Kontrollverlust – oder: Wie unsere Arroganz uns daran hindert, erfolgreich zu sein

Es scheint einen neuen Konsens darüber zu geben, dass die Welt verflacht, wir alle verdummen und dass das Fernsehen im Besonderen und die Medien im Allgemeinen daran Schuld tragen. Und als selbst erklärter Verfechter des so genannten Qualitätsjournalismus steht man dann achselzuckend davor und sagt sich: „Gegen den Scheiß, den die Leute offenbar sehen wollen, kann man ja mit Qualität nicht anstinken, denn auf Qualität muss man sich einlassen wollen.“ Wir haben uns ein Naturgesetz gebastelt, nachdem Qualität nicht so aufregend sein kann wie Trash. Deshalb gewinnt der Trash. Und wir haben keine Schuld.

Meiner Meinung nach ist das falsch, und das gleich auf mehreren Ebenen. Wir haben es seit Jahrzehnten in der Hand, Qualität aufregend zu machen. Wir tun es nur nicht. Und ich möchte versuchen darzulegen, warum das so ist. Oder zumindest, warum ich glaube, dass es so ist.

Es gibt natürlich einen neugierigen Drang nach Sensationen, und der Trash wird gerne deshalb als im unfairen Vorteil gegenüber der Qualität gesehen, weil er sensationalisiert, skandalisiert, alles tut, um angeblich niedere Instinkte anzusprechen und so zu Lesern, Zuschauern und Klicks zu kommen. Dabei geht es natürlich nicht um die Nachrichten, die ohnehin sensationell sind: Ein 11. September und ein toter Michael Jackson sind „sexy news“, ohne dass wir etwas dafür tun müssen (oder dagegen tun können). Aber was ist mit dem Alltagsgeschäft? Was ist mit Politik? Gesellschaft? Gedöns?

Deutsche Politik war noch nie so unsexy wie in dieser heißen Phase des Wahlkampfes, in dem bis heute die beste Meldung war, dass sich Ulla Schmidt ihren Dienstwagen hat klauen lassen. Zur globalen Erwärmung trägt diese heiße Phase jedenfalls nicht bei.  Da unterscheidet sich der Wahlkampf nicht sonderlich von der Politik, wie wir sie sonst haben: Eine uninteressante Veranstaltung, die in einem Paralleluniversum stattfindet und den normalen Bürger und Leser höchstens noch ärgert. Das ist der Status Quo. Und wenn man mit Kollegen spricht, die aus diesem Schweigen im Vakuum Geschichten stricken müssen, dann hört man: Wir bräuchten einen Obama. Mit unseren Politikern geht das nicht.

Sind die Politiker schuld daran, dass unser Qualitätsjournalismus nicht spannend ist? Ich würde dem gerne eine Beobachtung entgegenstellen: Ich lese relativ viel, konsumiere überhaupt eine ganze Menge (auch Qualitäts-) Medien, aber ich habe bei keinem unserer Spitzenpolitiker auch nur ein entferntes Gefühl dafür, wofür er steht, was seine Überzeugungen sind, was für ein Mensch er ist. Ich erlebe jedes Wort, jede Geste, jede Aktion jedes unserer Politiker nur als Schachzug, um diese oder Lobby hinter sich zu bringen, um diese oder jene Wählerschicht zu binden, um seine persönliche Macht zu mehren. Politiker in unseren Medien sind ekelhafte Politikmaschinen, die für einen noch so kleinen Vorteil alles tun oder versprechen würden. Und ich glaube, dass manche Politiker tatsächlich so sind (Philipp Mißfelder fällt einem ein), aber gleichzeitig war jeder Politiker, den ich persönlich getroffen habe, ob als Journalist oder als Bürger, doch noch mehr als das. Nicht immer viel mehr, aber doch immer mehr: ein Mensch, der viel Zeit und Energie seines Lebens geopfert hat und das weiterhin tut, oft ohne oder mit nur minimaler Bezahlung, aus Überzeugung, Gemeinschaftsgefühl, Eitelkeit – warum auch immer. Menschliche Motive jedenfalls, viele davon gut. Doch darüber lese ich nichts, bevor sie in Rente gehen (im Stern steht ein an manchen Stellen rührendes Interview mit Peter Struck). Und diese Politiker, denen der Leser und Zuschauer in der öffentlichen Darstellung begegnet, können tatsächlich niemanden begeistern. Daran sind die Politiker aber nur zum Teil schuld. Ein großer Teil des Vorwurfs geht, meiner Meinung nach, an die eingespielte Maschine von Gestendeutern, Hintergrundgesprächlern und Grimassenzählern im politischen Medienbetrieb, die ihren Job aus den richtigen Gründen über die Jahre immer falscher machen.

