Was Journalisten denken, wenn Sie „Sparpaket“ hören

Wir erleben am so genannten Sparpaket gerade ein Paradebeispiel dafür, wie sehr unser Denken von Metaphern und Verständnisrahmen bestimmt wird – und wie wenig von rationalen Gedanken. Und natürlich, wie diese Tatsache benutzt wird, um Politik durchzusetzen.

Das Wort „Sparen“ setzt bei uns eine Kette von Assoziationen in Gang, die seit der kleinsten Kindheit verankert sind. Sparen ist nötig, wenn man etwas möchte, es wird belohnt und ist oft unumgänglich. Vor allem aber ist Sparen immer verbunden mit einem persönlichen Budget: Familien sparen für den Sommerurlaub, einen neuen Fernseher oder, per Bausparvertrag, auf ein Haus. Und wenn eine Familie – gerade eine gern genutzte und kaum hinterfragte Phrase – „über ihre Verhältnisse gelebt hat“, dann muss sie sparen, um das Konto wieder auszugleichen. Das entspricht in den Augen vieler Kommentatoren der heutigen Haushaltssituation der Republik. Zumindest wird es so dargestellt. Und, wegen der tief verankerten Sparmetapher in unserem Unterbewusstsein, quasi instinktiv verstanden.

Das Problem dabei ist, dass der öffentliche Haushalt mit dem privaten Haushalt einer Familie oder eines Unternehmens sehr wenig gemein hat. Wenn wir privat Geld ausgeben, dann ist es für uns weg. Wenn wir als Allgemeinheit aus unserem Staatshaushalt Geld verteilen, dann ist es in einer anderen Tasche, kann aber trotzdem auf vielen Ebenen unserem gemeinsamen Wohlstand dienen. Um nur eine der häufigsten metaphorischen Phrasen zu erwähnen: Es wird gerne angeführt, die Schulden, die wir heute machen, lasteten auf kommenden Generationen. Das ist natürlich überhaupt kein Automatismus, vor allem nicht in einem Land mit einer Sparquote wie der deutschen. Würden die Deutschen, die heute in der Lage sind, Geld zu sparen, dieses Geld über Bundeswertpapiere dem Staat zur Verfügung stellen, dann bekämen sie oder ihre Kinder es im Gegenteil mit Zinsen zurück, während heute davon wichtige Investitionen in die Zukunft getätigt werden könnten. In jedem Fall wird jemand an den Schulden verdienen, warum also nicht wir? Abgesehen davon, dass der Staat sein Geld ja nicht einfach ausgibt, sondern investiert: In Infrastruktur, Bildung oder zumindest – im Falle der Transferleistungen – in die Binnennachfrage.

Sparen ist also nicht gleich Sparen, aber die politische Auseinandersetzung wird sehr bewusst über diese Verständnisrahmen geführt – was man schon daran sieht, dass dieses so genannte Sparpaket mit faktischem Sparen, dem Zurücklegen von Geld für schlechtere Zeiten oder große Anschaffungen, überhaupt nichts zu tun hat.

Die Metapher vom Sparen hat einen erwünschten Nebeneffekt. Wenn man den Staat unterbewusst als privaten Haushalt versteht, der weniger Geld ausgeben muss, weil er eben nicht mehr hat, der findet den Staat in einer Situation, in der er „schmerzhafte Einschnitte“ machen muss, wie eine Familie, die ihre jährliche Spende an eine wohltätige Organisation einschränken muss, weil sie das Geld dafür eben einfach nicht hat. So scheint es plötzlich unumgänglich, arbeitslosen, alleinerziehenden Müttern von Säuglingen auch noch die 300 Euro Kindergeld zu streichen, die ihnen nach ordnungspolitischen Gesichtspunkten ja nicht mehr zustehen, seitdem Frau von der Leyen aus dem Erziehungsgeld das Elterngeld und damit einen Lohnersatz gemacht hat. Analog zur Verantwotung einer Familie für ihre privaten Finanzen wird die Verantwortung des Staates (also von uns allen) für seine Finanzen über das gestellt, was eigentlich die Kernaufgabe des Staates ist: Seinen Bürgern die Möglichkeit zu bieten, in Freiheit zu prosperieren, und sie vor den Folgen der großen Lebensrisiken zu schützen.

Das große Problem ist, dass die große Erzählung vom Sparpaket schon nicht mehr diskutiert werden kann, wenn man die Begrifflichkeit und damit die Metapher akzeptiert hat. Innerhalb des Verständnisrahmens Sparpaket sind nur noch Details zu kritisieren, nicht mehr die grundsätzliche Entscheidung darüber, was wir von und mit unserem Staat gestalten wollen. Es fehlen die Worte dafür.

Natürlich ist dieses Sparpaket nicht „gerecht“, und ich kann nicht eine Sekunde lang glauben, dass irgendjemand, der das behauptet, es wirklich denkt. Was für ein unfassbares Arschloch müsste das sein. Wenn wir es analog zu dem Beispiel von der Familie betrachten, die überlegt, welche wohltätige Spende sie in diesem Jahr einspart, dann müsste man sagen, natürlich wäre es zum Beispiel berechtigt, wenn sie weiter für die Minenopfer überweist aber nicht mehr für die missbrauchten Kinder. Aber erstens ist das zwar berechtigt, aber weit von jeder Definition von „gerecht“, und zweitens befinden wir uns schon wieder in einer falschen Metapher: Empfänger von Transferleistungen in Deutschland erhalten keine Spenden, sie bekommen das, was ihnen zusteht, was uns allen in ihrer Situation zustände.

