Mein rechter, rechter Platz ist weg

Der neue Chefredakteur des Focus, Wolfram Weimer, hat eine neue, aufregende Umschreibung für seine Strategie bei der Erneuerung seines implodierenden Nachrichtenmagazins gefunden. Bei den „Zeitschriftentagen“ des Verlegerverbandes erklärte er

„Ich hoffe, dass der Spiegel am Montag die Goebbels-Titelgeschichte bringt. Dann werden die unterschiedlichen vektoriellen Funktionen von Focus und Spiegel deutlicher.“

Er hoffe, wird er außerdem von kress zitiert, dass der Spiegel im politischen Spektrum weiter nach links rücke. Und diese Hoffnung offenbart ein Dilemma.

Weimer hat bei seinem Antritt schon in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau ähnlich verschwurbelt erklärt, er wolle mit dem Focus „einer urbanen Führungselite einen Resonanzboden für ihre Lebenswelt liefern“, und im selben Interview zumindest ein bisschen präzisiert

Ich will gegen die links-liberale Stimme aus Hamburg die andere, bürgerliche Stimme stärken.

Auch wenn der Begriff liberal hier möglicherweise arg frei benutzt wird – immerhin versteht sich die „liberale“ FDP zumindest nach Aussagen ihres Vorsitzenden als total bürgerlich – hätte Weimer den Focus offenbar gern ein bisschen weiter rechts, ein Stück konservativer. Allerdings scheint es für ihn schwierig zu sein, das mit einiger Trennschärfe hinzukriegen, oder wie sonst ist sein Wunsch zu verstehen, der Spiegel möge weiter nach links rutschen? Kann es sein, dass der Spiegel gleichzeitig und im Gegensatz zum Focus „links-liberal“ ist und trotzdem auf dem Platz, auf dem gern der Focus wäre?

Seit geraumer Zeit gibt es ein Wehklagen von einigen Medienschaffenden, die sich als konservativ verstehen und praktisch pausenlos das Wort von der „Debattenkultur“ im Mund führen – und sich beschweren, die links-liberale Presse wäre praktisch gleichgeschaltet und zerstöre so die konservative Identität. Das vielleicht kleinste, aber für mich lustigste Beispiel ist das, natürlich, „Debattenportal“ The European des ehemeligen Cicero-Online-Chefs Alexander Görlach, der dem Nachfolger von Weimer als Cicero-Chefredakteur, dem ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann, erst vorwarf, die Zeitschrift quasi als Parteisoldat zu einem Sprachrohr der SPD zu machen, das aber sofort wieder von seinem Debattenportal entfernen musste, als Naumanns Anwalt sich meldete – und sich seitdem darüber ärgert, dass Naumann nicht öffentlich mit ihm diskutiert. Kleiner Hinweis: Vielleicht weiß Naumann nicht, was es der Welt Gutes brächte, wenn er es täte? Nur als Gedanke. Kann natürlich auch sein, dass er irre Angst hat, in der Diskussion den Kürzeren zu ziehen. Klar. Alles kann sein.

Den erklärten Konservativen ist irgendwie gar nichts mehr konservativ genug: Die CDU unter Merkel nicht, die Medien nicht, und irgendwie die ganze Welt nicht. Dafür ist irgendwie jede Debatte, die „angestoßen“ wird, wichtig, egal ob es um jüdische Gene oder den Platz der deutschen Sprache im Grundgesetz geht. Es muss hart sein konservativ zu sein dieser Tage. Oder aber, es ist alles ganz anders.

Wenn Wolfram Weimer sich vom Spiegel wünschen muss, dass er weiter nach links rückt, damit seine eigene, bürgerliche Position deutlich davon zu unterscheiden ist, dann kann der Unterschied zwischen bürgerlich und links-liberal (wie er es nennt) so groß nicht mehr sein. Und wenn Weimer glaubt, der Focus wäre zwar eine Säule im Vektorensystem, hätte aber irgendwie als Säule nichts zu tragen, weil er so nah am starken Spiegel steht, dann muss man sich schon fragen, ob der Focus wirklich so nötig ist.

Es steht außer Frage, dass heute viele Positionen längst bürgerlich sind, die vergangenen Generationen konservativer und bürgerlicher Kreise noch gegen den Strich gingen – und das ist gut so. Es aus meiner Sicht ein Verdienst – wenn auch vielleicht der Einzige – dieser bürgerlichen Regierung, dass eine Frau Bundeskanzler ist, der Außenminister schwul, ein Minister körperbehindert und ein anderer asiatischer Herkunft. Ich finde es im Prinzip auch richtig, dass eine junge, damals unverheiratete Frau Familienministerin werden konnte – auch wenn diese spezielle Frau sich seitdem noch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Aber mit einer bürgerlichen oder gar konservativen Weltsicht ist das noch nicht lange in Einklang zu bringen. Ein Konservativer zu sein hat sich stärker verändert als es Sozialdemokrat sein oder Liberaler sein getan haben. Was ganz offensichtlich daran liegen muss, dass die Konservativen in ihren alten Positionen am meisten unrecht hatten. Was erklären würde, warum sie so einen unendlichen Bedarf verspüren, Dinge zu diskutieren, die für alle anderen längst klar sind. Braucht man dafür aber einen „Resonanzboden“?

Wenn zum Beispiel die Erziehung unserer Kinder heute in weitesten Teilen dem entspricht, wofür die 68-er auf die Straße gegangen sind, und sich die bürgerlichen Erziehungsmethoden aus den 60er-Jahren praktisch ausnahmslos als falsch herausgestellt haben, brauche ich dann heute einen Resonanzboden aus Nostalgie für die alten Vorstellungen? Oder weil ich immer noch nicht weiß, was richtig ist? Ein zweites großes Thema jener Zeit und Gründungsanstoß der Grünen war übrigens die Atomkraft – und auch da ist die Gesellschaft längst meilenweit von allem entfernt, was noch in den 80er-Jahren als bürgerlicher Standpunkt durchging. Die Gesellschaft hat die Kraft zur Veränderung. Und Journalismus hat dabei eine Rolle gespielt – immer und fast quer durchs Spektrum mit dem Vorwurf der „linken Kampfpresse“ belegt.

