BILD-Reporter gehen dahin, wo es weh tut. Anderen weh tut.

Die Hamburger Senatskanzlei hat mich eingeladen, auf einer Veranstaltung zum Thema „Europa in den Medien“ mit Paul Ronzheimer zu diskutieren, dem Mann, der Griechenland öffentlichkeitswirksam die Drachme zurückgeben wollte („Das wäre auch für unseren Euro das Beste“) und es umschreibt als „Land der Bankrotteure und Luxusrenten, Steuerhinterzieher und Abzocker.“ Natürlich habe ich das sofort zugesagt. Ich würde sehr gern öffentlich mit Paul Ronzheimer diskutieren.

Aber Paul Ronzheimer kneift. Er hat seine Teilnahme an der Veranstaltung wieder abgesagt, als er hörte, dass er mit mir diskutieren soll. Er würde zwar kommen, aber nur wenn jemand anderes da säße als ich. Der Mann, von dem die markigen Zitate oben stammen, ist außerhalb seiner präpotenten Prosa ein kleiner Feigling. Ich habe ihn per Mail gefragt, ob man solche wie ihn im BILD-Stil eher Schiss-Reporter oder Reporter-Schisser nennen sollte – aber er redet ja nicht mit mir.

Dabei ist es keineswegs so, dass er grundsätzlich lässig ignoriert, was über ihn geschrieben wird. Wenn er meint, sachliche Fehler in einem Beitrag über sich entdeckt zu haben, dann schickt er auch schonmal Richtigstellungen an Blogger mit dem Hinweis, ihn doch beim nächsten Mal direkt zu fragen. Er Antwortet auch auf Fragen, die ihm Menschen auf Facebook schicken. Auf eine kritische Frage von mir reagiert er dann allerdings nicht mehr.
Paul Ronzheimer hat sich für die Veranstaltung einen angenehmeren Gegenüber erbeten, und er kriegt ihn offenbar. So kann er dann wieder Geschwurbsel abgeben wie im Studenten-Magazin Campus der Zeit, das ihn zu den demütigenden Bildern fragt, auf denen er alten, verzweifelten Omis auf dem Athener Omonia-Platz Drachmenscheine in die Hand drückt wie der reiche Onkel aus Amerika:

Ronzheimer: Ich habe viel darüber nachgedacht, und es war sicherlich Boulevard an der Grenze. Meine Idee war: Griechen auf der Straße zu fragen, was sie über eine Rückkehr zur Drachme denken. Dazu kam das Foto mit mir und den Scheinen in der Hand. Ja, das hat polarisiert. Die Entwicklung ein Jahr später gibt uns aber in der kritischen Haltung zu den Hilfsmaßnahmen recht.

Wenn er das glauben würde, könnte er es diskutieren. Aber natürlich weiß er, dass selbst wenn er inhaltlich recht hätte (hat er nicht), es nicht darum geht, sondern um die Frage, ob man als Journalist für billige Witze leidende und verängstigte Menschen demütigen und beleidigen darf. Er meint: ja, darf man – will da aber nicht öffentlich mit jemandem drüber sprechen, von dem er weiß, dass er kritischere Fragen zu erwarten hat, die er nachträglich nicht mehr redigieren kann. Etwas armseligeres habe ich von einem Erwachsenen noch nie erlebt, glaube ich. Meine beiden kleinen Töchter stehen männlicher erwachsener zu dem, was sie anstellen.

In dem Zeit Campus Interview erklärt Ronzheimer noch, warum er sich oft gerne die Zeit nimmt, Menschen zu erklären, dass BILD ja eigentlich gut ist. Ich möchte das ganz kurz wiederholen, weil es als Argumentation sehr originell ist: Ronzheimer meint, dass was er macht gut ist, weil ja die BILD gut ist. Nun ist er vielleicht nicht das schärfste Messer im Block und offenbar kein Intellektueller, aber was muss man rauchen, um so etwas zu glauben? Es ist natürlich so: Ich glaube nicht einmal, dass die BILD gut ist – aber wenn sie es wäre, dann wäre es Ronzheimer noch lange nicht.

Er ist stattdessen der Reporter-Schisser. Nicht nur schlecht, sondern auch noch feige.

 

Korrektur: Ich habe nach einigen richtigen Hinweisen das falsche Adjektiv „männlicher“ gegen das korrektere „erwachsener“ getauscht. Meine Töchter sind natürlich nicht männlicher, sondern mutiger, stärker und lässiger. Leider alles nicht abgedeckt durch „männlich“, sonst wäre ich das ja auch.  

Jetzt doch: Kostenlos-Kultur im Netz – die deutsche Huffington Post

Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mich nicht provozieren zu lassen von der deutschen Huffington Post, die ich in praktisch jeder Hinsicht für unsäglichen Müll halte, aber wie das so ist: Nachdem nun die wenigen an sich normalen unter den Menschen, die für die deutsche „HuffPo“ schreiben, anfangen sich zu rechtfertigen (z.B. Nico Lumma hier und Karsten Lohmeyer hat gleich seinen bisher einzigen HuffPo-Beitrag zum Thema „Rechtfertigung für seinen bisher einzigen HuffPo-Beitrag“ geschrieben), fühle ich mich genötigt, ein paar Logikprobleme anzusprechen.

Kurz die Ausgangslage: Die deutsche Huffington Post will eine neue Form Journalismus bieten, an der vor allem neu ist, dass es für die Beiträge kein Honorar gibt. Stattdessen könnten Autoren die Reichweite der Plattform nutzen, auf sich Aufmerksam zu machen. Die Rechte an dem Text gehen dabei an die HuffPo (der Autor braucht eine Genehmigung, wenn er ihn z.B. auf seinem eigenen Blog auch nochmal veröffentlichen will), Kosten eventueller Rechtsstreitigkeiten bleiben am Autoren hängen.

Nico Lumma findet das irgendwie normal und nicht viel anders, als wenn er einen Gastbeitrag für die FAZ schreibt und wenn ich ihn richtig verstehe nicht einmal viel anders, als wenn er in seinen eigenen Blog schreibt. Karsten Lohmeyer findet das eine neue Art von Journalismus und zumindest das Experiment wert und „bettelt“ (das schreibt er) am Ende des Artikels um bezahlte Aufträge oder zumindest darum, ihm auf Twitter zu folgen.

Ich finde, beide haben Unrecht und die Huffington Post ist in jeder Hinsicht eine Zumutung.

Und das hat ein paar sehr einfache Gründe: Die US-amerikanische Mutter der deutschen HuffPo (bei der Arianna Huffington die Herausgeberin ist und nicht Cherno Jobatey) war eine Antwort auf die durchgedrehte rechte Blogszene der Staaten. Sie bündelte politisch liberale Stimmen als Gegengewicht. Weil sie dabei immer erfolgreicher wurde, entwickelte sich daraus das Geschäftsmodell mit der unbezahlten Arbeit. Die deutsche HuffPo beginnt gleich mit dem Geschäftsmodell und lässt die Politik weg. Nico Lumma sieht in der Gründung dann auch den Versuch, eine Meinungsplattform zu etablieren. Ich kann das nicht erkennen. Ich sehe den Versuch, ein billig produziertes Anzeigenumfeld zu basteln. Das ist ein fundamentaler Unterschied, weil der Unternehmung die innere Zielsetzung fehlt. Sie ist ausschließlich funktional interessiert. Ich möchte das mal an einem Bild durchdeklinieren.

