Braucht mich noch einer?

Ich sitze in einem kleinen Haus auf einer griechischen Insel, relativ abgeschottet von der Welt der deutschen Printmedien (in der nächsten Stadt gibt es täglich eine Süddeutsche, eine Bild und wöchentlich drei Spiegel undHängematte zweimal die Zeit), aber Breitband-Internet hat Einzug gehalten, und wenn ich sporadisch meinen RSS-Reader ansehe, dann lese ich die Klagen von Menschen, die sich über „Content-Klau“ im Internet aufregen. Ich nehme an, vielen geht es wie mir wenn ich sage: Langsam wird es langweilig. Das Schlimme sind für mich gar nicht Dinge wie die unsauber gedachte Hamburger Erklärung der Verlage und Verbände, in denen sie im Prinzip ja nur verlangen, man möge sie bitte mit Geld
bewerfen. Ich finde, das ist eine Forderung, die jeder stellen können sollte. Das wird sich von selbst erledigen, wenn niemand wirft. Mein Problem ist nicht, dass die Verlagshäuser (und damit die bisher wichtigen „Content-Produzenten“) das Internet nicht verstanden haben (einige haben das ja), sondern dass mit ihrem kopflosen Aktionismus offenbaren, dass sie ihre eigenen Medien entweder nicht verstehen oder ihnen nicht mehr vertrauen.

 

Ich hatte wie gesagt in den letzten Tagen viel Zeit, um sehr wenig zu lesen, mit sehr wenig Auswahl. Und habe mich gefreut: Der Spiegel hat gerade einen Lauf mit Titelgeschichten, wie sie nur der Spiegel schreiben kann. „AIG – die gefährlichste Firma der Welt“ war ein Kisch-Preis-würdiger Rundumschlag, die Porsche-Familienfehde war gut: Beides Geschichten, die ich so im Netz weder gelesen habe noch hätte. Da hat eine Redaktion getan, was sie am besten kann, in voller Breite. Und Gründe geschaffen, das Heft zu kaufen. Ein einfaches System, aber sehr schwierig. Ich höre schon die Einwände: a) „Es ist aber nicht jede Redaktion die vom Spiegel“ und b) „Das kann man aber auch nicht jede Woche“. Und da fällt mir jeweils nur eine Antwort zu ein: a) Eine Redaktion, die es nicht schafft, Gründe zu liefern das Heft zu kaufen, geht eben ein. Und b) dann erscheint halt nicht jede Woche.

 

Unsere Branche tut immer noch so, als müsste es sie eben einfach geben, unabhängig davon, was sie produziert. Das muss im weiteren Sinne etwas damit zu tun haben, dass Journalisten denken, der Journalismus sei wichtig für die Demokratie, was leider ein Fehlglaube ist. Die freie Rede ist wichtig, und zu Zeiten, als die Verbreitung von Informationen noch schwierig war, hat die freie Presse (wo es sie denn gab) eine Schlüsselrolle gespielt, aber „der Journalismus“ als solcher ist ein sehr theoretisches Konstrukt. In Deutschland kann sich zurecht jeder Journalist nennen. Die Frage an uns, die wir jahrelang gut und privilegiert in der Branche gelebt haben ist doch: Sind wir zuerst Anhänger der freien Rede oder Anhänger von gut bezahlten Jobs in einer komfortablen Branche?

 

Ich persönlich bin ein Fan von beidem, aber ich weiß auch, dass beides gleichzeitig in Zukunft nur noch für sehr viel weniger Kollegen Realität sein wird als bisher. Als ich nach einiger Zeit als Freier in der Hochzeit der ersten Internet-Blase meinen ersten festen Job als Redakteur in der Verlagsgruppe Milchstrasse angetreten habe, da hat der Verleger Dirk Manthey uns nicht nur das Fitnessstudio, den Golfclub und eine wöchentliche Massage bezahlt, er hat auch jedem einzelnen Angestellten eines Magazins eine Magnum-Flasche Champagner geschickt, wenn ihm eine Ausgabe besonders gut gefiel. Das waren geile Zeiten, ohne Frage. Und ich wünschte, Journalismus wäre noch so (ja ja, ich weiß. Li-La-Laune-Verlag. Wer das so sehen will, soll es so sehen). Aber für die Demokratie ist es scheißegal. Genau so egal wie die Kaffeedamen beim Spiegel.

