Das mit den Reparationen

Jetzt ist der schlechteste Moment, um über Reparationsforderungen von Griechenland an Deutschland zu reden. Sie verdienen ein würdigeres Umfeld, nicht das längst merkwürdige Wüten aller möglicher Halbbeteiligter. Natürlich ist es falsch, „den Griechen“ vorzuwerfen, sie würden „ausgerechnet jetzt“ mit ihren Forderungen kommen, denn die Forderungen gab es immer, und sie wurden auch immer kommuniziert. Es ist im Gegenteil zynisch, das jetzt umzudrehen. Bisher hat eben nie jemand richtig zugehört, aber das ist der Schmerz und nicht die Schuld vor allem jener, die die Verbrechen noch erlebt haben.

Aber die Reparationen und Zwangsanleihen haben mit der aktuellen Situation nichts zu tun. Mir wäre es lieber, die Diskussion fände nicht jetzt statt. Am liebsten wäre mir, sie hätte vor zehn oder zwanzig Jahren stattgefunden. Aber es ist, wie es ist, und es wäre wohl naiv zu glauben, man könnte eine Pause-Taste finden, bis alles andere gelöst ist.

Also brauchen wir einen besseren Weg. Ich habe ein paar Gedanken dazu.

Die erste Wahrheit der Diskussion ist, dass Deutschland den Schaden und den Schmerz, den es im und um den Zweiten Weltkrieg verursacht hat, niemals mit Geld reparieren kann. Wir haben einfach nicht genug.
Ich halte die im griechischen Parlament präsentierten 279 Milliarden für ziemlich plausibel erklärt, aber nicht einmal die könnte Deutschland sich leisten, geschweige denn all jene Forderungen anderer Länder, die da noch nachkämen, wenn das Beispiel einmal gesetzt wäre. Die Verbrechen waren zu groß und zu viele.

Keines meiner Heimatländer kann seine Schulden einfach so begleichen, das scheint irgendwie mein Schicksal zu sein, aber so ist es.

Schuld und Schulden sind allerdings eben nicht dasselbe. Und im Falle Griechenlands gibt es den Sonderfall jener Zwangsanleihe, deren Begleichung eben keine Reparation ist, sondern einfach die Rückzahlung eines Kredits (sein könnte). Das eröffnet Möglichkeiten. Selbst wenn Deutschland seine Schulden nicht bezahlen kann, könnte es Wege geben, an der Schuld zu arbeiten.

Dafür muss die Diskussion als erstes von jener um die Eurokrise gelöst werden. Ich schlage vor, dass eine Kommission aus Elder Statesmen beider Staaten, gerne unter dem Dach irgendeiner internationalen Organisation, sich dafür zusammensetzt – und sich dafür ein bisschen Zeit nimmt. Diese Diskussion ist unabhängig von allem anderen. Egal ob der Euro zerbricht oder übermorgen alles schön ist und die Eurozone eine Fackel des Wirtschaftswachstums – einfach nicht mehr darüber zu reden ist aus meiner Sicht keine Lösung.

Es gibt drei voneinander getrennte Stränge, die heute unter anderem von der Bundesregierung zu dem einen Thema Reparationen zusammengefasst werden: Die Entschädigung für die Zerstörung der Infrastruktur in Griechenland, die Entschädigung von Opfern und den berühmten Zwangskredit. Dringlich ist die Entschädigung der Opfer, weil sie alt sind.

Es ist offensichtlich, dass Deutschland nicht alle Opfer finanziell wird entschädigen können. Für die Opfer der unter der Nazi-Ideologie Verfolgten hat es 1960 bereits eine Entschädigung von 115 Millionen Mark gegeben, für andere – wie die Überlebenden und Angehörigen der Massaker von Distomo, das als „Kriegshandlung“ (besser: Kriegsverbrechen) gewertet wird – gab es keine. Mein Vorschlag wäre folgender: Es gibt einige wenige alte Überlebende und Angehörige, die heute im Elend leben. Ich glaube, ihnen sollte über eine Stiftung schnell geholfen werden. Dafür muss man keine juristische Verpflichtung anerkennen, man kann es einfach tun, und es ist nicht einmal teuer. Es ist eine Frage von wahrscheinlich ein paar Millionen Euro.

