Ich bin provoziert worden

Dirk von Gehlen hat mir offenbar ein „Blogstöckchen zugeworfen“, was bedeutet, ich bin jetzt so eine Art Geisel und kann nicht mehr ruhig schlafen, bis das hier erledigt habe.

Zähle 5 Bücher auf, die ganz oben auf deiner Wunschliste stehen, die aber KEINE Fortsetzungen von Büchern sind, die du schon gelesen hast – sie sollen also völlig neu für dich sein. Danach tagge 8 weitere Blogger und informiere diese darüber.

Ich halte das für eine Art Kettenbrief mit einem bescheuerten Namen, aber für Dirk würde ich selbst dabei mitmachen (außerdem ist mir gerade eingefallen, dass ich ja alle Bücher mit Amazon-Affiliate-Links versehen kann, oder? Ich versuche das). Ich warne vorweg, dass mein Literaturgeschmack unvorstellbar unoriginell und merkwürdig ist.

Also:

1. Tatsächlich ungelesen liegt bei mir ungelesen Zadie Smith – NW
auf dem Nachttisch. Weil ich sie ziemlich verehre und alle ihre Bücher geliebt habe. Ich fühle mich auf die bizarrstmögliche Art mit ihr verbunden: Ich habe das Gefühl, sie macht das, was ich tun würde, wenn ich es könnte (ähnliche Gefühle habe ich übrigens in der Musik in Bezug auf Badly Drawn Boy (Affiliate Link: Have You Fed The Fish),in der Mode für den unverschämt viel zu früh verstorbenen Alexander McQueen und beim Sport selbstverständlich für Iron Mike Tyson). Und ich lese gerne auf englisch, um mein Englisch zu erhalten.

2. Entsprechend werde ich sicher irgendwann Mike Tysons Undisputed Truth: My Autobiographylesen, wobei da wahrscheinlich noch ein paar Bücher dazwischenrutschen, an die ich im Moment noch nicht denke, die ich dann plötzlich wichtiger finde, obwohl sie es sicher nicht sind.

3. Das Geschäft mit der Musik: Ein Insiderberichthätte mich kein Stück interessiert, wenn ich nicht dieses irrwitzig spannende Interview mit ihm auf heise.de gelesen hätte, bei dam man (ich zitiere meinen Bürokollegen hier) „jeden Satz rausnehmen und küssen will“. Jetzt ist das wohl Pflicht.

4. Und als Politik-Nerd freue ich mich auf Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlamentvon Roger Willemsen.

5. Ich habe außerdem eine Schwäche für den Mond und fest vor, ihn noch in meiner Lebenszeit zu bereisen. Deshalb ist für mich das ohne Frage tollste, schönste und wichtigste Buch des vergangenen Jahres Norman Mailer: Moonfire: The Epic Journey of Apollo 11.Es liegt bei mir nicht ganz ungelesen, aber ich bin noch lange nicht damit fertig (ich kannte natürlich auch den Text von Norman Mailer schon und habe es wegen des Gesamtpakets gekauft. Unfassbare Fotos!). Insofern erfüllt das Buch nur so halb die Kriterien.

Ich weiß, ich soll jetzt acht (ACHT?) Blogger benennen, die ihre Buchvorsätze aufzählen sollen. Mach ich aber nicht.

Täglich Brot

In seinem überwältigenden, großartigen Buch Schulden – Die ersten 5000 Jahredemonstriert der Anthropologe David Graeber in einem winzigen Abschnitt die bizarre Absurdität der aktuellen Situation, in der Staaten ihre Bürger durch Schulden bei von denselben Bürgern geretteten Banken in den Hunger treiben: Er zitiert das wahrscheinlich meist gesprochene Nachtgebet der westlichen Welt – „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (und er beweist im Rest des Buches, dass damit sehr wohl auch Geldschulden gemeint sind).

Davon sind wir weit entfernt. Aber leider sind auch ganz andere, noch viel weniger missverständliche Sätze in diesem Gebet nicht mehr selbstverständlich metaphorisch gemeint: „Unser täglich Brot gib uns heute“ ist eine Bitte, die viele Griechen im Moment tatsächlich nur noch an den lieben Gott stelle können. Sie sind auf Hilfe angewiesen.