Nehmen wir an, ich wäre ein Journalist und würde für die HuffPo schreiben dürfen. Eine Bezahlung bekomme ich nicht, mein Honorar ist nur die Aufmerksamkeit, die ich generiere. Diese Aufmerksamkeit kann ich dann möglicherweise woanders zu Geld machen. Dadurch passieren zwei Dinge: Erstens mal muss ich versuchen, so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu generieren. Ich werde also jedes Mittel wählen, meine Geschichte so dramatisch wie möglich zu erzählen. Als Beispiel bietet sich wieder Lohmeyer an, dessen Überschrift ist „Steinigt mich, ich schreibe für die Huffington Post“. Und was für die einzelnen Geschichten gilt, gilt auch für die ganze Seite, die auf eine noch hässlichere Art aufgeregt ist als Rainer Brüderle am Veggie-Day. Bei näherer Betrachtung ist auch klar, warum das gar nicht anders sein kann: Wenn die deutsche HuffPo keine Agenda hat sondern nur ein Unternehmen ist, aber die meisten Autoren nicht in Geld bezahlt werden, sondern in Werbefläche für sich oder ihre Sache, dann besteht das Medium letztlich aus nichts als aneinandergeklatschten Anzeigen. Das ist nicht „Journalismus 3.0“, wie Lohmeyer es nennt, es ist haargenau das Gegenteil: Journalismus definiert sich ziemlich genau dadurch, dass er eben nicht den Inhalt des Berichts davon abhängig macht, was die Folge des Berichtes ist. Wenn ich einen Text schreibe, um damit eine bestimmte Handlung zu bewirken, ist es Werbung. Wenn ich einen Text schreibe, damit mich jemand anders bucht, für ihn einen Text zu schreiben oder einen Vortrag zu halten, dann ist es Werbung und nicht Journalismus, auch nicht Punkt null (ich möchte übrigens nie wieder hören, irgendwas wäre irgendeine Zahl Punkt null. Ich finde das affig).

Dabei ist dann auch klar, warum es sich hierbei eben nicht um ein System handelt, indem der klassische Gastbeitrag zur Regel erhoben wird. Ein Gastbeitrag setzt eine Struktur voraus, in der der Gast die Ausnahme ist – die unabhängige Stimme. Nico Lumma zum Beispiel ist eine solche unabhängige Stimme, und er erhebt sie regelmäßig zum Beispiel auf seinem Blog. Er schreibt dort und für die HuffPo, weil er bestimmte Vorstellungen davon hat, wie die Welt sein sollte, und dafür hat er natürlich lieber viel Publikum als wenig. Das ist alles gut. Aber kein Journalismus, sondern politische PR. Da habe ich überhaupt nichts gegen, ich bin sogar sehr oft seiner Meinung (Disclosure: Ich war ein paar Jahre lang gemeinsam mit ihm in der SPD), aber es ist Werbung für eine (wenn auch gute) Sache. Das kann nicht die Zukunft des Journalismus sein, weil es eben kein Journalismus ist. Wenn diese Art Beiträge aber das Herz der HuffPo sind (garniert von ein paar aufgebohrten Agenturmeldungen. In dem Moment, wo ich das hier schreibe, ist der Aufmacher unter einer Überschrift von der Größe eines Scheunentores eine eher schmierige dpa-Geschichte über die Quadratmeterzahl der Dienstwohnungen deutscher Bischöfe), dann ist das Herz der HuffPo PR und nicht Journalismus.

Und der nächste Schritt ist dann der allerwitzigste: Wenn die HuffPo-Macher Journalisten auffordern, das Schreiben für die HuffPo als Werbung für sich selbst zu betrachten, dann müssen sie nach der unternehmerischen Logik davon ausgehen, dass diese Autoren die Arbeitszeit als Werbekosten verstehen. Und Werbekosten müssen von irgendwem bezahlt werden, denn Kosten bleiben sie ja. Das Geschäftsmodell der HuffPo ist also, dass andere, klassische im Sinne von: bezahlende Medien indirekt (Lohmeyer schreibt „über Bande“) für den „Journalismus 3.0“ der HuffPo bezahlen. Uncooler geht es gar nicht, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass die deutsche HuffPo dafür mit dem Burda-Verlag kooperiert, der so die Zerstörung seines eigenen Geschäftsmodells querfinanziert.

Das also bleibt: Die HuffPo will sich inhaltlich bestückt sehen von Leuten, die eine Werbebotschaft haben für ein – irgendein – Ziel, im Zweifel für die eigene Dienstleistung. Dabei müssen sie auch noch die Rechte an ihren Werken aufgeben. Dabei gehen die Macher explizit davon aus, dass ihre Autoren von anderen bezahlt werden. Dass ein solcher Autor per Definition eigentlich nie die innere Unabhängigkeit haben kann, die einmal die mentale Voraussetzung für Journalismus war, ist offensichtlich. Und dann führt es auch noch dazu, dass die Geschichten in ihrem Kampf um Aufmerksamkeit schreiend, blinkend und aufgetakelt daherkommen wie Olivia Jones nach zehn Herrengedecken.

Nein, ich bin nicht dafür. Ich halte das für ein obskures Unterfangen, das im US-Kontext möglicherweise sinnhaft begonnen hatte (inzwischen ist das auch nur noch eine hässliche Sammlung völlig übergeigter Überschriften und mäßig relevanter Youtube-Videos) aber hier selbst im besten Fall überwiegend, eigentlich möchte ich sagen: praktisch ausschließlich destruktive Wirkung entfalten kann und wird. Für keinen einzigen Journalisten wird es sich lohnen, kostenlos für die HuffPo zu schreiben, stattdessen wird es höchstens eine Abwurfstelle für professionelle, anderweitig bezahlte Meinung-Haber und -Äußerer sein.

HuffPo, mach es dir doch einfach selbst.

 

PS. Um das ganze noch ein bisschen meta zu machen freue ich mich, dass die Kollegen von Carta diesen Beitrag crossposten. Das ist nämlich der Unterschied: Ich kann hier machen, was ich will – und es gehört mir auch hinterher noch. Die Redaktion von Carta kann kuratieren, was zu ihrer Linie passt, und ich kriege ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für mein Weltbild. So wird ein Schuh draus. Allerdings natürlich auch kein Geschäft.

Lieber Journalismus, wir müssen reden

Die Branche, jeder weiß das, ist durch und durch korrupt. Fast kann man sagen, dass es schon eher die Ausnahme ist, wenn irgendwo das drinsteht, was außen angepriesen wird. Die Produkte sind oftmals unter nachlässigsten Bedingungen produziert, von Menschen, die gerade noch so das Nötigste dafür bekommen, an Mitteln und an Bezahlung. Quantität geht weit über Qualität, und der allergrößte Teil der Kundschaft ist ohnehin an nichts interessiert als daran, möglichst nichts für die Produkte zu bezahlen. Und obwohl neue Technik das gesamte Gewerbe in den letzten Jahrzehnten revolutioniert hat, werden nicht nur die Möglichkeiten kaum ausgeschöpft, selbst althergebrachte Standards werden pausenlos unterlaufen: weil es alle machen; weil die Ausbildung so schlecht ist, dass an sich Ungeheuerliches normal erscheint; oder weil echte Kriminelle am Werk sind. Allen Sonntagsreden zum Trotz verschwinden die letzten verbliebenen Qualitätsproduzenten von diesem Scheiß-egal-Markt, weil niemand ihre Arbeit honoriert. Es könnte sein, dass bald kein einziger mehr übrig ist. Das ist nicht einmal unwahrscheinlich.

Die Rede ist von Olivenöl, dem eigentlich schönsten Produkt der Welt. Wovon denn  sonst?