Ich höre immer wieder von der vielbeschrienen Gefahr, es könnte eine Partei rechts der CDU geben, die dann zehn Prozent der Stimmen holt. Und das kann sein. Aber ich sehe überhaupt keine Gefahr, dass ein Nachrichtenmagazin rechts der CDU eine nennenswerte Auflage generiert. So, wie es aussieht, wird selbst rechts vom Spiegel in Zukunft niemand mehr nennenswert Auflage generieren – dann aber wohl eher, weil sich dort niemand so ganz sicher war, wo man eigentlich hinwollte.

PS. Und als hätte man es ahnen müssen, schreibt Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Weltwoche in der Schweiz, im aktuellen Editorial gegen den „linken“ Journalismus an.

Alles sagen. Aber nicht als alle

Ich kann nur für mich sprechen. Aber es ist eine Errungenschaft, dass ich das kann, und eine, die ich zu den höchsten Gütern unserer Gesellschaft zähle, und die ich zur Not mit dem Messer zwischen den Zähnen verteidigen würde. Gefüllt wird dieses Freiheitsrecht von denjenigen, die sich zu einer Meinung durchringen und zu ihr stehen. Die Freiheit, eine Meinung zu haben, wird relativ wertlos, wenn man keine hat, sie nicht sagt, oder sie als die Meinung von anderen verbreitet. Das vorweg.

Stefan Niggemeier hat in seinem Blog das merkwürdige Kommentargebaren von jemandem aufgezeigt, der Zugang zum Computer des Verlagsvorstandes Konstantin Neven DuMont hatte (ich persönlich habe den nahe liegenden Verdacht, dass es sich um Neven DuMont selbst handelt, aber er streitet das vehement ab). Die Geschichte zieht einigermaßen große Kreise, die wohl heute in dem Rückzug von KND aus dem Vorstand gipfeln werden, aber in einer ganzen Reihe von Blogs (zum Beispiel hier, hier und hier) wird ein Nebenaspekt dieser Auseinandersetzung zum Thema gemacht: Niggemeier hat das offenbar irgendwo ungeschrieben gespeicherte Gesetz verletzt, die Anonymität von Kommentatoren zu wahren. Und in der Parallelgesellschaft Blogosphäre wird das mit angeekelter Verachtung bestraft, die ins kampagnenhafte abgleitet. Die Bloggerin Lanu schreibt zum Beispiel

Für mich ist Niggemeier ein Journalist. Damit ist über ihn auch schon alles gesagt, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass der Typ auch nen Blog hat und jeder von Euch, der selbst bloggt, sollte schleunigst eines tun, sich von Niggemeier distanzieren und laut und deutlich sagen, dass sein Umgang mit den Daten seiner Leser, die persönlichen Gockelleien mit DuMont und sein Gequatsche über angebliches öffentliches Interesse daran, mit Bloggen nix, aber auch gar nix zu tun haben.

Das scheint eine ganz gute Zusammenfassung der dort herrschenden Meinung zu sein. Und ich habe Schwierigkeiten, mir ob der intellektuellen Minderleistung überhaupt auszumalen, wo ich anfangen soll, den Unsinn zu widerlegen.

Ich werde mich nicht mit der Definition von Blog abplagen, weil sie egal ist. Auch nicht damit, dass Niggemeier keine Daten veröffentlicht hat, sondern ein Verhalten öffentlich gemacht hat. Im Kern geht es darum, dass jeder anonym kommentieren können soll, und dass Kommentare wie die von KNDs Rechner, von wo unter hundert verschiedenen Pseudonymen teilweise mit sich selbst diskutiert wurde, einfach gelöscht werden sollten. Mit anderen Worten: Niggemeier soll eine Kommentarspalte stellen, auf der sich jeder austoben kann, wie er will, und Niggemeier soll nur den Wildwuchs beschneiden, und das lieber als Zensur denn durch Transparenz. Auf keinen Fall, wirklich auf keinen, darf die Identität eines Kommentatoren preisgegeben werden. Es ist bizarr.

Ich weiß nicht, wie weit sich manche der Kritiker das überlegt haben. Es würde bedeuten, dass der Betreiber einer Themenseite, auf der ein Lobbyunternehmen hunderte Kommentare unter Pseudonym zugunsten der eigenen Sache schreiben lässt, diese verdeckte PR nicht aufdecken darf. Und das ist völlig inakzeptabel. Es würde bedeuten, dass ein Mächtiger unter dem Deckmantel der Anonymität das möglicherweise gefährliche Gegenteil von dem fordern darf, für das er tagsüber einsteht. Es würde bedeuten, dass einer der wichtigsten Medienmanager Deutschlands sich in einer Art und Weise aufführen darf, die ernsthafte Zweifel daran aufkommen lässt, ob er für die Machtposition, die er gegenüber seinen Mitarbeitern und gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit innehat, geeignet ist, ohne dass es jemand publik machen darf. Und das kann nicht sein.

Ich bin für Kommentare. Und meinetwegen soll sich jeder unter dem Namen äußern, unter dem er will. Aber ich erwarte, dass er für sich spricht, ehrlich für sich und nur für sich. Wenn jeder plötzlich 100 Leute sein kann, die sich unterstützen, wenn plötzlich ein Unternehmer anonym gegen die Konkurrenz wettern kann, wie es von KNDs Computer passiert ist, wenn also eine Diskussion nicht mehr ehrlich und offen geführt werden kann, dann ist sie wertlos. Dann gehört es zur Verteidigung der Freiheitsrechte, darauf hinzuweisen. Ich erwarte von jedem, der sich in eine Diskussion begibt, dass er bereit ist, zu seiner Meinung zu stehen. Ein Pseudonym kann nicht bedeuten, dass ich mir eben ein nächstes nehme, weil mein erstes sich zu weit aus dem Fenster hängt oder keine Unterstützung findet. Das ist keine Freiheit, die ich verteidige. Es ist, im Gegenteil, schädlich.