Der größte Batzen jener 279 Milliarden Euro entfällt auf die Zerstörungen während der Besatzung, und es ist offensichtlich, dass sie nie bezahlt werden. Bis jetzt ist das auch gar keine Forderung der griechischen Regierung (sie hat bisher nur die Studie präsentiert, in der die Zahlen berechnet wurden). Meiner Meinung nach kann die deutsche Bundesregierung sich hier mit einigem Recht darauf berufen, dass diese Reparationen abgeschlossen sind. Das heißt nicht, dass man nicht miteinander sprechen kann und sollte, denn es geht hier nach den Worten des griechischen Ministerpräsidenten in Berlin explizit nicht um eine finanzielle Frage, sondern um eine moralische. Aber Geld wird da kaum fließen (können), und das sollte auch nicht das eigentliche Thema sein.

Anders ist es bei dem Zwangskredit. Die juristische Position ist sicher nicht eindeutig, aber Griechenland erwartet mit einigem Recht die Rückzahlung (tolles Thema gerade, klar). Die Summe dürfte sich bei 10,3 Milliarden Euro einpendeln, und gerade die juristische Unklarheit könnte eine großartige Möglichkeit sein, etwas Gutes daraus erwachsen zu lassen. Ich mag die Idee einer griechischen Förderbank nach dem Vorbild der KfW, die unter anderem mit Geld aus dieser Anleihe Wachstumsimpulse durch Kredite an Unternehmer setzen kann. Ich hielte das sogar für eine politische Möglichkeit, bei den Bedingungen der Troika-Programme hart zu bleiben, um die Wähler zuhause zufriedenzustellen, und zeitgleich diese Impulse zu setzen, weil das Geld eben nicht an die (ungeliebte linke) griechische Regierung ginge, sondern zum Beispiel an Start-Up-Unternehmer – die es in Griechenland gibt, denen aber entscheidende Dinge zum Erfolg fehlen.

Ich kann mir ein paar Leute aus der Generation derjenigen vorstellen, die alt genug sind, noch Kontakt zu haben zu den Zeiten über die wir hier reden. Auf beiden Seiten (und dies ist tatsächlich einer der wenigen Momente in meinem Leben, wo ich mir wünsche, Helmut Kohl könnte und wollte noch aktiv mitmischen. Ich glaube, er wäre ein Guter dafür). Die zwischen den ehemaligen Gegnern Griechenland und Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Freundschaft ist für mich ein Wunder – ohne das es mich gar nicht gäbe – und ich würde es gerne gewürdigt sehen. Im Moment ist davon auf beiden Seiten aus den Reihen der aktiven, ja, hyperaktive Politik zu wenig zu spüren.

PS. Kann nicht mal einer dem Kammenos ein Spielzeug geben, das ihn ablenkt? Der stört wirklich nur noch.

Du bist neue Medien

Mit Christian Wulff ist nur der zweitbeste Kandidat Bundespräsident geworden, zumindest, wenn man die Meinung der Bevölkerung zugrunde legt – aber was könnte man denn eigentlich sonst zugrunde legen? Irgendetwas muss es da geben, irgendeine Erklärung, an die sich viele der Wahlmänner und -frauen in der Kabine geklammert haben, als sie ein Kreuzchen da gesetzt haben, wo sie wussten, dass es der Souverän – wir, das Volk – nicht haben wollte. Irgendwie müssen sie es sich innerlich schöngeredet haben, anders kann man ja sonst nicht mehr in den Spiegel schauen. Und erstaunlicherweise haben sie damit der Demokratie aus meiner Sicht einen Dienst erwiesen. Denn sie haben gezeigt, dass zwar die politische Klasse des Landes weitgehend vergessen zu haben scheint, was Politik eigentlich ist – aber wir nicht. Und dass das Desinteresse an den Winkelzügen dieser Klasse nicht Politikverdrossenheit ist, sondern Politikerverdrossenheit. Aber wer sagt denn eigentlich, dass wir diese Politiker überhaupt noch brauchen?