Bleiben Sie kurz bei mir: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift BEEF ist eine Geschichte, die ich geschrieben habe, über Olivenöl. Oder, wenn man es genauer nimmt, über die Suche ganz verschiedener Männer nach dem besten Olivenöl der Welt – weil wir in Wahrheit nach Jahrtausenden erst langsam in die Position kommen, das ganze Potenzial dieses einzigen Fruchtsaftes unter den Ölen wirklich auszuschöpfen (Olivenöl war über Jahrtausende zwar wertvolle Medizin, Brennstoff und rituelle Substanz, aber keine Nahrung. Es war bis zur Einführung der Zentrifuge in die Mühlentechnik in den Siebzigerjahren sowieso von Anfang an ranzig).
Die Recherche für diese Geschichte begann vor anderthalb Jahren, als ich Conrad Bölicke kennenlernte: Wahrscheinlich der deutsche Olivenölpapst, in jedem Fall ein Mann, der unvorstellbar viel über die Materie weiß. Vor 18 Jahren hat er eine Firma gegründet, die Spitzenöle kleiner, feiner und wie ich gleich noch erläutern werde auch sonst besonderer Produzenten direkt vermarktet. Das System funktioniert in etwa so: Er bezahlt den Produzenten mehr, als sie beim Verkauf an die üblichen Konzerne verdienen würden, und über die Direktvermarktung bleiben die Öle trotzdem für die Endkunden bezahlbar.

Das ist der erste Schritt. Es kommen zwei noch wichtigere: Zum einen bietet das Konzept die Möglichkeit, dass die Kunden die Produzenten (medial und bei Veranstaltungen auch direkt) selbst kennenlernen können. Und zweitens verpflichtet sich jeder Produzent einem großen Ziel: Immer besser zu werden. Denn tatsächlich gibt es immer noch keine Olivenfachschulen in Europa, werden die Mühlen immer noch betrieben von Mechanikern, die viel über Maschinen wissen und wenig über Oliven, und gleichzeitig denkt jeder Grieche, Spanier und Italiener, er oder zumindest sein Onkel machten ohnehin das beste Öl der Welt, zu lernen gäbe es da nichts mehr. Deshalb braucht es die besonderen Produzenten: Sie stellen sich zunächst mal gegen eine ganze Kultur. Im Ernst und bei allerZurückhaltung: Die Geschichte in BEEF ist wirklich ganz interessant.

Aber mich beschäftigt dabei noch etwas anderes: Die Art und Weise dieser Männer, mit der (ewigen) Krise ihrer Branche umzugehen. Sie machen nämlich die Dinge ganz einfach so, wie sie sein sollten: Sie stellen die höchste Qualität her, verbessern sich dabei trotzdem immer weiter und finden die Kunden, die tatsächlich bereit sind, für die ehrliche Qualität zu bezahlen. Das ist das eine. Das andere ist: Alle Kunden, die nicht bereit sind dafür zu bezahlen, fressen den Scheißdreck, der als Olivenöl verpackt im Supermarkt steht.* Mir persönlich kommt das bekannt vor: Es ist der Weg, der im Journalismus seit Jahren behauptet wird. Aber so wenig, wie aus minderwertigem Lampantöl „Extra Vergine“ wird, nur weil man in Brüssel so lange lobbyiert, bis es legal ist (doch!), so wenig wird aus Quatsch „Qualitätsjournalismus“, nur weil man es behauptet.

Aber das ist nur der erste Gedanke, das erste Gefühl, das auftaucht, wenn man in einem Olivenhain in der Nähe von Korinth steht, über das Land sieht und fast schon körperlich spürbar all das einatmet, was der Olivenbaum und seine Frucht bedeuten. Sie sind in jeder Hinsicht Nahrung, sind Kulturgut, das Symbol und gleichzeitig die Erfüllung dessen, wofür es steht: Nahrung und Lebensgrundlage, gleichzeitig prägend für und geprägt von ihrer Heimat. Ihre Geschichte ist so reich, dass man praktisch jede andere Geschichte der Welt damit verknüpfen kann. Man könnte die ganze Geschichte der südeuropäischen Krise an der Olive entlang erzählen, wenn man wollte. Natürlich könnte man das: Sie ist das wahre Leben. Es macht einen Unterschied, ob es den Oliven gut geht oder nicht. So wie es für die Menschen einen Unterschied macht, ob sie echtes, ehrliches Olivenöl essen oder nicht**.

So wie es für die Verfasstheit jeder Gesellschaft wichtig ist, dass die echten, ehrlichen Informationen fließen. Die Frage, die sich dabei aufdrängt – mir aufdrängt – ist: Sind Journalisten da noch die richtigen? Wenn diese Männer, Conrad Bölicke zum Beispiel, oder Dimitrios Sinanos, der Olivier in Korinth, wenn sie ihr Produkt herstellen, dann machen sie den Boden besser. Wenn sie es verkaufen, machen sie ihr Dorf besser, ihre Gemeinde, sie machen das Leben ihrer Kunden besser. Und wenn sie darüber reden, wie und warum sie es machen, dann transportieren sie Werte, die nach meiner Erfahrung in meiner Branche, dem Journalismus, in den vergangenen Jahren immer lauter behauptet und immer weniger gelebt wurden.

Ich habe nichts anderes gelernt als meinen Beruf, deshalb kam es für mich sehr überraschend, als Conrad mich vor kurzer Zeit gefragt hat, ob ich in meinem Leben nicht noch einmal etwas Vernünftiges machen will: das, was er macht. Wenn man ihn fragt dann heißt das eigentlich: Die Welt ein bisschen mehr so machen, wie sie sein sollte.

Journalist bleibt man ja irgendwie für immer. Ich auch. Aber jetzt eben vor allem im Herzen, in der Realität nur in sehr ausgewählten Fällen.***

Wenn Sie, wenn Ihr, aber ein echtes, ehrliches, großartiges, aufregendes, besonderes Olivenöl sucht – und das sollte jeder tun –, dann gerne bei arteFakt, denn da bin ich ab sofort und verbinde meine Liebe zum Mittelmeer, zum Essen, zur Kultur und nicht zuletzt auch irgendwie die zur Kommunikation mit meinem Lebensunterhalt.

Ich werde an dieser Stelle davon berichten. Wünscht mir Glück.

HainKlenia

 

*(und damit meine ich nicht nur die ganzen Öle, die in den Tests durchfallen. Selbst die besseren Supermarktöle sind regelmäßig nur durch die lächerliche EU-Olivenölverordnung überhaupt legal als „extra nativ“ im Handel. In Wahrheit ist das sehr oft minderwertiger Schmodder).

**(all die Wunder, die Olivenöl in Bezug auf Herz und Gefäße zugesprochen werden sind wahr – wenn man gutes Öl isst. Und Öl kann noch viel mehr).

***(das sind zunächst mal meine Kolumnen in GQ und Emotion, zwei Redaktionen, denen ich sehr dankbar bin und die meinen Schritt mit amüsiertem Interesse verfolgen).