Dass der freie Journalist Niggemeier sich (mal wieder) mit einem Großverlag anlegt und sie zwingt, sich des merkwürdigen Gebarens ihres Junior-Chefs zu stellen – was überfällig war –, ist mutig und richtig. Es gibt kein Recht darauf, anonym irgendetwas kaputt zu machen, auch keine Diskussion.

Bedeutet Wikileaks, klassischer Journalismus ist überholt?

Es ist eine Diskussion über den Berufstand der Journalisten entbrannt, seitdem die Organisation Sunshine Press über ihre Seite Wikileaks vor einer guten Woche das Videoband aus der Bordkamera eines US-amerikanischen Militärhubschraubers veröffentlichte, auf dem zu sehen ist, wie die Besatzung Feuer auf eine Gruppe Männer und (in einem Transporter nicht zu sehender) Kinder eröffnet. Bei dem Angriff kamen mindestens zwölf Menschen ums Leben, darunter auch zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Auf der Tonspur des Videos ist zu hören, wie sich die Soldaten gegenseitig zu den „guten Schüssen“ gratulieren. Es ist schwer erträglich. Und aus Nachrichtensicht ist es eine Sensation, denn das US-Militär hatte immer behauptet, die Handlungen wären im Rahmen der internationalen Regeln und der eigenen „Rules of Engagement“ verlaufen und die Toten hätten eine direkte Bedrohung für die Soldaten dargestellt. Das Video erzählt eine andere Geschichte. Offensichtlich halten die Hubschrauberbesatzungen die Kameras der Reuters-Mitarbeiter für Sturmgewehre und Panzerfäuste, aber sie eröffnen das Feuer auch dann erneut, als ein Van vorfährt, dessen Insassen offensichtlich nur den verletzten Kameramann mitnehmen wollen. Wikileaks richtete eine extra Seite für das Video ein, unter dem wenig subtilen Titel „Collateral Murder“.

Natürlich ist das eine große Geschichte, und die klassischen Nachrichtenorganisationen überall auf der Welt haben mit dieser Geschichte aufgemacht. Die Frage, die für Journalisten bleibt ist aber: Warum hatte nicht einer von uns dieses Video zuerst, irgendein Reporter einer angesehen Zeitung oder eines Fernsehsenders, ein Journalist, der für seine Enthüllungen berühmt ist – sondern eine durch Spenden finanzierte Webseite, die überhaupt keinen Hehl daraus macht, dass zu ihren Unterstützern eine Reihe von Organisationen mit einer politischen Agenda gehören?* Ist das, wie manche Kommentatoren mutmaßen, ein Beweis dafür, dass Informanten ihre Enthüllungen nicht mehr „der Presse“ anvertrauen wollen? Haben sie den Glauben an die Journalisten oder ihre Öffentlichkeitsmacht verloren?
Es sieht tatsächlich so aus, und ich sehe nicht, was „die Presse“ – und dazu zähle ich mich – gewinnen könnte, wenn sie das einfach immer weiter bestreitet. Wikileaks hat die Authentizität des Videos verifiziert, einordnende und erklärende Kommentare in das Video gebaut und es mit Untertiteln ausgestattet, die den Funkverkehr zwischen Schützen, Piloten und ihrem Offizier im Hauptquartier verständlich machen. Das ist ordentlicher Journalismus (und tatsächlich wird die Seite ja nach ihrer Selbstauskunft unter anderen von Journalisten betrieben). Wer Journalismus als die Aufgabe versteht, die Öffentlichkeit umfassend über alles zu informieren, was auf der Welt an wichtigen Ereignissen passiert, der kann sich über den Umgang mit diesem Fall eigentlich nur freuen.


Auf den ersten Blick schadet er der klassischen Presse trotzdem: Ein weiterer Nagel in den Sarg, der aus der Überzeugung gebaut wird, dass es den Journalismus, wie er ist, wohl bald nicht mehr braucht. Ein weiterer Nagel geformt aus dem Misstrauen, dass die klassischen Redaktionen und Reporter in dem, was sie tun, eigentlich nicht mehr besonders gut sind – sei es wegen mangelnder finanzieller und zeitlicher Möglichkeiten, wegen einer tieferen politischen Agenda oder aus perönlichem Unvermögen und Schludrigkeit. Warum hatte keiner von uns das Video? Nun, vielleicht gehört zur Antwort auch, dass wir uns eingestehen, dass unsere Aufgabe im Gegensatz zu der von Wikileaks – deren einzige Funktion darin besteht, bislang unbekannte Dokumente zu veröffentlichen – nicht so klar und eindeutig ist, wie wir es gerne hätten.

Ein Beispiel aus dem direkten Umfeld verdeutlicht das meiner Meinung nach: Im Dezember führten unter anderem der US-Sender ABC, die britische BBC und die ARD gemeinsam eine Umfrage in Afghanistan durch. Damals beurteilten 70 Prozent der Befragten die Entwicklung in Afghanistan optimistisch, und diese überraschend positive Zahl fand sich nach ihrer Veröffentlichung in vielen Nachrichten (z. B. hier und hier). Drei Monate später, am 11. März 2010, stellte eine „Red Cell“ genannte Gruppe bei der CIA ein Dossier zusammen, in dem Wege vorgeschlagen wurden, wie die Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerungen vor allem in Frankreich und Deutschland begegnet werden könnte. Ein Vorschlag darin: Auf den hohen Optimismus der Afghanen hinsichtlich der ISAF-Mission hinzuweisen könne nach Ansicht der CIA gut genutzt werden, um „den Aussagen der Kritiker [zu widersprechen], die Mission sei eine Verschwendung von Ressourcen.“ Die 70 Prozent Optimismus sollten genutzt werden, um den Deutschen zu vermitteln, dass ihr Engagement wirke. Das Dokument kann seit dem 26. März auf Wikileaks heruntergeladen werden.

