Wir machen es (uns zu) einfach

Für mich ist Heribert Prantl der klügste Journalist des Landes, und das in einer Größenordnung, die es mir schwer macht, seine Leitartikel zu lesen, wenn ich zum Thema schon eine Meinung habe. Denn wäre er anderer Meinung als ich, dann müsste ich meine ändern.

Insofern habe ich leicht verängstigt seinen Text „Sind Zeitungen systemrelevant?“ gelesen.Vor allem nach dem ersten Satz: „Ja, Zeitungen sind systemrelevant, und ich kann es beweisen.“ Denn ich bin völlig anderer Meinung. Aber Prantl zum Glück auch, zumindest anderer Meinung als ich es nach diesem ersten Satz verstanden hatte. Systemrelevant für ihn sind unabhängige Redaktionen mit klugen Journalisten, nicht das bedruckte Papier. Es ist ein großartiger Text, und Prantl ist wie immer intelligent, scharf und genau.

Und er schneidet ein Thema an, dass mir schon eine ganze Weile auf der Seele brennt, und von dem ich nicht weiß, wie ich es angehen soll. „Wir machen es (uns zu) einfach“ weiterlesen

Die letzten unserer Art?


Ich habe an anderer Stelle schon ausgeführt, warum ich nicht glaube, dass „der Journalismus“ aussterben wird. Aber ich glaube, dass viele Spezies innerhalb des Systems Journalismus bedroht sind (oder bereits ausgestorben. RIP, Schriftsetzer). Als ehemaligem Waldorfschüler und erklärtem Neo-Öko wird es nicht überraschend sein, dass ich jedes System als Ökosystem begreife, das nach den Gesetzen der Ökologie funktioniert. Und ich kann mich nicht erinnern (allerdings war es auch knapp vor meiner Zeit), dass um die Setzer, Fotolaboranten und ähnliche Opfer des technischen Fortschritts so viel Aufhebens gemacht wurde wie heute um diejenigen, die den so genannten „Qualitätsjournalismus“ bieten. Veränderung nach technischen Fortschritten scheint uns unvermeidlich. Inhaltliche Veränderung dagegen bekämpfen wir geradezu instinktiv.
„Die letzten unserer Art?“ weiterlesen

Hallo? Hört mich hier jemand?

Downtown Kangerlussuaq

Der Ort heißt Kangerlussuaq, was reichen würde, aber er wird auch noch ganz anders ausgesprochen. Ich sitze hier fest wegen eines Fehlers von Air Greenland. 500 weitere Menschen sitzen hier fest, weil sie hier leben. Sie halten den internationalen Flughafen geöffnet, der an diesem Ort aufgemacht wurde, weil das Wetter immer stabil ist. Ansonsten gibt es hier nichts. Kangerlussuaq liegt am Inlandeis von Grönland. Was soll hier sonst sein?
„Hallo? Hört mich hier jemand?“ weiterlesen

Der hat nur Glück gehabt

In der Berliner Zeitung war ein sehr freundlicher Artikel über die Zeitschrift  Monocle, den ich nur gefunden habe, weil der Stern-Onlineredakteur Dirk Liedtke in in seinem Twitter-Feed erwähnt hat, den ich eigentlich verlinken wollte, aber Twitter ist gerade down (ich korrigiere das so schnell es geht, aber ich bin jetzt eine Woche in Grönland. Geil, oder? Alles darüber auf bravo.de). Das heißt, eigentlich bin ich zuerst durch eine an Dirk Liedtke gerichtete Nachricht eines anderen MonocleJournalisten darauf gestoßen, deren
Wortlaut ich natürlich auch gerade nicht auf Twitter finden kann, aber deren Inhalt ungefähr so war: „Die haben keine 60 Angestellten und profitabel sind sie auch nicht.“ So schreiben und reden Journalisten über journalistische Produkte.Wer selbst jemals versucht hat, mit Herzblut oder aus Überzeugung ein neues Heft zu machen (oder ein altes anders), der hat es erlebt: Häme, Missgunst, Besserwisserei.

Ich nehme mich da nicht aus. Ich habe schon gehässiges doofes Zeug über die Arbeit von Kollegen geredet, da waren die Journalistikstudenten, die heute über jedes neue Heft herfallen, noch nichts als das Flackern in den Augen zweier Fremder auf einem PUR-Konzert. Es hat sich bei mir ein bisschen gelegt, nachdem ich selber meine Breitseiten abbekommen habe, und feststellen musste, dass nur sehr, sehr wenige Kollegen kritisieren um zu verbessern. Selbst wenn ich doppelt so oft mit meiner Kritik recht hatte wie alle anderen, wäre die Quote sinnvoller Kritik immer noch im niedrigen einstelligen Promillebereich gewesen. Im Regelfall ist es doch so: Wer etwas tut kriegt dafür prophylaktisch eine rein. Und sollte er, Gott bewahre, trotzdem Erfolg haben mit seiner Arbeit, dann wird eben ein bisschen neu justiert und wenigstens noch auf die Füße geschossen. Der Grund ist einfach und immer der gleiche: Neid.

