Erlösermodell – oder: Unser täglich Bernd gib uns heute

Ich muss zunächst einmal transparent zugeben, dass ich die Einstellung von Bernd „dem Dritten“ Buchholz an dieser Stelle vor ein paar Wochen falsch halluziniert habe. Ich sage das ganz offen und nach Schaden klug, und rufe deshalb besonders den jungen Kollegen zu: Verlasst euch nicht ausschließlich auf eure eigenen Halluzinationen, es sind unzuverlässige, kleine Schlampen! Aber das kann nur der erste Schritt sein. Nachdem Bernd III. nicht den von mir prophezeiten Gegenangriff gestartet hat, sondern vielmehr im Spiegel festgestellt hat, er werde „nicht auf Teufel komm raus alte Ideale [bewahren], um am Ende als Letzter das Licht auszumachen“, möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass ich auf Teufel komm raus alte New York Movie Edward HopperIdeale bewahren werde, und es würde mich unangemessen stolz machen, wenn ich der letzte wäre, der das Licht ausmacht. Allerdings sage ich offen dazu: Gegen Bernds Flutlicht ist meines eher so eine Art Handy-Display-Beleuchtung im Bauch eines Wals.

 

Da sind wir also: Die alten Medien stagnieren im besten Fall, und Journalisten kämpfen zu sehr ums Überleben, um die ständig nötige Erneuerung der Formen und Ebenen noch zu schaffen. Und in den neuen Medien wird in das investiert, was am schlechtesten ist an ihnen. Der neue journalistische Klickführer bild.de macht im Prinzip so viel richtig mit seiner Umarmung von User-Generated-Content (und die Werbespots waren teilweise richtig geil), aber in Wahrheit sind die 1414-Leserreporter natürlich keine Bürgerjournalisten sondern Trolle mit einer Kamera – eher das, was wir als unvermeidliche Nebenwirkung zu ertragen versprochen haben als das, worum es uns eigentlich geht.

 

Bernd „der Dritte“ Buchholz spricht also über Kundenmagazine und einträglich zu verwaltende Datenbanken, und bestätigt dabei etwas, das ich schon ein paarmal zum Thema gemacht habe: Natürlich sind die Verlage von heute nicht aufgestellt um das journalistische Geschäft der Zukunft, das in mehr und mehr Nischen aufsplittert, effizient zu bedienen. Das hat nur zum Teil etwas mit betrieblichen Strukturen zu tun. Die könnte man anpassen, und BB III. (nach Bardot und Becker) tut das auch – allerdings ohne zu beachten, an was er da eigentlich anpasst. Es gibt einen entscheidenden Denkfehler in dem, was Gruner&Jahr gerade versuchen. Ich unternehme jetzt den faserigen Versuch zu erklären, warum.

 

Buchholz sagt im Spiegel: „Jedes Magazin hat Dinge, die es zwingend selbst machen muss, und andere, die es aus den vielen Manufakturen unseres Hauses besorgen kann.“ Das ist ein schönes Bild, und es würde sogar zu einem ganz großen Teil stimmen, wenn es nicht für den Grundfehler stände, der Gruner&Jahr zu einem reinen Dienstleistungsunternehmen werden lassen wird – und den man den angestellten Journalisten des Hauses genau so vorwerfen muss wie ihren Dienstherren. Der Grundfehler ist: Journalismus findet im Gegensatz zu dem, was Buchholz denkt und was wir viel zu lange als angenehm angenommen haben, ja nicht mehr in Manufakturen statt, die dann ein Produkt ausspucken. Journalisten stehen heute mitten auf dem Marktplatz, zwischen ihren Lesern, und sind im ständigen Dialog mit ihnen. Das mag vielen Journalisten unangenehm sein, aber es ist der einzige Weg. Und es hat – wenn man nicht BB III. ist – einen riesigen Vorteil: Es lässt sich nicht outsourcen.

 

In seinem Buch The Pleasures and Sorrows of Work interpretiert Alain de Botton das Bild New York Movie von Edward Hopper (von 1939) als eine Art Kommentar des Malers zum neuen Massenmedium Kino. Das Publikum im Dunkeln ist so fasziniert von der Hollywood-Fantasie auf der Leinwand, dass es die Realität, die Heldin in ihrer Mitte – die Platzanweiserin, die Hopper als elegant-melancholische, einsame Frau zeigt – nicht mehr bemerkt. Botton sieht darin auch den Hinweis des Malers, dass es die (langsame) Kunst und das Auge des Malers braucht, um den Menschen als Wichtigstes noch zu entdecken. Wenn wir diesem Gedanken für einen Augenblick folgen, brauchen wir meiner Meinung nach Argumente wie die Geschwindigkeit eines Mediums oder die eskapistischen Tendenzen moderner Kommunikation nicht weiter beachten – die Verlockungen bietet jedes Medium und es unterliegt ihr auch jedes zumindest phasenweise –, sondern müssen einen ganz anderen gedanklichen Schritt machen: Die neue Technik bietet meiner Meinung nach eigentlich keine neue Technik, sondern die Möglichkeit einer neuen Nähe zum Menschen. Das ist die Herausforderung, und sie ist nicht in einer Manufaktur zu lösen.

