Für wen machen wir das eigentlich?

Im Stern steht heute eine ausführliche, schöne Titelgeschichte von Felix Hutt darüber, wie Soziale Netzwerke unser Leben verändern, und es ist schon geschrieben worden (habe nur vergessen wo), das wäre wohl die Geschichte, die der Spiegel eigentlich gern gehabt hätte statt des manchmal kruden zeugs in ihrer „Rechtsfreier-Raum-Geschichte“ vor ein paar Stern 37 09Wochen. Tatsache ist in jedem Fall: Hutt hat einmal groß, sauber und gut aufgeschrieben, was das alles eigentlich ist und wie es funktioniert. Ein bisschen sogar, was das alles soll, obwohl die Frage nach dem „Warum“ im Internet heute eigentlich keine Rolle mehr spielt, weil sie niemand mehr beantworten kann. Aber dazu kommen wir noch.


 Ich finde die Aufmachung ein bisschen seltsam: Es werden Menschen in schönen, großzügigen Schwarzweißbildern gezeigt. Sonst nix. Was ich einerseits verstehe, immerhin geht es in Netzwerken um nichts als Menschen, aber nach meinem Gefühl zeigt es eben zu viele Dinge nicht: Weder die Verbindung zwischen Menschen, noch die Geschwindigkeit, die Globalität oder auch nur den Exhibitionismus von Menschen, die an der großen Konversation teilnehmen. Die Bilder zeigen eigentlich sogar exakt das Gegenteil davon, was ja cool sein kann, aber wenn das hier cool ist kommt die Coolness bei mir nicht an. Auf mich wirkt das wie eine Art-Direktoren-Idee, an der man vielleicht besser noch ein, zwei Tage lang weitergedacht hätt. Aber das war es auch schon mit Kritik von meiner Seite. Was ich nämlich am interessantesten finde an dieser Geschichte, ist ein Paradebeispiel für eine Frage, die wir uns nicht oft genug stellen können: Für wen machen wir das alles eigentlich?

 

In der Geschichte steht zum Beispiel, dass sieben Millionen Deutsche Facebook nutzen. Und an diesen sieben Millionen zum Beispiel geht die Stoßrichtung der Geschichte eigentlich vorbei: Es wird über sie berichtet, nicht für sie. Ich finde das in diesem Fall genau richtig: Stern-Leser sind im Durchschnitt älter als die durchschnittlichen Heavy-User von Sozialen Netzwerken (sage ich jetzt aus dem Kopf, damit ich da keine Zahlen zu suchen muss. Aber es zweifelt niemand daran, oder?). Diesen Lesern muss man „das alles“ einmal so richtig erklären. Aber grundsätzlich ist es eine der wichtigsten Vereinbarungen, die eine Medienunternehmung treffen muss: Worüber müssen wir bei uns nicht mehr berichten? Was müssen wir nicht mehr erklären? Weiß jeder, wer Angela Merkel ist? Harald Schmidt? John Frusciante? An dem, was wir nicht mehr erwähnen müssen, erkennen wir, worüber wir uns einig sind – wir und unsere Leser, wir als Gemeinschaft. Das ist die Definition von Zielgruppe. Ich glaube, man kann fast überall über fast alles schreiben. Aber eben nicht überall auf die gleiche Art und aus dem gleichen Blickwinkel.

Auf Journalistenschulen gibt es manchmal heute noch die Ansicht, dass man alles erklären muss und das jeder Leser allem folgen können muss. Immerhin schreibt die New York Times so. Und in der Tagesschau kommen auch keine Insiderwitze vor. In der Tagesschau wird Angela Merkel Bundeskanzlerin genannt, und das ist richtig, den die Tagesschau hat für die meisten Zuschauer einen quasi offiziellen Charakter und eine fast staatstragende Funktion. Aber natürlich ist es in jedem Fall utopisch, Regeln darüber aufzustellen: Theoretisch könnte es einen Leser geben, der nicht weiß, was ein Bundeskanzler ist (meine Sechsjährige kennt übrigens nur „Obama“, und den nennt sie „der Bestimmer“ – mit bewunderndem Unterton).

Wir erklären in den Nachrichten nicht, was Demokratie ist, weil wir uns einig sind, dass sie die beste real existierende Form der Regierung ist. Da steht unsere Zielgruppe (abseits von ein paar Extremistenblättern, nehme ich an) fest. Aber, als Beispiel: Harald Schmidt ist eine Zeit lang zu so etwas wie einem führenden Intellektuellen in diesem Land aufgestiegen, ohne dass ich je eine kluge Aussage im klassischen Sinne von ihm gehört habe. Er hat keine philosophischen Gedanken verbreitet. Im Gegenteil: Er sagt überragend dumme Dinge – unsere Freude besteht darin, dass wir uns klug genug fühlen, ihre Dummheit zu erkennen. Die Kunst liegt in dem, was er eben nicht sagt. Das ist es, was uns als seine Zuschauer und Fans verbindet (und, bevor es jemand falsch versteht: Natürlich ist das eine kluge Form der Unterhaltung, also sagt Harald Schmidt kluge Dinge. Nur eben nicht gradeaus. Wir verstehen uns).

