Mein rechter, rechter Platz ist weg

Der neue Chefredakteur des Focus, Wolfram Weimer, hat eine neue, aufregende Umschreibung für seine Strategie bei der Erneuerung seines implodierenden Nachrichtenmagazins gefunden. Bei den „Zeitschriftentagen“ des Verlegerverbandes erklärte er

„Ich hoffe, dass der Spiegel am Montag die Goebbels-Titelgeschichte bringt. Dann werden die unterschiedlichen vektoriellen Funktionen von Focus und Spiegel deutlicher.“

Er hoffe, wird er außerdem von kress zitiert, dass der Spiegel im politischen Spektrum weiter nach links rücke. Und diese Hoffnung offenbart ein Dilemma.

Weimer hat bei seinem Antritt schon in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau ähnlich verschwurbelt erklärt, er wolle mit dem Focus „einer urbanen Führungselite einen Resonanzboden für ihre Lebenswelt liefern“, und im selben Interview zumindest ein bisschen präzisiert

Ich will gegen die links-liberale Stimme aus Hamburg die andere, bürgerliche Stimme stärken.

Auch wenn der Begriff liberal hier möglicherweise arg frei benutzt wird – immerhin versteht sich die „liberale“ FDP zumindest nach Aussagen ihres Vorsitzenden als total bürgerlich – hätte Weimer den Focus offenbar gern ein bisschen weiter rechts, ein Stück konservativer. Allerdings scheint es für ihn schwierig zu sein, das mit einiger Trennschärfe hinzukriegen, oder wie sonst ist sein Wunsch zu verstehen, der Spiegel möge weiter nach links rutschen? Kann es sein, dass der Spiegel gleichzeitig und im Gegensatz zum Focus „links-liberal“ ist und trotzdem auf dem Platz, auf dem gern der Focus wäre?

Seit geraumer Zeit gibt es ein Wehklagen von einigen Medienschaffenden, die sich als konservativ verstehen und praktisch pausenlos das Wort von der „Debattenkultur“ im Mund führen – und sich beschweren, die links-liberale Presse wäre praktisch gleichgeschaltet und zerstöre so die konservative Identität. Das vielleicht kleinste, aber für mich lustigste Beispiel ist das, natürlich, „Debattenportal“ The European des ehemeligen Cicero-Online-Chefs Alexander Görlach, der dem Nachfolger von Weimer als Cicero-Chefredakteur, dem ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann, erst vorwarf, die Zeitschrift quasi als Parteisoldat zu einem Sprachrohr der SPD zu machen, das aber sofort wieder von seinem Debattenportal entfernen musste, als Naumanns Anwalt sich meldete – und sich seitdem darüber ärgert, dass Naumann nicht öffentlich mit ihm diskutiert. Kleiner Hinweis: Vielleicht weiß Naumann nicht, was es der Welt Gutes brächte, wenn er es täte? Nur als Gedanke. Kann natürlich auch sein, dass er irre Angst hat, in der Diskussion den Kürzeren zu ziehen. Klar. Alles kann sein.

Den erklärten Konservativen ist irgendwie gar nichts mehr konservativ genug: Die CDU unter Merkel nicht, die Medien nicht, und irgendwie die ganze Welt nicht. Dafür ist irgendwie jede Debatte, die „angestoßen“ wird, wichtig, egal ob es um jüdische Gene oder den Platz der deutschen Sprache im Grundgesetz geht. Es muss hart sein konservativ zu sein dieser Tage. Oder aber, es ist alles ganz anders.

Wenn Wolfram Weimer sich vom Spiegel wünschen muss, dass er weiter nach links rückt, damit seine eigene, bürgerliche Position deutlich davon zu unterscheiden ist, dann kann der Unterschied zwischen bürgerlich und links-liberal (wie er es nennt) so groß nicht mehr sein. Und wenn Weimer glaubt, der Focus wäre zwar eine Säule im Vektorensystem, hätte aber irgendwie als Säule nichts zu tragen, weil er so nah am starken Spiegel steht, dann muss man sich schon fragen, ob der Focus wirklich so nötig ist.