 

Ich laborier da mal dran herum, um mich verständlicher zu machen: Das Internet ist ein Marktplatz, auf dem im Prinzip alle uns bekannten Medien und ein paar neuartige Mischungen aus ihnen angeboten und abgerufen werden können. Das ist bedingt aufregend, es erfordert von uns aber keine neue Art, mit den Medien umzugehen, sie als Schaffende oder als Zuschauer neu zu erlernen, wie es ein Kinopublikum 1939 tun musste (und die Regisseure erst recht). Im Durchschnitt ist die technische Qualität von Medien durch das Netz nur schlechter geworden: Wir hören Musik komprimiert, sehen Filme in schlechter Auflösung, gerne auch mit schlechten Handykameras aufgenommen und lesen eine Menge mehr Texte als früher, die nicht von Profis geschrieben, redigiert und lektoriert worden sind. Das ist ein technischer Qualitätsverlust, aber nicht unbedingt ein inhaltlicher. Nehmen wir nur die Musikindustrie: Getrieben von sinkenden Einnahmen aus dem Verkauf von Tonträgern müssen heute Musiker wieder mehr Konzerte geben, um Geld zu verdienen. Technisch gesehen könnte man sagen, dass die Zuhörer bei Konzerten wahscheinlich mehr Fehler und falsche Töne zu hören bekommen als auf einer perfekt gemasterten CD – aber das Erlebnis ist trotzdem tiefer, eindrücklicher und wertvoller.

 

Musiker müssen wieder Musik für ein Publikum machen, dass ihnen direkt gegenüber steht und auf das Gebotene so reagiert, wie eine Masse eben reagiert. Sie merken, ob sich der da oben im Scheinwerferlicht für sie interessiert und ins Zeug legt. Und genau da müssen Journalisten in Zukunft hin, und genau das müssen sie leisten. Dass sie da nicht längst schon sind, liegt auch an der satten Trägheit vieler Journalisten, die dem Missverständnis erlegen sind, sie müssten ihren Job ja können – sonst würden sie nicht so gut dafür bezahlt.  Das ist natürlich Unsinn: Wir brauchen uns nur vorstellen, was die Kollegen im entsprechenden Ressort über Lionel Messi schreiben würden, wenn er sagte, er brauche nicht mehr trainieren – Fußballspielen könnte er schließlich schon.

 

Journalisten gehören auf den Marktplatz, und ich weiß, dass manche es nicht gerne hören. Ich kann Jens Jessen von der Zeit verstehen, der im Internet intellektuellenfeindliche Strukturen entdeckt, und ich finde es absurd, wie viel Kritik er sich dafür anhören musste. Denn natürlich ist „das Internet“ intellektuellenfeindlich. Es ist ein Marktplatz. Hier ist jeder gleich. Wenn das Steinmerkel hier im Wahlkampf spricht, dann wird es auch angeschrien oder von Yeaahh-Flashmobs heimgesucht. Als Staatsdiener oder einer, der es werden will, muss man das abkönnen. So ist Demokratie. Aber es wäre ein Missverständnis zu glauben, Journalisten wären keine Diener, sondern so etwas wie angestellte Intellektuelle des Volkes. Die gibt es auch, aber an Universitäten. Journalisten sind dafür da, die Informationen der Welt unters Volk zu bringen. Genau: zu bringen. Dahin, wo das Volk ist. Man muss das nicht dumm tun, man darf es auch intellektuell tun, so wie man auf einem Markt eben jedes Angebot machen darf. Aber hier. Nicht vom Turm aus.

 

Um das alte Ideal des Journalismus zu wahren, wäre meiner Meinung nach dieser Schritt nötig (und an dem Punkt, um es einmal auf den Punkt zu bringen, bin ich den Autoren des meiner Meinung nach in seiner Form verunglückten „Internet-Manifests“ sehr nahe). Bernd III. will ihn nicht gehen, weil er denkt, dass er Manufakturware verkauft. Viele Journalisten wollen ihn nicht gehen, weil sie finden, dass die Verlage sie dafür ja nicht bezahlen. Aber ich bin mir sicher, es gibt eine Menge von uns, die mit funzelnden Handy-Displays noch eine ganze Weile im Dunkeln herumlaufen, bevor der Letzte das Licht ausmacht.

6 Antworten auf „Erlösermodell – oder: Unser täglich Bernd gib uns heute“

  1. Ich kann schon verstehen, dass Bernd III. den Weg nicht gehen will – er weiß einfach nicht wie. Soll er seine Leute dazu verdonnern, Facebook und Twitter und Co. zu benutzen? Und wie sieht das fertige Magazin dann aus?

