Special Interest

Menschen mit einem Hobby sind interessante Leser, weil man weiß, wofür sie sich interessieren. Man kann für sie schreiben und man kann ihnen Anzeigen dazu servieren, die sie tatsächlich informativ finden. Eigentlich dürfte es Special-Interest-Magazinen nicht so schlecht gehen, wie es ihnen gerade geht. Sie sollten sich am Leser- und am Anzeigenmarkt besser behaupten können, als sie es tun. Tatsächlich leiden die meisten von allerdings an Leser- und Anzeigenrückgang. Ein Teil mag der aktuellen Krise geschuldet sein, aber es ist (wie in allen anderen Branchensegmenten auch) meiner Meinung nach viel zu einfach, die schwindende Aufmerksamkeit, die Magazinen offensichtlich zuteil wird (3,5 Prozent Rückgang in der aktuellen AWA) auf die Krise zu schieben. In diesem Fall ist es aber vielleicht tatsächlich der zweite der gern genannten Schuldigen: das Internet. Menschen, die für ein Hobby brennen, treffen sich offenbar in zunehmendem Maße lieber in Foren oder lesen Blogs von Gleichgesinnten, als den mehr oder weniger teuer produzierten Content von Magazinen zu ehren. Sie machen tatsächlich einfach, was sie wollen. Und nehmen dabei – das ist die gern gehörte Klage – den eingesessenen Medien mit ihren Amateurangeboten auch noch Anzeigenerlöse weg. Und natürlich muss man sagen: Wer so denkt, hat es auch nicht besser verdient.Denn diese Einstellung zeugt meiner Meinung nach von Ignoranz, Faulheit und falschem Denken.  Und ich möchte der Reihe nach darlegen, warum.Ich habe eine ganze Reihe Hobbys (nach Meinung meiner Frau zu viele. Zumindest zu viel Equipment für alle), aber bei keinem meiner Hobbys fühle ich mich einer Medienmarke verbunden. Weder on- noch offline. Was zwei simple Gründe hat: Ich habe nicht viel Zeit, deswegen bemühe ich mich nicht regelmäßig um den Konsum von Informationen zu meinen Hobbys. Und zum anderen wüsste ich bei keinem einzigen eine Medienmarke, die gut genug ist, um mich wirklich zu binden. Das geht sicher vielen so. Vor allem der Faktor Zeit spielt eine Rolle: Es gibt grandios viel guten Content im Internet, viel zu viel um das zu tun, was viele Seitenbetreiber ihrer Navigation nach zu urteilen immer noch als die normale Tätigkeit im Netz ansehen: Stöbern.

 

Ich stöbere nicht. Entweder ich suche aktiv, dann tue ich das über Google (Produkte auch über Amazon und Ebay, Filme auf Youtube). Oder ich sehe mir Dinge an, die mir von Menschen in meinem Netzwerk per Link empfohlen werden. Das ist Content, der zu mir kommt, ohne dass ich etwas dafür tun muss, und es ist im Regelfall der unterhaltsamere. In jedem Fall unterhält er mich viel zu gut um in mir noch den Wunsch offen zu lassen, mich auf der Suche nach Unterhaltung im Netz umzutun. Für Special-Interest-Magazine und -Marken bedeutet das zum einen, ihr Content muss natürlich gut und auffindbar (Google-optimiert sein), aber das ist erst der Anfang. Der wichtigere Teil ist: Er muss zu mir kommen. Keine neue inhaltsgetriebene Website darf noch ernsthaft darauf hoffen, ins relevante Setting der fünf Seiten zu kommen, die ich aktiv ansurfe (SpOn, Ebay, Amazon, meine Sparkasse und – leider doch – Bild).  Die Seite für mein Hobby, nehmen wir an es wäre Frisbee-Football, muss alles tun, damit ich regelmäßig Inhalte von ihr bekomme. Denn egal wie wichtig mir FF ist: In meinem täglichen Leben geht so oft dringend vor wichtig, dass ich gar nicht oft genug darauf kommen würde, mich von selbst auf die-erde-ist-eine-scheibe.net zu begeben. Aber wenn der gute Content in meinem Facebook- und Twitter-Stream als Link auftaucht, wenn ein Blogger dort so lustig oder scharfsinnig ist, dass ich ihn in meinem RSS-Reader (der bei mir das Mail-Programm ist) abonniere, dann besteht die berechtigte Hoffnung, dass ich zumindest hin und wieder auch weiter klicke und doch auf der Seite lande (und dort den Anzeigen ausgesetzt bin, mit denen die Seite wahrscheinlich einen Teil ihrer Einnahmen bestreiten will und muss). Und im allerbesten Fall hat die Seite ein Widget (zum Beispiel ein Live-Feed der Ergebnisse der aktuellen FF-Wettbewerbe), das ich in meinen Blog einbinden kann. All das hat noch kein abschließendes Erlösmodell (die Anzeigen werden dank der spitzen Zielgruppe aber wahrscheinlich besser funktionieren als auf weniger spitzen Seiten), der Sinn und Zweck ist erst einmal, so viel wie möglich guten Content zu den Lesern zu bringen. Der ureigene Zweck von Journalismus. Und er dient dabei einem weiteren, letztlich monetarisierbaren Zweck: Markenbildung.

