn so aufaddieren könnte. Das kann man nicht, weil ein Schuldenschnitt eben nicht einfach ein Kappen der Schulden ist, bei dem alle anderen Faktoren gleich bleiben (erklärt zum Beispiel hier). Die spannende, wenn auch akademische, Diskussion wäre ja, wie sich die Wirtschaft in Griechenland entwickelt hätte, wenn es die Bedingungen des Schuldenschnitts u.ä. nicht gegeben hätte. Auf das zumindest kann man sich sicher einigen: Ein Schuldenschnitt hat noch nie irgendwo Wachstum und Investitionen befördert, man könnte sogar sagen, der Schuldenschnitt hat Investitionen für griechische Firmen (nicht alleine aber doch auch) völlig unmöglich gemacht, weil sie natürlich keine Kredite bekommen haben. Womit wir beim nächsten Punkt wären.

►Die Wirtschaftsleistung wollte Griechenland deutlich steigern, um seine Schulden zurückzuzahlen. In Wahrheit sank das Bruttoinlandsprodukt von 230 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 182 Milliarden Euro im Jahr 2013.

Es ist per se bizarr, jemandem vorzuwerfen, er steigere die Wirtschaftsleistung nicht so, wie er das vorhatte. So könnte man auch einfach fragen: Warum hören die scheiß armen Leute nicht auf, so arm zu sein?
Es muss zum Kotzen sein, im Kopf eines BILD-Schreibers gefangen zu sein: Man hat alle Lösungen für alle Probleme, und die Welt hält sich einfach nicht daran! Die Welt MUSS irre sein. In Griechenland zum Beispiel hätten sie doch echt allen Grund, mal einen Schlag reinzuhauen. Aber was machen sie, anstatt zu arbeiten? Rekordarbeitslosigkeit!

Aber weiter:

►Einsparungen im öffentlichen Dienst greifen oft nicht. Eine 2012 verhängte Gehaltskürzung für Polizisten und Soldalten (10 %) wurde vom obersten Verwaltungsgericht gekippt.

Das ist also einer der Tricks, mit denen Merkel heute fertig gemacht werden soll: ein Rechtsstaat! Kann ich diesen Punkt eigentlich anders verstehen, als dass die BILD findet, ein Staat sollte für seine Polizisten und Soldaten den Rechtsweg ausschließen, wenn man ihnen das Gehalt kürzt? Sind die Schreiberlinge dieses Blattes noch wenigstens irgendwie in Randbereichen demokratischer Grundhaltung beheimatet? Ich erkenne das nicht. Die nennen sich selbst APO? Interessant. Nach ihren eigenen Maßstäben könnte man sie wahrscheinlich längst „Rechtsterroristen“ nennen. Aber meine Botschaft ist ja die Liebe, insofern würde ich sowas natürlich nicht sagen.

Mein Lieblings-„Fakt“ ist aber der letzte in der Reihe:

►Griechen-Rettung absurd: Obwohl Griechenland noch Milliarden-Hilfskredite über 30 Jahre mit 1,8 % Zinsen bedienen muss, nahm die Regierung gestern an den internationalen Finanzmärkten eine neue teure Staatsanleihe von rund 3 Milliarden Euro auf – und zahlt dafür 4,75 % Zinsen – mit Geld, das es nicht hat.

Um das überhaupt denken zu können, muss man wahrscheinlich das haben oder nehmen, was sie bei BILD alle haben oder nehmen. Offensichtlich WOLLEN sie den von ihnen so empfunden korrupten, faulen Südländern Hilfskredite aufdrücken, damit sie sie hinterher als faule, korrupte Südländer beschimpfen können. Und dann wollen diese undankbaren Kanaken ihr Leben lieber eigenständig leben? Wo kommen wir denn da hin? Dabei weiß doch JEDER hier, dass die nur auf unsere Kosten leben wollen! Wieso halten die sich nicht an unsere Vorurteile? Da muss man sich als BILD-Schlickschleuder echt belogen vorkommen.

Weil ich aber beschlossen habe, mich heute über dumpfe Lallbacken nicht einmal aufzuregen, wenn sie vor Millionen Lesern antidemokratische Propaganda und ethnische Vorurteile verbreiten, möchte ich bitte, dass wir uns alle innerlich reinigen und einmal einen Blick auf das unfassbar großartige Werk der Franciscan Friars of the Renewal in der Bronx werfen, entweder hier in einem ZEIT-Artikel oder auf ihrer eigenen Seite. Wenn alle Katholiken so wären, dann wäre ich sofort dabei.

Liebe!

Wenn Diekmann sich korrigiert

In der vergangenen Woche titelte die Bild „Griechen doppelt so reich wie wir“. Das war natürlich wissentlich falsch berichtet, also gelogen. Es war dann auch noch rein handwerklich-journalistisch unterhalb jedes professionellen Niveaus, weil nicht einmal ein Experte zu Wort kam, um die (fälschlich als „amtlich“ deklarierten Zahlen) einzuordnen – das ging ja auch nicht, weil sie falsch waren. Allerdings hat die Bild ein  eingespieltes Verfahren, ihre Lügengeschichten nachträglich gefühlt zu rechtfertigen: Sie konfrontiert einen Angegriffenen damit und wertet die Tatsache, dass er mit der Bild überhaupt noch redet, als Beweis dafür, dass es so falsch nicht gewesen sein kann. Gemeinsam mit seinem Griechenland-Hetzbeauftragten Paul Ronzheimer (das ist der, der sich nicht traut, seine Berichterstattung mit mir zu diskutieren) flog Kai Diekmann also letzte Woche nach Athen, interviewte den griechischen Ministerpräsidenten und brachte dabei etwas unter, das auf den ersten Blick wie eine Frage zur Bild-Schlagzeile aussieht (Kai Diekmann nennt es dann auch auf Twitter so).

Tatsächlich lautet die Frage:

BILD: Laut einer Statistik der Bundesbank sind Griechen im Durchschnitt reicher als Deutsche. Was ist Ihre Meinung dazu?

Selbst Samaras kann die Implikation der Frage in Sekunden zerfetzen. Aber das ist nicht das eigentlich lustige. Viel spannender ist es, sich die Frage genau anzugucken:

„Laut einer Statistik der Bundesbank“ – es geht natürlich erstens um die Europäische Zentralbank, nicht die Bundesbank (die natürlich sowieso keine Daten über griechische Vermögen hat), zweitens behaupten die Zahlen nicht, dass „Griechen“ im Schnitt reicher sind, sondern griechische Privathaushalte (im Pro-Kopf-Vergleich ist das anders, und es macht einen Unterschied, weil in vielen Ländern vor allem Südeuropas mehr Menschen in einem Haushalt leben als in Deutschland), und drittens hätte man außerdem auch ruhig noch dazu anmerken können, dass nach denselben Zahlen auch Spanier, Italiener und Zyprer durchschnittlich teilweise um ein Vielfaches „reicher“ wären als Deutsche (was den Unsinn noch deutlicher gemacht hätte). Noch einmal spannender wäre die Frage: Die Bild stellt diese Zahlen als angeblich „amtliche“ im Februar 2014 auf den Titel, obwohl sie von 2009 stammen und im April 2013 veröffentlicht, diskutiert und als nicht aussagekräftig bewertet wurden – was ist ihre Meinung dazu? Und das ist dann überhaupt ein Knüller: „Was ist Ihre Meinung dazu“ ergibt keine Sinn, wenn man nach den tatsächlichen Zahlen fragt, wie es Ronzheimer und Diekmann verdruckst tun. Die wahren Zahlen sind keine Meinung, sondern Fakten, so wie „Amtlich: Griechen doppelt so reich wie wir“ keine Meinung ist, sondern eine falsche Tatsachenbehauptung. Eine Meinung dazu wäre: Wenn Sie so etwas veröffentlichen, dann sind Sie schon ein bisschen eklig!

