Ich weiß nicht, ob Angela Merkel John Lennon mag. In jedem Fall hat sie einiges mit ihm gemeinsam. In einem Interview (in diesem Youtube-Video etwa ab Minute 2:20) erklärt er seine Strategie, die angeblich auf einem alten chinesischen Buch über Kriegführung basiert*.
Der Krieg wird immer innerhalb der Burg verloren […]. Deshalb schließt man nie alle Tore. Man lässt ein Tor offen. So weiß man, wo der Feind hereinkommt – und kriegt ihn dort.
Lennon erklärt so seine Taktiken wie „lange Haare, Genitalien“ und ähnliches Zeug. Gib dem Feind einen Punkt zum angreifen und mach in der Zwischenzeit weiter mit dem, was wirklich wichtig ist.
Ich glaube, man kann mit der gleichen Taktik erklären, warum Joachim Gauck unser Bundespräsident wird. Es ist pure und (leider) brillante Taktik der Kanzlerin.
Die FDP habe Merkel erpresst und Joachim Gauck als Nun-doch-noch-Bundespräsident wäre die erste große Niederlage von Angela Merkel, ihre „größte Schmach“ gar – so in etwa liest sich die Presse zum Thema des Tages. Ich möchte dem respektvoll widersprechen.
Angela Merkel muss seit Wochen gewusst haben, spätestens seit der unseligen Mailbox-Affäre, dass ein Rücktritt Christian Wulffs möglich oder gar wahrscheinlich ist. Es wäre bizarr anzunehmen, sie hätte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie danach einen neuen Kandidaten braucht.
Wenn wir uns das Ergebnis ansehen, stellen wir fest: Das Kandidatenproblem ist schnell abgeräumt worden. Es ist zur Zufriedenheit einer übergroßen Mehrheit im Land gelöst. Und es wirkt, als hätte die FDP sich zum ersten Mal seit Jahren in einem Punkt durchgesetzt, bei dem sie den größten Teil der Bevölkerung hinter sich hat. Alles das zum Preis einer Entscheidung, bei der Merkel sich nur vorwerfen lassen muss, sie wäre spät „zur Vernunft gekommen“, sie hätte erst später als andere erkannt, was richtig ist – also genau das, was sie am Beispiel Atom und am Beispiel Mindestlohn durchexerziert hat, ohne dass es ihren Popularitätswerten irgendwie geschadet hätte. Es hat ihr, im Gegenteil, wahrscheinlich eher genutzt, dass sie nicht als beratungsresistent gelten kann.
Und ich soll tatsächlich glauben, sie hätte das nicht so geplant? Pah! Sie hat einen Präsidenten, der ihrem Lager in Wahrheit näher steht als dem rot-grünen. Sie hat der FDP ein politisches Konjunkturpaket geschenkt, denn es sind noch zwei Jahre hin bis zur Wahl, also noch viel zu früh um diese Partei endgültig abzuschreiben – selbst wenn im Moment weder ein Weg noch das Personal erkennbar sind, mit dem diese sich berappen soll. Und Merkel wird am Ende wahrgenommen werden als eine, die sich nicht aus egoistischen Gründen der vernünftigen Lösung in den Weg gestellt hat. Sie hat ein Tor geöffnet für Häme, aber sie hat die Lage trotzdem unter Kontrolle behalten. Das war nicht selbstverständlich nach dem Wulff-Debakel.
*Ich war mir sicher, es ist „Die Kunst des Krieges“ von Sun Tzu, aber ich finde das Zitat da nicht. Vielleicht hat Lennon es auch einfach erfunden.