Mein liebes Kindle – ist das der Durchbruch?

Seit einiger Zeit werden Journalisten mit Fragen bedrängt, über die wir uns vorher nie Gedanken gemacht haben, und von denen wir sogar behauptet hätten, es würde uns und unserem Journalismus schaden, wenn wir sie uns stellen müssten. Die wichtigste davon ist: „Wo ist das Geschäftsmodell?“

Ich weiß nicht, ob es dem Journalismus schadet, dass wir uns den Kopf darüber zerbrechen – ich halte es für möglich. Sicher ist aber, dass es sehr viel Zeit frisst. Insofern freue ich mich, wann immer wieder jemand etwas gefunden hat, von dem behauptet wird, es wäre jetzt endlich das Neue Große Ding – der Durchbruch.

Der Kindle, das elektronische Lesegerät von Amazon, ist wieder so ein Ding, und als mehr oder weniger süchtiger Techie habe ich mir die internationale Edition bestellt, als sie letzte Woche auf den Markt kam.

Es ist ein wunderschönes Gerät, elegant und flach und – ich kenne kein deutsches Wort dafür – sleek. Und man kann damit – einige Jahrhunderte nach Erfindung des Buchdrucks – fast genau so gut Bücher lesen wie in einem Buch. Allerdings kann man sehr, sehr einfach (und zu einem guten Preis) sehr viele (nicht alle) Bücher kaufen und gleichzeitig mit sich herumtragen. Für mich ist das ein gigantisches Argument, weil ich sehr viel lese, ohne sehr viel Zeit zu habe. Immer ein Buch dabei zu haben für die paar Minuten, die ich mir irgendwo nehmen kann, ist für mich eine Offenbarung (im Moment gibt es praktisch nur englische Bücher im Kindle-Store, auch das muss man mögen. Ich mag es).

Aber, wie bei so vielem, macht der Kindle und der Hype, der um ihn herum gemacht wird, etwas ganz anderes deutlich: Unser Verlangen nach Durchbrüchen – nach plötzlicher, rapider Veränderung, die alles zum Guten wendet.

„Paid Content: Mit dem Kindle aus der  Krise?“ ist die Headline des Kress-Report in dieser Woche, und das zitiere ich nur, weil die Ausgabe gerade vor mir liegt – es gibt an vielen Stellen ähnliche Headlines. Wir als Branche sind da nicht anders als alle anderen Menschen: Wir wollen die Erlösung schnell und verständlich, mit einem neuen Gerät so wie wir wollen, dass eine Diät nach einem bestimmten Prinzip dafür sorgt, dass wir sehr schnell abnehmen. Unsere Ur-Vorstellung von Anstrengung, von Unangenehmem scheint zu sein, dass etwas lange dauert und wir es eigentlich nicht vollständig verstehen. Was, oberflächlich betrachtet, unter anderem eine ziemlich gute Beschreibung von der Aufgabe ist, ein Kind zu erziehen. Oder eben oft genug auch davon, ein „gutes“ Buch zu lesen.

Deshalb haben wir als Branche alles daran gesetzt, dass Lesen einfacher zu machen. Wir haben immer kürzer geschrieben, immer verständlicher, konsumierbarer, inhalierbarer, schneller. Und damit Erfolg gehabt. Aber jetzt, das spüren wir zunächst einmal instinktiv, ist alles irgendwie anders. Und wenn ein ausgerechnet ein elektronisches BÜCHER-Lesegerät die Anwort auf unsere Fragen sein soll, dann haben wir ein deutliches Symbol dafür, dass unsere Instinkte richtig sind. Es ist alles anders. Und ich möchte ein paar Gedanken aufzeigen, woran das meiner Meinung nach liegt.

