Wie das “Projekt Z” den Focus retten könnte

Focus Titel JuniDer „Focus“ liegt im Sterben, und er sieht es kommen, was auf der einen Seite sicher schmerzhaft ist, auf der anderen aber zumindest die Sinne so weit schärft, dass noch der Hauch einer Chance besteht, dass jetzt die nötigen Entscheidungen getroffen werden, um das Ruder noch herum zu reißen.

Nun sitzen angeblich drei Gruppen mit den schönen griechischen Namen Alpha, Omega und Ypsilon (steht ungefährt für „Anfang, Ende und irgendwas kurz vor Schluss“) an einem „Projekt Z“. Z steht für „Zukunft“. Und dass drei Gruppen sich zum Thema Gedanken machen ist vernünftig: Je kleiner etwas ist, umso schwerer ist es, das Ding zu finden. Und beim „Focus“ hat man im Moment mehr Men-Power als Zukunft.

Die Erfolgsgeschichte des „Focus“ ist unbestreitbar: Helmut Markwort hat für Burda ein Heft gebaut, das ein großer Markterfolg war (vor allem am Anzeigenmarkt), und auch wenn der publizistische Impact des Heftes auf unser Land meiner Meinung nach bisher nahe an Null liegt, ist es kaufmännisch eine großartige Leistung gewesen, und das muss man erst einmal machen. Davor habe ich einen riesigen Respekt.

Ich glaube aber auch, dass jetzt, mit der nötigen Verzweiflung im Rücken, der Weg frei wäre für einen großen publizistischen Versuch. Und ich glaube, dass darin die letzte Möglichkeit läge, die kaufmännische Erfolgsgeschichte des „Focus“ fortzuschreiben. Ich bin mir nämlich sicher, dass es immer noch eine Zielgruppe von potenziellen Magazinlesern gibt, die  von „Spiegel“ und „Stern“ nicht das bekommen, was sie wollen.

Vom „Focus“ bekommt es im Moment wahrscheinlich überhaupt niemand. Ich persönlich (und das ist nur meine Meinung, ich kann das nicht belegen und es ist für mein Argument auch nicht wichtig) glaube die Abonennten-Zahlen des „Focus“ nicht. Ich glaube, von den 333.000 gemeldeten Abonnenten ist ein großer Teil wertlos, weil sie das „Focus“-Abo nur als Zugabe zu geschenkten Lufthansa-Meilen oder was weiß ich was für einer Prämie abgeschlossen haben. Im Einzelverkauf liegt das Heft bei 107.000 im ersten Quartal, ich glaube, wenn realistisch eine Zahl von gut 200.000 Menschen herauskommt,  die Geld dafür bezahlen, den“Focus“ lesen zu dürfen, dann ist Burda schon ganz gut dran. Mit so einer Zahl kann man ein Magazin einträglich machen, wenn man die meisten Redakteure entlässt und die übrigen ihren Output erhöhen. Ich wünsche das keinem Redakteur, aber was soll man machen?

Noch besser wäre es natürlich, der „Focus“ fände einen Weg, dass mehr Menschen ihn lesen wollen. Und ich habe eine Idee, wie das gehen könnte. Auf einen einfachen Nenner gebracht hieße er: Den Menschen das geben, was sie lesen wollen.

Klingt einfach. Es ist auch einfach. Denn der „Focus“ weiß, was die Menschen lesen, wonach sie suchen, was sie interessiert und was ihnen herzlich egal ist. Zumindest könnte er es es wissen: Von „Focus“-Online zum Beispiel. Anstatt jede Woche wieder ein Full-Service-Alles-in-einem-Heft Nachrichtenmagazin herauszugeben, das neben dem „Spiegel“ immer nur aussieht wie (in anderer Nord-Süd-Richtung) der HSV neben dem FC Bayern.

Wenn wir ehrlich zusammen fassen, was Zeitschriften heute tun, dann bringen sie die alten Nachrichten der letzten Woche in eine kompakte, verständliche und ästhetisch ansprechende Form (wobei Ästhetik sich auf Optik und Sprache bezieht). Sie machen es angenehm, noch einmal zusammenfassend die wichtigsten Fakten und Analysen der nahen Vergangenheit zu rekapitulieren. Sie aggregieren, kuratieren, analysieren und garnieren das ganze mit ein paar menschelnden Überraschungen. Und wenn sie das gut machen, ist das für mich ein tolles Produkt.  Ein echter Service. Ich kann mir gut vorstellen, dass es viele Menschen auch in Zukunft noch gerne kaufen. Ich glaube nicht, dass der „Focus“ sterben muss, weil Zeitschriften sowieso sterben müssen. Ich glaube, dem „Focus“ geht es schlecht, weil er schlecht ist. Jedenfalls schlechter als der „Spiegel“. Und ich glaube das nicht nur, weil ich persönlich den „Spiegel“ besser finde, sondern weil hunderttausende Menschen in Deutschland am Kiosk für den „Spiegel“ stimmen, wenn sie vor der Wahl stehen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass der „Focus“ in diesem Rennen nur weiter verlieren kann, wenn er weiter das tut, was sich Redakteure ausdenken, während sie in Konferenzraum Alpha, Omega oder Ypsilon zusammen sitzen und darüber brüten, wie man das Heft besser machen sollte. Schlauer wäre es, zu schauen, was die Leser lesen wollen. Was klicken sie auf „Focus“-online an? Nach welchen Nachrichten suchen sie auf Google? Was tut sich sonst noch auf den Seiten im Burda-Imperium, gibt es da Themen und Trends, die offensichtlich in dieser Woche gerade viel gelesen und diskutiert werden?