 

Für diesen Text bin ich aus der SPD ausgetreten

In der dunkelsten Stunde der letzten Jahrzehnte in den Beziehungen zwischen den Ländern, die ich beide Heimat nenne, konnte man das wenige, was leuchtete, besonders gut erkennen. In einem Moment im Frühjahr 2010, in dem in Griechenland die Moral der Bevölkerung am Boden lag, in dem die vielen persönlichen Katastrophen des finanziellen Bankrotts sich mit der großen, nationalen Schande des Versagens der Organe der Gesellschaft mischte, in dem sich zu dem Schaden noch die Demütigung mischte, schickte der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert seinem griechischen Amtskollegen einen aufmunternden Brief, in dem er Respekt ausdrückte vor der gigantischen Anstrengung, die das Land unternahm. Respekt. Vor Menschen, die leiden. Die Schwierigkeiten zu überwinden haben. Norbert Lammert schrieb auch, dass wahrscheinlich mancher hämische Kommentar in deutschen Medien unterblieben wäre, wenn Deutschland ähnliche Herausforderungen zu meistern hätte wie das gigantische griechische Sparpaket mit seinen brachialen Einschnitten. Respekt.

Ich erinnere mich sehr gut an diesen Moment. In dem damals herrschenden Trommelfeuer der Demütigungen, die auf Griechen auch in Deutschland niederprasselten, war das ein kurzer Augenblick des Aufatmens. Wir Griechen hier haben uns selten beschwert, weil wir immer mit dem Bewusstsein beladen sind, dass es uns ja nicht wirklich schlecht geht. Schlecht geht es meiner Schwester in Athen, die mit so viel weniger auskommen muss. Meiner Tante, deren Töchter ausgewandert sind, weil es zuhause keine Arbeit gibt. Den Millionen, die nicht wissen, wie lange sie noch in ihrer Wohnung bleiben können, wo sie sonst hinsollen, was es morgen zu essen gibt. Wir Griechen in Deutschland stehen nicht wie zehntausende in Athen bei den Suppenküchen an, aber das heißt nicht, dass wir hier die Beleidigungen nicht gehört und gelesen haben, die Verzerrung der Wahrheit, die Lügen, den Hohn, den Hass. Jeder einzelne von uns mit einem griechischen Namen hat im besten Fall nur jeden Tag schlechte Witze gehört, immer und immer wieder, im schlechteren Fall auch Schlimmeres. Als leidlich öffentlicher Grieche war mein Mail-Eingangsfach da wahrscheinlich ziemlich repräsentativ. Ständiger, dauernder Hohn tut weh. Er schmerzt besonders, wenn er auf Lügen beruht, wie in diesem Fall. Auf der Kampagne der BILD-Zeitung zum Beispiel, deren Hetz-Kampagne man in dem Leitsatz zusammenfassen könnte, für die Rettung Griechenlands „sollte uns jeder Euro zu schade sein“. Wie gesagt, man könnte sie so zusammenfassen, wenn die BILD es nicht selbst schon getan hätte. Rolf Kleine hat das so in der BILD geschrieben, nur natürlich in Versalien. Für die Rettung „sollte uns JEDER EURO zu schade sein“.

Rolf Kleine ist der neue Sprecher des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

Lammerts Brief, jenes kurze Aufblitzen von Respekt gegenüber den von der BILD längst entmenschlichten „Pleite-Griechen“, für deren Rettung JEDER EURO zu schade sein sollte, kam von einem politisch ziemlich unabhängigen Geist. Denn es war einigermaßen klar, dass deutsche Mandatsträger, die nicht im Gleichschritt mit Springers Propaganda auf die Griechen eindroschen, mit schlechter Presse zu rechnen hatten. FDP-Hinterbänkler wie der im wahren Leben fast karikaturesk unwichtige Frank Schäffler wurden von BILD zu „Finanz-Experten“ aufgeblasen, wenn sie den Verkauf griechischen Territoriums forderten (arme Länder haben in der FDP-Logik offenbar kein Anrecht auf Staatsgebiete), und so hochgeschrieben, dass zum Beispiel Schäffler sich zwischenzeitlich selbst super genug vorkam, um seine ganze Partei per Mitgliederentscheid zum Massenselbstmord aufzufordern (oder so ähnlich, ich will mich da gar nicht genauer dran erinnern). Gleichzeitig waren selbst deutsche Botschafter vor dem Zorn der BILD nicht sicher und wurden niedergeschrieben, wenn sie nett zu Griechen waren.*
So traf es auch Lammert. Natürlich ist es selbst für die BILD-Zeitung schwierig, Menschen dafür zu kritisieren, dass sie andere Menschen wie solche behandeln, selbst wenn es nur Pleite-Griechen sind. Deshalb musste der mit dem Gegenangriff beauftragte Redakteur, der Leiter des Parlamentsbüros Rolf Kleine, zunächst einmal die Realität verändern und behaupten, Norbert Lammert habe sich bei den Pleite-Griechen für die Berichterstattung in deutschen Medien entschuldigt.

Ganz Europa sorgt sich über die desaströse Finanzlage Griechenlands und die Stabilität des Euro – und was macht unser Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU)?

Er entschuldigt sich in einem Brief an den griechischen Parlamentspräsidenten Philippos Petsalnikos für „manche hochmütige Aufforderung deutscher Politiker zur Kurskorrektur“ und „hämische“ Kommentare „in deutschen Medien“.

ABER WEN MEINT ER DA BLOSS?

Doch wohl nicht etwa die Forderung von Politikern in BILD-Interviews, dass Griechenland auch Staatseigentum privatisieren solle – zum Beispiel Inseln?

Und später im selben Text

Und zum Lob für die Griechen. Lammert schreibt („Sehr geehrter Herr Präsident“): „Mir imponiert der Ernst und der Mut, mit dem verantwortliche Politiker in Ihrem Land nun an jahrelang verschobene und verdrängte Probleme herangehen.“

Damit meint er wohl: Korruption, unglaublichen Schlendrian und die Verschwendung von Milliardenbeträgen…

Selbst die Anrede „Sehr geehrter Herr Präsident“ für einen griechischen Parlamentspräsidenten ist Kleine offensichtlich zuviel des Respekts für einen dieser … dieser … wie würde Kleine sie nennen? Was genau denkt man über die Menschen eines natürlich armen aber doch immerhin demokratischen europäischen Landes, wenn man der Meinung ist, der Parlamentspräsident verdiene eigentlich die Anrede „Sehr geehrter Herr Präsident“ nicht? Ich will mich nicht in einer Klammer in einem einzelnen Text verhaken, aber ehrlich: Was genau ist an dieser Haltung nicht schlicht und einfach Hetze?

Aber was genau erwarte ich von einem der Autoren des Instant-Klassikers des modernen Hetzjournalismus mit dem Titel „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen… und die Akropolis gleich mit!“ Doch, auch dieser Text ist von Kleine als einem von drei unterzeichnenden Autoren. Er enthält auch die Sätze „Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.“

Dieser Rolf Kleine ist jetzt Sprecher von Peer Steinbrück.

Die Botschaft seines Briefs an Lammert damals jedenfalls war klar: Wer als Politiker in Deutschland damals auch nur so viel Respekt für einen Griechen zeigt, dass er ihn mit seinem korrekten Titel anspricht anstatt mit „Pleite-Grieche“, der wird von den Meinungs-Schlägern der BILD-Kommentarspalte niedergemacht und muss mit ihrer Feindschaft rechnen. Es reichte ihnen einfach nicht, einen Hetzmob gegen die Pleite-Griechen aufzuführen, sie mussten auch noch die Ersthelfer bedrohen, die wenigstens ein bisschen Linderung bringen wollten. Jeder Hauch, jeder Anschein von Respekt für diese … diese Art Wesen, die ein Pleite-Grieche noch ist, musste unterbunden werden. Und diesen Job übernahm hier Rolf Kleine.