Schiss-Reporter Ronzheimer und sein „Bart statt Rückgrat“-Chefredaktuer* Diekmann bringen es nicht über sich, ihre Fehler zuzugeben. Bizarrerweise passt das nicht einmal zu Diekmann, man würde fast erwarten, dass er in dieser Situation den offensichtlichen Fehler zugibt und so auf die ihm eigene, hipsterironische Art Glaubwürdigkeitspunkte sammelt. Aber man kann das eben nur fast erwarten, weil auch die Ironie nur eine Pose ist. Die Fehler sind so groß, zahlreich und offensichtlich, dass man den Vorsatz zur Lüge nicht wegdiskutieren kann. Kein Journalist der Welt konnte diese Zahlen aus Versehen so falsch verstehen.

Offenbar läuft in der Bild gerade eine Serie von Deutschen, die ihre Sünden gestehen. Wenn Bart Simpel auch nur halb so cool wäre, wie er tut, dann wäre es an der Zeit für ihn, da mitzutun.

 

*Chefredak-Tuer ist mein Lieblingstippfehler des Tages.

Lügen wollen.

Man muss kein Insider sein, um die Zeichen zu erkennen: Der Geruch von Rauch in der Luft, der Smog über Athen, der heute weniger vom Autoverkehr stammt als von den Kaminfeuern, in denen die Bewohner ihre Möbel verfeuern, um wenigstens ein bisschen Wärme in die Wohnungen zu bekommen. Heizöl ist längst viel zu teuer, der Strom bei vielen Familien längst von den Elektrizitätswerken abgeklemmt, weil die Rechnungen nicht bezahlt wurden. Nach dem Tod der 13-jährigen Sara in Thessaloniki durch eine Rauchvergiftung gibt es Pläne, Strom an bestimmten Tagen kostenlos an die ärmsten Haushalte abzugeben, um den Smog ein bisschen zu mildern. Das ist die Lage In Griechenland. Katastrophal.

Oder, wie die Bild schreibt:

Griechen reicher als wir!

Die dazugehörige Geschichte ist ein Fanal der Lüge. Ich habe sie nur online gelesen, aber zumindest da hat sich kein Autor getraut, sie mit seinem Namen zu kennzeichnen, und das ist verständlich.

Für ihre Geschichte hat die Bild eine manchmal „Studie“ genannte Erhebung der EZB aus dem letzten Jahr ausgegraben, von der die EZB warnt, sie als Studie zu betrachten und deren fehlende Aussagekraft bereits ausführlich, auch von mir, besprochen wurde. Wer sie dennoch als Grundlage einer Geschichte benutzt, der lügt vorsätzlich. Wer sie als Vorlage zu einer Geschichte benutzt, die Vorurteile gegenüber anderen – in diesem Fall auch noch: notleidenden – Menschen zu schüren, der begeht meiner Meinung nach Volksverhetzung.

„DIE GRIECHEN SIND DOPPELT SO REICH WIE DIE DEUTSCHEN!
Im Mittel verfügt ein griechischer Haushalt über 101 900 Euro Vermögen, hat die Eurobank EZB bereits 2013 ermittelt. Ein deutscher Haushalt kommt dagegen gerade mal auf 52 000 Euro.
WIE KANN DAS SEIN?
BILD sagt, warum die Griechen reicher sind

Die Inhalte sind schnell zu widerlegen. Bild sagt,

[Die Griechen] zahlen weniger Steuern!

Natürlich sagt das in echten Zahlen überhaupt nichts aus. Tatsächlich ist die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben in Deutschland im OECD-Raum überdurchschnittlich hoch, aber das sagt über die Vermögen in den Ländern nichts aus, weil man dafür zum Beispiel die Höhe der Einkommen wissen müsste. Und, welche Überraschung, die lagen und liegen in Griechenland selbstredend so weit unterhalb der deutschen, dass auch nach Abzug aller Belastungen deutsche Lohnempfänger mehr Geld haben als griechische. Das zweifelt natürlich auch niemand an, schon gar nicht die angeführte EZB-„Studie“.

Bild sagt auch,

Sie besitzen mehr Immobilien!

Was ein ähnlicher Quatschfakt ist. In den meisten Ländern der Welt ist der Anteil der Immobilienbesitzer höher als in Deutschland. Der funktionierende deutsche Mietmarkt ist eher die Ausnahme als die Regel. In jedem afrikanischen Buschdorf ist der Anteil der Immobilienbesitzer höher als in Deutschland [Nachtrag: dämlicher Scheißsatz von mir]. Allerdings fließt der Wert der Immobilie, die jeder Grieche abzahlt, voll in die Berechnung des „Vermögens“ ein. Hier entsteht ein großer Teil der verzerrenden Darstellung der „Studie“ (und, nochmal, das sagen ihre Autoren auch. Jeder weiß es. Die Bild weiß es. Sie lügt aber gern). Ich besitze keine Wohnung, sondern wohne zur Miete. Meine Schwester in Athen besitzt ihre Wohnung. Meine ist beheizt. Bei ihr ist stundenweise im Wohnzimmer ein Heizlüfter an.

Meine Lieblingslüge, zu der ich hundertfach schon alles gesagt habe:

Sie kassieren mehr Rente!

Falsch. Sie kassieren sehr, sehr, sehr viel weniger Rente. Die absurden Prozentzahlen (110 Prozent des letzten Nettolohns!) entstehen, weil Rente und Pensionen in sehr vielen Fällen nur auf Grundgehälter gezahlt werden und nicht auf die Zuschläge, die oft den größeren Teil des Gehaltes ausmachen. Mein Vater ist ein griechischer Pensionär und bekommt einen Bruchteil seines letzten Nettogehaltes ausgezahlt. Aber hier lauert der nächste große Fehler der „Studie“: Während Immobilien und private Rentenvorsorge als Vermögen zählen, tun Renten- und Pensionsansprüche gegenüber dem Staat das nicht. Das heißt, weil in Griechenland die staatliche Vorsorge so niedrig ist sorgen die Menschen mehr privat vor (wieder als anekdotische Evidenz: Meine Schwester in Griechenland wird praktisch keine staatliche Rente bekommen. Sie muss für ihr Alter mehr privat vorsorgen als ich). Ein deutscher Beamter zum Beispiel hat hunderttausende Euro Pensionsansprüche, die nur technisch kein „Vermögen“ sind — praktisch aber natürlich schon.

Und natürlich der wichtige Hinweis auf das südländische Gemüt:

Sie tricksen die Finanzämter aus!

Viele Griechen konnten bislang beim Einkaufen, im Restaurant die Mehrwertsteuer (23 %) prellen. Selbstständige wie Anwälte, Ärzte etc. hinterziehen bis zu 29 Milliarden Euro Steuern/Jahr – über ein Zehntel der Wirtschaftsleistung.

