Man wird doch mal fragen müssen

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Ich bin ein wenig ratlos: Soll ich wirklich glaube, dass ein Bundeswehr-Oberst unter Umgehung einiger Einsatzregeln und mit glatten Lügen („Troops in contact“) einen Luftangriff befiehlt, um eine Reihe Taliban umzubringen, dabei mehr oder weniger offensichtlich den Tod von Unbeteiligten in Kauf nimmt, das Bundestagsmandat weit überreizt ohne seinen Rechtsberater, der neben ihm steht, auch nur um Rat zu fragen – und alles auf eigene Veranlassung, ohne eine politische Weisung, in Afghanistan jetzt aber mal härter durchzugreifen?
Und soll ich dann tatsächlich Respekt für einen Verteidigungsminister haben, der im gleichen Atemzug Oberst Klein die volle und alleinige Verantwortung für diese Entscheidung überschreibt, aber dabei behauptet, er würde ihn nicht fallen lassen? Weil sich das „nicht gehöre“?
Wenn Oberst Klein getan hat, was der Bundesverteidigungsminister behauptet, nämlich durch schwer zu vermittelnde Verfahrensfehler im Einsatz, durch falsche Angaben und durch sein Vertrauen in zweifelhafte Informationen viele, viele Leben vernichtet, dann gehörte es sich durchaus, ihn fallen zu lassen und anzuklagen. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube, die Regierung verschweigt uns, dass sie in Afghanistan die Strategie geändert hat – und dass der Luftangriff von Kundus ein Fehlschlag im Rahmen dieser neuen Strategie ist.
Das für mich völlig Bizarre an diesem Fall ist: Der Verteidigungsminister redet und redet, zuletzt wieder eine gefühlte ganze Nacht bei Beckmann – ohne, dass er irgendetwas dabei sagt (gut, bei Beckmann war echte Aufklärung vielleicht auch nicht zu erwarten, aber warum fragt er den Minister nicht einfach, wo er schonmal da ist?). Karl Theodor zu Guttenberg verweigert die Aufklärung der Ereignisse mit dem Hinweis, es gäbe ja nun einen Untersuchungsausschuss, was nichts anderes ist als der Versuch, sich von seinem eigenen Ministerium so weit fern zu halten, als gehöre er nicht dazu (denn natürlich ist der Verteidigungsminister als erster in der Pflicht, die Vorgänge in seinem Amtsbereich zu kennen).
Wir wissen, dass es vor Ort eine geheime „Task Force 47“ gibt, von deren Kommandostand aus der Luftangriff befehligt wurde. Wir wissen, dass an der Task Force Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beteiligt sind. zumindest die wird sich Oberst Klein nicht ohne Wissen seiner Regierung und des zuständigen Ministers selbst geschnitzt haben. Aber wir lassen Guttenberg vom Haken und ihn eine Show abziehen, an der mich vor allem eines zutiefst stört: Er tut so, als stelle er sich vor die Soldaten. Aber er tut das Gegenteil: Er flüchtet so weit wie möglich weg von den Einschlägen. Und wir wenden für Guttenberg die Unschuldsvermutung an, obwohl das bedeutet, die Schuld zu verschieben auf Menschen, die in Afghanistan einen schwierigen Dienst tun und sich nicht pausenlos vor jeder Kamera zu Wort melden können.
Oberst Klein wollte mit seinem Angriff am 4. September viele Menschen töten, das steht wohl fest. Die Frage, die als erste zu beantworten ist muss doch sein: War das politisch so gewollt und beschlossen oder nicht? Hatte er die Anweisung, die Strategie in diesem Sinne zu ändern oder nicht? Ich glaube nicht, dass die Frage, über die wir hier sprechen ist, ob Kleins Verhalten „militärisch angemessen“ war. Militärs lösen ihre Aufgabenstellungen militärisch, und der Luftschlag war militärisch in jedem Fall sehr effektiv. Aber unabhängig von völkerrechtlichen Fragen der Angemessenheit ist die Frage, ob ein deutscher Offizier eigenmächtig und sehenden Auges den verheerendsten deutschen Militärschlag seit dem Zweiten Weltkrieg befohlen hat – oder ob es die Anweisung dazu gab. Dass der Luftschlag nach unserer Einschätzung unangemessen war heißt auch: Einer von beiden ist schuldig, der Soldat oder seine Regierung. Einer von beiden hat beschlossen, dass wir nun Menschen töten, auch wenn sie uns nicht direkt angreifen. Und egal ob wir finden, dass das in Afghanistan die angemessene Strategie ist – abgesprochen war das nicht.
Ganz persönlich bin überzeugt, wir sollten tatsächlich hinter denen stehen, die weit entfernt unter großem Druck und in unserem Auftrag ihr Leben riskieren. Im Gegensatz zu den hohlen Worten des Ministers sollten wir Oberst Klein tatsächlich nicht fallen lassen, wie wir es tun, wenn wir wie Reinhold Beckmann den Minister seine Worthülsen verbreiten lassen, ohne ihn wirklich zu hinterfragen.
Die Frage ist einfach: Habt ihr, die Regierung, Oberst Klein angewiesen, von nun an rigoros Taliban-Anführer auszulöschen? Und wenn nicht: Was macht die KSK da? Was macht diese Task Force da? Und nein, Herr Minister, es ist nicht die Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, ihre Arbeit zu machen.
Ich bin mir bei Weitem nicht sicher, dass die Frage, wann wer etwas von zivilen Opfern gewusst hat die einzige Frage ist, in der wir angelogen werden. Ich glaube, dass das Abenteuer Afghanistan mit seinen verfassungsrechtlichen Implikationen den Verantwortlichen längst über den Kopf gewachsen ist und sie keine klare Linie mehr finden. Ich habe sogar Verständnis dafür. Aber es ist ekelhaft, wenn dieser Schlingerkurs im Halbschatten auf Kosten von Soldaten gefahren wird, die uneingeschränkte Unterstützung brauchen und verdienen. Und es ist leider auch kein Ruhmesblatt für die Presse, wenn wir uns wie in den letzten Wochen vom Kleinklein ablenken lassen von den Fragen, die wirklich wichtig sind.