Ich glaube, wir haben bei dem ganzen Geschichten-einfacher-machen und Konsumierbarkeit-herstellen vergessen, warum Menschen Geschichten überhaupt konsumieren und brauchen. Dabei hat es wieder mit der Sehnsucht nach dem Durchbruch zu tun:  Menschen wollen Geschichten, in denen Veränderung passiert. Charaktere in Geschichten müssen eine unumkehrbare Wandlung durchmachen, egal ob in Romanen, Filmen oder Gerichtsreporteagen, in denen die Wandlung zumindest von frei zu eingesperrt zu verlaufen hat. Der Satz von Godard, dass eine Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende braucht, wird gerne deshalb als sensationell zitiert, weil er angefügt hat „aber nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge“. Und, ja, das macht den Satz noch besser, lustiger und schlauer. Aber Tatsache ist, dass wir uns nach Anfängen, Mitten und Enden sehnen, weil es die in unserem Leben nur sehr selten gibt. Wir entwickeln uns, wir sehen Entwicklung um uns herum, aber sie passiert so langsam, dass wir sie kaum wahrnehmen können. Und so wie es früher Oma brauchte, die alle drei Monate ausgerufen hat „Junge, bist du groß geworden“, damit wir bemerkten, dass wir wuchsen, brauchen wir Geschichten als Hinweis darauf, dass unsere Durchbrüche vielleicht nicht offensichtlich sind, aber doch real. Wir, unsere Lieben und die Welt allgemein entwickelt sich. Eigentlich ständig und fließend, aber wenn man nach bestimmten Regeln darauf schaut, nach den Regeln der Dramatik, dann kommen die Durchbrüche ans Licht. Das öffnet die Augen, wühlt auf oder – in der Lieblingsversion der Welt – tröstet.

Aber um diesen Effekt herzustellen, um tatsächlich zu trösten und nicht den Trost nur zu simulieren wie Karamelleis bei Liebeskummer, muss es in einer Relation zur Welt stehen. Um uns mit einer Geschichte wirklich zu verbinden, mss sie bestimmte Qualitäten haben, von denen wir viele kennen. Nur als Beispiel: Es ist ja kein Zufall, dass Filme rund 90 Minuten lang sind – 70 Minuten wäre einfach zu kurz. Und dass Romane mehr als die 130 Seiten einer Novelle haben müssen (in der Novelle macht der Held eben gerade keine Transformation durch). Und im Journalismus? Da geht einerseits gerade das Gesamtkunstwerk Zeitung oder Zeitschrift verloren zugunsten der einzelnen, googlebaren Geschichte (wie das Album verloren ging zugunsten des downloadbaren Songs), aber kümmern wir uns wirklich genug darum, die einzelne Geschichte im gegenzug nach den Regel des Journalismus und der Dramatik zu formen und zu etwas zu machen, das Inhalt nicht nur simuliert?

Natürlich nicht. Im Gegenteil: Es wird immer nur mehr Suchmaschinenoptimierung betrieben, Konsumierbarkeit gepredigt, oder irgendein anderer kleiner Ersatzstoff, der die Klicks anziehen soll wie eine angezündete Zigarette an der Haltestelle den Bus. Wir reden über Journalismus und verkaufen klebrige kleine Häppchen Information, was so ist, als redeten wir über Liebe und verkauften Speiseeis. Nur: Das alles geht auf dem Kindle nicht. Bei aller brillanter Fähigkeit, Bilder in 16 Graustufen kontrastreich und scharf abzubilden: In Wahrheit ist der Kindle nur für eine Sache gut – Texte zu lesen.

Deshalb mag ich ihn, wahrscheinlich liebe ich ihn – es fühlt sich jetzt schon so an, aber eine Woche ist zu früh, um das jemandem zu sagen. Und so wie sich kein Buch darüber hinwegretten kann, wenn sein Inhalt schwach ist, so kann sich kein Inhalt auf dem Kindle retten. Und insofern stimmen die Headlines: Der Kindle könnte ein kleiner Schritt dahin sein (an den großen Durchbruch glaube ich hier nicht), wieder mehr Inhalte direkt ohne den Umweg über Werbung vom Leser finanzieren zu lassen. Paid Content.

