Das Buchholz-Attentat

Bei Gruner & Jahr sind sie also kurz davor, sich zu hauen – bereits auf der Eskalationsstufe Hitlervergleiche. Und schuld daran ist wieder nur die Angst. Wenn man den Redaktions-Beiräten glauben darf, dann haben die Redaktionen entweder nicht verstanden, was Bernd Buchholz mit dem Verlag vorhat, oder sie haben es verstanden und können es nicht glauben. Sie haben Angst, dass es stimmt. Für alle, die den Feinheiten der deutschen Print-Landschaft ob ihrer langweiligen Berechenbarkeit nicht regelmäßig folgen: Bernd Buchholz, der noch recht frische Vorstandsvorsitzende des traditionsreichen Verlages von unter vielen anderen Stern, Brigitte und Geo hat im Wesentlichen drei Wege skizziert, wie der Verlag in Zukunft weiter sehr viel Geld verdienen soll: Zum einen soll er seine Zeitschriften billiger produzieren, indem er in einem „Plattformsystem“ Zeitschriftenteile titelübergreifend in einer Art One-Size-Fits-All-System erstellen lassen will (wir erinnern uns, dass so zum Beispiel in der DDR auch Häuser gebaut worden sind). Zweitens möchte er das so genannte Corporate Publishing ausbauen, bei dem Gruner & Jahr als Auftragnehmer zum Beispiel Kundenzeitschriften für andere Firmen erstellt. Und er möchte drittens als eine Art Informationshändler mit einem Datenbanksystem wertvolle Informationen an professionelle Kunden verkaufen.

Alles drei sind Punkte, die für Journalisten, die bisher mit relativ großer Freiheit und einigem Komfort zum Beispiel bei Stern, Geo oder Brigitte arbeiten durften ziemliche Zumutungen bedeuten. Aber vor allem sind sie eines nicht: Ideen, wie man in Zukunft den Journalismus weiter entwickelt. Journalismus spart man so höchstens kaputt, oder verabschiedet sich ganz von ihm. Deshalb haben die Redaktionsbeiräte (die haben da schon tolle Sachen, bei Gruner: Redaktions-Beiräte. Geil!) der drei aufgeführten Titel Bernd Buchholz geschrieben, bei seinen Plänen ginge es wie immer nur ums Geld, und Buchholz schrieb zurück, das sei jawohl eine Frechheit und er würde jetzt gar nicht mehr mit ihnen reden. Und dann schrieb der Geo-Chefredakteur was von einem Hitler-Attentat und alle schreien seitdem durcheinander. Weltklasse für Deutschland.

Natürlich steckt da eine Lehre drin, und wenn wir aufhören würden zu schreien, könnten wir drüber reden. Denn tatsächlich ist es doch so: Bernd Buchholz ist weder blöd noch böse. Er hat ganz offensichtlich keine große Vision für den Printjournalismus, vielleicht nicht einmal für irgend einen anderen, aber wenn er keine hat, dann muss das nicht an ihm liegen. Vielleicht ist es auch ganz anders: Vielleicht ist auch einfach das System Großverlag kaputt.

Bis alles bezahlt ist, was zum Organismus der Zeitschrift gehört, kostet jede Seite im Stern 5000 Euro. Das ist viel Geld. Ich glaube, es ist zu viel. Wer in Zukunft mit Printobjekten Geld verdienen will, darf nur einen Bruchteil davon ausgeben – darf aber gleichzeitig natürlich nicht vielfach schlechter sein als der Stern. Die gute Nachricht ist: Das geht. Die schlechte – für Gruner & Jahr – ist: Es geht nur, wenn man alles Geld, das man hat, in Inhalte steckt, und nicht in Gebäude, mittleres Management und Fahrzeugflotten. Die Großverlage, wie es sie heute gibt, sind zu groß, zu schwerfällig und langsam. Und wie alle anderen Medienmanager auch spart Buchholz seine Produkte kaputt anstatt alles andere aufzugeben. Er macht ein ineffizientes System kleiner, aber dadurch kein bisschen effizienter.

Nur als Beispiel: Jeder dieser Großverlage hat ein Heer von Anzeigenverkäufern, die im Regelfall nur die wichtigsten Titel des Verlages wirklich kennen, aber von allen Titeln anteilig bezahlt werden. Als Budget-verantwortlicher Chefredakteur eines kleinen Titels in einem großen Verlag bezahle ich 40 Anzeigenverkäufer mit, die meinen Titel als 15. beim Kunden hinlegen und nichts dazu erzählen können als das, was in irgendeiner schwachsinnigen Broschüre steht. Das ist weit weniger effizient als wenn ich einen einzigen Verkäufer direkt bezahle, der dafür aber von meinem Titel eine Ahnung hat und ihn mit Herzblut verkauft. Denn Anzeigen verkaufen sich nicht mehr von allein. Oder, noch ein Beispiel: Jeder von uns kennt die Geschichten (oder hat es selbst erlebt), dass es oftmals billiger wäre, den Konferenzraum im Hotel gegenüber zu buchen als den im eigenen Haus. Aber das darf man nicht im System Großverlag – es sind ja alles Profitcenter.