Ist  jemandem aufgefallen, dass ich nicht erklärt habe, wer Harald Schmidt ist? Nach der Journalistenschul-Regel hätte ich schreiben müssen „TV-Entertainer“ oder so etwas. Ich hätte eine Ebene mehr einziehen müssen. Und in diesem Fall hätte es wahrscheinlich nicht einmal gestört, aber ich glaube es gibt viele Fälle, in denen wir nicht genug aufpassen, zuhören und uns klar werden, worüber wir uns als Gruppe längst einig sind, was dazu führt, dass wir langweiligere Geschichten schreiben als wir müssten. Weil wir von den Geschichten weiter entfernt sind, als wir sein müssten.

Der Stern ist ein weltweit einmaliges Phänomen, diese Wundertüte, in der immer alles für jeden drin sein kann und die so eine der einträglichsten Zeitschriften der Geschichte wurde.  Und man muss es auch einmal ehrlich sagen: Die meisten Journalistenschul-Regeln werden für den Stern gemacht. Er ist die Mutter aller Zeitschriften in diesem Land. Aber so wie es zu Problemen führt, wenn man die Gepflogenheiten der Formel 1 im Straßenverkehr weiterpflegt, führt es zu Problemen, wenn man versucht, immer und überall den Stern zu machen. Und ich möchte versuchen zu erklären, warum.

Es gibt handwerklich gute und weniger gute Wege, Informationen an den Leser zu bringen, aber am Ende bleibt die Regel: Je mehr Ebenen ich zwischen den Kern der Information und das Begreifen dieses Kerns lege, umso weniger berührt wird der Leser sein. Jeder kennt das: Schlechte Nachrichten verpacken wir in viele Worte, gute soll man nicht zerreden und so weiter. Wir können auch Lagen hinzufügen, indem wir wichtige Informationen vorenthalten indem wir unkonkret sind („Bei Zusammenstößen zwischen … wurde ein Mensch verletzt“ berührt niemanden, weil wir nicht mitfühlen. Wenn wir hören, dass der Mann sein Augenlicht verloren hat ist es schon anders).

Die Facebook-Geschichte im Stern hat einige Lagen, die zwischen mir und dem Kern der Geschichte stehen, in der Art, wie sie sein müsste, wenn sie für mich geschrieben wäre (ist sie nicht, insofern ist das absolut ohne Kritik gemeint. Im Gegenteil, ich nehme sie als Beispiel, weil ich sie gut finde). Zum einen erklärt sie natürlich viele Dinge, die ich als Facebook-User weiß. Zum anderen natürlich die ganze Frage des „Warum“, die ich für mich zumindest implizit dadurch beantwortet habe, dass ich FB nutze. Die eine Frage, die ich gerne einmal irgendwo erörtert sehen würde, wird zwar benannt durch ein Goeth-Zitat („Hier bin ich Mensch …), aber nicht ausgeführt: Die gigantische Revolution, die dazu geführt hat, dass Menschen sich unter ihrem echten Namen im Internet bewegen, eben im Goethe-Sinn als „Menschen sind“, mit allem, was dazu gehört. FB hat damit nicht angefangen, aber es doch offensichtlich zu den Massen gebracht. Und diese Entwicklung wird ja meist nur unter Datenschutzgesichtspunkten diskutiert, als wären alle bescheuert, die da mitmachen.

Diese Art Wand von Uneinigkeit, die zwischen mir und FB-Geschichte im Stern steht, steht in Wahrheit zwischen mir und den meisten Magazin-Geschichten, die ich lese. Ich gehöre praktisch nirgendwo dazu, was mein Fehler sein kann, aber meiner Meinung nach auch daran liegt, dass sich Magazin-Redaktionen zu wenig Gedanken darüber machen, was die einenden Elemente ihrer Medienmarke sind – was das ist, das nicht erwähnt werden muss.

Ich habe Jahre lang Männermagazine gemacht, und es ist bizarr, was viele in der Branche sich immer wieder vorstellen, wie das zu machen sein soll: Abgesehen von der Reduzierung von Männern auf ihr Interesse an Titten, Autos und Technik, das sich in der Themenfindung deutlich niederschlägt, aber so weit geht, dass sich selbst in dem, worüber Einheit herrscht (Männer sehen gerne nackte Frauen) noch eine zusätzliche Ebene eingezogen werden muss, nämlich der vollkommen artifizielle Begriff „Erotik“, der anzeigen soll, dass es irgendwie um ein höheres, künstlerischeres Anliegen geht als einfach darum, nackte Frauen anzugucken. Die wenigsten Männer haben Erotik in ihrem Leben oder wollen das auch nur. Sie wollen Sex. Aber offenbar darf man so viel Mensch nicht sein. Damit der Wunsch nach Sex sozial anerkannt ist (und Anzeigen bringt) muss man eine erfundene ästhetisierte Ebene einziehen, die uns vom Kern der Geschichte entfernt.