Und damit das klar ist: Ich halte Steuerhinterziehung für Diebstahl an der Allgemeinheit, ohne Wenn und eigentlich ohne Aber – aber hier geht es um einen Zusammenhang: Nach einer Untersuchung des Tax Justice Network, die weitestgehend auf Zahlen der Weltbank basiert, liegt Griechenland damit auf Platz 21 der Welt in Bezug auf Schäden durch Steuervermeidung. Deutschland liegt auf Platz fünf. Zu behaupten, die Griechen würden durch Steuerhinterziehung doppelt so viel Vermögen aufbauen wie die Deutschen ist ein rassistisches Vorurteil. Die griechische Mittelschicht der Lohnempfänger war nicht korrupt und ist nicht korrupt. Die deutsche Finanzelite ist es nicht weniger als die griechische. Die Alltagskorruption, über die wir in Griechenland sprechen, betrifft weit überwiegend die Bauwirtschaft (und Verwaltung) und das Gesundheitssystem, und auch hier ist der größte Teil von Konzernen (übrigens überdurchschnittlich oft deutschen) verursacht. Zu behaupten, die Steuerhinterziehung in der Gastronomie in Griechenland wäre so fundamental anders als in Deutschland, dass daraus allgemein messbare Vermögensunterschiede entstehen, zeugt von bösem Willen – so wenig über die Gastronomie wissen kann man gar nicht.

Was Bild als Argument übrigens nicht anführt, ist dass in den nach der „Studie“ der EZB „reicheren“ Ländern wie Griechenland, Spanien und Zypern auch noch mehr Personen in jedem Haushalt leben, deren Vermögen natürlich zusammengerechnet wird. Wenn Oma also in der Familie lebt, dann zählen ihre Lebensersparnisse mit.

Der neue, bisher eigentlich nicht unanständig wirkende FDP-Vorsitzende Christian Lindner nimmt die Einladung seiner APO-Kollegen von Bild in dem Artikel an und warnt denn auch verschwurbelt davor, den reichen Griechen auch noch Geld hinterher zu werfen. Ein einziger Tag in Griechenland könnte ihn heilen. Ein einziger Tag in Athen, an dem er sieht, wie Menschen in Autos übernachten, an Suppenküchen oder mit chronischen Krankheiten nach kostenloser Gesundheitsversorgung anstehen. Ein einziger Tag in einer Wohnung, in der eine Mutter versucht, ihre Familie warm zu bekommen, indem sie Möbel verbrennt – und dann die ganze Nacht wach sitzt um zu kontrollieren, dass ihre Kinder nicht an Rauchgasen ersticken.

Ein einziger Tag in der Realität könnte vom Lügen heilen, wenn man denn tief drinnen eigentlich die Wahrheit sagen wollte. Die Hetzer von Bild wollen es natürlich nicht. Sie schreiben nicht einmal mehr ihre Kürzel unter die Artikel. Sie diskutieren ihre Machwerke nicht in der Öffentlichkeit. Sie legen nur Gift aus und zündeln nachts.

Das ist falsch, schlecht, ekelhaft und böse. Und unnötig. Vielleicht ist es das, was mich am meisten ärgert: Man müsste nicht böse und rassistisch sein, um Zeitungen zu verkaufen. Die Geschichte der 13-jährigen Sara und so viele andere wären dafür genauso geeignet. Aber dafür müsste man sich hinabbegeben in die Realität.

Korrigierender Nachtrag: In der Urfassung der Geschichte waren zwei falsche Sätze und ein bescheuerter: Zum einen ist die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben IN DEUTSCHLAND überdurchschnittlich hoch, also nicht nur allgemein. Und außerdem endete ein Satz in Nirvana … (Danke, H.H.). Und der Satz mit dem Buschdorf ist rassistischer Quatsch von mir, ich habe ihn als Mahnmal für Blödheit stehen lassen und markiert.

Fachblatt für Homophobie

Einen Mann im Büro verführen? Wenn junge, attraktive Frauen das machen, dann ist die BILD nicht nur dafür, sie hilft sogar dabei: Unter dem Motto „Lust auf eine Büro-Affäre? Sex-Coach pimpt Business-Mode auf“ erklärt das Fachblatt für Bigotterie

Einen Großteil unserer Zeit verbringen wir am Arbeitsplatz. Es ist also wenig überraschend, dass sich hier Liebes-Beziehungen entwickeln, ein heißer Flirt oder eine Affäre. Der traditionelle Business-Look in dunklen Farben und hoch geschlossene Oberteile sind allerdings alles andere als sexy und wecken kaum die Fantasie der Herren.
BILD hat Sex-Coach Vanessa del Rae gefragt, wie sie den strengen Look auflockern würde. Als Beraterin hat sie häufig mit Klienten aus dem mittleren und gehobenen Management zu tun und kennt deren Vorlieben.

Und natürlich ist das nicht einmal ein Bruchteil der Treffer, den die Suche nach „Sex im Büro“ auf bild.de ergibt. Da hat das Ressort Geifern und Sabbern einiges zu bieten.

Ganz anders ist die Sache natürlich, wenn Sie ein junger, attraktiver Mann sind und einen Mann im Büro verführen.

Dann versucht BILD nämlich alles, um mit Ihrem Privatleben Ihre Karriere zu zerstören.

BAYERISCHER LANDRAT
Sex im Amt
Mehrmals soll Michael Adam (28) einen Liebhaber zum Sex ins Landratsamt gebracht haben. Auch Drogen soll der verheiratete Politiker bei den Treffen konsumiert haben.

In der kompletten Geschichte steht nichts Berichtenswertes, das die Welt etwas anginge. Zur Erinnerung ganz kurz der einschlägige Auszug aus dem Pressekodex:

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit
Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung.

Mit wem Michael Adam wo schläft hat die Öffentlichkeit nichts anzugehen. Natürlich impliziert BILD, er hätte sein Sexualleben als offen homosexueller Politiker irgendwie öffentlich gemacht („Michael Adam, jung, schwul, evangelisch, gilt als moderner Hoffnungsträger der Bayern-SPD.“), aber dann müsste man im Intimleben eines jeden Politikers herumschnüffeln dürfen, der je seinen Partner irgendwohin mitgenommen hat. Angela Merkel ist doch offen heterosexuell, dann muss man doch auch fragen dürfen, ob sie mit Professor Sauer nicht im Kanzleramt …

Natürlich nicht.

Ich wünschte, es gäbe ein schöneres Wort für diese Ekligkeiten, die BILD treibt und bei seinen Lesern vermutet, als Homophobie. Denn man darf nie vergessen, dass es ja keine Phobie ist, die solche Leute treibt. Sie haben ja nicht vor allem Angst, sie sind vor allem Arschlöcher.

BILD-Reporter gehen dahin, wo es weh tut. Anderen weh tut.

Die Hamburger Senatskanzlei hat mich eingeladen, auf einer Veranstaltung zum Thema „Europa in den Medien“ mit Paul Ronzheimer zu diskutieren, dem Mann, der Griechenland öffentlichkeitswirksam die Drachme zurückgeben wollte („Das wäre auch für unseren Euro das Beste“) und es umschreibt als „Land der Bankrotteure und Luxusrenten, Steuerhinterzieher und Abzocker.“ Natürlich habe ich das sofort zugesagt. Ich würde sehr gern öffentlich mit Paul Ronzheimer diskutieren.