Ihnen das wegzunehmen, weil wir eine Euro- oder was auch immer Krise haben, für die die Bürger Deutschlands am wenigsten können, ist nicht nur ungerecht. Es widerspricht dem Versprechen von dem, was dieses Land ist. Es verleugnet das, was wir von unserem Staat wollen.

Und da ist sie plötzlich, die große Metapher, die niemand zu benutzen wagt gegen das jämmerliche Sparen und Stutzen, gegen die Interessenpolitik der Lobbys. Die Metapher ist Deutschland. Wir alle. Es geht nicht um einzelne Familien, die sich gegen diesen Staat behaupten, sondern darum, dass wir alle gemeinsam mit der Gegenwart umgehen müssen, und das braucht die Bereitschaft von allen. Aber dann ist es nicht einmal mehr eine echte Herausforderung.

Nur so, als Beispiel: Ein Paket von gut 80 Milliarden über drei Jahre bei einer Bevölkerung von gut 80 Millionen benötigt rund 1000 Euro von jedem, also 333 Euro pro Jahr. Das bedeutet, eine Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt und in Zukunft die 300 Euro Elterngeld nicht mehr erhält, gibt während eines Jahres für sich und ihr Kind fast doppelt so viel, wie sie innerhalb von drei Jahren müsste – und finanziert damit einen unangetasteten Millionär und sein Kind mit.

Und das kriegen wir nicht anders geregelt? Das ist das, von dem uns Medien erzählen wollen, es wäre gerecht und alternativlos? Das ist Deutschland?

Mein Deutschland ist das nicht. Da bin ich Patriot.

75 Antworten auf „Was Journalisten denken, wenn Sie „Sparpaket“ hören“

  1. „Natürlich ist dieses Sparpaket nicht “gerecht”, und ich kann nicht eine Sekunde lang glauben, dass irgendjemand, der das behauptet, es wirklich denkt. Was für ein unfassbares Arschloch müsste das sein. “

    Ist das jetzt eine menschenverachtende Formulierung?

    „Das bedeutet, eine Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt und in Zukunft die 300 Euro Elterngeld nicht mehr erhält, gibt während eines Jahres für sich und ihr Kind fast doppelt so viel, wie sie innerhalb von drei Jahren müsste – und finanziert damit einen unangetasteten Millionär und sein Kind mit.“
    Ähem. A propos Deutungshoheit: Die fragliche Dame in deinem Beispiel erhält weniger Transferleistungen. Das kann eine schreiende Ungerechtigkeit sein, ich will mir da kein Urteil anmaßen. Aber zu behaupten, dass sie dadurch jemanden „finanziert“, der genau diese Transferleistungen durch einen erheblichen Teil seines Einkommens bezahlt, das ist in meinen Augen schon eine ähnliche Verdrehung der Tatsachen, wie du sie bei Zeiten der anderen Seite vorwirfst.

  2. Lieber Muriel, das ist leider genau falsch. In einer halbwegs solidarischen Gesellschaft basiert unser aller Wohlergehen darauf, dass einer für den anderen einsteht. Dass ich in der Lage bin, steuern zu zahlen, liegt nicht nur daran, dass ich so großartig und fleißig bin, sondern auch daran, dass der Staat – also wir alle – mir die Infrastruktur bietet, in Freiheit und Sicherheit meiner Arbeit nachgehen zu können. Daran beteilige ich mich. Und zur Sicherheit gehört auchdie sichereit zu wissen, dass ich krank oder arbeitslos werden kann, ohne schlimme not zu leiden. Zur Freiheit gehört auch die Freiheit von Angst und Not. Das ist das deutsche versprechen, und es ist ein gutes. Und das sollten wir uns nicht zerstören lassen.

  3. @mikis: Kann ja alles sein. Aber das ist eine Frage, die ich nicht gestellt habe. Ich habe dich (zugegebenermaßen durch die Blume) gefragt, ob es nicht ein bisschen merkwürdig ist, dass du anderen eine menschenverachtende Haltung vorwirfst, weil sie darauf bestehen, dass die Gegenposition „lachhaft“ wäre, um dann im nächsten Artikel selbst zu behaupten, die Gegenposition zu deiner könne nur ein „unfassbares Arschloch“ vertreten;
    dass du die irreführende Verwendung von Metaphern anprangerst und schreibst, dass „diese Art der Diskussion […] einen Keil in das Land treibt“, und dann (nach meinem Verständnis) mit ebenfalls irreführend verwendeten Begriffen deine eigene Position zu argumentieren.
    Ich verstehe deine Einstellung zum so genannten Sparpaket, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich sie teile. Ich verstehe aber nicht, warum zum Beispiel „lachhaft“ für dich menschenverachend ist, „unfassbares Arschloch“ aber nicht.