Doch vorher hatte die Bundesregierung offenbar schon auf die Erkenntnisse aus Amerika reagiert: Jedenfalls erschien am 15. März in der FAZ ein Meinungsbeitrag der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), in dem sie für den Afghanistan-Einsatz warb. Zitat:

Jüngste Umfragen zeigen: Unser Engagement wirkt! Über 70 Prozent der Afghanen blicken optimistisch in die Zukunft, ebenso viele Menschen bewerten die Schulversorgung in ihrem Umfeld positiv.

Außerdem schlagen die CIA-Denker vor, die erneute Gefahr durch den Terrorismus im Fall eines Abzuges zu betonen und sie gehen davon aus, dass „eine Betonung der multilateralen und humanitären Aspekte [der Mission] helfen könnte, die Abneigung der Deutschen gegen jede Art von Kriegführung besänftigen und an ihren Wunsch appellieren könnte, an multinationalen Missionen teilzunehmen.“ Bei Cornelia Pieper findet sich das vier Tage später so:

Afghanistan nach mehr als 20 Jahren Krieg und Zerstörung wieder aufzubauen und die Gefahr des Terrorismus einzudämmen – mit diesem Ziel ist die internationale Gemeinschaft seit 8 Jahren in Afghanistan aktiv.

Und, um es gleich vorweg zu sagen: Das ist überhaupt kein Skandal. Im Gegenteil: Die CIA ist genau dafür da, die US-Regierung über die Lage, auch die Stimmungslage, in der Welt zu unterrichten, und die Schlüsse, die sie ziehen, sind einigermaßen vernünftig, wenn man denn PR für den Einsatz in Afghanistan machen will. Es kann auch durchaus sein, dass das Auswärtige Amt ohne jede Hilfe aus Langley oder Washington auf dieselben Argumente gekommen und der zeitliche Zusammenhang ein Zufall ist. Aber das Ergebnis bleibt: Die FAZ sieht bei einem oberflächlichen Blick für den Leser plötzlich aus wie eine Abwurfstelle für Regierungspropaganda. Und Wikileaks sieht aus wie eine Organisation, die solche Propaganda entlarvt.

Das Grundmisstrauen gegenüber Staaten und Politikern wird längst auf die Presse ausgedehnt. Auf gefühlt unabhängige Webseiten aber nicht. Das war einmal genau anders herum: Bisher galt eher das Credo, dass „im Internet jeder schreiben kann, was er will“, während in der Presse sorgfältig geprüft wurde. Diese Zeit scheint nun vorbei.

Ich bin überzeugt, dass hierin eine Lehre steckt, über die es sich lohnt nachzudenken. Es scheint für mich so, als würden die Leser heute hinter einer Webseite eher einen Menschen vermuten, den man ansprechen kann, als hinter einer Verlagsmauer oder in einer Senderzentrale. Die journalistischen Institutionen und ihre Insignien verlieren ihren vertrauenerweckenden Status an jene, die einfach erreichbar sind. Mensch schlägt Medienmaschine. Das ist keine schlechte Nachricht. Wenn man richtig damit umgeht.

*Um diesen Satz ist, wie in den Kommentaren nachzulesen, eine kleine Diskussion entbrannt. Deshalb zur Klarstellung: Dass sich die Seite durch Spenden finanziert heißt nicht, dass sie sich von diesen Spendern abhängig macht, sondern nur – genau anders herum –, dass diese Spender in der Seite offenbar eine unterstützenswerte Einrichtung sieht. Etwas anderes wollte ich nicht behaupten, aber offenbar ist mein Satz missverständlich formuliert.

Journalist vs. Journalist. Alle verlieren.

So, jetzt reicht es aber wirklich: Auf der Webseite des Journalist, der Publikation des Deutschen Journalistenverbandes (Disclosure: dessen Mitglied ich bin), wurde, wie inzwischen wahrscheinlich alle wissen, über einen jungen Kollegen geschrieben, der offenbar in mehreren Texten Zitate zumindest eines, möglicherweise aber mehrerer nicht existenter Experten benutzt hat. Das ist selbstverständlich eine Geschichte, die man schreiben muss.

Nun haben die Journalisten des Journalist das so versemmelt, wie man es nicht versemmeln darf. Zur Anschauung habe ich den Artikel zumindest mal oberflächlich kommentiert (in eckigen Klammern). Here we go:

Erfundene Zitate [Schon die Dachzeile ist falsch. Noch weiß man nicht, ob die Zitate erfunden sind oder der Zitatgeber ein Betrüger war, aber die Zitate abgegeben hat. Hier hätte zumindest ein Fragezeichen hin gehört. Richtig wäre gewesen „Falsche Experten-Zitate“. Oder so.]

Welt-Gruppe und Südkurier trennen sich von freiem Autor

Der freie Autor Sebastian W–––––––– [Unkenntlichmachung von mir, hier steht im Original der volle Name des Kollegen, der hier nicht hätte genannt werden dürfen] hat offenbar [der Fairness halber hätte hier entweder ein „möglicherweise“ hin gehört, oder ein angeblich, falls es jemand behauptet] Zitate frei erfunden [Sebastian W. behauptet dagegen, er hätte nie Zitate erfunden, sondern wäre einem Hochstapler aufgesessen. Das hätte Der Journalist wissen können, wenn er die Einlassung des Betroffenen eingeholt hätte, was selbstverständlich hätte geschehen müssen. Offenbar hat der aber nach Ansicht der Journalist-Redaktion auf Anfragen nicht schnell genug reagiert (zwischen der Anfrage und dem Erscheinen des Artikels lagen 26 Stunden – angesichts der tatsache, dass die Geschichte Monate alt ist, ist das nicht unbedingt viel Zeit. Ich halte es für zu wenig Zeit)] – und die entsprechenden Texte an Spiegel Online, Welt Online und Südkurier verkauft. Springer erstattete Strafanzeige [allerdings erstattete Springer Strafanzeige gegen Unbekannt, nicht gegen Sebastian W. – Bis hier geht der Vorspann der Geschichte, deshalb wiederholt sich gleich ein Teil beim Beginn des Lauftextes].