Aber Paul Ronzheimer kneift. Er hat seine Teilnahme an der Veranstaltung wieder abgesagt, als er hörte, dass er mit mir diskutieren soll. Er würde zwar kommen, aber nur wenn jemand anderes da säße als ich. Der Mann, von dem die markigen Zitate oben stammen, ist außerhalb seiner präpotenten Prosa ein kleiner Feigling. Ich habe ihn per Mail gefragt, ob man solche wie ihn im BILD-Stil eher Schiss-Reporter oder Reporter-Schisser nennen sollte – aber er redet ja nicht mit mir.

Dabei ist es keineswegs so, dass er grundsätzlich lässig ignoriert, was über ihn geschrieben wird. Wenn er meint, sachliche Fehler in einem Beitrag über sich entdeckt zu haben, dann schickt er auch schonmal Richtigstellungen an Blogger mit dem Hinweis, ihn doch beim nächsten Mal direkt zu fragen. Er Antwortet auch auf Fragen, die ihm Menschen auf Facebook schicken. Auf eine kritische Frage von mir reagiert er dann allerdings nicht mehr.
Paul Ronzheimer hat sich für die Veranstaltung einen angenehmeren Gegenüber erbeten, und er kriegt ihn offenbar. So kann er dann wieder Geschwurbsel abgeben wie im Studenten-Magazin Campus der Zeit, das ihn zu den demütigenden Bildern fragt, auf denen er alten, verzweifelten Omis auf dem Athener Omonia-Platz Drachmenscheine in die Hand drückt wie der reiche Onkel aus Amerika:

Ronzheimer: Ich habe viel darüber nachgedacht, und es war sicherlich Boulevard an der Grenze. Meine Idee war: Griechen auf der Straße zu fragen, was sie über eine Rückkehr zur Drachme denken. Dazu kam das Foto mit mir und den Scheinen in der Hand. Ja, das hat polarisiert. Die Entwicklung ein Jahr später gibt uns aber in der kritischen Haltung zu den Hilfsmaßnahmen recht.

Wenn er das glauben würde, könnte er es diskutieren. Aber natürlich weiß er, dass selbst wenn er inhaltlich recht hätte (hat er nicht), es nicht darum geht, sondern um die Frage, ob man als Journalist für billige Witze leidende und verängstigte Menschen demütigen und beleidigen darf. Er meint: ja, darf man – will da aber nicht öffentlich mit jemandem drüber sprechen, von dem er weiß, dass er kritischere Fragen zu erwarten hat, die er nachträglich nicht mehr redigieren kann. Etwas armseligeres habe ich von einem Erwachsenen noch nie erlebt, glaube ich. Meine beiden kleinen Töchter stehen männlicher erwachsener zu dem, was sie anstellen.

In dem Zeit Campus Interview erklärt Ronzheimer noch, warum er sich oft gerne die Zeit nimmt, Menschen zu erklären, dass BILD ja eigentlich gut ist. Ich möchte das ganz kurz wiederholen, weil es als Argumentation sehr originell ist: Ronzheimer meint, dass was er macht gut ist, weil ja die BILD gut ist. Nun ist er vielleicht nicht das schärfste Messer im Block und offenbar kein Intellektueller, aber was muss man rauchen, um so etwas zu glauben? Es ist natürlich so: Ich glaube nicht einmal, dass die BILD gut ist – aber wenn sie es wäre, dann wäre es Ronzheimer noch lange nicht.

Er ist stattdessen der Reporter-Schisser. Nicht nur schlecht, sondern auch noch feige.

 

Korrektur: Ich habe nach einigen richtigen Hinweisen das falsche Adjektiv „männlicher“ gegen das korrektere „erwachsener“ getauscht. Meine Töchter sind natürlich nicht männlicher, sondern mutiger, stärker und lässiger. Leider alles nicht abgedeckt durch „männlich“, sonst wäre ich das ja auch.  

Für diesen Text bin ich aus der SPD ausgetreten

In der dunkelsten Stunde der letzten Jahrzehnte in den Beziehungen zwischen den Ländern, die ich beide Heimat nenne, konnte man das wenige, was leuchtete, besonders gut erkennen. In einem Moment im Frühjahr 2010, in dem in Griechenland die Moral der Bevölkerung am Boden lag, in dem die vielen persönlichen Katastrophen des finanziellen Bankrotts sich mit der großen, nationalen Schande des Versagens der Organe der Gesellschaft mischte, in dem sich zu dem Schaden noch die Demütigung mischte, schickte der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert seinem griechischen Amtskollegen einen aufmunternden Brief, in dem er Respekt ausdrückte vor der gigantischen Anstrengung, die das Land unternahm. Respekt. Vor Menschen, die leiden. Die Schwierigkeiten zu überwinden haben. Norbert Lammert schrieb auch, dass wahrscheinlich mancher hämische Kommentar in deutschen Medien unterblieben wäre, wenn Deutschland ähnliche Herausforderungen zu meistern hätte wie das gigantische griechische Sparpaket mit seinen brachialen Einschnitten. Respekt.

Ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment. In dem damals herrschenden Trommelfeuer der Demütigungen, die auf Griechen auch in Deutschland niederprasselten, war das ein kurzer Augenblick des Aufatmens. Wir Griechen hier haben uns selten beschwert, weil wir immer mit dem Bewusstsein beladen sind, dass es uns ja nicht wirklich schlecht geht. Schlecht geht es meiner Schwester in Athen, die mit so viel weniger auskommen muss. Meiner Tante, deren Töchter ausgewandert sind, weil es zuhause keine Arbeit gibt. Den Millionen, die nicht wissen, wie lange sie noch in ihrer Wohnung bleiben können, wo sie sonst hinsollen, was es morgen zu essen gibt. Wir Griechen in Deutschland stehen nicht wie zehntausende in Athen bei den Suppenküchen an, aber das heißt nicht, dass wir hier die Beleidigungen nicht gehört und gelesen haben, die Verzerrung der Wahrheit, die Lügen, den Hohn, den Hass. Jeder einzelne von uns mit einem griechischen Namen hat im besten Fall nur jeden Tag schlechte Witze gehört, immer und immer wieder, im schlechteren Fall auch Schlimmeres. Als leidlich öffentlicher Grieche war mein Mail-Eingangsfach da wahrscheinlich ziemlich repräsentativ. Ständiger, dauernder Hohn tut weh. Er schmerzt besonders, wenn er auf Lügen beruht, wie in diesem Fall. Auf der Kampagne der BILD-Zeitung zum Beispiel, deren Hetz-Kampagne man in dem Leitsatz zusammenfassen könnte, für die Rettung Griechenlands „sollte uns jeder Euro zu schade sein“. Wie gesagt, man könnte sie so zusammenfassen, wenn die BILD es nicht selbst schon getan hätte. Rolf Kleine hat das so in der BILD geschrieben, nur natürlich in Versalien. Für die Rettung „sollte uns JEDER EURO zu schade sein“.