Man muss kein Prophet sein um zu wissen, was bleibt, man muss auch nur gucken, was funktioniert um sagen zu können, was kommt. Printobjekte die funktionieren sind entweder die schlank und ungerührt produzierten Massenprodukte im Sinne des Heinrich-Bauer-Verlages, oder aber die schlank in Netzwerken produzierten Luxusprodukte im Stil von Monocle oder Brand Eins. Es mag auch noch ein paar Jahre lang Ausnahmen geben wie Neon oder Landlust, in denen geniales Gespür oder Glück oder eine Mischung aus beidem es Blattmachern ermöglichen, eine Zielgruppe so erschöpfend zu bedienen, dass eine Art Massenprodukt in der Nische entsteht – aber das wird zu selten passieren, als dass große Häuser davon leben könnten.

Es mag unfair sein, dass Konzerne wie Bertelsmann so lange Milliarden mit journalistischen Produkten verdient haben, und jetzt, wo es für den Journalismus eng wird, gehen sie einfach von ihren Renditeerwartungen nicht runter – geschweige denn geben sie jetzt etwas von dem vielen Geld zurück. Aber heulen lindert vielleicht, aber es heilt nicht: Ich glaube, Bernd Buchholz hat recht. Seine Vision von Journalismus ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht so dolle. Aber es ist auch niemand gezwungen, Journalismus für und unter Bernd Buchholz zu machen. Ich verstehe ehrlich gesagt die Kollegen nicht, die sich immer noch einbilden, die Situation würde unter einem anderen Manager anders.

Stern, Geo und Brigitte sind tolle Hefte. Sie sind außerdem erfolgreich, vor allem gemessen an der Gesamtentwicklung, und sie werden noch eine ganze Weile in der Lage sein, Geld zu verdienen, wenn sie es richtig anstellen. Irgendwann werden sie alle eingehen, aber das Schicksal haben sie mit allen Heften gemein, und es kann noch zehn oder zwanzig Jahre dauern. Aber glaubt tatsächlich noch jemand, sie würden ewig existieren? Zu den gleichen Bedingungen? Kann es sein, dass es Journalisten gibt, die das glauben? Auf welchem Planeten verbringt ihr den Großteil eurer Zeit?

Der Streit klingt danach. Und wenn dem so ist, dann muss man fragen: Hört ihr nicht zu? Buchholz hat doch gesagt, wie es laufen wird. Und ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er das so meint und das der Konzern genau das von ihm will. Ich habe den Eindruck, es gäbe da Kräfte bei Gruner die glauben, man müsse nur genug gegen den Vorstandsvorsitzenden schießen, dann wird er schon ausgetauscht werden. Als würde es etwas nützen, den Kapitän zu wechseln, wenn man gerade mit einem Containerschiff zum Angeln gefahren ist. Ich hatte auch auf einen visionären Aufbruch und eine letzte große Offensive für Print gehofft. Aber Tatsache ist: Sie wird nicht kommen. Nido alleine wird es nicht richten. Das ganze große Schiff passt nicht mehr zu den Aufgaben, dieman erledigen muss, um die Kohle zu verdienen, die sein Unterhalt kostet.

Wahrscheinlich hat Bernd Buchholz recht. Und das bedeutet auch: Wer keine Lust hat, Corporate Publishing zu betreiben und Datenbanken zu füttern oder die alten Hefte unter schlechteren Bedingungen zu produzieren, was ich alles verstehen kann, der sollte jetzt gehen. Und wer findet, das wäre zu hart formuliert, der sollte sich mal umgucken, was bei Gruner gerade passiert: Da verabschieden sich die Chefredakteure fast schon reihenweise freiwillig in die Selbständigkeit. Welche Hinweise braucht es denn noch?

Wir werden alle Antworten auf die neuen Zeiten finden müssen. Und ich kann alle Kollegen verstehen, die da mit Sorge heran gehen, das tue ich auch. Ich muss auch eine Familie ernähren. Aber wer mehr als drei Jahre von seiner Rente entfernt ist, der sollte sich besser heute als morgen daran machen, die neue Zeit mitzuerfinden, bevor sie ihn überrollt und er nichts mehr zu sagen hat. Denn bisher, da haben die Verfasser des Internet-Manifests ja die richtige Intention gehabt, kommt viel zu wenig Erneuerung aus den großen Häusern von den festangestellten Kollegen, die eigentlich die Sicherheit hätten, um zu experimentieren. Stattdessen müssen es die Freien leisten, die es ohnehin gerade nicht leicht haben.