Mindestens drei Redaktionen in Deutschland haben offenbar Artikel veröffentlicht, in denen Zitate frei erfunden waren [Natürlich ist der Satz, wie er hier steht, immer noch journalistisch falsch]. Nach Recherchen des Medienmagazins journalist und von MDR Sputnik hat der freie Autor Sebastian W–––––– [wieder die volle Namensnennung, wie im Folgenden noch mehrmals] unter anderem an Spiegel Online, den Südkurier und an Welt Online Texte verkauft, in denen sich ein Experte äußert, der womöglich gar nicht existiert. Die Redaktionen selbst haben von dem Verdacht unter anderem durch den Deutschen Presserat erfahren [übrigens im Dezember. Insofern war die Geschichte nicht so dringend, dass man auf die Antwort von Sebastian W. auf die Anfragen nicht noch ein bisschen hätte warten können].

„Recherchen der Welt-Gruppe haben den Verdacht bestätigt und darüber hinaus Zweifel an der Existenz weiterer von Herrn W–––––– zitierten Experten aufkommen lassen“, so Christian Garrels vom Axel Springer Verlag. Über die Zahl der betroffenen Texte machte Garrels keine Angaben. Offenbar hat der Autor aber nur vereinzelt Zitate erfunden, so dass der Betrug lange unentdeckt blieb [Das ist ein ungeheuerlicher Satz. Wenn der zitierte Springer-Vertreter keine Angaben macht, woher stammt dann die Einschätzung „offenbar“? So, wie es da steht, muss es eine Einschätzung der Redaktion sein, was sich ja auch manifestiert in der Feststellung, der Kollege „hat“ erfunden statt „hat möglicherweise“ oder „habe erfunden“. Und ganz schlimm wird es bei der Feststellung „so dass der Betrug lange unentdeckt blieb“ – das ist eine Vorverurteilung für eine konkrete Straftat. Nach Ansicht der Journalist-Redaktion hat Sebastian W. betrogen, und das ist nun wirklich eine Feststellung, die in diesem Land nicht Reporter treffen sondern Richter in einem Urteil]. Die Artikel – so heißt es aus einer der betroffenen Redaktionen – wären auch ohne die beanstandeten Passagen ausgekommen. Es handle sich also nicht um einen weiteren Fall Tom Kummer [hier fehlt der Hinweis, was ein „Fall Tom Kummer“ ist. Nur nebenbei]. Trotzdem haben die drei Medienunternehmen Konsequenzen gezogen.

„Da aus unserer Sicht ein schweres Fehlverhalten gegen Vertragsverpflichtungen und journalistische Grundsätze, insbesondere den Pressekodex, vorliegt, haben wir die Zusammenarbeit mit dem Autor sofort beendet, die von ihm erstellten Artikel vorsorglich offline gestellt und Strafanzeige erstattet“, so Garrels [Strafanzeige gegen Unbekannt, wohlgemerkt]. Auch im Archiv von Spiegel Online findet man nur noch einen Bruchteil der Veröffentlichungen des Autors. Die stellvertretende Redaktionsleiterin wollte sich zu dem Fall aufgrund eines „schwebenden Verfahrens“ nicht äußern [warum klingelt es bei einem Autoren nicht, wenn er das schreibt, nur ein paar Zeilen unter der eigenen Vorverurteilung?]. Der Südkurier hat die Zusammenarbeit mit W––––––– ebenfalls eingestellt.

Gegen alle drei Unternehmen hat der Presserat eine Rüge geprüft, aber verworfen. Nach Informationen des Medienmagazins journalist und von MDR Sputnik konnte das Gremium kein Fehlverhalten der Redaktionen selbst feststellen.

Der Autor Sebastian W–––––––– ist erst 25 Jahre alt und studiert an der Katholischen Universität Eichstätt Journalistik [was genau diese Identifizierung noch soll ist mir schleierhaft]. Trotzdem ist er kein Anfänger [da habe ich Einwände zur Definition von Anfänger, aber gut, was solls]. Auf seiner Internetseite listet er etwa 400 selbstverfasste [Ach so?] Artikel auf – unter anderem im Tagesspiegel, bei Stern Online, in der Zeit, in der Saarbrücker Zeitung und im Flensburger Tageblatt. Allein im Dezember 2007 brachte W–––––––– es laut seiner Webseite auf 25 Veröffentlichungen. Im vergangenen Oktober erhielt er den mit 1.500 Euro dotierten Kulturpreis des Rotary-Clubs Mittelholstein. Außerdem belegte er 2004 den dritten Platz beim Schülerzeitungswettbewerb des Spiegels in der Kategorie Reportage.

Sebastian W––––––––– war trotz mehrerer Anfragen per E-Mail und Telefon für eine Stellungnahme nicht zu erreichen [das finde ich ein bisschen perfide, denn die mehreren Anfragen kamen offenbar alle an einem einzigen Tag, und freie Journalisten sind auch manchmal einen Tag nicht zu erreichen. Sie sind auch keine Pressestelle, die erreichbar sein müsste. Aus meiner Sicht spielt dieser Satz eine Fairness vor, die es so nicht gegeben hat].

