Mir wurde noch nie ein Preis aberkannt

Vorweg: Den Grad der gefühlten Demütigung einer Branche erkennt man daran, wie viele Preise sie sich selbst verleiht. Der Journalismus vergibt sehr viele Preise. Ich selbst bin eigentlich der einzige Journalist, den ich kenne, der noch nie irgendeinen davon gewonnen hat, und nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil es offensichtlich nie dafür gereicht hat. Insofern bin ich der Allerschlechteste, um über Journalistenpreise zu schreiben – mehr Demütigung geht ja gar nicht. Aber wer will mich davon abhalten?

Für alle, die das Glück haben in einer Welt zu leben, in der das scheißegal ist: Dem Sieger des renommiertesten deutschen Journalistenpreises „Henri Nannen Preis“ ist – auch noch in der Königsdisziplin Reportage – die am Freitag verliehene Auszeichnung am Montag wieder abgenommen worden, weil er einen entscheidenden Teil des von ihm Beschriebenen nicht selbst erlebt hat. Er hatte über die Modelleisenbahn des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer geschrieben, und ausgerechnet aus ihr eine komplette, lesenswerte Persönlichkeitsstudie abgeleitet (die Geschichte heißt „Am Stellpult“ und Seehofer wird als einer beschrieben, der mit Menschen manövriert).

Es ist viel darüber geschrieben worden, ob die Aberkennung richtig war oder nicht.

Aber ich habe eine Meinung noch nicht gelesen, zufällig meine eigene, und deshalb schreibe ich sie hier.

Der Autor René Pfister steigt in die Geschichte ein:

Ein paarmal im Jahr steigt Horst Seehofer in den Keller seines Ferienhauses in Schamhaupten, Weihnachten und Ostern, auch jetzt im Sommer, wenn er ein paar Tage frei hat. Dort unten steht seine Eisenbahn, es ist eine Märklin H0 im Maßstab 1:87, er baut seit Jahren daran. Die Eisenbahn ist ein Modell von Seehofers Leben.

[…] Seit neuestem hat auch Angela Merkel einen Platz in Seehofers Keller. Er hat lange überlegt, wohin er die Kanzlerin stellen soll. Vor ein paar Monaten dann schnitt er ihr Porträtfoto aus und kopierte es klein, dann klebte er es auf eine Plastikfigur und setzte sie in eine Diesellok. Seither dreht auch die Kanzlerin auf Seehofers Eisenbahn ihre Runden.

Seehofer hat sich in Schamhaupten eine Welt nach seinem Willen geformt, er steht dort am Stellpult, und die Figuren in den Zügen setzen sich in Bewegung, wenn er den Befehl dazu erteilt. […]

Pfister hat den Keller nie gesehen, sondern sich von Seehofer während einer Reise nach China davon erzählen, und sich von anderen, die den Keller mal gesehen haben, später Seehofers Beschreibung bestätigen lassen (was journalistisch einwandfrei ist, aber nach Ansicht der Jury hätte man es kennzeichnen müssen, denn es entspricht nicht der klassischen Vorstellung von einer Reportage als Augenzeugenbericht – nur darum ging es in der Aberkennung des Preises).

Dazu hätte ich eine Anmerkung: Wenn der Journalist neben dem Ministerpräsidenten in einem Flugzeug sitzt, und Seehofer – der ja weiß, dass alles was er sagt einem Text über ihn dienen soll – erzählt davon, wie er im Keller Angela-Merkel-Bildchen auf Modelleisenbahnen klebt … ist das nicht die hundertmal geilere Szene? Ein Politiker, der will, dass man ihn als Stellmeister portraitiert, und dabei von infantilem Zeug wie seiner Modelleisenbahn erzählt? Die Szene im Flugzeug hätte ich lieber gelesen als das Zeug über seinen Allmachts-Keller, das Seehofer selbst verbreitet.

Aber vielleicht ist das genau der Grund, warum ich nie einen Preis gewinne.

PS. Der klügste Text zum Thema stammt übrigens wie erwartet von dem völlig zurecht preisgekrönten Wolfgang Michal. Deshalb verlinke ich ihn erst ganz hier unten. Es reicht bei mir vielleicht nicht für Preise, aber ich bin ja nicht total doof.

19 Antworten auf „Mir wurde noch nie ein Preis aberkannt“

  1. Ich hätte da eine Idee, lass uns nach Schamhaupten fahren und eine Reportage über diesen Ort schreiben. Wie ticken die Schamhauptener? Der Ortsname Schamhaupten ist nämlich viel subtiler, als so etwas plakatives, wie Fucking oder Fisting (gibt’s wirklich).