Rolf Kleine ist der neue Sprecher des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

Lammerts Brief, jenes kurze Aufblitzen von Respekt gegenüber den von der BILD längst entmenschlichten „Pleite-Griechen“, für deren Rettung JEDER EURO zu schade sein sollte, kam von einem politisch ziemlich unabhängigen Geist. Denn es war einigermaßen klar, dass deutsche Mandatsträger, die nicht im Gleichschritt mit Springers Propaganda auf die Griechen eindroschen, mit schlechter Presse zu rechnen hatten. FDP-Hinterbänkler wie der im wahren Leben fast karikaturesk unwichtige Frank Schäffler wurden von BILD zu „Finanz-Experten“ aufgeblasen, wenn sie den Verkauf griechischen Territoriums forderten (arme Länder haben in der FDP-Logik offenbar kein Anrecht auf Staatsgebiete), und so hochgeschrieben, dass zum Beispiel Schäffler sich zwischenzeitlich selbst super genug vorkam, um seine ganze Partei per Mitgliederentscheid zum Massenselbstmord aufzufordern (oder so ähnlich, ich will mich da gar nicht genauer dran erinnern). Gleichzeitig waren selbst deutsche Botschafter vor dem Zorn der BILD nicht sicher und wurden niedergeschrieben, wenn sie nett zu Griechen waren.*
So traf es auch Lammert. Natürlich ist es selbst für die BILD-Zeitung schwierig, Menschen dafür zu kritisieren, dass sie andere Menschen wie solche behandeln, selbst wenn es nur Pleite-Griechen sind. Deshalb musste der mit dem Gegenangriff beauftragte Redakteur, der Leiter des Parlamentsbüros Rolf Kleine, zunächst einmal die Realität verändern und behaupten, Norbert Lammert habe sich bei den Pleite-Griechen für die Berichterstattung in deutschen Medien entschuldigt.

Ganz Europa sorgt sich über die desaströse Finanzlage Griechenlands und die Stabilität des Euro – und was macht unser Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU)?

Er entschuldigt sich in einem Brief an den griechischen Parlamentspräsidenten Philippos Petsalnikos für „manche hochmütige Aufforderung deutscher Politiker zur Kurskorrektur“ und „hämische“ Kommentare „in deutschen Medien“.

ABER WEN MEINT ER DA BLOSS?

Doch wohl nicht etwa die Forderung von Politikern in BILD-Interviews, dass Griechenland auch Staatseigentum privatisieren solle – zum Beispiel Inseln?

Und später im selben Text

Und zum Lob für die Griechen. Lammert schreibt („Sehr geehrter Herr Präsident“): „Mir imponiert der Ernst und der Mut, mit dem verantwortliche Politiker in Ihrem Land nun an jahrelang verschobene und verdrängte Probleme herangehen.“

Damit meint er wohl: Korruption, unglaublichen Schlendrian und die Verschwendung von Milliardenbeträgen…

Selbst die Anrede „Sehr geehrter Herr Präsident“ für einen griechischen Parlamentspräsidenten ist Kleine offensichtlich zuviel des Respekts für einen dieser … dieser … wie würde Kleine sie nennen? Was genau denkt man über die Menschen eines natürlich armen aber doch immerhin demokratischen europäischen Landes, wenn man der Meinung ist, der Parlamentspräsident verdiene eigentlich die Anrede „Sehr geehrter Herr Präsident“ nicht? Ich will mich nicht in einer Klammer in einem einzelnen Text verhaken, aber ehrlich: Was genau ist an dieser Haltung nicht schlicht und einfach Hetze?

Aber was genau erwarte ich von einem der Autoren des Instant-Klassikers des modernen Hetzjournalismus mit dem Titel „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen… und die Akropolis gleich mit!“ Doch, auch dieser Text ist von Kleine als einem von drei unterzeichnenden Autoren. Er enthält auch die Sätze „Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.“

Dieser Rolf Kleine ist jetzt Sprecher von Peer Steinbrück.

Die Botschaft seines Briefs an Lammert damals jedenfalls war klar: Wer als Politiker in Deutschland damals auch nur so viel Respekt für einen Griechen zeigt, dass er ihn mit seinem korrekten Titel anspricht anstatt mit „Pleite-Grieche“, der wird von den Meinungs-Schlägern der BILD-Kommentarspalte niedergemacht und muss mit ihrer Feindschaft rechnen. Es reichte ihnen einfach nicht, einen Hetzmob gegen die Pleite-Griechen aufzuführen, sie mussten auch noch die Ersthelfer bedrohen, die wenigstens ein bisschen Linderung bringen wollten. Jeder Hauch, jeder Anschein von Respekt für diese … diese Art Wesen, die ein Pleite-Grieche noch ist, musste unterbunden werden. Und diesen Job übernahm hier Rolf Kleine.

Rolf Kleine ist der neue Sprecher des Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und damit auch einer seiner wichtigsten Berater. Ganz offensichtlich hat die Panik Peer Steinbrück in dieser Phase des Wahlkampfes ergriffen, in dem es für ihn eher schlecht läuft, und er hat sich einen – wie sagt man? Haudegen? Mann fürs Grobe? Kommunikationsexperten? – jedenfalls Rolf Kleine ins Team geholt, obwohl das, wofür Kleine zum Beispiel in Fragen der Euro-Rettung steht, in Inhalt und Form nicht mit dem übereinstimmt, was Sozialdemokraten in diesem Land sonst so tun. Für Peer Steinbrück darf man ganz offensichtlich ein Schwein sein, so lange man sein Schwein ist. Ich finde diesen Zynismus unerträglich.

Jetzt kommt der Satz, für den ich aus der SPD ausgetreten bin:

Ich möchte nicht, dass Peer Steinbrück Bundeskanzler wird – weil ich ihn wegen der zynischen, „der Zweck heiligt die Mittel“-pragmatischen, die sozialdemokratischen Tugenden verachtenden Entscheidungen, die er hier unter Druck trifft, für ungeeignet halte, das Land zu führen.

Selbstverständlich würde ich von jedem Genossen, der so etwas denkt erwarten, dass er es zumindest bis nach der Wahl bitte höchstens im kleinen Kreis äußert. Öffentlich wäre so ein Satz, von einem Genossen ausgesprochen oder wie hier öffentlich geschrieben, aus meiner Sicht parteischädigend. Das gehört sich nicht. Es ist unsolidarisch. Ich würde einen solchen Genossen zur Ordnung rufen und ihn bitten, bis nach der Wahl einfach ein bisschen still zu sein. Alle anderen Genossen arbeiten so hart an dem Erfolg, dass es unfair ist, ihn durch solche Alleingänge zu beschädigen. Das finde ich tatsächlich. Und halte mich selbst nicht dran.

Denn in diesem ganz bestimmten Fall kann ich nicht schweigen. Ich kämpfe seit Jahren öffentlich gegen Typen wie Rolf Kleine. Ich kann nicht monatelang darüber schweigen, dass ein Mann, der dann auch mit meiner Unterstützung Kanzler der Bundesrepublik werden will, sich einen Mann ins Team holt, der genau das tut, was ich bekämpfe.

Deshalb bin ich aus der Partei ausgetreten, die ich nach wie vor für das Beste halte, was diesem Land politisch in den letzten 150 Jahren passiert ist. Die SPD ist Teil des demokratischen Rückenmarks dieses Landes, mit hunderttausenden großartigen Genossen, die für ein einziges Ziel in die Partei eingetreten sind, nämlich daran zu arbeiten, dass dieses wunderbare Land immer noch besser wird. Und in 150 Jahren stand diese Partei am Ende doch immer auf der richtigen Seite, auch das ist etwas, das man erstmal schaffen muss. Die Ziele der Sozialdemokratie sind gleichzeitig visionär und an den Realitäten orientiert, und deshalb in jeder Zeit wieder aufs Neue geeignet, die Veränderung hin zum Besseren zu unterstützen. Außerdem muss man sich ja irgendwo engagieren, nur meckern hilft ja nicht, und da kann man es wirklich schlechter treffen als bei der SPD (hatte ich Frank Schäffler erwähnt?). So viel dazu.