Das funktioniert auf allen Ebenen. Dinge sind nicht teuer, man braucht nur „das nötige Kleingeld“. Denn „teuer“ wäre zwar wahr, würde aber heißen, man befindet sich in einer Gruppe, die (willkürliches Beispiel) 3000 Euro für ein Paar Schuhe viel findet. Dabei geht es nicht um Formulierungen (obwohl ich finde, dass man schlechte Schreiber sehr oft daran erkennt, dass sie versuchen, sich mit Formulierungen zu retten),  es geht darum, dass wir zwischen uns und die Wahrheit sehr gerne Lage um Lage Unsinn einziehen.

Die Gründe dafür sind einfach: Der erste ist natürlich, dass viele Schreiber ganz einfach schlecht schreiben. Im Regelfall liegt das daran, dass sie falsch beobachten – innen und außen, die Realität und wie die Realität auf sie wirkt. Durch Formulierung ist das nicht mehr zu retten. Der zweite Grund ist, dass wir gelernt haben, Zielgruppen durch Abgrenzung zu definieren (hohes Einkommen, hohe Schulbildung, all das Zeug, das die Marketingabteilung eben zusammenschreibt. Plus die eine Idee, die dazu geführt hat, dass es das Heft gibt). Dabei nehmen wir natürlich unbewusst viele Gemeinsamkeiten mit (unsere Leser sind Menschen, sie gehen jeden Tag aufs Klo und sie wollen Sex), aber allein an der Tatsache, wie albern Sie jetzt als Leser meine Aufzählung innerhalb der letzten Klammer fanden, könnten wir feststellen, dass wir sehr viel übersehen.

Lesen wir es noch einmal ganz langsam: Unsere Leser sind Menschen, sie gehen jeden Tag aufs Klo und sie wollen Sex.

Klingt albern, aus so einem Quatsch ein Konzept ableiten zu wollen, ich weiß, aber meine Schwester ist Buchhändlerin in einer großen Buchhandlung in Hamburg, und sie schwört, dass es im letzten Jahr Tage gab, an denen wirklich jeder einzelne Kunde, der reinkam (meist Kundinnen), das Buch „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche kaufen wollte (eine ältere Dame sagte, sie hätte gerne „Feuchte Träume“. Die Händlerinnen haben ihr gesagt: „Oh, bitte, das wünschen wir Ihnen auch!“). Ich mochte das Buch nicht. Ich fand es eklig. Aber eines muss man sagen: Es gibt keine Barrieren zwischen dem Leser und der Geschichte. Im Gegenteil, die Geschichte steht nach meinem Empfinden unangenehm nah in der eigenen Schutzzone. Es ist ein Extrembeispiel für die andere Seite. Ich finde nicht, dass man Zeitschriften so intim machen muss, wie Roche geschrieben hat. Aber Tatsache ist auch: Trotz vernichtender Kritiken hat das Buch sich mehr als 1,3 Millionen mal verkauft. Das ist mehr, als die meisten Männerhefte in Deutschland in einem Jahr am Kiosk verkaufen.

Wie gesagt, es ist vielleicht ein hergeholter, schiefer Vergleich und nicht das beste Beispiel, aber ich glaube, man kann trotzdem etwas herauslesen: Geschichten müssen nah gehen. Sie dürfen auf Erfahrungen aufbauen, die wir als Menschen gemacht haben, und es ist den Lesern lieber, sie werden beim Menschsein ernst genommen als wegen ihres Einkommens und ihrer hohen Affinität zu Unterhaltungselektronik. Denn für die machen wir das. Für Menschen.

Ich bin nicht dafür, dass wir Feuchtgebiete-Magazine machen. Aber ich bin dafür, dass wir unseren Blick doch wieder ein wenig öffnen dafür, was unsere Leser auch alles sind. Für Glaube, Liebe und Hoffnung. Zweifel, Verletztheit und Enttäuschung. Wahrheit. Leben. Dafür müssen wir als Schreiber nicht nur gut sein, sondern auch ehrlich genug, unsere Erfahrungen als Mensch einzubringen und zu verstehen, dass sie das verbindende Element sind. Es gibt keine Zielgruppe, die nicht aus Menschen besteht.

Genau wie es kein Soziales Netzwerk gibt, das nicht aus Menschen besteht. Die Idee mit den Portraits im Stern – ich verstehe sie ja. Ich finde sie aber immer noch nicht gut. Aber die Geschichte, die musste endlich mal einer machen.

Danke, Mutter!

Und für die, die es nicht wussten und genug Geduld hatten, trotzdem weiterzulesen: John Frusciante ist der Gitarrist der Red Hot Chili Peppers. Ich kämpfe gerade mit „Under The Bridge“.

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