Update 26.3.2010, 17.50 Uhr: Kurz nach Veröffentlichung hat sich Sebastian W–––––––– beim journalist mit folgendem Hinweis gemeldet: „Ich darf bereits jetzt klarstellen, dass gegen mich nicht strafrechtlich ermittelt wird.“ [Ich kann nicht sagen, warum man beim Journalist diesen Hinweis nicht zum Anlass genommen hat, sich zu berichtigen. Aber es wäre nötig gewesen]

Um das klarzustellen: Ich habe keine Ahnung, was sich Sebastian W. hat zuschulden kommen lassen. Aber es reicht auch, ihm sein Fehler um die Ohren zu hauen, wenn man weiß, welche es sind. Und dass ausgerechnet das Organ des Verbandes, der die Rechte von Journalisten schützen soll, die Rechte eines Kollegen verletzt, ist furchtbar.

Nun hatte der Verband ein paar Tage Zeit, darüber nachzudenken und sich durchzulesen, wie zum Beispiel bei Stefan Niggemeier zu dem Fall diskutiert wird (hier und hier). Und dann haben sie darauf reagiert, in einer Stellungnahme (weil ich schon wieder an meinem laubsägegearbeiteten Blog scheitere nur der Hinweis, dass sie von den Kommentaren bei Niggemeier aus als PDF herunterladbar ist). Die entscheidenden Sätze in der Stellungnahme des DJV-Vorstandes sind:

Der BJV-Vorstand hat sich als Herausgeber des journalist die Rechchercheunterlage [sic!] vorlegen lassen. Er hat nach Prüfung der Unterlagen und der daraus resultierenden Fakten keinen Grund, an dem Kern des Beitrages „Welt-Gruppe und Südkurier trennen sich von freiem Autor“ (www.journalist.de) zu zweifeln.

Und ein paar Absätze später:

Der DJV-Bundesvorstand bedauert, dass die Frist zwischen Bitte um Stellungnahme an Sebastian W–––––– [Unkenntlichmachung von mir] (25. März) und Veröffentlichung des Online-Beitrages (26. März) den Eindruck erweckt, als habe Sebastian W––––––– keine Stellungnahme mehr abgeben können. Dieser Eindruck schadet dem Beitrag und bietet Kritikern Gelegenheit, die Inhalte insgesamt zu relativieren.

Meinen ersten Gedanken, nachdem ich das gelesen habe, darf man wahrscheinlich nicht schreiben, aber es war ein Zitat von Rahm Emanuel. Hier ist der zweite Gedanke, zur Sache:

Lieber DJV-Bundesvorstand, ich hoffe, ich habe oben deutlich gemacht, dass es genug Gründe gegeben hat, an diesem Artikel zu zweifeln. Und ich verstehe den Hinweis, dass die Fakten keinen Grund geben, „am Kern des Artikels zu zweifeln“ doch richtig wenn ich meine, dass der Artikel durchaus Raum für einige Zweifel in den Randbereichen zulässt? Das wäre aus meiner Sicht richtig, denn was auch immer Sebastian W. getan hat, gelten doch für den Umgang mit ihm die Regeln unseres Gewerbes. Und, verdammt, ausgerechnet der DJV-Bundesvorstand ist dafür da, für die Einhaltung dieser Regeln in jedem einzelnen Fall zu kämpfen. Gerade dann, wenn Journalisten unter Druck geraten, ob selbstverschuldet oder nicht.

Der Satz, der mir von Ihnen fehlt ist: Wir haben Fehler gemacht und dafür möchten wir uns entschuldigen.

Das wäre auch der Satz, der mir ein wenig Vertrauen in meinen eigenen Verband zurückgeben würde. Leute, Ihr seid für uns da. Also dafür, dass wir ordentlich arbeiten können. Nicht dafür, dass Ihr uns als erste schlachtet, wenn wir Fehler machen.

Ich weiß nicht, ob Sebastian W. Mitglied im DJV ist, aber wenn, dann könnte er vielleicht mithilfe des Verbandes juristisch gegen die Berichterstattung über ihn vorgehen?

Das Riekelsche Gesetz

Es ist eine Weile her, dass ich zuletzt dazu gekommen bin, hier etwas Substanzielles von mir zu geben, und diese Zeit ist gekennzeichnet von Niederlagen. Zum einen habe ich den Ideen-Wettbewerb Scoop des Axel-Springer-Verlages nicht gewonnen (ich war unter den letzten Sechs und durfte vor der Jury präsentieren, was Spaß gemacht hat, aber wenn man unter 1200 Bewerbern schon einmal so weit ist, will man auch gewinnen. Verdammt).

Und dann hat Patricia Riekel von der Bunten beschlossen, ganz offen eine alte journalistische Übereinkunft aufzukündigen, die zwar zunehmend erodierte aber doch über Jahrzehnte bestand hatte: Das Privatleben von Politikern in Deutschland war für Journalisten tabu. Jetzt erklärt sie, führende Politiker seien Vorbilder und müssten es sich deshalb gefallen lassen, dass zum Beispiel auch ihre heimlichen Liebschaften dem Wähler bekannt sein müssen. Sie hätte die Information gehabt, in Franz Münteferings Leben sei eine „entscheidende Änderung“ eingetreten, der die Rechercheure nachgehen sollten. Ja, genau. Die Information lag vor: Franz Müntefering hatte sich nach dem Tod seiner Frau wieder verliebt. Und deshalb hat er kein Recht mehr auf eine Privatsphäre?
Um es kurz vorweg zu sagen: Ich finde das ekelhaft. „Das Riekelsche Gesetz“ weiterlesen

Man wird doch mal fragen müssen

Wer spüren will muss hören: Diesen Text gibt es auch als Podcast – dank bodalgo.com, dem Online-Marktplatz für Sprecher

[audio:Fragen_muessen.mp3]

