Werther und Medien

Ein paar von euch werden jetzt denken, was ich denke: Das stand hier schon tausendmal. Aber offensichtlich muss man manche Sachen sehr oft sagen. Es stimmt ja, dass Schreiber, Medien im Allgemeinen, bei ihren Lesern meist zu viel Vorwissen voraussetzen und ihnen im Gegenzug zu wenig Urteilsfähigkeit zusprechen. Also, noch einmal: Ich glaube, wir sollten die Depressiven in die Mitte der Gesellschaft holen, und deshalb habe ich vorgeschlagen, die Rückennummer 1 bei der Nationalmannschaft bis nach der WM nicht zu vergeben. Das hat, in acht Monaten, mit dem Gedenken an Robert Enke höchstens noch am Rande zu tun. Es geht um ein Symbol. Ich glaube, dass es Depressiven helfen kann, sich Hilfe zu suchen.

Aber es war klar, dass eine große Diskussion daraus wird, und das ist ja auch gut so. Was ich nicht erwartet hätte, ist der meiner Meinung nach falsche Einwand, den Stefan Niggemeier in seinem Beitrag erhoben hat: Nach Berichten über prominente Selbstmorde steigt erwiesenermaßen die Selbstmordrate, und er plädiert deshalb dafür, die Berichte über Selbstmorde zumindest stark zurück zu fahren. „Werther und Medien“ weiterlesen

Wie klingt Hubert Burda eigentlich, wenn er optimistisch ist?

„Medien und damit auch Zeitschriften stellen allen Unkenrufen zum Trotz noch immer ein Grundnahrungsmittel in unserer Gesellschaft dar. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.“

Das sagte Verbandspräsident Dr. Hubert Burda zu Beginn der – Vorsicht! – Zeitschriftentage des Verbandes der Zeitschriftenverleger 2008.

Und das sagte er heute zum gleichen Anlass:

„Bei mir ist die Gewissheit da, dass die Zeitschriften und das gedruckte Buch überleben werden.“

Aber auch das:

„Ich war letztes Jahr viel pessimistischer, als ich es heute bin.“

Was mich zu der Frage bringt: Wenn er sowieso jedes Jahr das gleiche sagt, unabhängig davon, was er wirklich denkt – wieso sagt er dann überhaupt etwas?

Spieltheorie

Die letzten Tage waren für mich – neben vielem anderen – ein bewegendes Indiz dafür, wenn nicht gar der Beweis, welche großartige Metapher auf das Leben Fußball ist: Für den Kampf und die Angst, die Feude und die Trauer, den Sieg, die Niederlage und die Kameradschaft, Freundschaft und den Zusammenhalt in beidem. Oder eben das Fehlen von all dem. Fußballer tun, was sie tun, stellvertretend für uns – kämpfen, leiden, siegen und feiern. Und wenn einer unserer Stellvertreter sich das Leben nimmt, dann trifft uns das offensichtlich hart und ohne Umweg. Das hätten wir sein können, oder, stärker noch, die Wahrscheinlichkeit, dass wir es tun würden, sollte eigentlich höher sein, als die das er es tut. Es fühlt sich einfach ungeheuer falsch an, dass die Welt so ist. Es ist unheimlich.

„Spieltheorie“ weiterlesen

Lasst Robert Enke die Nummer 1 bei der WM

Ich habe eine Email an den DFB geschrieben, und ich würde mich freuen, wenn möglichst viele Menschen eine ähnliche Mail schrieben (oder diese hier einfach kopieren). Die Adresse ist info@dfb.de

Liebe Verantwortliche für die deutsche Fußballnationalmannschaft,

ich trauere mit Ihnen gemeinsam um Robert Enke. Sein Tod hat mich, wie viele Menschen auf der ganzen Welt, tief getroffen. Meine Trauer wird noch verstärkt durch die Vorstellung, dass seine Krankheit möglicherweise einfacher und erfolgreicher hätte behandelt werden können, wenn sie nicht so stigmatisiert wäre. Deshalb habe ich eine Bitte an Sie:

Als Zeichen der Solidarität mit den Millionen an Depression erkrankten Menschen in Deutschland wünsche ich mir, dass Sie die Rückennummer 1 für den Zeitraum bis nach der WM in Südafrika, die vielleicht der Höhepunkt in Robert Enkes Karriere geworden wäre, nicht wieder vergeben, sondern sie symbolisch als seine Rückennummer belassen. Als ein Zeichen dafür, dass die Kranken mitten in unserer Gesellschaft stehen und nicht an ihren Rand oder gar in die Dunkelheit des Verschweigens gedrückt werden sollten.