 

Das alles betrifft aber nur die technische Umsetzung einer Special-Interest-Medienmarke im Netz. Inhaltlich hat das viel tiefer gehende Auswirkungen. Das Internet hat eigene Vorzüge gegenüber Printmedien, auch wenn ich glaube, dass sie in Redaktionen oft falsch verstanden werden. Ich höre dauernd und seit Jahren den Satz: „Niemand will lange Texte am Bildschirm lesen“, und obwohl ich glaube, dass da weniger dran ist als die meisten sich wünschen, ist da etwas dran. Was normalerweise nicht dazu gesagt wird ist aber: Die meisten Menschen wollen sowieso keine langen Texte lesen, zumindest meistens nicht.  Genau wie die meisten Menschen eher Drei-Minuten-Popsongs hören als lange Symphonien. Die Vorteile des gedruckten Wortes liegen aber im Moment genau da, bei den langen Texten (und schönen Bildern), bei den Dingen, die man in Ruhe liest, im Zug oder Flugzeug, am Strand oder in der Badewanne. Es mag sein, dass es eines vielleicht nichtallzu fernen Tages eine Möglichkeit gibt, sieauf irgendeinem Gerät so einfach, schön und preiswert darzustellen wie auf Papier, aber im Moment ist Papier dort klar im Vorteil. Wahrscheinlich nur da, aber da auf jeden Fall. Es wäre bizarr, diesen letzten Vorteil von Papier nicht auszuspielen.

 

Um herauszuarbeiten, wie das am besten geht, versuche ich mich an einem Stückchen Reverse Engineering.Die meisten Special-Interest-Magazine unterscheiden sich nicht so sehr von der ganz normalen Magazinschule: Keinteiliges, ein paar lange Geschichten, Service, Peoplegeschichten, Reise und ein Statistik-Teil, in dem ein paar Helden der Szene gefeiert werden. Wochen und Monate, nachdem ihr Heldenereignis vorbei ist. Ich habe mehr und mehr den Eindruck, dieser globale Anspruch an ein Magazin – das „Alles über“ ein Thema –, wird den Lesern immer weniger gerecht. Als Frisbee-Football-Spieler interessiere ich mich natürlich für die Technik, die Ausrüstung, die Helden und die Reiseziele (auch für die Videos mit besonderen Szenen und Diskussionen mit anderen Spielern, aber mir geht es jetzt nur um Printthemen), aber nicht unbedingt zu jeder Zeit für alles. Wer schon einmal einen Menschen ein Magazin hat durchblättern sehen, der hat ein Gefühl dafür, wie wenig jeder einzelne in einem Magazin tatsächlich liest.

 

Tatsächlich war es immer so, dass Magazinkäufer für das, was sie tatsächlich lesen wollten, sehr viel mitkaufen mussten, das sie nichtwollten. Und so lange Anzeigen die Zeitschriften billig hielten, war das bis zu einem gewissen Punkt okay (durch den Einfluss der Anzeigenkunden ist der Teil, den überhaupt niemand lesen wollte, allerdings eklatant gestiegen). Heute ist ein großer Teil dessen, was ich über mein Hobby wissen will (Technik, Tests, Nachrichten) jederzeit online zu lesen. Möglicherweise wird es im Netz ein wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem geben, wenn sich professionelles Seeding, Accountfarming usw. weiter durchsetzt, aber im Moment ist in den meisten Bereichen ein Testbericht eines ganz normalen Users sogar glaubwürdiger als der einer Redaktion, die sich nicht mit einem Anzeigenkunden anlegen will.Um die Vorzüge von Print auszuspielen haben Special-Interest-Magazine meiner Meinung nach nur die Chance, das auszuspielen, was sie wirklich besser können als Amateure im Internet: große, gute Geschichten zum einen, sicherlich, bessere Zugaänge zu Prominenten der Szene, bessere Autoren – das sind die Basics.