Am Ende ist es aus meiner Sicht so: Die großen Verlage werden neue Geschäftsfelder erschließen müssen, und Bernd Buchholz ist da vielleicht weiter und ehrlicher als viele andere, die noch schön daherreden. Der Grund dafür ist, dass die Verlage sich nicht rechtzeitig erneuert haben. Und daran sind auch die Redaktionen nicht unschuldig.

PS. Und als hätte ich es geahnt (hab ich aber nicht): Heute wird bekannt, dass die Verlagsleiterin von Emotion, Katarzyna Mol, den Titel von Gruner & Jahr übernimmt und in Eigenregie weiterführt. Ich glaube, die Chancen sind gut, dass man den Titel in einem kleinen, flexiblen Verlag (und den zusätzlichen Angeboten, die rund um die „Psychologie“-Marke Emotion sicherlich aufgebaut werden sollen), gutes Geld verdienen kann. Ich finde es richtig und gut (und hoffe, dass alle Kollegen, die nicht von München nach Hamburg kommen wollen, gut wieder unterkommen. Und weise nicht ganz unvoreingenommen auf den wunderbaren jungen Journalistenverband Freischreiber e.V. hin).
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6 Antworten auf „Das Buchholz-Attentat“

  1. Meines Wissens sind im Hause Gruner in letzter Zeit zwei Chefredakteure „freiwillig in die Selbstständigkeit“ gegangen. Von „reihenweise“ zu sprechen ist da irgendwie… ääääh…. komisch!

    Zumal es sich bei den beiden Chefredakteuren um Kollegen handelte, deren Hefte von Verkauf oder Einstellung bedroht sind. Da ist der Gang in die Selbstständigkeit ein Versuch, würdevoll aus der Sache rauszukommen. Nicht mehr, und nicht weniger.

    Sonst wurden bei G+J in den letzten Jahren Chefredakteure vereinzelt entlassen und es wurde als freiwilliger Abgang kommuniziert.

    Unter Freiwilligkeit verstehe ich was anderes.

  2. @Helen Ganz genau! Der Versuch, mit Würde aus der Sache rauszukommen! Besser hätte ich es nicht sagen können. Und warum sollte diese Würde nur Chefredakteuren zustehen?

  3. Ein Kernproblem großer Organisationen treffend beschrieben: Irgendwann, und das geschieht durchaus schnell, kann sich keiner mehr eine Welt ohne sie vorstellen. So muss mann dann Opel retten, oder Holzmann, HRE oder Quelle (klappt eben nicht immer). So auch bei den Print-Dampfern. Wird es eine letzte gedruckte Ausgabe des Stern geben? Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit: Ja. Und am nächsten Morgen wird die Sonne aufgehen, Menschen werden kommunizieren, werden sich sogar an Reportagen und Bildern erfreuen, nur eben nicht im Stern, vielleicht in gar keiner gedruckten Zeitschrift. Nur: Je größer die Redaktion, der Verlag, die Auflage heute, desto schwerer fällt es den Beteiligten offenbar, zu dieser Perspektive konstruktive Phantasien zu entwickeln.

  4. Die Situation ist treffend beschrieben. Buchholz möchte den Großverlag erhalten, aber den Journalismus eindampfen. Ergebnis: Corporate Publishing. Und so könnte es weiter gehen:
    http://carta.info/16563/wenn-die-grossen-verlage-ueberleben-wollen/

    Danke übrigens für den Hinweis auf Freischreiber (deren Mitglied Sie hoffentlich bald werden).
    Gerade haben drei noch junge Urheberorganisationen erstmals ein gemeinsames Projekt gestemmt: Das in diesen Tagen erscheinende Freelens-Magazin Nr.29. Es wurde von der Illustratoren Organisation (IO), den freien Fotografen (Freelens) und den freien Journalisten (Freischreiber) gemeinsam konzipiert und gestaltet. Ein Thema u.a..: Wie werde ich mein eigener Verleger?

  5. Lieber Wolfgang Michal,

    vor zwei Stunden hat mich die nette Mail mit dem Hinweis erreicht: Schönen guten Tag und herzlich willkommen. Sie sind nun ordentliches Mitglied im Verband FREISCHREIBER.

    Wenn das nix is!

  6. Ich denke auch, dass die Zukunft der Printmedien verstärkt durch kleine Verlage geprägt sein wird. Und bei diesen neuen Titeln gilt: Qualität setzt sich durch – siehe Mare, brand eins, Cut, Missy.
    Allerdings: Das Problem, das diese kleinen Verlagsgründer haben, ist die Finanzierung. Banken gewähren keine Kredite und Mediaentscheider stehen diesen neuen Titeln ebenfalls skeptisch gegenüber und pumpen ihre Werbeetats lieber in die bekannten Kanäle. Ich fürchte, dadurch scheitert so manches vielversprechende Projekt schon, bevor es das Licht der Welt erblickt. Insofern bin ich sehr gespannt auf das von Wolfgang Michals erwähnte Freelens-Magazin # 29.

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