  4. Sorry, hatte ich missverstanden. Also: ich finde, in einem Land wie unserem den ärmsten den übergroßen Teil einer nationalen Anstrengung aufzubürden und das gerecht zu finden ist an sich schon menschenverachtend. Die Gegenposition lachhaft zu finden zeugt erst recht davon. Und wer das ernsthaft vertritt ist imho ein unfassbares Arschloch. Das ist, wie alles hier, natürlich nur meine Meinung. Und, zugegeben, manche Menschen verachte ich dabei tatsächlich.

  5. @mikis: Dann stört dich also eigentlich gar nicht so sehr, wie die Bild-Zeitung agiert, sondern mehr darum, welche Position sie vertritt?

  6. @ Muriel: Man kann doch durchaus einzelne Menschen verachten, ohne die Menschheit als solche zu verachten bzw. auf Kosten ganzer Menschengruppen die eigenen Interessen durchzusetzen, was mit dem Begriff „menschenverachtend“ ja eigentlich gemeint ist.

    Das ist im Grunde wie mit der Intoleranz gegenüber den Intoleranten: Menschen, die Menschenverachtend sind, darf man – u. U. muß man – verachten. Aber, auf die Gefahr hin, hier in einen gewissen Hochmut des aufgeklärten Bewußtseins zu verfallen, „menschenverachtend“ sind dann tatsächlich weiterhin die anderen.

  7. @Alfalfa: Ähm. Ja. Gut. Aber bin ich denn wirklich alleine in der Auffassung, dass es irgendwie zweifelhaft ist, der Gegenseite Menschenverachtung vorzuwerfen, weil sie die eigenen Argumente lachhaft nennt, um dann im nächsten Schritt jeden, der die eigenen Argumente nicht akzeptiert, ein unfassbares Arschloch zu nennen? Jetzt mal ganz im Ernst: Darf man die Regeln zivilisierten Diskurses beliebig ignorieren oder anpassen, wenn man nur Recht hat?

  8. Ich glaube, es geht bei der Bezeichnung „Arschloch“ nicht um die Akzeptanz oder nicht von Argumenten, sondern um eine ganze Haltung, einen Typ, einen Charakter. Aber, zugegeben, wer das Niveau anderer kritisiert, muß da vielleicht etwas aufpassen.

    Vor allem aber – und jenseits dieser Streitfrage – will ich Herrn Pantelouris für diesen Beitrag danken, der eine selten hinterfragte Formel zu destruiert. Der Begriff des Sparens ist tatsächlich so positiv besetzt und hat einen solchen Forderungscharakter, daß wir kaum mehr nach dessen Rechtfertigung oder Nutzen fragen. Das Sparen wird als besonderes Verdienst und Allheilmittel betrachtet, tatsächlich ist es das nicht immer, kann sogar schädlich sein.

  9. Ich bin ganz bei Muriel, Mikis du verwendest die gleichen dialektischen Kniffe, die du bei anderen anprangerst.

    Problem Nr. 1, und das ist schon fast typisch deutsch, ist ja das totale überhöhen von Argumenten. Also irgend eine Position gleich „menschenverachtend“ zu finden, oder „arschlochhaft“, das ist einfach mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

    So wie du sehr schön den Begriff des „Sparens“ dekonstruiert hast – 100% Zustimmung dafür, könntest du ja nun auch mal das Wort „gerecht“ analysieren.

    Denn „gerecht“ hat genau die gleichen Eigenschaft in der Kommunikation wie „Sparen“ – ist absolut positiv besetzt, niemand wird behaupten dass Ungerechtigkeit gut findet.

    Aber ob nun ein Empfänger von Sozialleistungen den Anspruch X (z.B. 412,16 Euro) oder den Anspruch Y (422,65 Euro) hat – auf dieser Ebene kommt man mit Gerechtigkeits-Argumenten ja gar nich weiter.

    Das ist eine Frage a) ob man es sich leisten kann, b) ob man es sich leisten will. Das ist eine politische Position. Keine Frage von Gerechtigkeit im eigentlichen Sinne.

  10. >>Ein Paket von gut 80 Milliarden über drei Jahre bei einer Bevölkerung von gut 80 Millionen benötigt rund 1000 Euro von jedem, also 333 Euro pro Jahr. Das bedeutet, eine Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt und in Zukunft die 300 Euro Elterngeld nicht mehr erhält, gibt während eines Jahres für sich und ihr Kind fast doppelt so viel, wie sie innerhalb von drei Jahren müsste<<

    Nene, das passt schon, denn das Kind muss ja auch 300 Euro/Jahr "sparen", da es zu den 80 Millionen gehört…

  11. Den Artikel finde ich hervorragend, das A-Wort finde ich auch schwer erträglich. Schade, dass die guten Gedanken auch hier in der Diskussion fast untergehen und sich fast alles um dieses eine Wort dreht.
    Für mich bleibt der eigentliche Skandal die schreiende Ungerechtigkeit des Sparpakets und die ist im Beispiel am Schluss ganz wunderbar und griffig auf den Punkt gebracht. Ich kann tatsächlich auch nicht ernsthaft glauben, dass jemand das tatsächlich für gerecht halten kann und wenn ers doch tut, soll er es mir bitteschön mal erklären anhand des Elterngeld-Beispiels.