Politik ist am Ende nur die Kunst, möglichst große Einigkeit herzustellen. Und wir hatten eine weit gehende Einigkeit: Den Umfragen nach wollten plusminus zwei Drittel der Deutschen Joachim Gauck als nächsten Bundespräsidenten. Und das wiederum – und hier liegt der Knackpunkt – offenbar deshalb, weil sie sich von ihm versprochen hatten, er könne Einigkeit in Deutschland herstellen. Was, wenn man es richtig bedenkt, eine genau so schöne wie bizarre Vorstellung ist: In einem Amt, dessen ganze Gestaltungsmacht darauf beruht, dass man Reden hält, bedeutet die Fähigkeit, Einigkeit herzustellen, ja letztlich nur: Der Mann wäre nach unserer Ansicht in der Lage gewesen, die Dinge so in Worte zu fassen, dass wir festellen, dass wir uns in den meisten Fragen ohnehin einig sind. Genau wie in dem tiefen, berechtigten Glauben an die Macht des Mediums Wort für den Fall, dass wir es in wichtigen Fragen einmal doch nicht sind (auf die Frage, wie er zum Krieg in Afghanistan steht, sagte Gauck „ich ertrage ihn“. Das war für mich nicht nur das Schlaueste, was ich dazu gehört habe, sondern vielmehr meine eigene Haltung, für die ich noch keine Worte gefunden hatte. Das zu hören war für mich einen Moment lang wie nachhause kommen).

In der Welt der Politiker gelten beide Prinzipien in Wahrheit nichts. Im Gegenteil: Anstatt Einigkeit herzustellen, gilt es als karrierefördernd und unumgänglich, Unterschiede „zuspitzen“ zu können. Und die Macht des Wortes ist der Fähigkeit gewichen, Zuspitzungen oder teflonartige Nichtpositionen in Soundbytes als Statements für die Tagesschau abzusondern. Es lässt sich ja nicht von der Hand weisen, dass die Wahrscheinlichkeit eher hoch ist, dass selbst aus Philipp Mißfelder im Sinne einer politischen Karriere „noch einmal irgendetwas wird“. Und das liegt nicht unwesentlich an dem, was Politiker als „die Gesetzmäßigkeiten der Medien“ verstehen. Die allerdings ändern sich gerade für immer.

Die große, öffentliche und unaufhaltsame Kampagne ganz normaler Menschen, die gefragt und ungefragt ihre Präferenz für ein notorisch langweiliges Amt erklären, zeigt, dass Menschen ein Interesse daran haben, wer sie regiert. Die sinkenden Wahlbeteiligungen zeigen, dass sie allerdings nicht das Gefühl haben, durch Wahlen etwas zu verändern. Dass sich ausgerechnet bei einer Wahl, bei der das Volk gar nicht zur Urne gerufen wird, so viele Menschen emotional oder gar mit Briefen und Online-Kampagnen engagieren, liegt aus meiner Sicht an einer einfachen Tatsache: Durch die besondere Konstellation dieser Bundespräsidentenwahl sah es während eines begrenzten Zeitraumes so aus, als würden die ganz normalen Menschen mit ihren Wünschen tatsächlich gehört werden. Jemand, der seine Meinung irgendwo online veröffentlichte, konnte davon ausgehen, einen winzig kleinen Beitrag zum großen Meinungskanon beizusteuern. Aus denen, die im politischen Betrieb durch die „Gesetze der Medien“ eigentlich als Empfänger der Botschaft vorgesehen sind, wurden zu Sendern ihrer eigenen. Das, und nur das, sind neue Medien.

Wie stark diese neuen Sender, wir alle, sind, wenn wir uns einer Sache einig sind, zeigt die Tatsache, dass die Anhänger der alten „Gesetze der Medien“ genau das tun mussten, was sie am schlechtesten können, weil es in ihrem Gesetzbuch nicht vorkommt: zuhören. Die Macht der Worte hat sie zumindest dazu gezwungen. Und wenn wir das einmal schaffen, warum nicht immer wieder?

Ich glaube, dass sich letztlich alle Probleme der Medien darauf zurückführen lassen: Sie sollten ein Vehikel des Austauschs von Informationen zwischen Menschen sein. Aber Austausch hat zwei Richtungen, und das sehen die alten Gesetzmäßigkeiten bis heute nicht vor. Dabei brauchen wir nur auf die Qualität von Kommentaren unter Beiträgen im Internet nachzusehen, um das Gesetz der neuen Medien zu lernen: Wenn an dem einen Ende ein Mensch steht, der sich zu erkennen gibt, dann wird der am anderen Ende sich im Regelfall auch benehmen wie ein Mensch. Steht aber an dem einen Ende nur eine Institution, eine Funktion, eine gesichtslose Maschine, führen sich auch Kommentatoren in vielen Fällen in einer Art auf, die weit jenseits ihres alltäglichen Umgangs liegen dürfte.