Rolf Kleine ist der neue Sprecher des Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und damit auch einer seiner wichtigsten Berater. Ganz offensichtlich hat die Panik Peer Steinbrück in dieser Phase des Wahlkampfes ergriffen, in dem es für ihn eher schlecht läuft, und er hat sich einen – wie sagt man? Haudegen? Mann fürs Grobe? Kommunikationsexperten? – jedenfalls Rolf Kleine ins Team geholt, obwohl das, wofür Kleine zum Beispiel in Fragen der Euro-Rettung steht, in Inhalt und Form nicht mit dem übereinstimmt, was Sozialdemokraten in diesem Land sonst so tun. Für Peer Steinbrück darf man ganz offensichtlich ein Schwein sein, so lange man sein Schwein ist. Ich finde diesen Zynismus unerträglich.

Jetzt kommt der Satz, für den ich aus der SPD ausgetreten bin:

Ich möchte nicht, dass Peer Steinbrück Bundeskanzler wird – weil ich ihn wegen der zynischen, „der Zweck heiligt die Mittel“-pragmatischen, die sozialdemokratischen Tugenden verachtenden Entscheidungen, die er hier unter Druck trifft, für ungeeignet halte, das Land zu führen.

Selbstverständlich würde ich von jedem Genossen, der so etwas denkt erwarten, dass er es zumindest bis nach der Wahl bitte höchstens im kleinen Kreis äußert. Öffentlich wäre so ein Satz, von einem Genossen ausgesprochen oder wie hier öffentlich geschrieben, aus meiner Sicht parteischädigend. Das gehört sich nicht. Es ist unsolidarisch. Ich würde einen solchen Genossen zur Ordnung rufen und ihn bitten, bis nach der Wahl einfach ein bisschen still zu sein. Alle anderen Genossen arbeiten so hart an dem Erfolg, dass es unfair ist, ihn durch solche Alleingänge zu beschädigen. Das finde ich tatsächlich. Und halte mich selbst nicht dran.

Denn in diesem ganz bestimmten Fall kann ich nicht schweigen. Ich kämpfe seit Jahren öffentlich gegen Typen wie Rolf Kleine. Ich kann nicht monatelang darüber schweigen, dass ein Mann, der dann auch mit meiner Unterstützung Kanzler der Bundesrepublik werden will, sich einen Mann ins Team holt, der genau das tut, was ich bekämpfe.

Deshalb bin ich aus der Partei ausgetreten, die ich nach wie vor für das Beste halte, was diesem Land politisch in den letzten 150 Jahren passiert ist. Die SPD ist Teil des demokratischen Rückenmarks dieses Landes, mit hunderttausenden großartigen Genossen, die für ein einziges Ziel in die Partei eingetreten sind, nämlich daran zu arbeiten, dass dieses wunderbare Land immer noch besser wird. Und in 150 Jahren stand diese Partei am Ende doch immer auf der richtigen Seite, auch das ist etwas, das man erstmal schaffen muss. Die Ziele der Sozialdemokratie sind gleichzeitig visionär und an den Realitäten orientiert, und deshalb in jeder Zeit wieder aufs Neue geeignet, die Veränderung hin zum Besseren zu unterstützen. Außerdem muss man sich ja irgendwo engagieren, nur meckern hilft ja nicht, und da kann man es wirklich schlechter treffen als bei der SPD (hatte ich Frank Schäffler erwähnt?). So viel dazu.

Das ist mein Dilemma. Ich kann nicht schweigen an diesem Punkt. Seit dem öffentlichen Ausbruch der griechischen Krise arbeite ich politisch engagiert und sehr öffentlich daran, die deutsch-griechischen Beziehungen zu erhalten, zu retten und neu aufzubauen, vor allem dadurch, dass ich die Lügen, die absichtlichen und unabsichtlichen Fehler und Fehlinformationen bekämpfe, mit denen im Großen wie im Kleinen das, womit ich mich als geborener Europäer verbunden fühle, zerstört wird. Rolf Kleine ist in dieser Auseinandersetzung genau die andere Seite. Ich werde keine Sekunde lang mit ihm gemeinsam Wahlkampf für einen Mann machen, der glaubt, dass es okay ist, Rolf Kleine zu einem wichtigen Mitglied im Team zu machen. Ich könnte das vor mir selbst nicht rechtfertigen. Aus einem einzigen Grund: Es wäre falsch.

Gleichzeitig möchte ich aber auch sagen, was dieser Text alles nicht ist: Er ist kein Hinweis auf eine Stimmungslage irgendwo innerhalb der Partei in Hinblick auf den Kandidaten Peer Steinbrück. Die einzige Stimmung, die er zeigt, ist meine.

Ich bin mir außerdem sicher, dass es viele geben wird, die mich erstens für naiv und zweitens für einen beleidigten Griechen halten werden. Das bleibt ihnen überlassen, aber meine Erfahrung sagt mir ganz persönlich, dass der weit, weit, weit überwiegende Teil von Politik in meiner ehemaligen Partei von Menschen mit klaren Werten und klaren Grenzen gemacht wird, die eben nicht alles mitmachen, nur um Macht zu erlangen oder zu erhalten. Und ja, es ist ein Zufall, dass es gerade mein politisches Thema der letzten Jahre ist, bei dem Kleine sich aus meiner Sicht zu einem in Inhalt und Form unsäglichen Hetzer aufgeschwungen hat, aber ich finde nichts falsches daran, dass ich als Deutsch-Grieche die deutschgriechischen Beziehungen zu meinem Thema gemacht habe. Ich finde es auch nicht zu viel verlangt, dass ein SPD-Kanzlerkandidat eben keinen Hetzer zum Sprecher macht. Man schränkt die Auswahl nicht unerträglich ein, wenn man verlangt, dass ein potenzieller Regierungssprecher wenigstens den Parlamentspräsidenten befreundeter Staaten nicht absprechen sollte, dass man sie mit „Sehr geehrter Herr“ anspricht (sofern sie Männer sind).

Es tut mir wahnsinnig weh, mein politisches Engagement in der SPD zu beenden. Ich habe viel Zeit und Kraft hinein investiert. Ich habe großartige Menschen aus allen Bereichen des Lebens kennengelernt, wo gibt es das denn sonst noch? Ich musste jetzt gleichzeitig als Distriktsvorsitzender des schönsten Hamburger Distriktes zurücktreten, Altona-Altstadt, einem Distrikt mit einer großen und stolzen sozialdemokratischen Tradition. Ich lasse also auch organisatorisch eine Lücke, die nun andere schließen müssen, die selbst schon genug zu tun hatten. Auch das schmerzt und tut mir leid. Aber ich habe Grenzen.

Lieber wäre mir gewesen, Peer Steinbrück hätte welche.

*Lustige Geschichte: In der Tiefgarage des Hauses, in dem der griechische Botschafter in Berlin lebt, fotografierte in der Zwischenzeit ein BILD-Mitarbeiter geparkte Luxusautos in der Hoffnung, eins davon gehöre dem Botschafter. Da könnte man doch noch eine Verschwendungsgeschichte draus machen! Leider gehörten die dann alle einem Händler, der auch im Gebäude wohnte.

Jetzt live: Abschalten

Wenn die Journalistin Danae Coulmas sich in Athen oder Thessaloniki in ein Taxi setzte, dann passierte es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder, dass der Fahrer sie an ihrer Stimme erkannte. Und sich bei ihr bedankte. Denn Danae Coulmas war während der Jahre der griechischen Obristen-Junta eine der wenigen Stimmen der echten, freien Information gewesen, die es noch gab. Sie war Radiojournalistin beim staatlichen Rundfunk, und die Menschen hörten ihre Sendung, um herauszufinden, was tatsächlich in der Welt los war. Und im diktatorisch regierten Griechenland. Denn sie sendete aus Westdeutschland: Danae Coulmas war beim griechischen Dienst der Deutschen Welle. Griechenland selbst hatte in dieser Zeit keinen unabhängigen Rundfunk. Und für viele Griechen ist bis heute die Deutsche Welle (und damit – in diesen Tagen mag das für manche unerwartet sein – auch Deutschland an sich) ein echter Freund im Kampf für die Freiheit.