Aus den richtigen Gründen heißt: Natürlich ist es die Aufgabe von politischen Journalisten, die Maschinerie hinter der Politik zu erklären, die strategischen Winkelzüge offenzulegen und mit gesunder Skepsis die Worte zu hinterfragen, die da gesagt werden. Aber – und damit komme ich langsam zu meinem eigentlichen Thema – das ist nur der zweite Teil des Jobs. Der erste Teil ist: Zugang zu schaffen zu Informationen. Der Journalist ist das Auge und das Ohr des Lesers. Was wir nicht sein sollten, aber geworden sind: Der Filter, der erst einmal sortiert, was denn das Auge und Ohr des Lesers erreichen darf. Mit unserer riesigen, gut laufenden Maschinerie von gegengelesenen Interviews, Informationen unter Drei und „Er hat bei dem und dem das gesagt, wollen Sie bei uns nicht das Gegenteil sagen“ haben wir ein System geschaffen, das der Leser nur auf eine Weise verstehen kann: Es ist ein Streichelzoo von kontrollierten Informationen. Nicht die Wahrheit, das wahre Leben oder sonst irgendetwas. Von allen Seiten kontrollierte Information (bitte nicht falsch verstehen: nicht Propaganda, also von einer Seite kontrollierte Information). Meist ist es Selbstkontrolle und meist aus guten Gründen: Journalisten wollen skeptisch bleiben und Politiker nicht in Fallen tappen. Aber wenn den Politikern vorgeworfen wird, dass sie keine Visionen mehr haben, dann muss man auch einmal fragen, wo denn der Kollege ist, der über die Visionen eines Politikers eine nichthämische Geschichte schreiben würde.

In der Folge haben die Leser das Gefühl, in der Politik wäre nichts mehr echt. Und man muss sagen: An dem, was sie von der großen Politik mitkriegen, ist auch nichts echt. Es ist die Medienrealität, nicht die echte.

Während sich die Menschen also von der Politik abwenden, wenden sie sich nach Ansicht der Verblödungstheoretiker dem Trash zu. Ich halte das für eine arrogante Diagnose, die für die meisten, die sie vertreten, nur erklären soll, warum sie keinen Erfolg haben, obwohl sie doch Qualität bieten. Ich glaube, die Wahrheit ist komplizierter: Ich glaube, die Menschen wenden sich von der kontrollierten Information hin zur authentischen, unkontrollierten – auf jedem Niveau. Denn natürlich gibt es großartige Qualität auf jedem Niveau, genau wie es Versagen auf jeder Ebene gibt. Und ich glaube, vieles von dem sogenannten Qualitätsjournalismus ist Versagen auf hohem Niveau. Weil es stinklangweilig und unecht ist.

Vom Dschungel-Camp zur Super-Nanny, von Casting-Shows zu den Reality-Soaps am frühen Abend: Es mag auf niedrigstem Niveau sein, aber es wirkt echt – es ist unkontrollierte Information.

Diese unkontrollierte Information – den Zugang zur Welt – gibt es auf jedem Niveau, es gibt ihn sogar als Simulation, bei InTouch zum beispiel, wo alles wahr ist, was man auf einem Foto sehen kann. Aber in jedem Fall braucht es Qualität. sich auf das eigene hohe Niveau zu berufen und es dem Leser anzulasten, wenn er das eben nicht versteht, bedeutet wahrscheinlich, dass man eine bestimmte Qualität aus Sicht des Lesers eben nicht hat: Man ist nicht spannend.

Qualität auf jedem Niveau von Journalismus kann doch nur heißen: Dem Leser, Zuschauer oder User Zugang zur Welt zu geben, zu den Informationen, die er über die Welt haben möchte, auf eine Art, die er will. Und da sind wir wieder bei der Frage: Warum wollen Menschen überhaupt Journalismus? Meine Antwort habe ich schon oft hier aufgeschrieben, aber noch einmal kurz: Menschen brauchen Informationen, um immer wieder ihren Platz in der Welt zu finden, zu überprüfen, zu justieren. Das geht nur in der echten Welt, nicht in einem gefakten Streichelzoo.

Qualität im Journalismus ist ein echter, gangbarer Zugang zur Welt. Denn die Welt ist interessant. Die echte, nicht das Paralleluniversum Unter den Linden.

3 Antworten auf „Kontrollverlust – oder: Wie unsere Arroganz uns daran hindert, erfolgreich zu sein“

  1. Ich habe ein technisches Problem: Unter diesem Beitrag wird angezeigt, dass hier ein Kommentar stehen soll, aber ich kann ihn nicht sehen, auch nicht in dem Semi-Backend, in das meine laubsägegearbeitete Billigversion von WordPress mich reinlässt. Sollte jemand hier einen Kommentar hinterlassen haben, der nie aufgetaucht ist, bitte ich im Entschuldigung. Es war keine böse Absicht. Bitte schicken Sie ihn mir noch einmal, zur Not per Mail (mp (at) chsley.de) und ich stelle in online. Sorry.

  2. Nun, DAS wäre halt DIE neue Geschäftsidee für Medien: nicht inszenierte (auch, s.o.: unkontrollierte) Information zu verkaufen, die vom Leser/Gucker/Hörer/User auch als solche erkannt wird. Das wäre ein echter Renner, die Leute sind doch lange schon nicht nur politik- sondern vor allen Dingen medienverdrossen, das Inszenierungskartell von Protagonisten (etwa: Politiker), Journalisten und Werbemafia nervt einfach nur noch. Das Problem liegt m.E. beim Verkauf. Und nicht nur wg. systembegründeter Widerstände des Kartells. Sondern, weil Verkauf per se Inszenierung ist.

  3. Schade, dass zu diesem Thema nicht mehr diskutiert wurde. Ich finde es sehr spannend! 😉 Anders als praktisch jede Zeitung/schrift zur Zeit. Es wirkt wirklich alles dermaßen gefakt.

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