  12. Ich verstehe den Hinweis nicht, aber anschaulicher: die mutter erhält für sich und ihr Kind 12 mal 300 Euro, also 3600. Beide zusammen müssten bei reiner Gleichbehandlung aber nur 2000 Euro aufbringen, und das über drei Jahre. Und dabei haben wir noch nicht eingerechnet, dass das die ärmsten der armen sind.

    Ich verstehe die Kritik an der Arschloch-Formulierung, aber mir fällt nicht ein, wie man Menschen anders nennen soll, die das als gerecht verkaufen. Tut mir auch leid.

  13. @ Mikis: Wieso muss ich Menschen, die das als gerecht verkaufen überhaupt irgendwie nennen?
    Ich glaube Du hast sehr gute Argumente und wenn es gelingt, sie dazu zu bringen, dazu Stellung zu nehmen, werden sie entweder merken, dass das nicht als gerecht bezeichnet werden kann oder die anderen werden merken, dass ihre Argumentation hinten und vorne nicht greift. Überzeugen oder die inhaltlich unzureichende Argumentation öffentlich bloßstellen, das finde ich einen ganz pragmatischen Umgang mit solchen Menschen. Naiv? Idealistisch? OK, mag sein, aber was erwartest Du, ich bin mit Herz und Seele Sozialarbeiter;.)

  14. Muriel, das Leben ist selten dichotomisch, auch wenn wir uns das in den letzten 25 Jahren zunehmend so konstruiert haben. Selbstverständlich gibt es Positionen, die nicht einmal als Diskussionsgrundlage zu würdigen sind, Positionen, die per se menschenverachtend sind, deren Vertreter ‚unfassbare Arschlöcher‘ sind. Das sind dann womöglich eben jene Personen, die eine Verteidigung der Gegenposition als ‚lachhaft‘ empfinden.

    Es hat schon etwas höchlichst Perverses, dass der öffentliche Diskurs inzwischen davon ausgeht, dass JEDE Position gleichwertig sei. Nein, es gibt Haltungen und Meinungen, die keinen Wert haben. Ein Warnzeichen, bezogen auf das aktuelle Thema, ist es, wenn Leute vom ‚Standort‘ Deutschland reden. Die sehen nicht die Menschen, die hier gemeinsam leben, die sehen eine Maschine, für die Bürger nur ‚Humankapital‘ sind, die hin und wieder eine Stellschraube drehen müssen oder gar als Futter für das Monster dienen*. Leute die ernstlich solche Wörter benutzen, sind unmenschlich. Sie vertreten Ansichten, die nicht diskutabel sind.

    Leider drängen sie sich uns auf, sie arbeiten als Regierungsberater, sie bestimmen den Diskurs, sie haben nicht unwesentlich zu der gegenwärtigen Misere beigetragen, Stichwort: Deregulierung. Unsere Politiker und nicht wenige von uns sind auf die Sprüche reingefallen, haben zugelassen, dass der Staat [also: wir alle] schwach ist, erpressbar, leicht auszunutzen. Immerhin sind sie bei der Deutung immer noch erfolgreich, sie haben denjenigen, denen es noch gut geht, die noch einen anständig bezahlten Job haben, gezeigt, wer die eigentlich Schuldigen sind – nämlich die Obdachlosen, die Singlefrauen mit Kind, die über 45-jährigen ohne Job.

    *Nebenbei bemerkt, mich ganz persönlich ärgert auch die Okkupation eines ehrenwerten Begriffes und einer lobenswerten Einstellung durch gewisse Kreise. Die angeblich „neo-liberalen“ sind nicht liberal, nicht im Entferntesten.

  15. @Dierk: natürlich gibt es Positionen in einem politischen Diskurs, die nicht diskutabel sind. Zum Beispiel „Todesstrafe für Ladendiebe“, oder „50 Peitschenhiebe für jeden Arbeitslosen pro Woche, damit der endlich das Arbeiten anfängt“.

    Aber: bei der Frage, ob, wer, wie, wann, wo und in welcher Höhe Elterngeld bekommt, sind nach meinem Demokratieverständnis restlos alle Positionen zu respektieren. Muss man dann halt im demokratischen Prozess diskutieren.

    So ist das in der Demokratie.

    Man kann das Sparpaket ungerecht finden, oder gerecht, oder irgendwas dazwischen. Kategorien wie „menschenverachtend“ haben aber in dieser Diskussion schlicht nichts verloren und führen nirgendwohin.

    Soweit meine Meinung (übrigens respektiere ich natürlich jede andere auch und freue mich über weitere Kommentare und Meinungen hier)

  16. @Dierk: Dichotomisch, hm? Tähä. Ich fürchte, du musst mir noch ein bisschen erklären, wie ich das gemeint habe. Ich habe mich nämlich anscheinend falsch verstanden.

  17. @Matthias
    Das sehe ich anders .Natürlich lassen sich relativ einfache Konstrukte herstellen, von denen jeder – öffentlich zumindest – sagt, das ginge ja gar nicht. Deine beiden Beispiele sind schon nicht schlecht obwohl ich inzwischen überzeugt bin, dass es eine ganze Reihe von Sarrazins, Heinsohns und Sinns gibt, die dem zustimmen würden, auch in der Öffentlichkeit.