Achilles Kamberis ist es gewohnt, Menschen zu versorgen. Er betreibt im nordhessischen Wolfhagen das Restaurant „Kreta“ – und hat eine Aktion ins Leben gerufen, mit der griechische Gastronomen eine Suppenküche im Athener Stadtteil Kipseli unterstützen.

Seine Rechnung ist einfach: Es gibt 10.000 griechische Lokale in Deutschland, wenn nur 1000 mitmachen und 100 Euro geben, wären das 100.000 Euro.

Und auch hier zeigt sich wie an anderen Stellen in dieser Krise, dass die Kirchen eine große Rolle bei der Verteilung von Geld und Gütern spielen können: Weil es etablierte Hilfswege nicht gibt (wer hätte das alles vor zwei Jahren erwartet?), müssen die einspringen, die da sind – und das sind eben die Kirchen. Die Suppenküche von Kipseli, die täglich 150 Essen ausgibt, wird betrieben von Pater Emanuel Nirakis. Die Spendengelder aus Deutschland überbringt ihm der Dekan des Kirchenkreises Wolfhagen, Gernot Gerlach.

Die Aktion hat den als URL sperrigen Namen „Hilfe gegen den Hunger in Griechenland“. Ich bin dankbar für die wohlwollende Beachtung. Sie erinnert einmal mehr daran, dass das die Grundlage unserer Gesellschaft ist: Wer Not sieht und helfen kann, der muss es auch tun.

Täglich Brot.

Der Grieche

Ich habe noch nie erlebt, dass er nicht der klügste Mensch in einem Raum war. Gleichzeitig war er immer derjenige, der am wenigsten gesagt hat.

Thomas Schmid hat in der Berliner Zeitung eine Geschichte über den Mann geschrieben, dessen Idealismus, sture Zähigkeit und die Überzeugung, dass man den Höhen und Tiefen des Lebens mit innerer und äußerer Eleganz zu begegnen hat, mich mehr beeindruckt haben als irgendjemand sonst.

Ich bin sehr stolz, Ihnen und euch Pantelis M. Pantelouris vorstellen zu dürfen, meinen Vater.

Kommt mal wieder auf den Teppich

Die Anklage gegen Dominique Strauss-Kahn ist heute fallengelassen worden, und es heißt, dass es in diesem Fall nur Verlierer gäbe. Ich bin mir da nicht sicher. Zumindest die Suite 2806 des New Yorker Sofitel könnte einen geradezu mythischen Ruf davontragen. Im Zuge der Ermittlungen nahmen die Spurensicherer, aka CSI:NY, fünf Stücke Teppich und ein Stück Tapete aus dem Flur der Suite mit. Auf einem Stück Teppich fanden sie Sperma-Spuren von DSK. Die anderen Stücke sind in Fußnote 20 auf Seite 18 der staatsanwaltlichen Empfehlung, den Fall zu schließen, folgendermaßen beschrieben:

Three of the other stains on the carpet contained semen and DNA of three different unknown males […] The stain on the wallpaper contained the semen and DNA of a fourth unknown male.

Unbescheiden

Reine Eigenwerbung: Die NDR-Sendung ZAPP hat ein Interview mit mir zur Berichterstattung der Medien in der Griechenlandkrise geführt (und davon etwa acht Sekunden in der Sendung benutzt). Das ganze Interview steht online, und zwar hier.

Helden.

Kaiserwetter. Ein Tag, um Helden zu zeugen, und gleichzeitig der Tag, der bestimmt ist von dem Schatten der Trauer um die beiden in Misurata getöteten Fotografen Tim Hetherington und Chris Hondros.
Ich habe nun den ganzen Tag über immer wieder über die beiden gelesen oder Nachrichten im Radio gehört, und ich muss sagen, ihre Geschichte macht mich doppelt traurig. Ich könnte keinen größeren Respekt haben als vor Kollegen, die unter gefährlichen Umständen der nobelsten Aufgabe unseres Berufes nachgehen: Der Welt zu zeigen, wie es wirklich ist.

Und ich finde, es muss Journalisten auch erlaubt sein, als Gruppe besonders um die eigenen Kollegen zu trauern und mit ihren Familien zu fühlen. Mir geht es genau so.