Aber es setzt vorraus, dass wir uns über den „Content“ mehr Gedanken machen als über das „Paid“.

Das ist ein Geschäftsmodell. Wir haben das immer gesagt. Es glaubt uns nur keiner.

PS. Eine Sache kann der Kindle nicht, denn die geht nur gedruckt: Meine Partner und Freunde – kurz: die Buben – Alexander Böker und Oliver Wurm haben ein Panini-Sammelalbum auf den Markt gebracht: Hamburg sammelt Hamburg. Hier können Kinder und solche, die es werden wollen, auf 216 Stickern Hamburger Sehenswürdigkeiten vom Michel über Hagenbecks Tierpark bis zu Jan Delay sammeln, tauschen und einkleben (jede volle Seite gilt auch noch als Gutschein für einen Eintritt oder ähnliches). Ich habe die Arbeit mitbekommen, die darin steckt, ein so liebevolles Heft zu machen – von der Idee bis zur allerletzten Kleinigkeit in der Umsetzung, Vermarktung, einfach alles. Es ist wunderschön geworden. Ich kann es nur jedem empfehlen: Es gibt die Sticker und Alben in Hamburg an jedem Kiosk und bei Budnikowsky. Und, Buben: Ich bin stolz, bei sitzen zu dürfen.

6 Antworten auf „Mein liebes Kindle – ist das der Durchbruch?“

  1. Gestern nacht habe ich diesen Eintrag gelesen und mir gedacht: Ach, verdammt, er hat ja recht, jetzt bestelle ich mir das Ding auch. Eher aus Langeweile habe ich kurz vor Absenden meiner Bestellung mal geguckt, was denn die letzten englisch-sprachigen Bücher, die ich bei amazon gekauft habe, für den Kindle gekostet hätten. Echt mainstreamiges Zeug von großen Verlagen: „Inherent Vice“ von Thomas Pynchon, „Chronic City“ von Jonathan Lethem, „The Collected Stories of Lydia Davies“, gerade groß im New Yorker besprochen, also nicht gerade osbkur – nichts davon gibt es für Kindle. Leicht verblüfft habe ich dann geguckt, ob’s wenigstens die Krimis gibt, die ich kürzlich als Bücher gelesen habe: irgendein Zeug von Michael Connelly und George Pelecanos. Wiederum: Fehlanzeige.

    Das hat jetzt wirklich nur am Rande mit der Kernthese deines Eintrags zu tun, aber mich würde echt mal interessieren: Was liest du auf dem Ding? Nora Roberts?

  2. ja, manche Sachen sind bizarr: John Grisham will nicht auf dem Kindle veröffentlicht werden! Der macht wohl so etwas wie seine eigene Buchpreisbindung … Wie dem auch sei, die Antwort: Ich lese gerade (zugegebenerweise praktisch gleichzeitig, ich bin so) \“Sacred\“ von Dennis Lehane (der Typ, der \“Mystic River\“ geschrieben hat. Große Empfehlung) und \“State of Fear\“ von Michael Crichton (ein Öko-Thriller, Verbindung meiner Lieblingsthemen, ganz okay) und mal wieder \“Walden\“ von Thereau. Das letzte natürlich aus dem Projekt Gutenberg (ich nehme an du weißt, dass du da alle Copyright-abgelaufenen Titel für umsonst kriegst (musst sie umformatieren, das mache ich mit Stanza). Von da habe ich im Moment auch auf dem Kindle \“Selected Poetry of Oscar Wilde\“ (tut gut zwischendurch), \“Heart of Darkness\“ und einen Haufen Mark Twain. Aber tatsächlich ist es ärgerlich: Dass viele Bücher nicht erhältlich sind, liegt ja nicht an Amazon, sondern meist daran, dass wir in Europa sind. Deine genannten Titel könntest du, so weit ich weiß, in den USA längst über den Kindle kaufen, in Europa aber erst, wenn sie hier auf dem Markt sind (wenn dann nicht irgendeine Buchpreisbindung verletzt wird usw. Wie heißt es bei Facebook über Beziehungen: It\’s complicated). Ich hoffe (auch für die Verlage), dass sich das schnell regelt und dass auch die deutschen Verlage nachziehen und mir Bücher anbieten, und dass bis dahin die Freude daran, eine neue Technik als \“Pionier\“ zu benutzen die Ärgernisse daran überwiegt, dass das Angebot noch nicht so gut ist, wie es sein könnte und sollte. Denn bei einem sind wir uns sicher einig: Wenn es nicht schnell einen einfachen, legalen Weg gibt, die Bücher, die wir lesen wollen, auch zu kaufen, dann werden zehn Wege entstehen, wie man sich die Dinger schnell und illegal beschaffen kann. Und ich bin jederzeit dafür und bereit, zu bezahlen. Aber die Tatsache, dass ich mir dieses Gerät bestellt habe bevor es überhaupt auf dem Markt war zeigt wahrscheinlich auch: Ich kann nicht gut warten.