    Nehmen wir einmal die Streichung des Elterngeldes. Zuerst wurde eine Unterstützung der Kinder umgewandelt in eine Unterstützung der Eltern, dieses dann auch noch abhängig vom Einkommen gemacht. Nicht wer Kinder hatte sollte Geld für die Erziehung eben jener erhalten, sondern wer ein gutes Einkommen hatte, sollte das moderne Mutterkreuz in Form eines Schecks erhalten. Gerecht war bereits das nicht. Aber dann wird denjenigen, die ohnehin nichts haben auch noch dieses Geld gestrichen.

    Die Argumentation ist teils recht unverhohlen – übrigens von Anfang an gewesen: Wir brauchen gute Kinder von reichen und intelligenten Eltern.

    Da brauche ich über Gerechtigkeit und ähnliche schwer zu greifende Konzepte gar nicht mehr nachzudenken, das ist ganz einfach menschenverachtend. Das ist geradezu die Definition von Menschenverachtung. Erkannt hatten das bereits die Staats- und Moralphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts, die uns die Grundlagen für unsere Demokratie lieferten, z.B. dass alle Menschen inherent gleich sind. Oder dass alle die gleichen Chancen haben müssen [in jeder Generation erneut => Erbschaftssteuer 100%]. Oder dass der Staat, definiert als Gemeinwesen, aushilft, wenn das Schicksal zuschlägt.

    Anders als uns so mancher in den letzten 25 Jahren weiß machen wollte, hat nämlich nicht jeder Mensch zu jeder Zeit all sein Leben in der Hand. Wir können machen, was wir wollen, wir sind nicht gefeit, schwer krank zu werden, alt zu werden, arbeitslos zu werden [und zu bleiben]. Menschen daraus einen Vorwurf zu machen, sie als Faulenzer und Abgreifer gegen diejenigen zu stellen, denen es noch gut geht – auch das ist menschenverachtend. Und nicht diskutabel. Und leider momentan immer noch diskursbeherrschend.

  18. So, jetzt habe ich drei lange Kommentare geschrieben und wieder gelöscht, weil sie nichts Neues bringen. Daher kurz:

    – Danke für diese feine Zusammenfassung.
    – Die Erklärung von Sparen-als-Staat gehört in jede Grundschule (und Tagesschau).
    – „Arschloch“ ist imho zutreffend, aber schwächt die Position, weil sich dann Leute daran aufhängen können, wie ges(ch)ehen
    – Und was machen wir jetzt? Wie kriegen wir ein Land wieder, dessen Ziel ist, daß es den Leuten drin (und draußen, im Idealfall) mehrheitlich ganz gut geht? Und wie konnte es eigentlich passieren, daß das nicht (mehr) das Ziel ist?

  19. Es gehört zur Kommunikationsstruktur der Konservativen, „den Staat“ als großen, gierigen Gegenpart zum freien Bürger aufzubauen, und „die Gesellschaft“ als eine Art Dschungel, in der es sich zu behaupten gilt, anstatt beides als unser aller Verbindung zu begreifen, in der wir empathisch miteinander umgehen. Der schlimmste Auswuchs dieses gedanklichen Konstrukts ist der inzwischen weit verbreitete Gedanke, dass die Gier des Menschen seine einzige verlässliche Triebfeder sei. Natürlich ist das falsch. In Wahrheit ist längst erwiesen, dass Empathie und Mitgefühl im Menschen veranlagt sind, Gier aber nur anerzogen. Das ist auch sinnvoll, weil es empathischen, solidarischen Gemeinschaften historisch immer besser ging als sozialdarwinistischen. Was wir also tun müssen ist, die falschen Verständnisrahmen durch unsere eigene Kommunikation zu brechen. Das geht nur langsam, aber es geht.

  20. Für mich ist dies kein „Sparpaket“ sondern lediglich eine Kürzung im sozialen Bereich, naja den ärmeren wird genommen und den reicheren gegeben, nicht hinnehmbar und auch nicht zu akzeptieren!

  21. @mikis: Ulkig, dass unsere Wahrnehmung sich da so sehr unterscheidet, aber vielleicht ist das eben menschlich unvermeidlich.
    Ich habe zum Beispiel eine ziemlich entgegengesetze Wahrnehmung der öffentlichen Meinung und finde zum Beispiel dass das Verständnis unserer Öffentlichkeit in vielen Fällen in die entgegengesetzte Richtung verzerrt ist.
    „In Wahrheit ist längst erwiesen, dass Empathie und Mitgefühl im Menschen veranlagt sind, Gier aber nur anerzogen.“
    Das stimmt tendenziell, aber es ist eine grobe Vereinfachung, und ich würde behaupten, eine tendenziöse. Kannst du einen Beleg zeigen, aus dem hervorgeht, dass Gier ausschließlich anerzogen wäre?

  22. Aus dem stand kann ich nur ein buchbsagen, in dem die Untersuchungen vorkommen (The political mind, George Lakoff), die stelle Mus ich suchen, wenn gerade kein Spiel läuft. Aber es ist sehr, sehr simpel und anschaulich, wenn man sich klar macht, dass es nirgendwo im Tierreich Gier gibt, aber sehr wohl Empathie.

  23. @Mikis: Es gibt nirgendwo im Tierreich Gier? Ich weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll. Hast du mal Haie beim Fressen gesehen?