Es steht außer Frage, dass heute viele Positionen längst bürgerlich sind, die vergangenen Generationen konservativer und bürgerlicher Kreise noch gegen den Strich gingen – und das ist gut so. Es aus meiner Sicht ein Verdienst – wenn auch vielleicht der Einzige – dieser bürgerlichen Regierung, dass eine Frau Bundeskanzler ist, der Außenminister schwul, ein Minister körperbehindert und ein anderer asiatischer Herkunft. Ich finde es im Prinzip auch richtig, dass eine junge, damals unverheiratete Frau Familienministerin werden konnte – auch wenn diese spezielle Frau sich seitdem noch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Aber mit einer bürgerlichen oder gar konservativen Weltsicht ist das noch nicht lange in Einklang zu bringen. Ein Konservativer zu sein hat sich stärker verändert als es Sozialdemokrat sein oder Liberaler sein getan haben. Was ganz offensichtlich daran liegen muss, dass die Konservativen in ihren alten Positionen am meisten unrecht hatten. Was erklären würde, warum sie so einen unendlichen Bedarf verspüren, Dinge zu diskutieren, die für alle anderen längst klar sind. Braucht man dafür aber einen „Resonanzboden“?

Wenn zum Beispiel die Erziehung unserer Kinder heute in weitesten Teilen dem entspricht, wofür die 68-er auf die Straße gegangen sind, und sich die bürgerlichen Erziehungsmethoden aus den 60er-Jahren praktisch ausnahmslos als falsch herausgestellt haben, brauche ich dann heute einen Resonanzboden aus Nostalgie für die alten Vorstellungen? Oder weil ich immer noch nicht weiß, was richtig ist? Ein zweites großes Thema jener Zeit und Gründungsanstoß der Grünen war übrigens die Atomkraft – und auch da ist die Gesellschaft längst meilenweit von allem entfernt, was noch in den 80er-Jahren als bürgerlicher Standpunkt durchging. Die Gesellschaft hat die Kraft zur Veränderung. Und Journalismus hat dabei eine Rolle gespielt – immer und fast quer durchs Spektrum mit dem Vorwurf der „linken Kampfpresse“ belegt.

Ich höre immer wieder von der vielbeschrienen Gefahr, es könnte eine Partei rechts der CDU geben, die dann zehn Prozent der Stimmen holt. Und das kann sein. Aber ich sehe überhaupt keine Gefahr, dass ein Nachrichtenmagazin rechts der CDU eine nennenswerte Auflage generiert. So, wie es aussieht, wird selbst rechts vom Spiegel in Zukunft niemand mehr nennenswert Auflage generieren – dann aber wohl eher, weil sich dort niemand so ganz sicher war, wo man eigentlich hinwollte.

PS. Und als hätte man es ahnen müssen, schreibt Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Weltwoche in der Schweiz, im aktuellen Editorial gegen den „linken“ Journalismus an.

7 Antworten auf „Mein rechter, rechter Platz ist weg“

  1. Die These dass der Konservatismus deshalb in allen gesellschaftlichen Bereichen die entscheidenden Schlachten verloren hat weil er die schlechteren Lösungen im Werkzeugkoffer, ja gar einfach unrecht hatten, scheint mir etwas zu einfach. Vielmehr scheint mir dieses ständige Nachgebenmüssen gegen neue Entwürfe von Leben und Gesellschaft, gegen die Ideen der hier links-liberal genannten Kräfte, die Achillisverse des Konservatismus schelchthin zu sein. Vom lateinischen conservare – bewahren, erhalten – stammend versucht der Konservatismus die bestehenden Werte, Ordnungen etc. gegen das Neue, sich entwickelnde zu verteidigen – und hat damit schon verloren. Denn diejenigen, die versuchen das ständig strömende Neue aufzuhalten zugunsten des Istzustandes, des
    Bewährten sind auf ähnlich aussichtlosem Posten wie ein Demonstrant im Strahl des Wasserwerfers. Nicht umsonst standen die bürgerlichen, ehemals konservativen Parteien vor dem Dilemma sich den traditionell fortschrittsfreundlichen sozialdemokratischen Strömungen anzupassen oder als ewig gestrige unwählbar zu werden. Konservatismus passt nicht mehr in eine Zeit in der, so sehr vieles auch bewahrenswert wäre, durch den weltweiten Austausch von Informationen, Ideen, Meinungen und Lebensentwürfen das Eigene und das Bewährte sich ständig dem Anderen, Neuen zum Vergleich stellen muss. Dass dies überhaupt möglih ist, dass wir wirklih die Wahl haben, wie wir unser Leben nach welchen Werten gestalten wollen, ist der größte Triumpf über den Konservatismus. Der steht wie ein lahmes Pferd daneben und versucht die Realität zu verhandeln, wo es längst nichts mehr zu verhandeln gibt. Wer, wie es der Focus, die Union und so manche Seelenfänger tun, auf das lahme Pferd setzt, das immer nur letzter ist und der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher rennt, kann nur verlieren und macht sich selbst abdingbar. Ihre einzige Waffe bleibt die Angst vor Veränderung, doch die hält (zum Glück) nicht lange.