  3. Danke für die Antwort. Okay, deine Vermutung, dass die von mir gesuchten Bücher von den Verlagen für Europa gesperrt sind, würde zumindest die Diskrepanz zwischen der von amazon.de und amazon.com angegebenen verfügbaren Titelzahl erklären. Das heißt aber auch: Der Kindle ist derzeit sinnlos, wenn man ihn nutzen will, um sich schnell und einfach über derzeit diskutierte amerikanische Bücher auf dem Laufen zu halten. Für Kulturjournalisten, die nicht auf das sich Öffnen von illegalen Wegen warten wollen, also derzeit keine sinnvolle Anschaffung.

    Aber stimmt, es ist interessant, wie das Auftauchen eines schicken Endgeräts verursacht, dass Leute plötzlich bereit sind, für Content zu zahlen (siehe iPod und iTunes).

    Angeblich plant Apple ja ebenfalls einen eReader, der dann vermutlich den erwartbaren Apple-will-ich-haben Effekt haben dürfte, und vielleicht sorgt dass dafür, dass sich diese Variante von Paid Content in Deutschland dann auch durchsetzt. Und wer weiß, vielleicht sogar für journalistische Inhalte mit Print-Herkunft.

    Nur: Wenn die deutschen Zeitschriften- und Zeitungsverlage diese Entwicklung verpennen, dann werden ihre Inhalte über iTunes oder amazon vertrieben werden, mit fetten Margen für die jeweiligen Quasi-Monopol-Anbieter. Und können wir davon ausgehen, dass die Verlage gerade dabei sind, diese Entwicklung zu verpennen? Hahahaha. Ich habe jedenfalls nichts davon gehört, dass die fünf, sechs großen deutschen Verlage dabei wären, eine eigene Paid-Content-Vertriebsplattform im Internet aufzubauen.

  4. Die großen Verlage einigen sich offenbar gerade auf eine gemeinsame iPhone-App, was ja ein winziger erster Schritt ist, und FAZ und Handelsblatt sind zum Beispiel (als einzige deutsche Zeitungen) auf dem Kindle kauf- und abonnierbar. Das sind winzige erste Schritte, und ganz schlimm wird es, wenn man die Buchverlage anguckt. Es sind alle möglichen Reader angekündigt, aber auf der Plattform Libreka sind lächerlich wenige Ebooks zu finden, und wenn dann zum gebundenen Preis. Und das ist sicher nicht vermittelbar.

    Ich würde auch sagen, dass der Kindle für Profis in Deutschland noch längst nicht verlässlich genug alle Titel anbietet, die man vielleicht braucht. Noch ist das eine echte Hobby-ich-will-der-erste-sein-Anschaffung. Trotzdem verschlafen ihn die Verlage: Natürlich müsste man jetzt – spätestens – nach einer Möglichkeit suchen, ihn Zeitungsabonnenten so billig wie möglich zum digitalen Abo dazu zu geben – so lange es noch irgendwie cool ist, einen zu haben …

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