Ich glaube, die Zahlen belegen klar, dass nicht genug Leser an einem Nachrichtenmagazin interessiert sind, das die selben Themen aufarbeitet wie der „Spiegel“, nur eben  auf die „Focus“-Art. Die Einzelverkäufe stinken ab und die Abo-Zahlen sind nicht nachhaltig zustande gekommen. Alles ein bisschen hübscher zu machen und dann auf dem Weg weiter zu gehen würde den Tod, wenn überhaupt, nur verzögern. Aber ein Magazin, das mit den beschriebenen Vorzügen des Mediums (und die gibt es selbstverständlich, die Millionen von Magazinkäufern sind ja keine Idioten) tatsächlich die, und nur die Themen behenadelt, die michin dieser Woche interessieren? Klingt interessant. Die Zeitschrift wird dadurch womöglich weniger Themen haben als vorher. Und deshalb mehr Platz, sie ordentlich, tief und schön zu erzählen.

Graydon Carter, der Chefredakteur der amerikanischen „Vanity Fair“, hat Medienmachern den Tipp gegeben: „Ich würde vorschlagen, dass Zeitungen der Öffentlichkeit wieder einen Grund geben, sie zu lesen. Hier eine Idee: Werft euch auf eine große Story, die eine breite Öffentlichkeit interessiert , setzt eure besten Leute dafür ein, sagt ein stilles Gebet und dann geht aufs Ganze.“ Ich würde nur ergänzen: Warum nicht auch mehrere Geschichten? Und: Anstelle oder zusätzlich zum Gebet, analysiert doch, was eine breite Öffentlichkeit interessiert. Ihr habt die Daten. Sie sind einen Flur weiter bei den Nerds.

Mir ist bewusst, dass als große Qualität der Print-Medien gern angeführt wird, dass Leser auf Papier Geschichten begegnen, die sie eben gerade nicht gesucht haben. Und das ist ein Argument. Ich glaube, Leser sollten auch in Zukunft überrascht werden können. Aber im Moment ist es doch so, dass der größte Teil der Geschichten in jeder beliebigen Zeitung oder Zeitschrift für einen Großteil der Leser uninteressant ist. Im Supermarkt finde ich gerne mal ein neues Produkt. Aber nur wenn all die Dinge da sind, die ich wirklich kaufen wollte. Wenn wir vorher wissen können, was Leser lesen wollen, warum geben wir es ihnen nicht einfach und denken uns stattdessen so viel anderes Zeug aus? Weil es Nachrichten sind? Weil wir sie erziehen wollen und ihnen ein Gefühl dafür geben, was wirklich wichtig ist auf der Welt? Halten wir denn alle unsere Leser für zu blöd, faul und egomanisch, um aussuchen zu dürfen, was sie lesen wollen? Und dafür wollen wir auch noch Geld?

Ich habe in meinem Eintrag über die Krise geschrieben, dass die „Bravo“ es irgendiwe schafft, dem Trend zu trotzen, weil sie ein gutes Heft ist. Ich habe dabei zwei Dinge nicht erwähnt: Erstens, dass das natürlich der Verdienst von Chefredakteur Tom Junkersdorf, Verlags-Chef Axel Bogodz Bogocz* und dem Team der „Bravo“ ist (unter besonderer Erwähnung von Alex Gernandt), und zweitens, dass sie das Heft ja nicht nur handwerklich perfekt umsetzen; vor allem wissen sie, was ihre Leser lesen wollen. Die Stars, mit denen die „Bravo“ Hefte verkauft, wechseln alle paar Monate. Welche es sind, wissen die Macher, weil sie ihre Daten analysieren: aus Leserbefragungen, SMS-Votings, Anzahl und Inhalt von Leserzuschriften usw. Während Henri Nannen noch von Lieschen Müller fabuliert hat, wird beim Bauerverlag Lieschen Müllers Enkelin (wahrscheinlich Lena) einfach gefragt. Und bei Burda müsste man nicht einmal das tun: Man könnte sich auch einfach ansehen, was Lieschen Müllers Tochter (wahrscheinlich Andrea) tatsächlich liest. Online. Dann kann sie sich nicht einmal (wie es in der Marktforschung passiert) klüger, interessanter und intellektueller lügen, als sie tatsächlich ist.

Also Alpha, Omega und Ypsilon, Ihr könnt euch Gedanken machen. Bitte tut es.  Aber macht euch Gedanken über das, was Eure Leser tatsächlich tun, nicht über das, von dem Ihr Euch wünscht, dass sie es tun. Oder sterbt halt.

*Und weil ich weiß, wie sehr im Bauerverlag Marktbeobachtung und -forschung geliebt werden, gehe ich davon aus, dass in diesem Moment im Büro des unglaublich gut aussehenden Axel Bogodz Bogocz** ein Google-Alert losbimmelt. Willkommen!
** klingelt’s?

Eine Antwort auf „Wie das “Projekt Z” den Focus retten könnte“

  1. Großartige Analyse, phantastisch. Der Grieche ist für mich Delta, oder noch besser: Delta-Force. Aber wer ist dieser Teufelskerl Bogodz? Noch nie gehört!

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