Coulmas, die ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Junta 1975 in den griechischen diplomatischen Dienst eintrat und später als Dichterin und Übersetzerin viel größeren Ruhm erlangte, ist im vergangenen Jahr für ihre Verdienste um die Kultur gewürdigt worden. Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigen hingegen, wie schnell es geht, dass „unabhängige“, zumindest unabhängig berichtende Medien ab-, aus- oder gleichgeschaltet werden. In Griechenland ist seit gestern Nacht der Staatsrundfunk ERT mit seinen Fernseh- und Radioprogrammen nicht mehr auf Sendung. Die Regierung hat ihn abgeschaltet, weil er zu teuer war.

Die Erfahrung zeigt, dass wenig auf der Welt wertvoller ist als eine funktionierende Demokratie, und für eine funktionierende Demokratie ist der freie Fluss der Information konstituierend. Nur ein informierter Bürger kann eine sinnvolle Entscheidung treffen. Insofern ist das Argument schwierig anzuwenden: zu teuer. Demokratie ist keine Frage des Preises. Ob speziell die Leistung des ERT unter demokratischen Bedingungen billiger zu haben wäre mag ich nicht beurteilen, es mag durchaus erstrebenswert sein. Ihn aber einfach abzustellen ist ein Akt der Diktatur – eben unabhängig davon, ob mir oder irgendwem das Programm passen oder nicht. Das eigentlich Schlimme daran ist aber: Dieser Akt der Diktatur passt genau in die Logik der sogenannten Euro-Rettung, nach der jede Art von staatlicher oder gar demokratischer Aktivität teurer Luxus ist, der zugunsten privater Gewinne zu unterbleiben hat. Über die Handlungen der Euro-Retter hat noch nie in Europa jemand abgestimmt. Bezahlen mussten die Bürger sie trotzdem.

Dabei sind alle gestiegenen Staatsschulden überall – inklusive der deutschen – direkt auf die Rettung privater Banken zurückzuführen. Es sind eben haargenau „die Privaten“, die diese Krise verursacht haben. Die Bürger zum Beispiel in Griechenland bezahlen dafür nicht nur bitterlich in Geld, sondern auch mit dem Verlust der Möglichkeit demokratischer Einflussnahme. Es gab kein Euro-Referendum, stattdessen eine massive Einflussnahme auch des Auslands auf die Parlamentswahl und nun offensichtlich eine Beschneidung der freien Information. Griechenlands alte Garde ist immer noch an der Macht, die niemand prägnanter verkörpert als der amtierende Ministerpräsident Samaras, der auch noch als politischer Hütchenspieler jahrelang jede Bemühung um eine Lösung der griechischen Staatskrise blockiert hat. Jetzt schließt er Rundfunksender. Demokratie ist ihm offenbar zu teuer.

Was bleibt ist der fatale Eindruck, dass Demokratie in Europa nur noch für solche Staaten vorgesehen ist, die sie sich leisten können. „Wir müssen aufpassen, dass die Demokratie auch marktkonform ist“, hatte Angela Merkel einmal ihr Verhältnis zur Staatsquote beschrieben. Bizarrer Weise schafft Europa unter ihrer Führung, diesen Satz auch noch so auszulegen, dass von jeder der möglichen Welten das Schlimmste übrig bleibt: Die Demokratie ordnet sich dem Markt unter und verabschiedet sich da, wo sie „zu teuer“ wird. Und gleichzeitig verabschiedet sich der Markt und man rettet private Pleitebanken mit Steuergeld, ohne dem Steuerzahler dafür eine Gegenleistung zu bieten – ganz besonders nicht in Form von demokratischen Mitspracherechten.

Ich habe eingangs die kulturelle Leistung von Danae Coulmas erwähnt, und das ist es, worauf ich eigentlich hinauswollte: Der Markt ist selbstverständlich nur ein Werkzeug, um eine demokratische Gesellschaft zu ernähren und zu informieren. Er ist kein Selbstzweck. Es ist schlimm, das überhaupt sagen zu müssen. Vor allem, weil auch die demokratische Gesellschaft kein Selbstzweck ist: Sie ist nur die für uns beste Möglichkeit, dem Menschen als kulturellem Wesen ein bisschen Raum zu geben. Wir überwinden den Hunger und die Unterdrückung, um Raum zu haben für etwas besseres. Wir lösen die dringenden Probleme zuerst, um zu den wichtigen Aufgaben zu gelangen. Freiheit ist ja nicht das Ende der Entwicklung, sondern eigentlich erst ihr wahrer Anfang. Danae Coulmas hat es richtig gemacht: Natürlich müssen Faschisten abtreten, überall – und die Freiheit, die folgt, füllen wir mit Kultur.

Das ist es, was diese Krise Europas uns vor Augen führt: Dass wir Schritt für Schritt jedes Gefühl verlieren und offenbar auch verlieren sollen für das Wichtige, das Richtige. Da sind die Kosten eines Rundfunks plötzlich als Frage so dringend, dass die wichtige Aufgabe des Rundfunks hintanstehen muss. Da schmerzen die drückenden Schuldzinsen eines Landes so akut, dass demokratische Beteiligung warten muss. Kultur? Wenn wir es uns leisten können. Dann ganz bestimmt.

Nur, dass sie bis dahin nicht mehr da ist. Denn wer es ständig verschiebt, das Richtige zu tun, weil er es sich gerade nicht leisten kann, der wird an dem Tag, an dem er es sich leisten könnte, verlernt haben, was es ist.

Extrem überdimensionierte Vorurteile

Nur, damit ich das einmal öffentlich klargestellt habe: Es bleiben viel zu oft Behauptungen wie diese unwidersprochen, wie sie gerade wieder (offensichtlich basierend auf einer dpa-Meldung*) Bild.de verbreitet:

Griechenland ist mit mehr als 760 000 Staatsdienern bei lediglich rund elf Millionen Einwohnern extrem überdimensioniert.

Mit „Griechenland“ ist hier der Öffentliche Dienst gemeint. Deshalb einmal zum Vergleich: Deutschland hat bei einer etwa 7,27fachen Größe 4,6 Millionen Angestellte im Öffentlichen Dienst (Griechenland hätte im Verhältnis 5,52 Millionen), aber das liegt nicht unwesentlich daran, dass in Deutschland zwischen 1991 und 1995 gut eine Million in den Statistiken gern als „Sonstige“ geführte Beschäftigte verschwunden sind, nämlich bei

Zweckverbände, Bundeseisenbahnvermögen/Deutsche Bundesbahn, Deutsche Bundespost

herausgefallen sind, weil sehr privatisiert wurde, was in Griechenland nicht passiert ist. Ansonsten wäre das „extreme“ Verhältnis heute wohl annähernd eins zu eins. Nun kann man ja gerne argumentieren, die Infrastruktur eines Landes solle privat sein (finde ich nebenbei bemerkt in der Regel nicht), aber dann sollte man kennzeichnen, dass es sich bei dem „extremen“ Verhältnis eher um das Verhältnis zur eigenen Ideologie davon handelt, wie ein Staat organisiert sein soll als – wie suggeriert wird – um eine Art objektiver Berechnung, bei der Deutschland auch noch „extrem“ viel „besser“ abschneiden würde.