Das ist mein Dilemma. Ich kann nicht schweigen an diesem Punkt. Seit dem öffentlichen Ausbruch der griechischen Krise arbeite ich politisch engagiert und sehr öffentlich daran, die deutsch-griechischen Beziehungen zu erhalten, zu retten und neu aufzubauen, vor allem dadurch, dass ich die Lügen, die absichtlichen und unabsichtlichen Fehler und Fehlinformationen bekämpfe, mit denen im Großen wie im Kleinen das, womit ich mich als geborener Europäer verbunden fühle, zerstört wird. Rolf Kleine ist in dieser Auseinandersetzung genau die andere Seite. Ich werde keine Sekunde lang mit ihm gemeinsam Wahlkampf für einen Mann machen, der glaubt, dass es okay ist, Rolf Kleine zu einem wichtigen Mitglied im Team zu machen. Ich könnte das vor mir selbst nicht rechtfertigen. Aus einem einzigen Grund: Es wäre falsch.

Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen, was dieser Text alles nicht ist: Er ist kein Hinweis auf eine Stimmungslage irgendwo innerhalb der Partei in Hinblick auf den Kandidaten Peer Steinbrück. Die einzige Stimmung, die er zeigt, ist meine.

Ich bin mir außerdem sicher, dass es viele geben wird, die mich erstens für naiv und zweitens für einen beleidigten Griechen halten werden. Das bleibt ihnen überlassen, aber meine Erfahrung sagt mir ganz persönlich, dass der weit, weit, weit überwiegende Teil von Politik in meiner ehemaligen Partei von Menschen mit klaren Werten und klaren Grenzen gemacht wird, die eben nicht alles mitmachen, nur um Macht zu erlangen oder zu erhalten. Und ja, es ist ein Zufall, dass es gerade mein politisches Thema der letzten Jahre ist, bei dem Kleine sich aus meiner Sicht zu einem in Inhalt und Form unsäglichen Hetzer aufgeschwungen hat, aber ich finde nichts falsches daran, dass ich als Deutsch-Grieche die deutschgriechischen Beziehungen zu meinem Thema gemacht habe. Ich finde es auch nicht zu viel verlangt, dass ein SPD-Kanzlerkandidat eben keinen Hetzer zum Sprecher macht. Man schränkt die Auswahl nicht unerträglich ein, wenn man verlangt, dass ein potenzieller Regierungssprecher wenigstens den Parlamentspräsidenten befreundeter Staaten nicht absprechen sollte, dass man sie mit „Sehr geehrter Herr“ anspricht (sofern sie Männer sind).

Es tut mir wahnsinnig weh, mein politisches Engagement in der SPD zu beenden. Ich habe viel Zeit und Kraft hinein investiert. Ich habe großartige Menschen aus allen Bereichen des Lebens kennengelernt, wo gibt es das denn sonst noch? Ich musste jetzt gleichzeitig als Distriktsvorsitzender des schönsten Hamburger Distriktes zurücktreten, Altona-Altstadt, einem Distrikt mit einer großen und stolzen sozialdemokratischen Tradition. Ich lasse also auch organisatorisch eine Lücke, die nun andere schließen müssen, die selbst schon genug zu tun hatten. Auch das schmerzt und tut mir leid. Aber ich habe Grenzen.

Lieber wäre mir gewesen, Peer Steinbrück hätte welche.

*Lustige Geschichte: In der Tiefgarage des Hauses, in dem der griechische Botschafter in Berlin lebt, fotografierte in der Zwischenzeit ein BILD-Mitarbeiter geparkte Luxusautos in der Hoffnung, eins davon gehöre dem Botschafter. Da könnte man doch noch eine Verschwendungsgeschichte draus machen! Leider gehörten die dann alle einem Händler, der auch im Gebäude wohnte.

Reiche Esel: Der SPIEGEL hetzt langsam, aber dafür irre

Ich weiß, ich bin spät, aber immer noch schneller als DER SPIEGEL: Einige Wochen, nachdem eine „EZB-Studie“ einige Zahlen so vermischte, dass man daraus unter Umgehung von Konzepten wie „Realität“ hätte schließen können, dass südeuropäische Privathaushalte reicher sind als nordeuropäische, hat das Nachrichtenmagazin in der vergangenen Woche eine Titelgeschichte dazu gemacht. Unter der Titelzeile „Die Armutslüge“ saß da ein wahrscheinlich griechischer Kleinbauer auf einem Esel, vor der Sonne geschützt durch einen Schirm mit Europa-Symbolen, aus den Lastkörben des Esels wehten Euro-Noten und der Esel hatte einen schwarzen Balken über den Augen, so wie Verdächtige in Medien unkenntlich gemacht werden. Insgesamt ein Titel, der an rassistischen Anspielungen deutlich stark genug für ein NPD-Plakat gewesen wäre. Und das wie gesagt nicht nur Wochen nach der „Studie“ (die eher eine Art wilde Zahlensammlung ist und explizit nicht so gelesen werden soll oder kann, wie DER SPIEGEL tut). Auch Wochen, nachdem jedes Argument in Richtung der Lesart, die den Redakteuren offensichtlich nahegelegt wurde, längst kompetent öffentlich widerlegt wurden (elegant und sauber zum Beispiel von Jens Berger hier).

Ich möchte mich hier nur um ein Kernargument des SPIEGEL kümmern, weil ich glaube, dass diese Geschichte in voller Absicht wahrheitswidrig aufgeschrieben wurde, weil der SPIEGEL inzwischen offensichtlich verzweifelt nach irgendeiner Art von Deutungshoheit sucht (die Spiegel-Online übrigens, nur nebenbei, im Bereich der Online-Medien lässig innehat).

Also hin zu den so genannten Argumenten, die der SPIEGEL gebraucht, unterzeichnet von gleich acht Autoren. Eins der großen Probleme der „Studie“ ist, dass es die Altersversorgung extrem unterschiedlich bewertet. Meine Schwester zum Beispiel ist Lehrerin in Griechenland und verdient dort natürlich nur einen Bruchteil dessen, was eine Lehrerin in Deutschland verdient. Sie wird auch einmal nur einen Bruchteil der Rente/Pension bekommen, die sie in Deutschland bekäme. Sie sorgt also erstens privat stärker vor und zweitens haben sie und ihr Mann – wie in Südeuropa üblich – die Wohnung gekauft (in diesem Fall gebaut), in der sie wohnen. Die „Studie“ der EZB wertet sowohl die Wohnung als auch die private Vorsorge als Vermögen, die Rentenansprüche der deutschen Lehrerin aber nicht. So ist meine Schwester plötzlich vermögender als ihre deutsche Kollegin, obwohl sie Zeit ihres Lebens weniger Geld hatte und haben wird.

DER SPIEGEL findet das total richtig. Das ist natürlich schwierig zu verargumentieren, weil man dazu die Realität ausblenden muss, aber einem echten Nachrichtenmagazin, das acht Autoren an eine einzige Geschichte setzen und diese von ihren legendären Dokumentaren checken lassen kann, ist offensichtlich nichts zu schwer. So kommt also dieses Argument zustande:

Bei den Ansprüchen an die staatliche Alterskasse handelt es sich nicht um Vermögensbildung im klassischen Sinne, eher um ein Versprechen, dessen Einlösung fraglich ist.