Für Politiker gilt das neue Gesetz der Medien – der Zwang zum Zuhören – umso mehr, weil wir sie ja überhaupt nur als Medium der Übertragung unserer Wünsche, Lebens- und Gesellschaftsmodelle nach oben in ihre Position gewählt haben. Wer von ihnen, egal wie unbewusst, sich nur als Sender einer Botschaft zu uns versteht, als Institution, der wird es im Zeitalter der neuen Medien bald so unerträglich schwer haben wie die Medienhäuser, die nur in eine Richtung funktionieren – und sie werden möglicherweise nicht einmal wissen, was ihnen zugestoßen ist.

Aber wir wissen, was ihnen zugestoßen ist: wir.

Schützt meine Leistung!

Ich bin gegen das im Koalitionsvertrag vereinbarte „Leistungsschutzrecht für Presseverlage zur Verbesserung des Schutzes von Presseerzeugnissen im Internet“, das ist keine Überraschung. Aber inzwischen wundert es mich, wie ein Gesetz im Koalitionsvertrag verankert werden konnte, für das überhaupt niemand außerhalb der Führungszirkel der Verlage versteht – nicht einmal die Mitglieder der Regierungsparteien (in einer parteiübergreifenden Initiative schreiben gerade Mitglieder der Jungen Union gemeinsam mit Jusos an einem Antrag gegen das LSR – natürlich online auf Google Docs). Auf der anderen Seite: Wer wollte einem Gesetz widersprechen, von dem er nichts weiß? Und die Berichterstattung in den klassischen Medien, die in ihrer Mehrzahl ja von den Unterzeichnern eben der Hamburger Erklärung herausgegeben werden, die als Grundlage der LSR-Argumentation genutzt wird. Dass die Verlage – mit der kleinen Ausnahme des Heise-Verlages – das Thema in ihren eigenen Blättern totschweigen hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, dass ihre Position argumentativ einfach nicht vertretbar ist, wenn man das Geschwurbel weglässt. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass sich selbst im Hause Springer, wo der Chef die Suche nach einem Erlösmodell eine „heilige Pflicht“ nennt, kein Journalist zu dem Thema redet, sondern immer nur der oberste Lobbyist Christoph Keese. Das LSR wie es gemeint ist ist nichts als eine kalte Enteignung von Google unter Zerstörung einiger der wichtigsten Grundlagen des Internets (die freie Vernetzung), und man muss Google nicht sympathisch finden oder für über jeden Zweifel erhaben halten um es abzulehnen. Aber das heißt eines noch nicht: Dass es nicht eine sinnvolle Form geben könnte, Verlagsleistungen zu schützen.


Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP sieht vor, Presseverlage anderen Verlagen im Internet gleichzustellen („Verlage sollen im Online-Bereich nicht schlechter gestellt sein als andere Werkvermittler“), das heißt praktisch etwa den Buch- und Musikverlagen, die durch Verwertungsgesellschaften Geld zum Beispiel für Kopien aus Büchern (über eine Geräteabgabe) oder das öffentliche Aufführen der Musik zu kommerziellen Zwecken (über die GEMA) einsammeln und unter den Rechteinhabern verteilen. Die Vorstellung der Verlage ist, dass zum Beispiel und vor allem Google für die Verwendung von Überschriften und Textauszügen (Snippets) aus den Verlagstexten in den Suchergebnissen, mit denen ja über Werbung Geld verdient wird, bezahlen müsste. Und ich, der ich eine Art kommerziellen Blog mit fast sieben Euro Einnahmen in einem einzigen Monat betreibe, wahrscheinlich auch. „Schützt meine Leistung!“ weiterlesen

Kurz gesagt

Der wunderbare, unübertroffene New Yorker hat als wohl erstes Magazin der Welt diese Woche ein Cover, das komplett auf New Yorkereinem iPhone gemalt wurde. Das App heißt Brushes und kostet 3,99. Und macht süchtig.