Es ist ja nicht so, dass ich an der Effizienz des griechischen Staatswesens nicht viel zu kritisieren hätte, aber dieses Nachplappern von schwachsinnigen, pseudoobjektiven Kennzahlen geht mir jeden Tag mehr auf den Geist. Es ist Ideologie, schlicht und ergreifend.

Ausatmen.

*Danke Stefan für den Hinweis!

Mein dir deine Bildung!

Das neueste Werk des jungen deutschen Autoren Paul Ronzheimer,

GEHEIMBERICHT ENTHÜLLT
So hat uns Zypern betrogen!
So schlimm ist es mit der Geldwäsche wirklich

ist sein bis heute vielleicht vielschichtigstes, stilistisch wie auch inhaltlich. Schon formal sprengt er bisher für unverrückbar gehaltene Konventionen. Nehmen wir den schon früh im Text auftauchenden Dreiklang aus Behauptung, Tempowechsel und etwas, das Ronzheimer (offenbar in Anspielung auf das Konzept „Realität“) „Fakten“ nennt:

Experten prüften im Auftrag des Europarats im März den zyprischen Bankensektor, fassten in einem Report (liegt BILD vor) ihre Ergebnisse zusammen. Sie analysierten Daten von insgesamt 390 Topkunden mit mehr als zwei Milliarden Euro Einlagen bei sechs zyprischen Banken.

Schon die schiere Größe könnte einem Angst machen, wenn man bedenkt, dass jeder dieser 390 Topkunden offenbar mehr als zwölf Milliarden Euro über sechs Banken verteilt hat. Insgesamt reden wir hier also über mindestens 390 mal zwölf Milliarden, das sind 4,68 Billionen Euro! Oder um insgesamt doch nur zwei Milliarden, das wird hier nicht ganz klar, aber weg von diesen … Dings hin zu den „Fakten“.

Die erschreckenden Fakten:

• Von 14 000 Firmen sind allein 12 000 Briefkastenfirmen.
• Laut Register soll es auf Zypern insgesamt „nur“ 270 000 Firmen geben. Allerdings wurden allein seit 2010 mehr als 56 000 gegründet.

Diese 390 Topkunden haben also 14 000 Firmen, von denen … nein, Moment: Es gibt auf Zypern „nur“ 270 000 Firmen, von denen die 390 Topkunden … nein. Also die 14 000 … aber davon 56 000 neu … Sie bemerken den virtuosen Umgang des Autors mit verschiedenen Ebenen von sogenannten „Fakten“.

Großartig ist aber auch der Einsatz einer einzigartigen Form von „Realität“.

• Eine Überprüfung in Datenbanken zeigte, dass von 390 Kunden alleine rund 10 Prozent politisch exponierte Personen sind, aber von den Banken nicht als solche gekennzeichnet werden.

Ich weiß nicht, wie viele Versuche man brauchte, um in irgendeinem Land der Welt bei den größten Banken zu suchen, bis man eine findet, die unter den „Topkunden“ nicht zehn Prozent „politisch exponierte“ hätte – aber was das ist und wie man sie kennzeichnet hätte der Autor nach meinem Geschmack auch gerne noch imaginieren können.

• Die Prüfer deckten auch kriminelle Geldwäsche auf. So geht aus einigen Dokumenten etwa hervor, dass einer der Kunden der „Bank of Cyprus“ ein verurteilter russischer Betrüger ist. Er soll fünf zyprische Banken genutzt haben, um Gelder in Höhe von 31 Millionen Dollar zu waschen.

Die zyprische Regierung hatte während der Krise im März immer wieder beteuert, dass das Land kein Schwarzgeld-Problem habe und die Vorwürfe gelogen seien.

Das ist ein ziemlich gewagter Sprung von einem (!) (irgendwo?) verurteilten Russen zum „Schwarzgeldproblem“ eines ganzen (nichtrussischen) Landes, das dann offenbar dazu führt, dass

„der Bundestag die Hilfen für die Pleite-Insel (insgesamt 10 Milliarden Euro) nie hätte freigeben dürfen!“

Ich werde kurz mal nicht darauf eingehen, dass es sich bei den „Hilfen“ wie immer um Kredite handelt, denn ich sehe ein, dass Ronzheimer sich offenbar in der Verantwortung sieht, die Faschos in der Kommentarspalte zu füttern.

Offensichtlich hat sich Paul Ronzheimer bei seinem unermüdlichen Versuch BILD-Leser gegen Südeuropäer aufzuhetzen inzwischen davon verabschiedet, auch nur den Anschein erwecken zu wollen, so etwas wie Argumente, Fakten oder Logik zu verwenden. Er tippt einfach irgendetwas und schreibt seine Schlussfolgerung ohne Zusammenhang dazu. Und die ist, wie man aus der Diskussion um die Reparationszahlungen für Griechenland weiß (obwohl er selbstverständlich Anfragen zu dem Thema von mir nicht beantwortet, aber immerhin andere) ja nur „seine Meinung“ – was für ihn bedeutet, dass man sie nicht weiter begründen muss. Er hat sie einfach.

Als eine unlustige Form des Dadaismus ist Ronzheimers Text möglicherweise stilbildend. Meinem Verständnis nach bildet sie sogar eine neue Gattung, die ich gerne „Ödöismus“ nennen würde. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie (besonders aber nicht ausschließlich in Bezug auf ihre Gesamtaussage) in sich unschlüssig, schlecht geschrieben und mindestens ein bisschen schmierig ist.

Mannmannmann, muss das unangenehm sein, so zu sein.

Reiche Esel: Der SPIEGEL hetzt langsam, aber dafür irre

Ich weiß, ich bin spät, aber immer noch schneller als DER SPIEGEL: Einige Wochen, nachdem eine „EZB-Studie“ einige Zahlen so vermischte, dass man daraus unter Umgehung von Konzepten wie „Realität“ hätte schließen können, dass südeuropäische Privathaushalte reicher sind als nordeuropäische, hat das Nachrichtenmagazin in der vergangenen Woche eine Titelgeschichte dazu gemacht. Unter der Titelzeile „Die Armutslüge“ saß da ein wahrscheinlich griechischer Kleinbauer auf einem Esel, vor der Sonne geschützt durch einen Schirm mit Europa-Symbolen, aus den Lastkörben des Esels wehten Euro-Noten und der Esel hatte einen schwarzen Balken über den Augen, so wie Verdächtige in Medien unkenntlich gemacht werden. Insgesamt ein Titel, der an rassistischen Anspielungen deutlich stark genug für ein NPD-Plakat gewesen wäre. Und das wie gesagt nicht nur Wochen nach der „Studie“ (die eher eine Art wilde Zahlensammlung ist und explizit nicht so gelesen werden soll oder kann, wie DER SPIEGEL tut). Auch Wochen, nachdem jedes Argument in Richtung der Lesart, die den Redakteuren offensichtlich nahegelegt wurde, längst kompetent öffentlich widerlegt wurden (elegant und sauber zum Beispiel von Jens Berger hier).

Ich möchte mich hier nur um ein Kernargument des SPIEGEL kümmern, weil ich glaube, dass diese Geschichte in voller Absicht wahrheitswidrig aufgeschrieben wurde, weil der SPIEGEL inzwischen offensichtlich verzweifelt nach irgendeiner Art von Deutungshoheit sucht (die Spiegel-Online übrigens, nur nebenbei, im Bereich der Online-Medien lässig innehat).