Doch, das steht im SPIEGEL. Nochmal: In der Realität ist es gerade eher so, dass Menschen in Südeuropa mit „klassischer Vermögensbildung“ bei einer Bank Gefahr laufen, ihr Geld nicht wieder zu sehen, aber beim SPIEGEL behauptet man, Südeuropäer wären reicher als Deutsche, weil die deutsche Rentenversicherung und Pensionskassen nur ein Versprechen sind, dessen Einlösung fraglich ist? Was genau ist dann eigentlich nicht fraglich? Jedenfalls ganz offensichtlich nicht die Immobilienpreise in Südeuropa, denn den Immobilienbesitz rechnet ja DER SPIEGEL voll ein – obwohl es zum Beispiel in Athen gerade fast völlig unmöglich ist, eine Wohnung zu verkaufen.

Für mich ist fraglich, wie weit man sich als SPIEGEL-Redakteur oder -Dokumentar oder -Autor oder -Irgendwas eigentlich verbiegen muss, um unter einem rassistischen Cover eine Lügengeschichte zu basteln, deren Kernargumente so hanebüchen sind, dass es an Recherche nicht mehr bedurft hätte als ein einfaches Öffnen der Augen, um zu erkennen, was für eine alte Scheiße man da erzählen soll. Acht Autoren, unter anderem die Athen-Korrespondentin, die offensichtlich nicht widerspricht wenn man behauptet, Athener wären reicher als Hamburger? Na, danke.

Ich weiß nicht, ob das noch Mascolo zu verantworten hatte, aber meiner Meinung nach reicht es für die Rettung dieses Heftes schon längst nicht mehr, nur einen rauszuschmeißen. Wer verzweifelt zu solchen Mitteln greift, um wenigstens die Aufmerksamkeit der heimlichen Dumpfdeutschen zu wecken, der hat höchstens Verachtung verdient. Denn das es hier keinen journalistischen Antrieb gab, diese Geschichte zu schreiben, ist offensichtlich. Und eklig.

Homophocus

Es gibt Menschen, die spielen großartig Fußball. Und es gibt Menschen, die sind dämlich. Eins ist nicht kausal für das andere, aber beides passiert oft parallel: Während die einen Fußball spielen, nutzen andere das, um sich auf den Rängen oder rund ums Stadion aufzuführen wie Vollidioten – inklusive verschiedener Formen körperlicher und verbaler Gewalt. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes, aber es ist einer seiner eher unangenehmeren Aspekte. Und nach Meinung des Leiters des Ressorts „Debatte“ der Nachrichtenmagazinsimulation Focus ist es eine schützenswertere Form der Selbstverwirklichung als der offene Umgang der Fußballspieler mit ihrer sexuellen Identität. Der Mann heißt Michael Klonovsky, und er argumentiert in der aktuellen Focus-Ausgabe nicht nur dagegen, dass schwule Fußballprofis ihr Coming Out haben sollen, sondern auch gleich dagegen, dass die homophobe Grundstimmung rund um den Profifußball überhaupt ein Thema sein soll.

Das Fußballstadion aber ist eine archaische Sphäre. Auf dem Platz
imitieren Männer das Jagdrudel von ehedem und kämpfen gegen ein
anderes Rudel. Die Ränge bilden den Ort der Parteinahme, der
emotionalen Aufwallung, der Enthemmung, der Triebabfuhr. Das Stadion
gehört zu den raren Klausuren, wo der von Verhaltensvorschriften und
Tabus umstellte moderne Mensch sich noch gehen lassen kann. Die
Fankurve ist die letzte Bastion gegen den Totalitarismus der
Toleranzerzwinger. Hier hüten von den Medien sonst gern übersehene
Normalos das heilige Feuer des temporären Menschenrechts, sich
danebenzubenehmen, zu fluchen, zu höhnen, sich maßlos zu echauffieren
und dem Gegner unzivilisierte Beleidigungen zuzubrüllen.

Da „hineinzumaßregeln“ (was bedeuten würde … ja, was eigentlich? Homophobie als Verein offensiv anzuprangern und abzulehnen?) griffe also in die „temporären Menschenrechte“ ein. Wenigstens auf dem Fußballplatz soll man ihn, den Stellvertreter des Normalos auf Erden, mit diesen Schwulenproblemen in Ruhe lassen.

Homosexuellen-Probleme sind in letzter Zeit in der Öffentlichkeit
ausgiebig behandelt worden: von der Hinterbliebenenrente bis zur
Erbschaftsteuer, vom Ehegatten-Splitting bis zum Adoptionsrecht.
Angesichts der Tatsache, dass die Probleme der Schwulen und Lesben für
die Zukunft dieser Republik eher sekundär sind, vielleicht zu
ausgiebig.

Das gehört nicht nur zum Albernsten, sondern auch zum Schlimmsten, über das ich mich diese Woche aufrege.

Ich ärgere mich in diesem Fall auch über mich selbst, das mal vorweg. Ich bin ein eher behäbiger, heterosexueller Pseudo-Mini-Macho mit viel Unverständnis allem mir Fremden gegenüber. Ich verstehe einen Großteil aller sexuellen Orientierungen und Fetische ohnehin nicht. Ich habe keine Ahnung von schwuler Kultur oder Subkultur. Mir ist sogar unangenehm, dass sich Hape Kerkeling dauernd als Frau verkleidet, obwohl ich nicht einmal weiß, ob das irgendwie damit zusammenhängt, dass er schwul ist. Mit anderen Worten: Es gibt keinen schlechteren Verteidiger der Schwulenrechte als mich. Aber die simple Tatsache, dass es offenbar im 2012 in Mitteleuropa immer noch ein Diskussionsthema ist, wer sein Coming Out haben kann, soll und darf und wer nicht bedeutet, dass wir alle, auch der Allerletzte und Schlechteste – kurz: ich – aufgefordert sind, Typen wie Herrn Klonovsky zu sagen: Das ist eben nicht nur falsch, was Sie sagen, das ist eine alte Scheiße. Stellen Sie das ab!

Aber der Reihe nach: Sport ist die vielleicht großartigste Metapher auf das Leben, die wir haben. Der Kampf um Erfolg, den eigentlich jeder nur gegen sich selbst gewinnen kann. Die Momente der Größe, die Momente der Niederlage. Und die graue Zeit dazwischen. Diese unerklärliche Mischung aus Team-Geist und Egoismus, die Helden auszeichnet. Die Unerklärlichkeit des Lebens, die Zufälle, die Millimeter, die Ungerechtigkeit, das Glück. Wenn da unten Menschen spielen und Millionen dafür bekommen, dann deshalb, weil es so großartig ist, dabei zuzusehen und zu spüren, was das Leben alles sein kann, wenn man dafür kämpft. Was wir alles sein können. Und mehr als das: Was wir sein können, ohne dabei Regeln zu brechen. Innerhalb der Gemeinschaft. Wenn wir Fair Play zur Grundlage jedes Sports machen, dann nicht deshalb, weil es das Spiel spannender macht – sondern weil es das Spiel erst möglich macht. Egal ob ein Fußballspiel mit 55.000 Menschen im Volksparksstadion, die Stadt Hamburg, die Bundesrepublik Deutschland oder den Rest der Welt – all das funktioniert nur, weil es das „temporäre Menschenrecht der Triebabfuhr auf Kosten anderer“, wie es Herr Klonovsky propagiert, eben nicht gibt. Nicht einmal im Debattenressort des Focus.