  2. Es wäre schade, wenn es wieder nur ein Nachrichtenmagazin in Deutschland gäbe. Der „Focus“ tat nämlich auch dem „Spiegel“ gut.
    Aber der Markt wird enger. Der konservative „Rheinische Merkur“ verschwindet, es bleibt die erfolgreiche liberale „Zeit“. Der linke „Freitag“ bleibt ein Nischenblatt.
    Auch von den werktäglichen deutschen Wirtschaftszeitungen wird nur eine überleben, nämlich die Erstgeburt „Handelsblatt“.
    Bei den sogenannten täglichen Qualitätszeitungen deutet sich ebenfalls ein Schrumpfungsprozess an. Das Ende der „Frankfurter Rundschau“ als Konkurrenz zu „FAZ“ und „SZ“ ist absehbar. Die überregionale Bedeutung der „Welt“ sinkt ebenfalls. Schon vor Jahrzehnten war ein Verkauf des Leserstammes an die „FAZ“ im Gespräch.
    Das insgesamt breite Meinungsspektrum der deutschsprachigen Medien sehe ich dadurch nicht gefährdet. Schließlich gibt es noch Radio und Fernsehen, reihenweise Buch- und sonstige Publikationen und das Internet mit seinen Möglichkeiten, (Des-)Informationen und Meinugen zu verbreiten.

  3. Zum Konservatismus gehört m.E. auch die Fähigkeit zu skeptischer Distanz gegenüber allem – auch dem was einen emotional anspricht. Dass man also eine Sache, eine Entwicklung oder ein Ereignis erst von möglichst vielen Seiten betrachtet, ehe man ein Urteil darüber fällt. Der „Focus“ ist unter Markwort dagegen mit einer Art Häppchenjournalismus angetreten, wo ich mich immer wieder gewundert habe, wie kurz die Artikel waren. Das ging so nach dem Motto: Wozu soll ich dem Leser viele Facetten einer Geschichte zumuten, ich schreib einfach meine Meinung und was nicht dazu passt, fliegt raus. Das wirkte schick, schlank und forsch, aber konservativ war das nicht. Ich denke, Marktwort wollte mit dem „Focus“ auch gar nicht konservativ sein, sondern liberal im Sinne von: Seht her, was ich für eine tolle Meinung habe, die ist schneller als ein Porsche und beim „Spiegel“ fahren sie nur Volvo.
    Um so komplizierter wird es jetzt für Weimer. Er scheint erkannt zu haben, dass eine schnelle Meinung auch schnell mal irrelevant werden kann. Aber ob sein Rezept funktioniert? Ich versuche gerade mir vorzustellen, wie dem angestammten Leser nach der Lektüre von – sagen wir mal – einer halben „Focus“-Seite Papst-Interview zumute ist. Ich glaube nicht, dass die amüsiert sind. Joseph Ratzinger mit einem seitenlangen O-Ton in den „Focus“ zu heben, ist so ziemlich das genaue Gegenteil von Markwort. Der Papst ist nämlich wirklich konservativ – nicht zuletzt in seiner erzprofessoralen Art, Dinge auf den (oder besser seinen) Punkt zu bringen. Natürlich ist das Interview interessant, aber man braucht einfach Zeit dafür und ich schätze, viele „Focus“-Leser werden die nicht haben, sie sind nämlich gar nicht so konservativ und von Markwort auf Tempo getrimmt.
    Insofern hat Weimer mit seinem Hinweis auf die unterschiedlichen Titel von „Spiegel“ und „Focus“ in dieser Woche schon Recht. Die Verkaufszahlen werden das wohl bestätigen.

  4. Durch diesen Artikel angeregt, kaufte ich mir diese Woche zusätzlich zum „Spiegel“ auch den „Focus“.
    Ich hoffe, es gelingt Herrn Weimar und seinen Leuten, das zweite deutsche Nachrichtenmagazin zu beleben, um es zu erhalten.

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