  2. Spooky: Ich fand das „Michel Pantelouris“ im vorhergehenden Pingback-Kommentar total süß. Es steht auf der Seite, wenn man dem Link folgt, aber gar nicht. Da steht „Michalis“. Ich schließe daraus, dass das Internet mich irgendwie niedlich findet.

  3. Die Wahrheit ist natürlich banaler und heißt: schneller getippt als gedacht (und erst nach dem Publizieren korrigiert). Das Niedlichfinden fällt also voll und ganz auf mich zurück, und das WWW hat sich wie immer nix dabei gedacht.

  4. Du hast natürlich vollkommen Recht. Es ist viel viel besser Szene, sie wäre aussagekräftiger gewesen und der Autor hätte sich der Manipulation PR nicht nur entzogen sondern auch diese auch noch charmant enttarnt.
    PS: Und ich habe auch noch nie einen Preis bekommen.

  5. MIKI, DU BIST DER GRÖSSTE! Hähem, was ich sagen wollte: „Wenn die diese Preisverleiherei zeigt, dass die Branche abschmiert, ist doch die Tatsache, dass man noch keinen Preis bekommen hat, eine große Auszeichnung.“

  6. Mehr als die Korinthenkackerei der Jury hat mich der Name des Preises irritiert. Henri Nannen Preis? Nee, Egon Erwin Kisch-Preis. Nee, beides. Der Kisch-Preis als Unterkategorie des Nannen Preises. Stoff genug für eine ganze Reportage;)

  7. @Ulrike Langer: Meine Tochter würde sagen: Das gildet nicht!

    Ich dagegen kann tief gedemütigt berichten: Ich habe mich sowohl schon zweimal selbst erfolglos für Preise beworben, als auch wurde mir schon mindestens zweimal (und vielleicht vergesse ich da noch Fälle) mitgeteilt, dass eine Redaktion einen Text von mir zu einem Preis eingereicht hat, den ich dann auch nicht gewonnen habe. Ich habe also gleich eine ganze Reihe von Preisen so richtig echt nicht gewonnen. Und ich habe auch schon mindestens dreimal erfolglos bei „Wer Wird Millionär“ angerufen.

  8. @mikis
    „Und ich habe auch schon mindestens dreimal erfolglos bei “Wer Wird Millionär” angerufen.“

    Das finde ich mutig. Denn das bedeutet im Ernstfall, sich bei einem Scheitern an der 500- Euro-Frage vor einem Millionen-Publikum zum Affen zu machen. Was ist dagegen schon ein nicht behaltener Kisch-Preis…

  9. Zunächst: Schöne Kommentar-Konversation!

    Zum Thema: Die oben beschriebene geilere Szene im Flugzeug fänd ich schön, wenn sie aber auch beschreibend wäre.
    Wenn man damit einsteigt, wie einem als Journalisten so etwas erzählt wird, damit es eine Geschichte gibt, ist das schon wieder so schrecklich selbstreferenziell.
    Ganz selten sind die Hauptstadtjournalisten da ja ganz alleine mit den Politikern im Flugzeug. Vielleicht wäre die beste Möglichkeit also gewesen, zu beschreiben, wie Seehofer einem Journalisten das erzählt.

    Puh! Kompliziert. Ich bekomme wohl auch nie einen Preis.

  10. @Jonas Jansen: Der Ministerpräsident beugt sich herüber und klopft mir auf die Schulter. „Ich hab da einen Keller in Schamhaupten“, sagt er, und hält kurz inne, so als würde er überlegen, ob er mir das überhaupt erzählen soll.
    „Was?“
    „Einen Keller. In Schamhaupten.“
    „Was ist Schamhaupten?“
    Seehofer seufzt mit der tiefen Enttäuschung des Unverstandenen. „Darum geht es nicht. Ferienhaus. Egal. Die wichtige Frage ist: Was ist drin in diesem Keller?“
    „Was?“
    „Was in dem Keller drin ist!“
    „Nein, ich meine: Was ist drin?“
    Er kichert in sich hinein. Endlich kann er es sagen. „Eine Modelleisenbahn. Märklin H0. Und in der Lokomotive“, er sieht sich um, ob auch keiner zuhört, „in der Lokomotive ist eine Plastikfigur …“ Jetzt achtet er nur noch darauf, dass ich tatsächlich zuhöre. Die Punchline nicht verpasse. Ganz dabei bin. „…die heißt Merkel!“

    Hammer.

  11. @mikis:
    „Ich selbst bin eigentlich der einzige Journalist, den ich kenne, der noch nie irgendeinen davon gewonnen hat.“

    Das spricht fürs Kennenlernen. Ich trete hiermit der Interessengemeinschaft der Journalisten-Preis-Loser i.G. bei und schlage Mikis als Vorsitzenden vor. 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.