  24. Auch Haie fressen nur, so viel sie können und eignen sich als Beispiel ohnehin nicht, weil sie nicht sammeln. Aber selbst sammelnde Tiere sammeln nie unendlich viel.

  25. Haie haben eine hochentwickelte Ethik mit tiefem moralischen Sinn? ‚Gier‘ scheint mir da doch eine sehr zweifelhafte Anthropomorphisierung zu sein. Abgesehen davon, seit wann gilt der Grundsatz, ‚Wenn es irgendwo in der Natur vorkommt, ist es für den Menschen moralisch korrekt‘?

    Bertrand Russell: If all men acted from enlightened self interest, the world would be a paradise in comparison to what it is.

  26. Als unstillbares Verlangen.

    @dierk: das ist ganz genau der Punkt. Wir sind nicht aufgeklärt, weil sinnvollerweise die meisten denkprozesse unterbewusst sind, und die lassen sich durch Metaphern aktivieren. Und sie haben immer einen moralischen wert. Der von „sparen“ ist gut. Der von „schröpfen“ ist schlecht. Deshalb könnn konservative gleichzeitig für das sparpaket sein, gegen das schröpfen von reichen und das dann gerecht finden.

  27. @Mikis: Unstillbar? Ach je. Na gut. Natürlich darf jeder sich seine eigenen Definitionen für Wörter ausdenken, die er benutzt.
    Es führt bloß unweigerlich zu Missverständnissen.
    @Dierck: Obwohl ich weiß Gott nicht das Gefühl habe, dass dich interessieren würde, was ich sage: Ich kritisiere nicht Mikis‘ Meinung. Ich finde, dass er unredlich argumentiert.

  28. Ich fürchte, das ist exakt die Definition, die von so genannten neoliberalen Kreisen als gut für Wirtschaft und Wettbewerb verstanden wird.

  29. @Mikis: Nur so aus Neugier: Kannst du diese Behauptung an irgendwas Konkretem festmachen, und vielleicht noch erläutern, wer die so genannten neoliberalen Kreise sind? Unterscheiden die sich irgendwie von den Konservativen, die du hier auch schon als Urheber dieser Idee zu identifizieren schienst?

  30. Die Schnittmenge ist groß. Aber gemeint ist die Grundhaltung, dass es zunachst der Wirtschaft gut gehen muss, damit es allen gut geht. Die deutsche neoliberale Linie hat vor allem Herr Westerwelle perfekt gepflegt, der sich damit aus meiner Sicht übrigens komplett vom Liberalismus entfernt hat, in den USA sind die Republikaner die Wirtschaftsliberalen, deshalb benutze ich die Begriffe so wild querbeet.

  31. @Mikis: Hast du jetzt bewusst meine erste Frage ignoriert? Wäre natürlich dein gutes Recht, aber könnte ja auch sein, dass du sie übersehen hast.

  32. Sorry, ich sitze mitten in einer Produktion und versuche, zehn Sachen auf einmal zu machen. Natürlich kann man das an tausend konkreten Dingen festmachen. Aber als Beispiel: Westerwelles „spätrömische Dekadenz“ als Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit zeigt, dass sein Verständnis von Freiheit sich auf die Deregulierung der Wirtschaft beschränkt. Das ist neoliberale Ideologie at its Best.

  33. @Mikis: Klar, wenn du keine Zeit hast, verstehe ich das völlig. Du kannst mir auch gerne irgendwann später antworten, oder eben gar nicht, aber diese Antwort bringt uns beide nicht weiter.
    Dein Westerwelle-Zitat kann ja vielleicht vieles oder gar nichts belegen, das Fass will ich hier nicht auch noch aufmachen, aber wo es belegen soll, dass Westerwelle Gier genau im Sinne unstillbaren Verlangens für gut und richtig hält, erkenne ich beim besten Willen nicht. Darüberhinaus ist die These, diese Einstellung wäre weit verbreitet, angesichts der Reaktion auf diese seine Formulierung wohl auch eher abwegig.
    Aber ich will dich hier auch nicht länger nach einzelnen Formulierungen fragen, wir haben ja beide Besseres zu tun. Mir kommt es eben so vor, als hättest du dich hier von deiner Begeisterung für dein Anliegen dazu hinreißen lassen, bei deinen eigenen Argumenten öfter mal fünfe gerade sein zu lassen, solange es nur die Richtigen trifft. Mich stört so etwas, weil ich darin jedes Mal einen kleinen Beitrag zur Volksverdummung sehe, egal, ob die Kernaussage stimmt oder nicht.

  34. Tut mir leid, geht echt grad nicht gut, nur ganz schnell noch ein Versuch: die Unterstellung, Menschen strebten nach anstrengungslosem Wohlstand zeugt von einem Menschenbild, dass die Gesellschaft über den Wettbewerb, die Anstrengung, definiert, aber als Lohn für die Anstrengung eben nichts bietet als Wohlstand. Macht das meinen Gedanken verständlicher?

    Danke für die Geduld, ist gerade der falsche Tag. Sorry.