Aber ich finde, wer das Eine tut, muss das andere nicht lassen: Die ausführliche, respektvolle und wichtige Berichterstattung über den Tod der beiden Kollegen zeigt aus meiner Sicht einmal mehr auf, wie wenig wir eigentlich über diejenigen berichten, die in unserem Auftrag den wohl noch gefährlicheren Dienst tun, irgendwo am Ende der Welt.

Ich war und bin gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, aber gerade deshalb finde ich es wichtig, es immer wieder zu sagen: Als Bürger dieses Landes, als Nachbar, als Freund, gelten meine Gedanken, meine Solidarität und mein Respekt nicht nur den Kollegen, die über kriegerische Auseinandersetzungen überall auf der Welt berichten, sondern auch den Frauen und Männern in Uniform, die nicht mit ihren Familien Ostern feiern können, weil wir sie in solche Auseinandersetzungen schicken. Ich hoffe, sie kommen bald nach Hause. Aber wichtiger noch als bald: Ich hoffe, sie kommen gesund und sicher nach Hause.

Ich weiß, ich neige zum Pathos. Aber manchmal muss man Dinge einfach sagen. Frohe Ostern!

Der beste Text der Welt

Im Zeit-Magazin berichten gerade Journalisten-Kollegen selbstkritisch über Fehler, die sie gemacht haben, und es ist bizarr für mich, das zu lesen, weil ich ganz eindeutig selbst in meinem allerbesten Text mehr Dinge geschrieben habe, für die ich mich schäme, als der normale Zeit-Magazin-Redakteur in seinem schlechtesten. Ehrlich gesagt: Das, was sie beschreiben, sind aus meiner Sicht nicht einmal Fehler. Puh.

Ich werde hier jetzt mal von einem Fehler erzählen, der echt einer war, aber es war bei weitem nicht mein schlimmster. Es ist auch mehr so ein Grundfehler, der sich bei passenden Gelegenheiten einen Weg nach außen bahnt: Ich bin kompliziert. Ich bin zu kompliziert, auch und vor allem in dem Sinne, dass ich alles auf der Welt für kompliziert halte. Wann immer ich jemanden lese oder höre, der behauptet, irgendetwas wäre eigentlich ganz einfach, glaube ich kein Wort mehr. Und dann kam mein Freund Oliver Wurm und meinte, Die Bibel wäre eigentlich ein guter Text, aber typografisch praktisch unlesbar. Das müsste man ändern und ein Magazin draus machen. Ich habe ihm gesagt, das wäre von all seinen Ideen die allerschlechteste aller Zeiten. Und Oli hat so ungefähr alle 37 Sekunden eine Idee.

Das war eine ziemliche Diskussion, und sie war doppelt fies, weil es meine Bibel war, über die er geredet hat. Ich lese ziemlich gerne in der Bibel, vor allem auf Reisen, deshalb habe ich eine sehr schöne, in Leder gebundene Reisebibel – klein und auf dünnen Papier gedruckt. Es würde jetzt zu weit führen, mein eher eigenes Verhältnis zur Religion zu erklären, das ist natürlich auch nicht einfach einfach, aber im Nachhinein muss ich feststellen, dass mir wahrscheinlich das Lesen in der Bibel auch deswegen so viel gibt, weil es kompliziert ist. So viele Bedeutungen, Auslegungen, Interpretationen – ich verstehe eigentlich kaum einen Satz in der Bibel so, wie er da steht. Ich käme gar nicht auf die Idee, einen Vers als Beschreibung irgendeiner historischen Realität zu verstehen, nicht einmal, weil ich es nicht für möglich hielte, sondern vor allem deshalb, weil ich eben so nicht lese.

Es ist … kompliziert?

Die Bibel lesbar machen, vielleicht sogar schön, vielleicht sogar – es fällt mir schon schwer, das überhaupt so aufzuschreiben – so zu gestalten, dass es nicht mehr wie harte Arbeit wirkt, sie zu lesen … schwingt dabei nicht auch so etwas mit wie die Aussicht darauf, sie tatsächlich zu verstehen? Das fühlt sich für mich ein wenig an, als würde ich nach Jahrzehnten aus einem Gefängnis entlassen: Natürlich war es immer mein Wunsch, aber wenn es so nah ist, macht es auch ein bisschen Angst. Ist das Tolle an der Bibel nicht gerade, dass sie keiner versteht? Und deshalb eben jeder so, wie er will?