Also hin zu den so genannten Argumenten, die der SPIEGEL gebraucht, unterzeichnet von gleich acht Autoren. Eins der großen Probleme der „Studie“ ist, dass es die Altersversorgung extrem unterschiedlich bewertet. Meine Schwester zum Beispiel ist Lehrerin in Griechenland und verdient dort natürlich nur einen Bruchteil dessen, was eine Lehrerin in Deutschland verdient. Sie wird auch einmal nur einen Bruchteil der Rente/Pension bekommen, die sie in Deutschland bekäme. Sie sorgt also erstens privat stärker vor und zweitens haben sie und ihr Mann – wie in Südeuropa üblich – die Wohnung gekauft (in diesem Fall gebaut), in der sie wohnen. Die „Studie“ der EZB wertet sowohl die Wohnung als auch die private Vorsorge als Vermögen, die Rentenansprüche der deutschen Lehrerin aber nicht. So ist meine Schwester plötzlich vermögender als ihre deutsche Kollegin, obwohl sie Zeit ihres Lebens weniger Geld hatte und haben wird.

DER SPIEGEL findet das total richtig. Das ist natürlich schwierig zu verargumentieren, weil man dazu die Realität ausblenden muss, aber einem echten Nachrichtenmagazin, das acht Autoren an eine einzige Geschichte setzen und diese von ihren legendären Dokumentaren checken lassen kann, ist offensichtlich nichts zu schwer. So kommt also dieses Argument zustande:

Bei den Ansprüchen an die staatliche Alterskasse handelt es sich nicht um Vermögensbildung im klassischen Sinne, eher um ein Versprechen, dessen Einlösung fraglich ist.

Doch, das steht im SPIEGEL. Nochmal: In der Realität ist es gerade eher so, dass Menschen in Südeuropa mit „klassischer Vermögensbildung“ bei einer Bank Gefahr laufen, ihr Geld nicht wieder zu sehen, aber beim SPIEGEL behauptet man, Südeuropäer wären reicher als Deutsche, weil die deutsche Rentenversicherung und Pensionskassen nur ein Versprechen sind, dessen Einlösung fraglich ist? Was genau ist dann eigentlich nicht fraglich? Jedenfalls ganz offensichtlich nicht die Immobilienpreise in Südeuropa, denn den Immobilienbesitz rechnet ja DER SPIEGEL voll ein – obwohl es zum Beispiel in Athen gerade fast völlig unmöglich ist, eine Wohnung zu verkaufen.

Für mich ist fraglich, wie weit man sich als SPIEGEL-Redakteur oder -Dokumentar oder -Autor oder -Irgendwas eigentlich verbiegen muss, um unter einem rassistischen Cover eine Lügengeschichte zu basteln, deren Kernargumente so hanebüchen sind, dass es an Recherche nicht mehr bedurft hätte als ein einfaches Öffnen der Augen, um zu erkennen, was für eine alte Scheiße man da erzählen soll. Acht Autoren, unter anderem die Athen-Korrespondentin, die offensichtlich nicht widerspricht wenn man behauptet, Athener wären reicher als Hamburger? Na, danke.

Ich weiß nicht, ob das noch Mascolo zu verantworten hatte, aber meiner Meinung nach reicht es für die Rettung dieses Heftes schon längst nicht mehr, nur einen rauszuschmeißen. Wer verzweifelt zu solchen Mitteln greift, um wenigstens die Aufmerksamkeit der heimlichen Dumpfdeutschen zu wecken, der hat höchstens Verachtung verdient. Denn das es hier keinen journalistischen Antrieb gab, diese Geschichte zu schreiben, ist offensichtlich. Und eklig.

Logik für alle!

Pech beim Denken entsteht zumindest meiner Beobachtung nach gar nicht unbedingt durch Fehler, sondern dadurch, dass man zu früh damit aufhört. Der „Starinvestor“ George Soros legt im SPIEGEL sehr sachlich dar, was die Optionen für Europa sind: nämlich deutlich mehr oder deutlich weniger gemeinsame Finanzpolitik, letztlich entweder eine Auflösung in kleinere Einheiten (bis hin zurück zu Nationalstaaten) oder eine echte Währungsgemeinschaft inklusive gemeinsamer Schulden. Und er legt dar, warum es sinnvoller ist, dass Deutschland den Euro verlässt und nicht ein (oder alle) so genannten Krisenstaaten.

Es ist wahnsinnig lustig, die Kommentare der Leser darunter zu lesen, die ziemlich exakt die Diskussionen widerspiegeln, die ich regelmäßig habe: Nach Ansicht vieler Deutscher sollte Deutschland auf keinen Fall den Euro verlassen, weil die nächste Währung (nennen wir sie D-Mark) sofort aufwerten würde, und Leben mit einer zu starken Währung bedeutet weniger Exporte, also weniger Arbeitsplätze und dadurch sinkende Einkommen, eine kontraktierende Wirtschaft, letztlich viel, viel Elend. Wir wollen nicht mit einer zu starken Währung leben.

Wenn wir aber exakt dasselbe, nämlich eine zu starke Währung, südeuropäischen Ländern aufdrücken, dann sind diese selber Schuld.

Man bräuchte nur auf alle Fälle dieselbe Logik anwenden, dann wäre man in der Analyse kongruent und könnte endlich anfangen, die echten Probleme nachhaltig zu lösen.

Warum mag eigentlich niemand Erpresser?

Die Welt muss verwirrend sein, wenn die Realität die eigenen Überzeugungen nicht verändern darf. Dann muss man zum Beispiel wie Paul Ronzheimer, Südeuropa-Hetzbeauftragter der BILD, erstaunt feststellen:

Immer auf die Deutschen!

Wir zahlen am meisten und sind trotzdem die Buhmänner

Ronzheimer tut ehrlich überrascht. Nachdem zuletzt auch in Italien eine Mehrheit der Wähler Politiker gewählt hat, die zumindest einen Anti-Merkel-Kurs fahren (im Fall von Berlusconi einen offen antideutschen), wie vorher schon in Frankreich und Griechenland, heuchelt er Empörung über eine Situation, die Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman so zusammenfasst:

The Germans don’t want a Cyprus collapse / exit from the euro, but they also don’t want the spectacle of German taxpayers bailing out Russian money-launderers. So what they did instead was blackmail Cyprus into having Cypriot depositors bail out Russian money-launderers. That way Germany’s hands are clean.
Am I missing something?

Denn das ist die Situation: Aus regierungsdeutscher Sicht wird etwas Falsches dann richtig, wenn man es nicht selbst tut, sondern einen anderen zwingt, es zu tun. Das ist deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik unter der schwarzgelben Koalition. Und dabei zählt schon lange nicht mehr das Argument, irgendjemand hätte sich irgendetwas selbst eingebrockt: Wie ausgerechnet ein zypriotischer Sparer an der Krise der Banken oder Schwarzgeld aus Russland schuld sein soll ist nicht argumentierbar. Den Versuch unternimmt ja auch keiner – außer Paul Ronzheimer in der BILD.

Das Ergebnis ist erschütternd: Wenn es der Bundeskanzlerin dieser schlechtesten aller deutschen Nachkriegsregierungen gelingen sollte, die nächste Wahl zu gewinnen, dann auch wegen der Vorstellung vieler Wähler, sie wäre auch eine ganz erfolgreiche Krisenmanagerin. Nichts könnte weiter entfernt sein von der Wahrheit. Na gut, Ronzheimer vielleicht. Aber sonst wirklich nichts.