 

Als Anhänger der freien Rede geht es uns jetzt besser als jemals zuvor in der Geschichte. Ich kann das hier schreiben, und jeder andere Idiot kann seinen Senf dazu geben oder überhaupt auf seiner eigenen Seite nichts als seinen Senf in die Welt blasen. Die Demokratie ist nicht in Gefahr. Als Freunde gut bezahlter Jobs in einer Branche, in der Alkohol während der Arbeitszeit erlaubt ist haben wir es allerdings heute schwieriger, genau wie viele andere (der Betriebsrat von VW soll auch nicht mehr sein, was er einmal war).

 

Wir müssen alle Familien ernähren, und ich habe keine Ahnung, wie lange ich das mit diesem Job noch schaffe. Und oft genug fühle ich mich wie ein Hufschmied nach der Einführung des Automobils.  Aber das ändert doch nichts daran, dass diese Zeiten großartig sind im Sinne von: Alles, was und woran ich glaube, bestätigt sich gerade. Ich glaube, Informationen gehören da raus. Ich glaube, die Welt wird besser, je mehr Informationen unterwegs und erhältlich sind. Ich habe mir diesen Job ausgesucht, weil ich ihn aus genau diesem Grund wichtig fand. Wenn er das nicht mehr ist, habe ich ein großes Problem, denn ich kann nicht viel anderes, aber das ist kein Problem des Systems. Und es liegt ganz sicher nicht daran, dass jemand meine Arbeit zitiert hat, aggregiert hat oder sonst irgendwas getan, womit er nach Ansicht der Verleger völlig zu unrecht reich geworden ist. Wer auch immer das sein soll. Für die Demokratie ist er jedenfalls nicht weniger wichtig als ich.

2 Antworten auf „Braucht mich noch einer?“

  1. Viel Wahres, in dem, was Du schreibst.

    Ich kann aber den Satz „Ich glaube, die Welt wird besser, je mehr Informationen unterwegs und erhältlich sind“ nicht unterschreiben. Wie kommst Du darauf? So simpel ist es nicht, denke ich. „Too much information… driving me insane“ haben „The Police“ schon in den 80ern gesungen.

    Wir brauchen vor allem eines: ein Geschäftsmodell. Warum sollte denn hochwertiger Journalismus nicht online bezahlt werden – wo die Leute doch schon für verbesserte Suchfunktionen in Netzwerken wie Xing knapp 20 Euro im Quartal bezahlen? Warum nicht eine Flatrate für drei Angebote deiner Wahl, vielleicht spiegel.de, welt. de und sueddeutsche.de – oder was immer Du willst.

    Ich glaube an Paid Content. Du nicht?

    Grüße
    Jens Meyer-Wellmann

    P.S.: Erinnerst Du Dich eigentlich noch an Deine Polizeireporterzeit? 😉

  2. Mojn Jens,

    und wie ich mich erinnere!

    Ich glaube, too much information ist eine Frage der Filterung der erhältlichen Informationen. Dafür gibt es Mittel und Wege, einer davon könnte Journalismus sein, aber im Prinzip glaube ich, dass eine Information offen und auffindbar sein muss, im Gegensatz zu geheim. Das ist gemeint. Ob ich sie haben will oder nicht muss ich entscheiden können, niemand anders für mich, auch kein Redakteur.
    Und natürlich glaube ich an Paid Content, viel Inhalt ist bezahlt, wenn auch oft nicht vom User direkt. Aber auch das ist denkbar: Das Wall Street Journal beweist ja, dass es in Sonderfällen geht. Allerdings muss der Content einzigartig gut und besonders sein. Ich bezahle für Internetflatrates zuhause und Anteilig im Büro und fürs Handy 300 – 400 Euro im Jahr und manchmal unterwegs in Hotels oder Cafés nochmal extra, wenn es dringend ist. Wenn es eine verlässliche, einzigartige News-Organisation gäbe, die sich mit Providern zusammen tut und ich würde im Preis meiner Flatrate deren Angebot zusätzlich bekomen (ohne zu merken, dass ich sie bezahle), dann könnte mich das zum Beispiel bewegen, zu einem bestimmten Provider zu wechseln.
    Ich glaube, es wird nicht ein Erlösmodell geben können, aber viele kleine. Paid Content ist einer davon.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.