  35. „Volksverdummung“ ist so ein Wort wie „menschenverachtend“, das bringt einen wirklich nicht weiter. Die Behauptung, liebe Muriel, es ginge Dir nicht um das Argument, sondern um dessen Redlichkeit, scheint mir, mit Verlaub, vorgeschoben. Man kann eine im Grunde richtige Ansicht auch überspitzt vorbringen, das ändert nicht unbedingt etwas an deren Richtigkeit – zumal dann, wenn man sich nicht anmaßt, im Namen von 10 Millionen Lesern (Bild) oder gar „des Volkes“ zu sprechen. Nicht jede aggressive Argumentation ist automatisch Demagogie.

  36. @Mikis: Na, nun musst du dich für mein ausdauerndes Genörgel nicht auch noch bedanken.
    Leider hilft mir deine Erklärung nicht. Erstens kann ich diese These in Westerwelles Text nicht finden, zweitens müssen wir das aber auch nicht ausdiskutieren, denn es besteht wohl Einigkeit, dass er diese Gier wohl eben gerade nicht gut fand. Der Text taugt also so nicht als Beleg für deine Behauptung, Neoliberale definierten Gier als unstillbares Verlangen und hielten selbiges für gut und wichtig.
    Genau das meine ich. Mir scheint, du behauptest einfach irgendwas über Neoliberale, das du doof findest, und auf Nachfrage bringst du dann einen völlig anderen Grund, aus dem du sie auch doof findest, der aber wenig bis nichts mit der ursprünglichen Behauptung zu tun hat.
    Wie gesagt: Ich lauf nicht weg. Lass dir ruhig Zeit mit der Antwort.

  37. @Alfalfa: Tja, was soll ich darauf antworten? Du glaubst also,meine Argumente wären nur vorgeschoben? Okay, darfst du, aber das macht ein weiteres Gespräch natürlich sinnlos.

  38. Ich möchte nochmal zum Ausgangspunkt – dem Elterngeld – eine Frage an alle hier stellen. Denn entweder habe ich hier einfach Wissenslücken und verstehe etwas nicht, oder aber meine politische Haltung (konservativ-liberal) ist so weit von euren Positionen entfernt, dass wir noch nicht mal theoretisch verstehen, wie der andere denkt, selbst wenn wir uns Mühe geben.

    Soweit ich weiß gibt es das Elterngeld doch erst seit ein paar Jahren (5?), und es war das Steckenpferd von unserer Zenur-Ursula von der Leyen.

    Die Idee ist, dass Paare Angst haben, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen, weil beide arbeiten und beide Einkommen brauchen, und Angst vor sozialem Abstieg haben. Also ich kenne da einige solcher Fälle, sei es das beide nicht so gut verdienen oder einer verdient theoretisch gut ist aber Freiberufler mit schwankendem Einkommen, und deshalb froh dass die Partnerin ein laufendes konstantes Einkommen hat.

    Die Idee ist jetzt, dass einer der Partner für eine bestimmte Zeit 2/3 seines letzten Einkommens (max. 1800 Euro glaube ich) vom Staat bezahlt bekommt.

    Zu dieser Idee fällt mir folgendes ein:

    1. die Idee ist gut und richtig
    2. der Staat hat ein Interesse, dass Kinder geboren werden, auch und gerade von der Mittelschicht, und es ist völlig in Ordnung, eine Förderung für diese Mittelschicht-Paare einzuführen.
    3. Per Definition macht diese Förderung natürlich keinen Sinn für Alleinverdiener-Ehepaare, wo er ein Top-Einkommen nach Hause bringt und die Frau vor dem Kind gar nicht gearbeitet hat (nennen wir sie frech „Zahnarzt-Gattin“)
    4. Per Definition macht es aber ebensowenig Sinn, damit Menschen zu fördern, deren Lebensunterhalt sowieso schon vom Staat finanziert wird (also ALG2/Harz4). Denn um es pointiert zu formulieren: diese Menschen sind ja schon arm, die haben ja bei der Kinderplanungs-Frage kein weiteres wesentliches Armutsrisiko. Selbstverständlich muss der Staat auch für diese Menschen die gestiegenen Lebenshaltungskosten tragen, das ist ja nicht der Punkt. Der Sinn des Elterngeldes ist es aber nicht.

    Soweit die Idee, wie ich sie verstanden habe. Wie das Elterngeld umgesetzt wurde, steht auf einem anderen Blatt: offensichtlich sind dann im Gesetzgebungsverfahren alle möglichen Anspruchsgruppen aufgetaucht, die („aus Gerechtigkeitsgründen“) auch noch gefördert werden müssen, und jetzt gibt es irgendwie mindestens 300 Euro für fast jeden – Details kenne ich nicht genau.

    Deshalb bleiben wir doch noch mal bei der Theorie:

    Ist irgend jemand hier der Meinung, dass die Idee des Elterngeldes so wie oben beschrieben „ungerecht“ ist? Also der Staat darf nicht sagen, er will Mittelschicht-Paaren die Kinderentscheidung erleichtern, wenn er das will müssen irgendwie alle gefördert werden?

    Ernsthaft?

    Also nur um das noch weiter zuzuspitzen, der Staat darf

    a) jeden Arbeitsplatz im Kohlebergbau mit 80.000 Euro im Jahr subventionieren

    b) über eine geringere Mehrwertsteuer für Presseerzeugnisse den Berufsstand der Journalisten subventionieren

    aber er darf nicht Mittelschicht-Paaren beim der Familienplanung unterstützen? Dann müssen irgendwie alle was kriegen? Sonst ist das menschenverachtend?