Mir ist klar, dass die FIFA-Statuten diesen Fall nicht vorsehen. Aber ich denke, es wäre ein guter Grund, sich um eine Ausnahmeregelung zu bemühen.

Ich fühle mich Ihnen in Trauer verbunden und hoffe, Sie überwinden diesen Schicksalsschlag und schöpfen Stärke aus der Anteilnahme so vieler Menschen auf der ganzen Welt.

Mit freundlichen Grüßen,

Michalis Pantelouris

Nummer Eins lebt

Eines der unwürdigsten Manöver der Massenmedien wird immer dann exerziert, wenn betretenes Schweigen in Worte zu fassen ist. Und der Fall eines Nationaltorhüters, der sich das Leben nimmt, bietet ganz offensichtlich die Gelegenheit, den Satz „Mir fehlen die Worte“ hundertfach in jede Ausgabe jeder Tageszeitung zu drucken. Robert Enke ist tot, und das geht mir näher als ich es jemals hätte vorstellen können. Aber natürlich gibt es darüber eine unglaubliche Menge zu sagen. Denn Robert Enke war offensichtlich einer von vier Millionen Deutschen, die an Depressionen leiden. Und es würde vielen Betroffenen helfen, wenn diese Krankheit, die jedes Jahr 12000 Deutsche in den Suizid treibt, endlich ihr Stigma und ihr Mysterium verlieren würde. „Nummer Eins lebt“ weiterlesen

Ich bin der Neue

Jetzt sieht das hier also schon viel schicker aus, oder nicht? Ein paar Probleme habe ich noch: Oben sind ein Archiv- und ein Über-Button, bei denen ich noch nicht rausgefunden habe, was sie sollen, und an manchen Stellen steht bizarrer, von einer Maschine übersetzter Blindtext. Wenn Sie also jemand auffordert, Ihre Kommentare irgendwo runterzutreten, dann machen Sie einfach das, was Sie ohnehin tun wollten. Okay?

Bis hierhin vielen Dank!

Bis einer zahlt – was wäre denn eine Killer-App für bild.de?

Nick Hornby ist in der Stadt, einer den ich liebe, und er hat im großen Saal des Uni-Hauptgebäudes gelesen, unter Beifall wie ein Popstar (und falls von euch jemand da war: Die Frau in der zweiten Reihe, deren Handy mitten in der Lesung geklingelt hat, die dann zwei Minuten danach gesucht hat und dann, als sie es endlich gefunden hatte RANGEGANGEN ist? Das ist meine Mutter. Ich bin sehr stolz auf sie). Es ist beeindruckend, wie geschriebene Wörter noch einmal anders wirken, wenn sie lebendig gemacht werden. Was nicht einmal heißt, dass sie gesprochen oder gespielt noch besser sind – aber ich finde es elektrisierend intim, jemanden öffentlich das Privateste offenlegen zu sehen, das ein Mensch haben kann: seine Gedanken.

Man kann das sehr gut und abendfüllend mit fremden Gedanken machen – auf deutsch hat das heute ein Ensemble-Mitglied des Schauspielhauses getan, und wenn ich ihn auf dem Foto richtig erkannt habe (ganz schwierig, weil er andere Haare, keinen Bart und dafür eine Brille trug – dann war es Tim Grobe. Aber es ist noch einmal etwas anderes, wenn es der Mensch ist, der die Gedanken selbst formuliert und aufgeschrieben hat. Nachdem ich so viele Stunden mit Hornbys Gedanken und Figuren verbracht und so eng mit ihnen gelitten habe, wirkt er vertraut, wenn ich ihn sehe – als wäre er so etwas wie ein Therapeut, nur das er die ganze Zeit geredet hat und ich deshalb mehr über ihn weiß als er über mich. Was scheißegal ist: Am Ende machen sich ja doch alle Menschen die gleichen Sorgen und haben die gleichen Ängste. Wenn ich ihn kenne, kenne ich mich auch. Das ist die tröstende Macht von Geschichten. Wenn sie wahr sind und gut erzählt.