    Vielleicht gibt es in XY-Jahren ja gar kein Massen-Magazin mehr? Abgesehen davon: Die Mehrzahl der Leute und vermutlich die Mehrheit der stern-Leser nutzt weder Twitter noch Facebook – warum sollte G+J also auf diese Dinge eingehen? Und: Wie sähen dann die Geschichten im Heft aus? Man nimmt als G+J ja nun auch nicht einfach mal ein Produkt wie den Stern vom Markt und schickt die Mitarbeiter auf die Social Marktplätze…

  2. Ich glaube auch gar nicht, dass das nötig wäre. Wichtig wäre mir nur: Ein Leser darf und und muss berechtigterweise den Eindruck haben, dass wer da schreibt es für ihn tut – und dass er mit ihm in Kontakt treten und diskutieren kann. Aber den hat er nicht, für ihn ist eine Zeitschrift eine Institution ohne Gesicht. Ich habe den Eindruck, selbst die wenigen, die tatsächlich Leserbriefe schreiben, schreiben zum Beispiel an „den Stern“ anstatt an den Autoren der Geschichte, auf die sie sich beziehen. Die Medien-Betriebe sind zu weit weg von ihren Kunden, das hat meiner Meinung nach mit dem Medium weniger zu tun als mit einer bestimmten Kultur, die auch vor dem Massenerfolg des Internet überholt war – es haben nur viele nicht gemerkt, weil es kaum Konkurrenz gab, die es besser machte. Nur als Beispiel, und ohne Redaktionsgeheimnisse zu verraten: Ich war in der Gründungsredaktion der deutschen FHM, die ja bekanntlich alle Schranken zwischen sich und den Lesern so weit eingerissen hat, dass sie ihre Leser ungefragt geduzt hat. Das war im Jahr 2000, vor weit verbreitetem DSL. Ich kam dahin aus Redaktionen mit zweistelligen Leserbriefzahlen. Bei FHM kamen tatsächlich jeden Monat tausende Briefe und Mails an. Jeden Monat. Das war die Kultur, die ich meine: Die Leser hatten das Gefühl, das Heft gehört ihnen. Und das muss so sein, denn es stimmt ja.

  3. Ist ja jetzt nicht böse gemeint: Aber der FHM geholfen hat es auch nicht, oder? Das Problem an der Stelle ist doch, dass die Anzeigenkunden nicht mehr an Print glauben und die Leser trotz der potentiellen hohen Bindung nicht häufiger an den Kiosk rennen. Oder täusche ich mich da?

    Ich argumentiere mal weiter aus Sicht des Verlagsmanagers: Die Umbauschritte sind riesig, der Erfolg aber nicht garantiert. Ist doch irgendwo klar, dass die den Strohhalm „Dienstleistungsgeschäft“ greifen…

    Abgesehen davon stimme ich den Thesen ansonsten zu – ich glaube nur einfach, dass es für den vernünftigen Wandel einfach noch an praktischen Vorbildern fehlt.

  4. Zu FHM: Ich würde mal sagen, dass FHM in einem Miniverlag den Angriff von Springer durch Maxim abgewehrt und auch sonst ein paar andere Männerhefte überlebt hat spricht eher gegen Ihre Einschätzung. Und dem Verlagsmanager würde ich sagen: Was ist die Alternative? Bei der aktuellen Strategie ist der Misserfolg garantiert (und BB III. sieht das offenbar genauso, wenn er – zugegeben halb scherzhaft – im Spiegel sagt, dass wir uns in 20 Jahren noch nach 2009 zurücksehnen werden). Das wirklich bizarre ist doch eigentlich, dass die großen Verlage einerseits darauf pochen, wie wichtig sie auch für die Gesellschaft und die Demokratie sind und ihren Verband nach Subventionen und staatlichen EIngriffen baggern lassen, gleichzeitig aber ihre demokratischen Funktionen zugunsten von Strohhalmen aufgeben und dabei den einen Weg nicht gehen, für den sie prädestiniert wären: Den Lesern offen und transparent erzählen, was bei ihnen warum passiert – und dann die Leser entscheiden lassen, welchen Teil des Geschäftes sie für so wichtig halten, dass sie ihn am Leben erhalten. Wenn die Verlage recht hätten, müssten doch gerade sie in der Lage sein, das zu vermitteln. Aber von dem hohen Ross müsste man dafür natürlich runter.

  5. Tja, was machen mit bernd3 oder hubert1 und anderen ex- und möchtegernlichtgestalten?
    mit ihnen auseinandersetzen, nur weil sie groß und berühmt sind?
    wären diese attribute nicht, würde ihre irrelevanz für die zukunft greifbar.
    ich für meinen teil finde diesen blog etwa zweihundertzweiundzwanzig bis achtzehntausendsechsundertviermal relevanter und inspirierender als irgendwelche doch-nicht-paied-content interviews in irgendwelchen managermagazinen (oder sonstigen absonderplätzen).
    munter bleiben.

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