Die Argumentation des Herrn Klonovsky wäre genauso auch auf ausländische Spieler anwendbar: Wir reden viel über die Probleme von Ausländern in Deutschland, warum sollte man sich da nicht wenigstens im Stadion zu rassistischen Ausfällen hinreißen lassen dürfen? Schließlich passiert das ja. In der Logik des Debattenressortleiters sollte man ausländischen Spielern vermutlich zunächst raten, ihr Ausländischsein zu verheimlichen („Schmink dich doch einfach über, Demba Ba! Und dann nennen wir dich Daniel Bahr!“) und ansonsten die Klappe zu halten. Ich möchte das eigentlich gar nicht Argumentation nennen, sondern das wütende Schluchzen eines frustrierten Reaktionärs nach Kontakt mit diesem ekligen Zeug, das zwölf Monate im Jahr draußen vor der Tür wartet … der Realität.

Um es einmal zu sagen: Wir gehen praktisch alle davon aus, dass Beziehungen, Familie, Ehe – Liebe! – ein zentraler Punkt unseres Daseins auf diesem Planeten sind. Der Default-Modus eines Hotelzimmers ist Doppelzimmer. Von Menschen zu verlangen, sie mögen bitte auf einen zentralen Teil ihrer Existenz verzichten oder ihn zumindest unter extremem Öffentlichkeitsdruck verheimlichen, damit der homophobe „Normalo“ auf der Tribüne nicht ihretwegen sein temporäres Menschenrecht aufs Arschlochsein ausüben muss, ist unmenschlich, unvertretbar und widerlich. Punkt. Ich möchte nicht in der Haut derjenigen stecken, die heute als Fußballer mit sich ringen, ob sie ihr Coming Out haben sollen. Ich kann ihnen das nicht abnehmen. Aber ich kann feststellen, dass die Tatsache, dass es so schwierig ist, eindeutig ein Fehler im System Profifußball ist – und kein Fehler der schwulen Spieler. Ich weiß nicht, wie das letztlich gehen wird, aber: Natürlich müssen wir den Fehler abstellen, nicht die sexuelle Orientierung der Spieler.

Selbstverständlich weiß ich auch, dass die armseligen Gestalten beim Focus solche Dinge nur schreiben, damit sich mal wieder irgendjemand für sie interessiert. Aber, wie gesagt, es geht dabei auch um mich selbst. Ich bin viel zu oft still, wenn Menschen diskriminiert werden, weil ich eben nicht zu der diskriminierten Gruppe gehöre. Und das tut mir leid. Das geht so nicht.

Insofern: Homophobe Arschlöcher aller Länder, verpisst euch aus meinem Stadion!

Geduld mit Rainer Brüderle

Die Geduld mit Griechenland geht zuende, jedenfalls bei dem Fraktionsvorsitzenden der Regierungspartei FDP, Rainer Brüderle (Selbstbeschreibung: Häuptling Silberlocke mit dem iPad).

„Die Berichte aus Griechenland lassen einen wirklich an der Reformfähigkeit des Landes zweifeln“

sagt er laut Spiegel Online.

Nun bleibt es dabei, dass Griechenland erstens das härteste Sparpaket der jüngeren Geschichte mit großem „Erfolg“ durchführt (das Primärdefizit ist dramatisch gesunken, also das, was die Angebots-Ökonomen á la Brüderle angeblich wollen). Was nicht eingetreten ist, ist die zweite sichere Annahme Brüderles: Trotz aller Sparbemühungen ist nicht der Heiland in Form eines Euros scheißenden Schweizer Bankkontotieres der Ägäis entstiegen um die Griechen von ihren Sünden zu befreien, was bei Brüderle die Vermutung bestätigt, der liebe Gott und die Märkte hätten die griechischen Sünden noch nicht vergeben und die Strafe müsse weitergehen. Oder, um es normal zu sagen für alle, die nicht in der FDP sind und deshalb am Konzept „Realität“ festhalten können: Wie jeder Kommentator, der bei Trost ist (ich schließe mich hier mutig mit ein) vorhergesagt hat, sind die Vorgaben an die griechische Regierung von keiner Regierung der Welt zu erfüllen. Es ist unmöglich. Brüderle verliert die Geduld mit der Tatsache, dass sich die Welt den Vorstellungen in seinem Kopf nicht anpassen will. Das ist ein phänomenales Konzept zumindest in der Kommunikation: Es gibt ja niemanden, der ihn daran hindert.

Dabei hat Spiegel Online seit Wochen pausenlos Reporteagen aus den entlegensten Winkeln Griechenlands auf der Seite. Jeden einzelnen Tag wird dort anschaulich beschrieben, unter welchen Härten die Bevölkerung leidet (weil es so großartig ist möchte ich an dieser Stelle trotzdem vor allem auf die grandiose Arbeit von Peter Praschl hinweisen, der die Berichte verschiedener Medien zusammengetragen hat). Was fehlt ist allerdings der offensive Mut, einmal das Offensichtliche auszusprechen: Die Berichte aus Griechenland über die unerträgliche Not der Bevölkerung lassen nicht an der Reformfähigkeit zweifeln (die Leidensfähigkeit übersteigt offensichtlich um ein Vielfaches alles, was in Deutschland durchsetzbar wäre), sie sollten jeden Menschen daran zweifeln lassen, dass diese „Reformen“ funktionieren. Jedenfalls die Menschen, die das nicht längst wussten, weil sie sich für Wirtschaftspolitik in der so genannten „Realität“ interessieren. Dieses Programm, das Brüderle da vertritt, ist direkt verantwortlich für den Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft, sie wird verantwortlich sein für den der spanischen und portugiesichen. Irland und Italien werden ebenfalls lange leiden. Brüderle ist direkt verantwortlich dafür, dass Kinder hungern. Ich verliere die Geduld mit ihm.

Weil ich weiß, welche Einwände jetzt kommen: Nein, „die Griechen“ sind nicht selbst schuld. Die Probleme der Weltwirtschaft sind direkt verursacht von zockenden Bankern (zum Verhältnis: der Markt mit Credit Default Swaps, diesen sinnlosen Verischerungen, die jeder auf fremde Kredite abschließen und sie dadurch auch noch in den Default treiben kann, hat ein Volumen von 60 Billionen Dollar im Jahr. Das ist das BIP der Welt. Der Markt mit Derrivaten, zu denen auch die toxischen CDO gehören, die als eine Art private Nebenwährung die Katastrophe begründet haben, beträgt ZEHNMAL das BIP der Welt. Wer mir erzählen will, die Länder, die durch ihre Bankenrettung plötzlich in den Zinsstrudel geraten sind hätten Fehler gemacht, die so groß waren, dass man deshalb ihre Kinder hungern lassen muss, der hat ganz einfach keine Ahnung von dieser Krise. Abgesehen davon, dass seine moralischen Maßstäbe, freundlich gesagt, nicht ordentlich justiert sind).

Ich frage mich, wann die beiden Seiten in den Medien endlich zusammenfinden: Diese Krise könnte morgen beendet sein. Diejenigen, die das verhindern, darunter unsere Kanzlerin aus falsch verstandenem Hegemonialstreben und, für mich noch schlimmer, die Bankenlobby in Form der FDP, sind schuld an dem Leiden von Abermillionen.