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9 Antworten auf „Man wird doch mal fragen müssen“

  1. Sehr schön gesagt, und alles wahr. Frau Schmidt mit ihrem Dienstwagen hatte es da schwerer.
    Natürlich ist so ein kleiner Luftschlag auch kaum mit einer ausgewachsenen Dienstwagen-Affäre vergleichbar, das sehe ich ein, aber ein bisschen mehr kritisches Interesse wäre doch angebracht.

  2. Das war kein deutscher Militärschlag. Ein deutscher Oberst hat angeordnet und die Amerikaner haben die Bomben geworfen. Deswegen sind die Amis auch ein bisschen sauer auf die Deutschen. Und womöglich auch deshalb werden die Deutschen demnächst ihr Truppenkontingent in Afghanistan aufstocken.

  3. @Royse: Schön, von dir zu hören! Auch wenn ich widersprechen muss weil in diesem wie in den meisten Fällen zu gelten hat: Wer die Musik bestellt bezahlt sie auch.

  4. Dein und Muriels Begehren nach kritischer Berichterstattung unterstütze ich voll – doch so einfach, wie die Situation beschreibst, ist sie nicht, weil Du einen Faktor außer Acht gelassen hast: Zeit. Oberst Klein war mit ziemlicher Sicherheit gezwungen, seine Entscheidung(en) unter Zeitdruck zu fällen, und er war auf das Material angewiesen, was ihm zur Verfügung stand. Satellitenaufnahmen ebenso, wie auch Erkenntnisse von Aufklärern vor Ort. Was im übrigen die Präsenz der KSK erklärt. Dort gibt es nicht nur Kommandoeinheiten, die auf Zugriffe, Geiselbefreiungen, Sprengungen etc spezialisiert sind, sondern auch sogenannte Fernspäher, die eigentlich nichts anderes sind, als Augen und Ohren vor Ort. (Ich hatte mal eine Reportage darüber gemacht). Sie arbeiten naturgemäß hinter den feindlichen Linien und im Verborgenen. Du kannst Dir sicher sein, dass sie grundsätzlich überall dort (zumindest zeitweise) im Einsatz sind, wo die Bundeswehr präsent ist (oder sein wird), weil sich unverzichtbar für die Aufklärung sind. Bei diesen Einheiten kann zwangsläufig kein Bundestag vorher offiziell einen Einsatz beschließen – das würde akut das Leben der Männer gefährden. Was aber nun die Rolle der Politik angeht, so sind Deine Fragen und Gedanken sehr berechtigt. Ich möchte noch zu Bedenken geben, dass zu dem Zeitpunkt des Angriffs die heiße Phase der Bundestagswahl war und die Lücke zwischen CDU und SPD kleiner wurde …