Ich bin ein wenig ratlos: Soll ich wirklich glaube, dass ein Bundeswehr-Oberst unter Umgehung einiger Einsatzregeln und mit glatten Lügen („Troops in contact“) einen Luftangriff befiehlt, um eine Reihe Taliban umzubringen, dabei mehr oder weniger offensichtlich den Tod von Unbeteiligten in Kauf nimmt, das Bundestagsmandat weit überreizt ohne seinen Rechtsberater, der neben ihm steht, auch nur um Rat zu fragen – und alles auf eigene Veranlassung, ohne eine politische Weisung, in Afghanistan jetzt aber mal härter durchzugreifen?
Und soll ich dann tatsächlich Respekt für einen Verteidigungsminister haben, der im gleichen Atemzug Oberst Klein die volle und alleinige Verantwortung für diese Entscheidung überschreibt, aber dabei behauptet, er würde ihn nicht fallen lassen? Weil sich das „nicht gehöre“?
Wenn Oberst Klein getan hat, was der Bundesverteidigungsminister behauptet, nämlich durch schwer zu vermittelnde Verfahrensfehler im Einsatz, durch falsche Angaben und durch sein Vertrauen in zweifelhafte Informationen viele, viele Leben vernichtet, dann gehörte es sich durchaus, ihn fallen zu lassen und anzuklagen. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube, die Regierung verschweigt uns, dass sie in Afghanistan die Strategie geändert hat – und dass der Luftangriff von Kundus ein Fehlschlag im Rahmen dieser neuen Strategie ist.
Das für mich völlig Bizarre an diesem Fall ist: Der Verteidigungsminister redet und redet, zuletzt wieder eine gefühlte ganze Nacht bei Beckmann – ohne, dass er irgendetwas dabei sagt (gut, bei Beckmann war echte Aufklärung vielleicht auch nicht zu erwarten, aber warum fragt er den Minister nicht einfach, wo er schonmal da ist?). Karl Theodor zu Guttenberg verweigert die Aufklärung der Ereignisse mit dem Hinweis, es gäbe ja nun einen Untersuchungsausschuss, was nichts anderes ist als der Versuch, sich von seinem eigenen Ministerium so weit fern zu halten, als gehöre er nicht dazu (denn natürlich ist der Verteidigungsminister als erster in der Pflicht, die Vorgänge in seinem Amtsbereich zu kennen).
Wir wissen, dass es vor Ort eine geheime „Task Force 47“ gibt, von deren Kommandostand aus der Luftangriff befehligt wurde. Wir wissen, dass an der Task Force Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beteiligt sind. zumindest die wird sich Oberst Klein nicht ohne Wissen seiner Regierung und des zuständigen Ministers selbst geschnitzt haben. Aber wir lassen Guttenberg vom Haken und ihn eine Show abziehen, an der mich vor allem eines zutiefst stört: Er tut so, als stelle er sich vor die Soldaten. Aber er tut das Gegenteil: Er flüchtet so weit wie möglich weg von den Einschlägen. Und wir wenden für Guttenberg die Unschuldsvermutung an, obwohl das bedeutet, die Schuld zu verschieben auf Menschen, die in Afghanistan einen schwierigen Dienst tun und sich nicht pausenlos vor jeder Kamera zu Wort melden können.
Oberst Klein wollte mit seinem Angriff am 4. September viele Menschen töten, das steht wohl fest. Die Frage, die als erste zu beantworten ist muss doch sein: War das politisch so gewollt und beschlossen oder nicht? Hatte er die Anweisung, die Strategie in diesem Sinne zu ändern oder nicht? Ich glaube nicht, dass die Frage, über die wir hier sprechen ist, ob Kleins Verhalten „militärisch angemessen“ war. Militärs lösen ihre Aufgabenstellungen militärisch, und der Luftschlag war militärisch in jedem Fall sehr effektiv. Aber unabhängig von völkerrechtlichen Fragen der Angemessenheit ist die Frage, ob ein deutscher Offizier eigenmächtig und sehenden Auges den verheerendsten deutschen Militärschlag seit dem Zweiten Weltkrieg befohlen hat – oder ob es die Anweisung dazu gab. Dass der Luftschlag nach unserer Einschätzung unangemessen war heißt auch: Einer von beiden ist schuldig, der Soldat oder seine Regierung. Einer von beiden hat beschlossen, dass wir nun Menschen töten, auch wenn sie uns nicht direkt angreifen. Und egal ob wir finden, dass das in Afghanistan die angemessene Strategie ist – abgesprochen war das nicht.
Ganz persönlich bin überzeugt, wir sollten tatsächlich hinter denen stehen, die weit entfernt unter großem Druck und in unserem Auftrag ihr Leben riskieren. Im Gegensatz zu den hohlen Worten des Ministers sollten wir Oberst Klein tatsächlich nicht fallen lassen, wie wir es tun, wenn wir wie Reinhold Beckmann den Minister seine Worthülsen verbreiten lassen, ohne ihn wirklich zu hinterfragen.
Die Frage ist einfach: Habt ihr, die Regierung, Oberst Klein angewiesen, von nun an rigoros Taliban-Anführer auszulöschen? Und wenn nicht: Was macht die KSK da? Was macht diese Task Force da? Und nein, Herr Minister, es ist nicht die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, ihre Arbeit zu machen.
Ich bin mir bei Weitem nicht sicher, dass die Frage, wann wer etwas von zivilen Opfern gewusst hat die einzige Frage ist, in der wir angelogen werden. Ich glaube, dass das Abenteuer Afghanistan mit seinen verfassungsrechtlichen Implikationen den Verantwortlichen längst über den Kopf gewachsen ist und sie keine klare Linie mehr finden. Ich habe sogar Verständnis dafür. Aber es ist ekelhaft, wenn dieser Schlingerkurs im Halbschatten auf Kosten von Soldaten gefahren wird, die uneingeschränkte Unterstützung brauchen und verdienen. Und es ist leider auch kein Ruhmesblatt für die Presse, wenn wir uns wie in den letzten Wochen vom Kleinklein ablenken lassen von den Fragen, die wirklich wichtig sind.