„Der hat nur Glück gehabt“ weiterlesen

Warum Verlage “das Internet” nicht verstehen

Die meisten von uns stehlen nicht. Wir geben das Zuviel an Wechselgeld zurück, sagen dem Nachbarn, wenn wir uns ein Feierabendbier aus der Kiste auf seiner Terrasse nehmen (nebenbei: Sorry, Ole, ich habe …) und neulich kam ein Mann Zerknüllte Zeitung
hinter mir hergelaufen, weil ich zwar meine EC-Karte vom Geldautomaten wieder mitgenommen habe, aber nicht die 400 Euro im Geldschlitz. Wir stehlen selbst dann nicht, wenn ir uns sicher sein können, dass wir nicht erwischt werden. Es kann also nicht daran liegen, dass wir uns vor Strafe fürchten. Wir tun es nicht, weil wir gelernt haben: Das tut man nicht. Es ist unsere Kultur.

Gesetze, so viel wenigstens habe ich als wahrscheinlich schlechtester Jurastudent in der Geschichte der Universität Hamburg gelernt, greifen erst, wenn die Kultur versagt hat. Sie sind keine Regeln, an die Menschen sich halten, sondern solche, die das Prozedere bestimmen, wenn schon alles kaputt ist. Juristen brauchen wir, wenn die Kultur versagt hat. Und jetzt ist es so weit: Die Verleger unter Anführung ihres Verbandspräsidenten Dr. Hubert Burda rufen nach neuen Regeln. Sie möchten an den Erlösen von Google beteiligt werden und die Befreiung von der Mehrwertsteuer.  Ich persönlich halte beides für nicht argumentierbar (eher sollte Google Geld dafür nehmen, die Seiten der Verlage überhaupt zu listen und Preseerzeugnisse sind bereits mit der niedrigen Mehrwertsteuer für lebenswichtige Güter gesegnet), aber darum geht es hier nicht einmal. Es geht darum, wie die Verlagskultur versagt hat, bis es dazu kommen konnte, dass wir glauben, neue Gesetze fordern zu müssen. „Warum Verlage “das Internet” nicht verstehen“ weiterlesen

News to use

Ich war zumindest in einem Segment bei der Selbstabwertung der Zeitschriften dabei und habe sie miterlebt: Bei den Männermagazinen.
Ich war Teil der Gründungsredaktion der deutschen Ausgabe von FHM und bin immer noch stolz YPS Extradarauf, weil wir damals einige Dinge gemacht haben, die in Deutschland vollkommen neu, aufregend und erfolgreich waren. Ein halbes Jahr später kam Maxim mit auf den Markt, ein nur halb entschlossenes Me-Too (und inzwischen eingestellt offenbar wieder belebt), und kurz darauf begann die Aufrüstung mit Extras. Ich erinnere mich an eine Maxim-Ausgabe in einer Tüte, in der außerdem (meiner Erinnerung nach, aber der Umfang stimmt ungefähr) ein Schokoriegel, eine Baseball-Mütze, ein Kondom und ein Duschgel untergebracht waren. Es war wie in der Real-Supermarkt-Werbung: Alles drin. „News to use“ weiterlesen

Erlösermodell – Oder: Unser tägliches Bernd gib uns nicht gerade heute

Ich werde an dieser Stelle transparent zwei Fehler berichtigen. Nummer eins: In diesem Blog habe ich vor einigen Wochen die Position von Bernd „dem Dritten“ Buchholz zum Kampf gegen die Medienkrise ganz unzweifelhaft falsch halluziniert. Mein Bauchgefühl hat mich betrogen, wie so oft, wenn es mit suggeriert, ich müsste unbedingt noch eine Kleinigkeit essen. Buchholz setzt im Gegensatz zu meiner Behauptung nun also doch kein Signal im Kampf um eine Weiterentwicklung des Qualitätsjournalismus, sondern spart eisern, und antwortet im aktuellen Spiegel auf die Frage, ob Medien nicht eine Seele nötiger haben als einen Newsroom unter anderem mit dem Satz: „Ich bewahre hier nicht auf Teufel komm raus alte Ideale, um am Ende als Letzter das Licht ausmachen zu müssen.“ Das ist schon ein harter Satz für mich, denn ich habe selbstverständlich vor, meine Ideale – die alt sind – auf Teufel komm raus zu bewahren, und ich wäre heimlich ziemlich stolz auf mich, wenn ich der Letzte wäre, der das Licht ausmacht. Das Problem ist nur: Mein Atem wird nicht so lange reichen, wie Gruner & Jahrs gereicht hätte, insofern wird das Licht wohl eine Weile früher ausgehen, als es unbedingt nötig gewesen wäre – aber immerhin wissen wir jetzt, woran wir sind.