 

Wichtiger finde ich aber etwas anderes: Gerade in Zeiten von diversifizierenden Angeboten in dem Sektor fehlt meistens ein Zentralorgan. Die existierenden Magazine sind dafür aber auch meistens viel zu breit aufgestellt. Der „Alles über“-Approach tötet letztlich jeden Spirit. Eines der sehr erfolgreichen Special-Interest-Magazine im Moment ist das Fußballmagazin „11 Freunde“, ein „Magazin für Fußballkultur“, was schon einmal der bessere Ansatz ist als „Alles über“, in Wahrheit ist es aber natürlich noch weniger: Ein Magazin für Fußballkultur, wie es ein bestimmter Teil der Fußballfreunde sieht, nämlich die, deren Prototyp am Samstag nachmittag in einer Eintracht-Braunschweig-Trainingsjacke die Bundesliga auf einer Großbild-Leinwand in der „Schwalbe“ im Prenzlauer Berg anguckt (wo „11 Freunde“-Redakteure die Spiele manchmal live kommentieren).Und gerade und ausschließlich weil diese Zielgruppe gleichzeitig spitz und sympathisch ist, findet das Magazin viele Leser auch über die Zielgruppe hinaus. Beim Golf funktioniert das mit „GolfPunk“ bedeutend schlechter, weil diese Zielgruppe wahrscheinlich zu artifiziell ist, der Ansatz ist richtig. Golf bräuchte ein echtes „Magazin für Golfkultur“. „GolfPunk“ ist zu sehr eines genau dagegen, das gibt der Markt meiner Meinung nach noch nicht her. Gegenkultur braucht erst einmal eine herrschende Kultur, und die ist beim deutschen Golf noch nicht definiert.

 

Ein Magazin für Frisbee-Football-Kultur hätte also eine monatliche oder zweimonatliche  Ausgabe, die schön, teuer und voller langer, schöner Geschichten ist, zwei jährliche Specials mit (fast) nichts als neuer Ausrüstung, vielleicht noch eins oder zwei mit (fast) nichts als neuer FF-Mode (die Specials lägen dann jeweils sechs Monate am Kiosk) und würde alles andere online über jeden möglichen Kanal, so offen und mit so viel Interaktion wie möglich zu seinen Lesern und Usern bringen. Das sind mehrere große Schritte: Das Internet macht mit Journalismus das gleiche, was es schon mit der Musik gemacht hat. Der Song wird wichtiger als das Album, die Geschichte wird wichtiger als das Magazin, in dem sie steht. Man muss das nicht mögen (ich tue es), aber man sollte anerkennen, dass es passiert. Es bedeutet wahrscheinlich auch mehr Aufwand bei jeder einzelnen Geschichte, aber auch das muss einen Autoren eigentlich freuen. Und wer immer noch glaubt, die privaten Foren und Blogger würden den etablierten Medien Anzeigen von Markenartiklern wegnehmen, der hat das System von Anzeigen nicht verstanden. Wenn ein Frisbee-Hersteller über die auf einer Seite Anzeigen Frisbees verkauft, dann wird er schalten. Und wenn er über die Anzeigen auf zwei Seiten noch mehr verkauft, dann wird er eher mehr produzieren als sagen: So, das war es, das reicht mir. Anzeigen sind kein Nullsummenspiel. Nur funktionieren sollten sie. Aber dem Journalismus, der ja kein eingebautes Erlösmodell hat und nie hatte, dem muss egal sein, wo das Geld herkommt. Es war nie einfacher, großartige Geschichten zu machen als heute. Es war nur schonmal besser bezahlt.

6 Antworten auf „Special Interest“

  1. Ich finde, lange Texte kann man im Netz durchaus gut lesen. Wenn der Autor dann und wann ’nen Absatz einbaut…:-)

  2. Ein Wechsel vom Block- zum Flattersatz wäre auch schon lesefreundlicher.

    Aber: Genau an der Stelle, an der dieser Text das Lesen langer Texte im Netz ansprach, beschloss ich, ihn trotz seiner Länge und ungeachtet fehlender Absätze und Zwischenüberschriften zu Ende zu lesen – weil er es wert zu sein schien.

  3. Fiete, richtig, wird gemacht. So sehr ich es auch genieße, machen zu können, was ich will, so sehr sehne ich auch die Zeiten zurück, als man noch blasse Nerds irgendwo in einem Teil des Gebäudes sitzen hatte, den man selbst nie betreten hat, die aber für jeden technischen Mist antreten mussten, wenn man die interne Hotline angerufen hat. Hätte ich die noch wäre der Blog auch nicht so hässlich. Aber ich lerne das noch.

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