Wenn man dann sieht, wie viele hundert Menschen sich an diesem Montagabend drängen um ihn zu sehen und danach mit ihren gebundenen Erstausgaben um Widmungen anstehen (die man ja auf geklaute Ebooks nicht schreiben kann), dann freut man sich, dass er damit hoffentlich schweinereich wird.

Und bei schweinereich gelingt mir endlich die Überleitung, die mir bei „wahr“ und „gut erzählt“ irgendwie entglitten ist: Den Webauftritt der Bildzeitung gibt es auf dem iPhone wohl bald nur noch gegen eine Abo-Gebühr. Es ist angeblich der erste Schritt des Springer-Verlages hin zum Paid Content, zunächst auf Smartphones (was sicher auch daran liegt, dass es da technisch einfach umzusetzen ist und das Smartphone-Nutzer ja durch ihre Smartphone-Nutzung schon bewiesen haben, dass sie bereit sind, Geld für die merkwürdigsten Sachen auszugeben (Disclosure: Ich bin süchtig nach meinem iPhone)). Dabei wird offenbar der Zugang zu bild.de über den iPhone-Browser gesperrt, so dass er nur über ein Abo-pflichtiges App möglich ist (für welt.de gilt das gleiche) – allerdings bietet der Dienst dann auch noch irgendwelche Zusatzgeschichten, also mehr als nur die (überall sonst kostenlose) Internet-Seite. Und da wird es spannend: Was würde man von Bild wohl so unbedingt und unterwegs wissen wollen, dass man dafür bezahlt? Oder würde man für Bild-Online von unterwegs auch einfach so bezahlen?

Ich persönlich gebe zu: Ich habe ganz oft eine Riesenfreude an der Bildzeitung.  Das ist kein Qualitätsmerkmal, weder für mich noch für die Zeitung, aber ich hatte in meinem Leben – früher natürlich –auch schon eine Menge Freude in preisgünstigen Striptease-Bars, an hausgebranntem rumänischen Schnaps und mir steigen bis heute Tränen der Rührung in die Augen, wenn am Ende von egal wie schlechten Fernsehserien Männer voreinander salutieren. Um es kurz zu sagen: Mein Urteil in Geschmacksfragen ist nichts, auf das man bauen sollte.  Trotzdem: Ich bin ein sehr unregelmäßiger Käufer der Zeitung und ein relativ häufiger Besucher der Webseite – Journalisten können ja außerdem auch immer behaupten, sie müssten Bild lesen, damit sie wissen, was abgeht. Würde ich also Geld bezahlen für die Seite? Oder welche Inhalte müssten drauf sein, damit ich es täte? Und: Wie viel darf es kosten?

Es wird ernst im deutschen Online-Journalismus, wenn dieses System tatsächlich eingeführt wird. Es wird zum ersten Mal die große Frage des Paid Content in der Praxis getestet: Wofür zahlt tatsächlich jemand? Und, das mal laut und deutlich: Ich freue mich über den Versuch. Egal, wie er ausgeht. Er fügt dem Gelaber endlich so etwas wie eine empirische Dimension hinzu, und das wurde Zeit.

Aber zahlen würde ich dafür noch nicht. Nicht für zusätzliche Infos, Videos oder Titten jedenfalls. Aber eine Sache gäbe es, die ich spannend genug fände, um dafür zu bezahlen, um zu abonnieren und tatsächlich zu jubeln, selbst wenn das alle meine Aussichten auf eine Freundschaft mit Charlotte Roche auf immer beerdigen würde: ein Back-Channel. Wenn ich als Leser mit meinem iPhone live einen Bild– (oder Welt-) Reporter ansetzen könnte auf die Frage, die mich zu einem Thema besonders interessiert, wenn es funktionieren würde wie ein eigener Twitter-Kanal, in dem jeder das einbringt, was er kann, und der Bild-Redakteur oder -Reporter in dem Fall seine Zeit, Zugangs-Macht und sein Telefonbuch, dann wäre das nicht nur ein iPhone-App, sondern der erste Schritt in den neuen Journalismus. Wenn der neue Abo-Kanal ein Blick in die Gedankenwelt des Nachrichtenzyklons wäre, der jeden Tag in einem Newsroom entfacht wird, mit dem oder den nötigen iPhone-Redakteur/en, um den Strom zu händeln.

Aber ich denke, wir werden nur Titten kriegen. Und dann spare ich mein Geld doch lieber für die wahren Geschichten, die gut erzählt sind.