  5. @Sascha: Wir wissen doch inzwischen leider, wie der Zeitdruck und die Aufklärung aussahen. Um 1.36 Uhr fragten die Piloten der Kampfflugzeuge, die auch die Bilder live senden, die Oberst Klein und sein Luftleitoffizier im Kommandostand der Task Force 47 sehen (die wohl keine reine Aufklärungseinheit ist, von der aber niemand öffentlich weiß, was sie genau macht), ob sie die vielen Menschen auf der Sandbank durch Überflug warnen sollen. Die Antwort ist nein. Zehn Minuten später fragen sie, ob die Menschen eine akute Bedrohung darstellen. Die (falsche) Antwort ist ja. Um 1.49 Uhr wird bombardiert. Das ist eine knappe Viertelstunde, in der die Aufklärung außer den Bildern, die in dem Bombenvideo zu sehen sind, wohl nur aus Telefongesprächen mit einem Informanten in mittelbarer Umgebung der Abwurfstelle bestanden, das auch noch übersetzt werden musste. Wenn die KSK zur Aufklärung da war, dann wäre es umso schlimmer: Dann wussten wir ganz genau, dass der Einsatz unangemessen war. Und eben das glaube ich. In jedem Fall glaube ich nicht, dass der Zeitdruck zu dieser unglaublichen Kette von Fehlleistungen geführt hat. Ich behaupte doch nicht, dass diese Menschen eine akute Bedrohung darstellen, weil ich zu wenig Zeit habe. Sondern weil ich will, dass dieser Bombenabwurf stattfindet, obwohl es militärisch nach den Einsatzregeln nicht zu rechtfertigen ist. Das ist doch kein Fehler mehr, das ist potenziell ein Verbrechen. Und weil die Unschuldsvermutung gilt – und weil die Unschuldsvermutung meiner Meinung nach ganz besondere Betonung verdient in Anbetracht der Tatsache, unter welchen Bedingungen unsere Soldaten in Afghanistan Entscheidungen zu treffen haben – gehe ich davon aus, dass hier Oberst Klein glaubte, im Rahmen wenn schon nicht der Einsatzregeln dann doch der deutschen politischen Strategie zu handeln. Anders kann ich mir diese Kette von Katastrophen nicht erklären.

  6. Stimmt, diese zeitlichen Abläufe hatte ich nicht mehr so präsent. Ob sie aber die einzigen Punkte waren, die zu der Entscheidung begetragen haben, weiß ich nicht. Ebensowenig kenne ich die Vorgeschichte und die Erfahrungen in der Tagen, Wochen und Monaten zuvor. Ich vermute, dass die allgemeine Gemengelage – so will ich es mal benennen – eine gewichtiger Faktor bei der Entscheidungsfindung war. Ich würde ebenso wie Du vermuten, dass Oberst Klein nicht wissentlich und willentlich ein „potenzielles Verbrechen“ in Gang gesetzt hat. Deshalb ist es wichtig, genau und mit Sachverstand (der bei unseren Parlementariern leider auch nicht immer gegeben ist)nachzuforschen. Und was die Task Force / KSK angeht, würde ich mich nie auf die veröffentlichten Infos verlassen.

  7. @Mikis – Natürlich zahlen die Deutschen für die Musik, die sie bestellt haben. Völlig zu recht wird nämlich der Offizier kritisiert, der den Angriff befohlen hat, während die Piloten, die die Bomben geschmissen haben, nur Zeugen sind.
    Nichtdestotrotz war es kein deutscher Angriff, sondern ein Militärschlag der ISAF. Bisher haben die meisten Medien hierzulande die ISAF ja nationenweise auseinanderdividiert. Nach dem Motto: Die Amis bomben die Zivilisten tot, während die Bundeswehr gehbehinderten afghanischen Greisinnen über die Straße hilft, Bauern Brunnen buddelt und sie nebenbei davon überzeugt, dass man mit Gemüseanbau viel besser verdienen kann als mit Opium. Was den Vorwurf impliziert, wenn die anderen mal auf uns Deutsche hören würden, wären in Afghanistan schon längst Demokratie und Frieden ausgebrochen. So ist es aber nie gewesen. Die Bundesregierung hat die Amis die Drecksarbeit machen lassen und ihre Soldaten ins stillere Kundus beordert. Jetzt knallts da auch und die Bundeswehr hat am 4. September demonstriert, dass sie auch nicht anders reagiert als die Anderen. Wie auch. Sie gehört schließlich zur selben Truppe.

  8. @royse: das stimmt ganz genau. Ich glaube nur, wer Militär schickt, muss davon ausgehen, dass es die Aufgaben militärisch angeht. Ich glaube, die verantwortlichen sitzen eher in Berlin als in Kundus. Deshalb stört mich der Guttenberg, der alles auf die Soldaten abschiebt.

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