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Nikolaus Brender wird also nicht mehr Chefredakteur des ZDF sein, sein Vertrag wird nach zwei Amtszeiten von je fünf Jahren nicht mehr verlängert, und schuld daran ist Roland Koch, der schon seit einem Dreivierteljahr erklärt, er halte Brenders Arbeit als Manager des ZDF-Journalismus für nicht gut genug. Nun geht ein Aufschrei durch die Republik, der wirkt, als wäre die Demokratie in Gefahr, wegen des unerträglichen Hineinregierens der Parteien oder gar der Regierungen in die Öffentlich-Rechtlichen Sender. Das macht mir Bauchschmerzen. Denn ich halte den Vorgang im Verwaltungsrat für einen der Fälle, in denen die Demokratie ihre große Schwäche offenbart – nämlich die, dass sie von Menschen ausgefüllt wird. Ein großer Teil der Kritik ist allerdings geradewegs undemokratisch. Und es scheint, als dürfe man das einfach sein. „Die Partei, die Partei, die ist immer schlecht“ weiterlesen

Wenn das Gehirn nicht reicht – die FAS und die Bildung

Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen, ist ein großer Kampagnen-Journalist, und im Moment ist sein großes Thema, dass sein Gehirn für die moderne Zeit nicht ausreicht, also, niemandes Gehirn, und schuld daran ist das Internet. Vielleicht liegt es daran, dass in seiner Sonntagszeitung heute eine Geschichte zur Hamburger Bildungsreform steht, die in ihrer Schlichtheit wahrscheinlich in keinem Blog der Welt hätte stehen können – Papier ist manchmal offensichtlich zu geduldig. Meine beiden Kinder sind von dieser Reform direkt betroffen, deshalb verfolge ich das Gezerre sehr interessiert, und der Text heute in der FAS ist so unfassbar voreingenommen, dass man sagen muss, er ist von Qualitätsjournalismus tatsächlich weiter entfernt als selbst die Pamphlete der Initiative gegen die Reform. Wäre die FAS ein Fußballspiel würde ich auf der Tribüne „Hoyzer, Hoyzer“ schreien.

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Das Buchholz-Attentat

Bei Gruner & Jahr sind sie also kurz davor, sich zu hauen – bereits auf der Eskalationsstufe Hitlervergleiche. Und schuld daran ist wieder nur die Angst. Wenn man den Redaktions-Beiräten glauben darf, dann haben die Redaktionen entweder nicht verstanden, was Bernd Buchholz mit dem Verlag vorhat, oder sie haben es verstanden und können es nicht glauben. Sie haben Angst, dass es stimmt. Für alle, die den Feinheiten der deutschen Print-Landschaft ob ihrer langweiligen Berechenbarkeit nicht regelmäßig folgen: Bernd Buchholz, der noch recht frische Vorstandsvorsitzende des traditionsreichen Verlages von unter vielen anderen Stern, Brigitte und Geo hat im Wesentlichen drei Wege skizziert, wie der Verlag in Zukunft weiter sehr viel Geld verdienen soll: Zum einen soll er seine Zeitschriften billiger produzieren, indem er in einem „Plattformsystem“ Zeitschriftenteile titelübergreifend in einer Art One-Size-Fits-All-System erstellen lassen will (wir erinnern uns, dass so zum Beispiel in der DDR auch Häuser gebaut worden sind). Zweitens möchte er das so genannte Corporate Publishing ausbauen, bei dem Gruner & Jahr als Auftragnehmer zum Beispiel Kundenzeitschriften für andere Firmen erstellt. Und er möchte drittens als eine Art Informationshändler mit einem Datenbanksystem wertvolle Informationen an professionelle Kunden verkaufen.

Alles drei sind Punkte, die für Journalisten, die bisher mit relativ großer Freiheit und einigem Komfort zum Beispiel bei Stern, Geo oder Brigitte arbeiten durften ziemliche Zumutungen bedeuten. Aber vor allem sind sie eines nicht: Ideen, wie man in Zukunft den Journalismus weiter entwickelt. Journalismus spart man so höchstens kaputt, oder verabschiedet sich ganz von ihm. Deshalb haben die Redaktionsbeiräte (die haben da schon tolle Sachen, bei Gruner: Redaktions-Beiräte. Geil!) der drei aufgeführten Titel Bernd Buchholz geschrieben, bei seinen Plänen ginge es wie immer nur ums Geld, und Buchholz schrieb zurück, das sei jawohl eine Frechheit und er würde jetzt gar nicht mehr mit ihnen reden. Und dann schrieb der Geo-Chefredakteur was von einem Hitler-Attentat und alle schreien seitdem durcheinander. Weltklasse für Deutschland. „Das Buchholz-Attentat“ weiterlesen

Werther und Medien

Ein paar von euch werden jetzt denken, was ich denke: Das stand hier schon tausendmal. Aber offensichtlich muss man manche Sachen sehr oft sagen. Es stimmt ja, dass Schreiber, Medien im Allgemeinen, bei ihren Lesern meist zu viel Vorwissen voraussetzen und ihnen im Gegenzug zu wenig Urteilsfähigkeit zusprechen. Also, noch einmal: Ich glaube, wir sollten die Depressiven in die Mitte der Gesellschaft holen, und deshalb habe ich vorgeschlagen, die Rückennummer 1 bei der Nationalmannschaft bis nach der WM nicht zu vergeben. Das hat, in acht Monaten, mit dem Gedenken an Robert Enke höchstens noch am Rande zu tun. Es geht um ein Symbol. Ich glaube, dass es Depressiven helfen kann, sich Hilfe zu suchen.

Aber es war klar, dass eine große Diskussion daraus wird, und das ist ja auch gut so. Was ich nicht erwartet hätte, ist der meiner Meinung nach falsche Einwand, den Stefan Niggemeier in seinem Beitrag erhoben hat: Nach Berichten über prominente Selbstmorde steigt erwiesenermaßen die Selbstmordrate, und er plädiert deshalb dafür, die Berichte über Selbstmorde zumindest stark zurück zu fahren. „Werther und Medien“ weiterlesen