Um einmal die Fronten aufzuräumen: Ich glaube, dass in diesem Land seit seinem Bestehen großartiger Journalismus gemacht wurde, auch – und manchmal sogar besonders – von Kollegen im Hause Gruner & Jahr, und mein Respekt könnte nicht größer sein. Aber wie alles andere auf dieser Welt auch ist Journalismus, wenn er gut und lebendig sein soll, ständiger Veränderung unterworfen. Und im Moment stagniert er, verändert  sich höchstens zum Schlechteren. Ich komme noch auf konkrete Beispiele zu sprechen, aber zunächst einmal sollten wir festhalten: Um dem alten Ideal von großartigem, dienenden Journalismus gerecht zu werden, braucht es ständige kreative Veränderung und die Möglichkeit, sie auch am Markt auszuprobieren.

Nach meiner subjektiven Einschätzung verpufft ein großer Teil der Kreativität im Moment allerdings in Versuchen, mit schrumpfenden Ressourcen in den Redaktionen zumindest die alte Qualität aufrecht zu erhalten. Das ist ehrenwert und ich bewundere die Kollegen, die es schaffen. Aber es ist aus meiner Sicht und nach meiner Erfahrung praktisch unmöglich, in dieser Situation die nötige ständige Selbsterneuerung zu stemmen. Schon gar nicht, wenn zeitgleich ein neues Meta-Medium zu lernen und zu verstehen ist. Und schon doppelt gar nicht, wenn die Return-on-Investment-Zyklen im Verlagswesen dabei derartig zusammengestrichen werden, dass es einem Journalisten inzwischen fast peinlich zu sein hat, wenn er in einer Konferenz nur eine Geschichte vorschlägt und kein Erlösmodell.

Diese Überlegungen führen zu einer schmerzhaften Frage: Wer führt die trotz allem nötige Erneuerung des Journalismus an, wenn nicht die Verlage? Wenn Qualitätsjournalismus plötzlich nicht mehr bedeutet, die alten Ideale zu wahren, sondern im besten Fall noch den Status Quo – nur billiger produziert? Was dabei herauskommt kennen wir: eine Simulation. Anstatt auch nur den Ist-Zustand zu erhalten, ist das, was unter dem Label „Qualitätsjournalismus“ verkauft wird, dann meist eher so etwas wie Analogkäse. Und das ist – obwohl es so klingt – nicht auf ein Medium beschränkt: Analogkäse geht auch digital, wie die Webseiten vieler analoger Qualitätsmedien beweisen. In dieser Situation zu sagen, man wolle „nicht auf Teufel komm raus alte Ideale bewahren“ ist ein bisschen so, als würde eine Dame in der Herbertstraße auf Sankt Pauli nicht auf Teufel komm raus ihre Unschuld bewahren wollen – es kommt einen Tick zu spät. In Wahrheit ginge es darum, sich an die Ideale erst einmal wieder heranzukämpfen – denn wir haben in dieser Phase der Veränderung an sehr viele andere Dinge gedacht als an sie.

Und in diesem großen, verwirrenden Zusammenhang habe ich einen zweiten Fehler gemacht (ACHTUNG, TRANSPARENTE AUFKLÄRUNG), der mit meiner lautstark geäußerten Meinung zum „Internet-Manifest“ zusammenhängt, und der mir Ende letzter Woche eingängig unter die Nase gerieben wurde: Unabhängig davon, ob das „Manifest“ nun richtig oder falsch ist oder gut oder schlecht formuliert, hätte es sich gelohnt ein paar Gedanken dazu zu verlieren, warum ausgerechnet jetzt und zu diesem Zeitpunkt eine gefühlte Elite von Netzwerkern es für nötig befindet, überhaupt so ein Ding zu schreiben.

Und das stimmt. Ich habe es nicht getan, und sonst auch niemand, der mir aufgefallen wäre. Und obwohl dieses Manifest mir in der Form sehr widerstrebt, obwohl ich vieles darin für falsch oder im falschen Ton gesagt halte, obwohl ich viele Fehler darin, daran und darum nennen kann, bleibt doch eine Sache aus meiner Sicht richtig: Dem etablierten Journalismus fehlt aus oben genannten Gründen die Kraft zur Selbsterneuerung. Ohne Selbsterneuerung geht es aber nicht. Und aus den etablierten Häusern kommt in dieser Richtung zu wenig oder genau das Falsche.

Die Web-Wichtel, egal wie wichtig sie sind, schaffen es alleine auch nicht. Wer also soll es tun, wenn Buchholz es nicht macht? Wenn Springer wahnsinnig viel Erfolg damit hat, dass sie aus der Netzkultur ausgerechnet die größte Schwachstelle zum Prinzip erheben (denn was ist ein 1414-Leserreporter anderes als ein Troll mit einer Kamera)? Wenn die meisten Verlage gar nichts tun als Bestehendes billiger nachzubauen?

Kurz: Ich fand und finde das „Manifest“ verunglückt (und Mercedes Bunz‘ Geschichte im Guardian-Blog richtig  unappetitlich, keine Frage), aber dass es Dinge zu tun und zu sagen gibt, hier und jetzt, das kann ich verstehen, und das hätte ich auch beim ersten Meckern sagen können. Ich finde blöd, was geschrieben wurde, nicht dass etwas geschrieben wurde.