    Kann mir jemand der das glaubt auch nur ansatzweise das Weltbild skizzieren was dem zu Grunde liegt?

    Danke im vorraus!

  39. @Matthias: Also, mir wäre es wohl am liebsten, wenn der Staat nichts davon täte, aber mich hattest du wahrscheinlich sowieso nicht vorrangig gemeint…
    (Übrigens danke für die Zustimmung vorhin. Widerspruch bringt einen zwar weiter, aber Zustimmung tut auch manchmal ganz gut.)

  40. @Matthias: Ich habe gerade nicht die Zeit für einen langen Abriss zum Thema, deswegen nur die gewünschte kurze Skizze: Für mich fing die Ungerechtigkeit mit der Ablösung des Erziehungsgeldes durch das Elterngeld an, das 2007 eingeführt wurde. Das Elterngeld hat rein das Ziel, das Du oben beschrieben hast, das Erziehungsgeld wollte zumindest für 2 Jahre in Ansätzen honorieren, dass Kinder aufzuziehen eine (auch gesellschaftlich wichtige) Arbeit ist. Beim Erziehungsgeld gab es nach dem Gießkannenprinzip (über die Gerechtigkeit des Gießkannenprinzips kann man streiten) pauschal für alle Eltern, die nicht mehr als 19 Stunden arbeiteten ein „Honorar“ von 300 Euro pro Monat. Stell Dir vor zwei junge Frauen werden zum Ende der Ausbildung zur z.B. Kinderpflegerin schwanger. Eine entscheidet sich für den Abbruch, eine dafür, das Kind zu bekommen. Die mit Kind kann die ersten Jahre nicht arbeiten und ist auf Sozialhilfe angewiesen, erst wenn das Kind in den Kindergarten kommt besteht eine realistische Chance eine Stelle zu finden. Ich finde es nun absolut gerecht, diesen Nachteil zumindest anzuerkennen und in einem sowieso peinlich geringen Umfang auszugleichen. Denn die andere Frau kann nach der Ausbildung arbeiten, macht als Kinderpflegerin eigentlich fast das gleiche wie die Frau mit Kind mit dem Unterschied, dass sie nach 8 Stunden nachhause kann und dafür eine Menge mehr Geld bekommt als die Frau mit Kind.
    Nun wurde das Erziehungsgeld abgelöst durch das Elterngeld und wenn jetzt für ALG2-BezieherInnen die 300 Euro wegfallen gibt es endgültig eine Wende in diesem Gedanken der Anerkennung von Erziehungsarbeit und dem Gedanken eines Ausgleichs von Nachteilen dadurch, dass man ein Kind erzieht. Das ist natürlich sehr vereinfacht und schematisch dargestellt, aber zumindest eine Skizze, was ich daran ungerecht finde. Überzeugen werde ich damit wahrscheinlich nicht können, aber genauso wie für mich zumindest Deine Sicht interessant war und mit etwas zu Deiner Position klar gemacht hat, hoffe ich, dass Dir das zumindest einen Einblick in diese andere Sichtweise auf Gerechtigkeit gibt.

  41. @Muriel: du hast völlig recht, meine Frage richtet sich eher an mikis, dierk usw., wir sind in der Sache ja kaum auseinander.

    Und natürlich finde ich das Sparpaket auch ungerecht. Aber nur in sofern, dass bei einer Subvention wie Elterngeld einer Anspruchsgruppe („Harz4-Empfänger“) diese Subvention zu recht gestrichen wird, anderen Anspruchsgruppen für die diese Subvention ebenfalls nicht gedacht war („Zahnarzt-Gattin“) von der Streichung verschont werden.

    Das finde ich von den beteiligten Politikern vor allem: feige, mutlos, scheinheilig. Und es wirft ein bezeichnendes Licht auf die aktuelle Regierung unter Merkel.

    Keiner der handelnden Personen würde ich aber „Menschenverachtung“ als Motiv unterstellen. Das halte ich für unfaire Dialektik.

    Die gehen halt den Weg des geringsten Widerstandes. Schlimm genug.

  42. @Peter: klasse, danke für deinen Beitrag! Mir war in der Tat nicht bewußt, dass das Elterngeld das Erziehungsgeld zu 100% ersetzt hat, und wie das Erziehungsgeld funktionierte.

    Und natürlich kann ich dein Beispiel gut nachvollziehen. Insgesamt ist diese Thematik der Sozialgesetzgebung so komplex, dass wir das nun nicht im Detail erörtern können und schon gar nicht auf „eine richtige Lösung“ kommen, die alle als „optimal gerecht“ bezeichnen würden.

    Aber danke noch mal für deine Sicht der Dinge – ich befürchte nämlich, die Diskussion die wir hier führen, werden wir alle in den nächsten 10-20 Jahren noch sehr oft führen müssen – wenn der Kuchen den es für Soziales zu verteilen gibt immer kleiner wird. Niemand hofft das, niemand will das, aber es wird wohl so kommen. Deshalb war/bin ich von der Heftigkeit der Wortwohl hier auch so aufgeschreckt worden.

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