Es ist kompliziert.

Und es ist ganz einfach: Oli hat in unendlicher Kleinarbeit zusammen mit dem Art Direktor Andreas Volleritsch das Neue Testament als Magazin gestaltet. Und es ist wunderschön geworden. Sie sind sogar noch weiter gegangen, als ich auch nur hätte denken können, und haben einige Fotos aus den Oberammergauer Passionsspielen (oder wie auch immer die genau heißen) mit „ins Heft“ genommen, und das ganze Paket hat eine Wucht, zu der mir kein Vergleich einfällt.

Das Lustige daran ist: Bei all den komplizierten, teilweise deprimierten und genervten Gedanken über Medien, den Journalismus und das Große Ganze, die ich mir manchmal mache, fällt mir kein einziges Produkt ein, das so klar und eindeutig die Vorzüge journalistischer Darstellung aufzeigt wie Die Bibel als Magazin. Ein großartiger, ewig langer Text – aber so präsentiert, dass er keine Angst macht, sondern Lust darauf, ihn zu lesen.

Ist doch gar nicht so schwer.

Das Neue Testament als Magazin gibt es am Kiosk oder unter bibelalsmagazin.de für 9,20 Euro

Linktipp (4)

Die Journalisten Christian Frey und Kai Schächtele sind auf eigene Faust (und auf eigene Rechnung) unterwegs von Kapstadt nach Johannesburg und werfen einen Blick hinter die Kulissen der WM. Darüber berichten sie auf ihrem Blog „Die WM – Ein Wintermärchen?“, unter anderem in großartigen Audio-Slideshows. Es ist großartig. Und hat, nebenbei, verdient, dass man die beiden mit einer Spende unterstützt, damit sie die Kosten wieder rauskriegen (und hoffentlich noch ein bisschen mehr).

Applaus: Grillsaison – von Philipp Kohlhöfer

Grillsaison

Weil ich an dieser Stelle, in diesem Blog, trotz meiner guten Vorsätze in eine andere Richtung so viel meckere und so wenig Gutes berichte, habe ich beschlossen, eine Rubrik anzufangen bevor sie anfängt: den Applaus.
Die Idee stammt von Timm Klotzek, einem der Chefredakteure von Neon und Nido, der fand, ich könnte hier Kollegen zu Wort kommen lassen, die gerade etwas gut finden. Ich wollte, dass er die Rubrik eröffnet, aber er findet die Zeit nicht. Deshalb kürze ich ab und beginne.

Der Applaus geht diese Woche an ein Buch: Grillsaison – Meine Reise durch die Heimat von Philipp Kohlhöfer.

Warum: Weil es großartig ist.

Zur Erklärung: Aus der Einleitung:

“…Das Buch ist ein Deutschland -Lesebuch. Es sucht ein Gefühl für das Land in dem wir leben. So reist Philipp Kohlhöfer durch Hessen und sucht Gemütlichkeit, erfährt in Ohio die Vorteile des deutschen Waldes unter Zuhilfename einer sexsüchtigen Zwergin, versucht Menschen in Afrika Wurst näher zu bringen, lässt sich die Nase brechen, beim Versuch Autos gut zu finden, bezirzt mit Nelly Furtado um nicht deutsch- verklemmt zu sein etc. Er erlebt Geschichten zu deutschen Klischees – subjektiv und witzig.“

Und hier können Sie es jetzt sofort bestellen. Und sollten das tun. Ich habe da nichts von, aber Philipp Kohlhöfer. Und selbst wenn er es nicht verdienen würde, das Buch tut es (er natürlich auch).

Und das muss noch gesagt sein (das ist echt): Best- of- Leserbriefe, Folge 2: „…Halten Sie, bitte, Ihre Klappe, sie billiger Lohnschreiber, sie haben alle Grenzen des menschlichen und des journalistischen Anstand freiwillig und ohne Not überschritten. Ich verachte Sie deshalb. Ich nenne Sie deshalb hier coram publico eine ganz miese Schreiberseele! Ich spucke vor ihnen aus: Pfui!.“